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Weihnachten in Coyoacan, Mexico, D. F.
Coyoacan hat eine reiche Geschichte und hatte nicht immer die besonnte und erholsame Aura, die wir heutzutage dort genießen, sondern auch eine blutige und barbarische, zu Zeiten der Eroberung von Mexico durch Hernan Cortez.
Der letzte Vertreter des vorspanischen Aztekenreiches, Cuauthemoc, wurde im Pferdestall der spanischen Armee gefangen gehalten, und um von ihm zu erfahren, wo man das Gold vergraben hatte, folterte man ihn, indem man seine Füße ins Feuer hielt, ohne allerdings die erwünschte Auskunft zu erhalten. Als Geisel, ohne noch laufen zu können, wurde er danach bis Yucatan verschleppt, wo man ihn ermordete. Bis heute ist dieser wertvolle Schatz nicht gefunden worden, obwohl er in der Mythologie der Einheimischen noch weiterlebt. Unser Bergführer wies darauf hin, als wir in den Vulkanen herumkletterten, und er fragte uns, ob wir besondere Instrumente kannten, die solche Metalle zu finden erlaubten.
Der ehemalige Pferdestall diente zu meiner Zeit als Standesamt, ohne dass die Struktur des Gebäudes verändert worden war, und nicht weit davon, in einem ähnlichen Gebäude, residierte der russische Emigrant Leo Trotzki, den Stalin dort von einem seiner Agenten ermorden ließ. Hübsche Parkanlagen, los viveres, alter Baumbestand in dem sonst so vertrockneten Mexico zierten die Anwesen der Wohlhabenden, die in Coyoacan wohnten.
Wir hatten dort Familie, Verwandtschaft meiner Frau, die ich zu Weihnachten besuchen konnte, und etwas nostalgisch erinnere ich mich an die Feier, die ich dort im Kreise der Verwandtschaft meiner Frau miterleben durfte.
Die Eltern hatten aus Deutschland nach Chicago geschrieben. Die gute Mutter bedauerte mein Fernbleiben von zu Hause, aber der verständnisvolle Vater schrieb: »Sicher wirst du diesmal an einer Weihnachtsfeier mit ganz anderen Gebräuchen teilnehmen«, und so war es auch, obwohl mir diese anderen Gebräuche gar nicht allzu fremd erschienen.
Vertreter der Industrie waren bis nach Evanston ins Labor gekommen, und der freundliche Kollege aus England riet mir, einfach die Einladungen anzunehmen, auf Kosten der Shell vielleicht bis nach Houston zu fliegen, und dann billig weiter nach Mexico, wenn die Interviews vorbei waren. Weder war man verpflichtet noch würden die Firmen sich festlegen, bis dann das Neue Jahr begann, und so konnte ich Weihnachten mit der Familie meiner Frau verbringen und unser Baby besser kennenlernen, das vor einem Jahr geboren worden war. So geschah es, und Weihnachten begann für mich hoch oben im Flugzeug der Braniff Airlines auf dem Weg von Houston, Texas nach Mexico D. F.
Die Nase blutete wieder in der großen Höhe, wegen der Quecksilbervergiftung, die der unvorsichtige Labornachbar verschuldet hatte, den ich daran hindern musste, sein Quecksilber aus Ersparnisgründen wieder zu destillieren, wobei es sich in meinem Abzug dann unbemerkt niederschlug.
Gewimmel an dem modernen Flughafen von Mexico D. F., aber der Zoll ging rasch vorbei, damals gab es weder die lästige Flugsicherheitskontrolle noch war man besonders misstrauisch gegenüber dem nördlichen Nachbarland. Im Gegenteil, Mexikaner und Kanadier bekamen problemlos ihre grüne Karte, wenn sie in den USA ein Auskommen nachweisen konnten, und dafür hatte ich ja mit meinem Beruf gleich gesorgt. Es hing also von uns selbst ab, wann meine Frau mit nach Chicago übersiedeln würde. Ostern war verabredet worden, wenn dann das zweite Kind gesund zur Welt gekommen war.
Jetzt hier in Coyoacan zu sein, in der modernen Villa ihrer Eltern, die sie selbst mit gebaut hatte, war besser als in dem kalten Winter von Chicago, der mit seinen Eiswinden auf dem ansonsten schönen Gang am See entlang zum Labor meine Backen steif frieren und an meiner Nase regelrechte Eiszapfen entstehen ließ. Also Mexico diesmal!
Herzlich die noch unbekannte Familie und vornehm der alte Herr, der mir gleich einen schwarzen Anzug anmessen lassen wollte, da ich in etwas legerer Kleidung angereist kam.
Professor Ancona und Schwager Jorge
Schwiegermutter und Tochter Christina
Dann die wirklich fröhliche Weihnachtsstimmung mit dem Baby und sehr kompetent die Simultanübersetzung meiner Frau, da mein Spanisch noch sehr mangelhaft war und trotz Latein aus der Schule die alten aztekischen Wörter völlig im Dunklen ließ. San Juan de Letran oder el centro waren ja klar, aber für Wörter wie Ixtapalapa, Xochimilco oder el zocalo und Tlaquepaque brauchte es Jahre in meinem Gehirn und auf meiner Zunge, bis ich sie verstehen und sogar aussprechen konnte. Ich war mit meinem Latein hier sozusagen am Ende.
An die Menschen mit dunklerer Hautfarbe und von kleinerer Gestalt gewöhnte ich mich rascher. Auf den exotischen Marktplätzen war alles sehr billig, aber wenn meine Frau etwas kaufte, schickte sie mich mit dem Kind weiter. Denn wenn dann die alte India sagte: »Ach so, Sie sind eine von uns«, dann gingen die Preise auf die Hälfte herunter. Und wenn ich die Technik meiner Frau bewunderte, wie sie die Preise für Krippenfiguren erst für hundert Stück erfragte und dann nur zwei davon kaufte, war ich zwar ethisch in der Klemme, aber selbst beim günstigsten Peso-Dollar-Umrechnungskurs dann auch wieder froh, dass sich mein mit großen Metallstücken gefüllter Geldbeutel nur sehr langsam leerte und der Korb mit den Weihnachtssachen sich derart anfüllte, dass wir einen mozzo, einen Jungen, heuern mussten, der uns half, die Beute zum Wagen zu schleppen. Sehr hübsche Tonfiguren der Weisen aus dem Morgenland, von den Tieren bei der Krippe und den Engeln gab es. Diese Indios aus den Dörfern waren wirkliche Künstler und dabei christlich fromm, echte Experten hinsichtlich der Weihnachtsgeschichten aus der gleichen Bibel unserer Religion.
Viele arme, bettelnde Kinder, die ein Weihnachtsgeschenk von dem Amerikaner erbaten, gab es. Ich wurde belehrt, dass ich allein die sozialen Probleme Mexicos nicht lösen konnte. Und etwas taktvoller sollte ich auch fotografieren, hieß es. »Da me mi navedad!«, war ihr Spruch.
Ob es hier Tannenbäume gäbe, fragte ich meinen Schwiegervater. »Ja, entweder welche aus Kanada oder einige auch aus der desierto de los leones, weiter nördlich der Stadt.« Auf mein fragendes Gesicht hin setzte er hinzu: »Ni hay desierto, no hay leones!« Also weder gab es eine Wüste noch Löwen darin, aber Tannenbäume, die meinen Weihnachtsansprüchen genügen würden, schmunzelte er, da ihm die kulturellen Unterschiede südlicher und nördlicher Christenheit wohl bekannt waren.
Ähnlich wie in Sizilien und Süditalien waren für ihn und seine Familie die spanischen und portugiesischen Bräuche wohl maßgebend für die christlichen Festlichkeiten. Trotzdem ließ man mich gerne gewähren und unten in seiner Bibliothek am Feuerplatz ein deutsches Weihnachtsfest organisieren, den Baum schmücken und mein Baby und meine Frau an unsere deutschen Bräuche gewöhnen. Es war ja alles da, die wunderbaren Krippenfiguren, der Schmuck, das Lametta und die Kerzen, allerdings – für mich ganz neu – elektrische, die vielfarbig glänzten. Sogar Wunderkerzen gab es, die feurige Sternchen verstrahlten: »made in Germany«, da man Japan und China wohl noch nicht entdeckt hatte und hier vor der Kubakrise noch Handel mit der DDR betrieben wurde. Aus dem Erzgebirge kam der hübsche Christbaumschmuck bis hierher nach Mexico – mein Gott!
Abends um halb sechs war ich fertig mit dem Aufbau. Unter dem Baum lag einsam der gelbe Teddybär, den unser Freund Schmidt aus Stuttgart mitgebracht hatte: »Steiff, mit Knopf im Ohr«, zeichnete ihn aus, dazu hatte ich – etwas kleiner und auch billiger – ein Püppchen von Woolworth aus Chicago gelegt. Ich war noch sehr sparsam in diesem, meinem ersten Amerikajahr. Da war dann noch ein gelbes Kleid für meine Frau, die Gelb sehr schätzte, aber wie sich herausstellte, passte es nicht gut. Eine rote Kerze brannte vor sich hin, und ich hatte ein Holzfeuer angezündet, aus den Betonschalbrettern, die der Schwager im Hof abgeladen hatte. Auf mein Drängen kam meine Frau kurz herunter, behauptete, das Kind schliefe fest, und ansonsten kam niemand, um mit mir die Bescherung zu feiern. Als ich ein Lied summte, wurde für mich oben im Salon das Grammofon angestellt, aus dem in italienischer Sprache »Oh, du Fröhliche« ertönte. Das war’s dann wohl, konstatierte ich. Keine Weihnachtsfeier! Sollte ich, verärgert über Mexico, vielleicht morgen abreisen?
Dann kam der übliche Umtrieb in der Küche, Tanten und Dienstmädchen gaben einander die Klinke in die Hand, am Hoftor schellte alle fünf Minuten die Glocke. Fahrer lieferten Pakete ab, und der Hund bellte ärgerlich, wenn wieder jemand läutete, und ich saß unten am Feuer in der Bibliothek und las ein englisches Buch über Termiten. Interessant, diese staatsbildenden Insekten, einen utopischen Roman müsste man über sie schreiben, vielleicht mögliche Mutationen der Menschenrasse zusammenfantasieren, die neuen Ergebnisse der Raumfahrt mit einbeziehen, eine Art Zeitmaschine konstruieren, die all dies zusammenbrachte. Aber es war ja heute Weihnachten, der Heilige Abend, an dem vor 1961 Jahren Jesus Christus geboren wurde, und hier saß ich im Ausland, zwar geliebt, aber ziemlich unverstanden von meiner Frau und ihrer Familie, in einer Bibliothek im Keller eines Hauses in Coyoacan.
Einige gut gekleidete Damen und Herren erschienen gegen elf Uhr nachts. Man forderte mich auf, mir ein weißes Hemd anzuziehen, und allmählich verstand...
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