Schweitzer Fachinformationen
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Kurz vor dem Kauf des Gästehauses hatten wir erfreulicherweise auch eine schöne Wohnung in einem Nachbarort gefunden, die wir sofort mieteten. Die Zeit bis zur Übernahme reichte gerade so für den Umzug. Danach ging es nahtlos über in die neue Welt der Frühstückspension.
Die Intensität, mit der das Neue unser gesamtes Dasein umkrempelte, bog das Raum-Zeit-Kontinuum, sodass ich bald schon das Gefühl hatte, bereits als Hotelier geboren worden zu sein. Allerdings als ahnungsloser.
Unser Geschäftsmodell sah vor, dass ich Carola als ihr Pächter einen monatlichen Betrag zu überweisen hatte, der neben den Betriebs- auch die Kreditkosten des Hauses abdeckte. Bei Unterschrift dieses eher gängigen Geschäftsmodells fühlte ich mich trotzdem wie ein gewiefter Steuerjongleur, der nun Teil des dienstleistenden Establishments geworden war. Mit Gewalt beanspruchte ich etwas von der Bauernschläue, die hier oben aus jeder Bergritze quillt.
Ich wollte einer von hier sein - a gstandnes Mannsbild, furchtlos zupackend - und kaufte mir in der Apotheke als Erstes eine Salbe gegen Sehnenscheidenentzündungen.
Bevor es für Carola und mich ernst wurde und wir auf uns alleine angewiesen sein würden, liefen wir eine Woche lang bei den Vorbetreibern mit, um uns in die Handlungsabläufe der Frühstückspension einweisen zu lassen. Und in unsere hochgespannte Erwartung mischte sich zunehmend Unsicherheit. Wie schneidet man im Hotelgewerbe das Brot, wie die Tomate, wie den Apfel? Wie werden Schinken, Wurst und Käse dargeboten? Nichts erschien uns selbstverständlich und wir glaubten an eine von der Innung überwachte Norm, die keine Abweichungen duldete.
Nicht ganz ohne Schuld an dieser Situation waren zweifellos auch die Vorbetreiber. Die Riedels, ein nettes älteres Paar, erweckten den Anschein, als öffneten sie uns mit ihrer Einführung die geheime Kammer eines unendlichen Erfahrungsschatzes. Vielleicht hatte unsere Verunsicherung auch mit Hildegard von Bingen zu tun, die ungefragt Pate für dieses Haus stand und für die Farbkomposition verantwortlich war, die man im Hause hatte walten lassen. Kurz: Mir war bis dato nicht bewusst gewesen, wie viele verschiedene Grüntöne es gab. Dieses Haus bot wirklich sämtliche Schattierungen. So gut wie aus allen Dingen stieg >Bingens Grünkraft< auf.
Im Vergleich zu Carola, die mit so viel Grün nicht zurechtkam, hatte mich meine Kindheit gut darauf vorbereitet. Schon mein Vater hatte die Angewohnheit, alles in Grün zu tauchen, was einen neuen Anstrich benötigte. Auch das meiste in der elektrischen Eisenbahnwelt, über die mein Vater wie ein akribischer Schöpfer wachte, war grün. Grün sei die Farbe der Natur, pflegte er zu verkünden, das könne niemals falsch sein. Hier lag er vielleicht mit Hildegard von Bingen auf einer Linie, was im spirituellfeindlichen Nachkriegsdeutschland sonst eher rar gewesen sein dürfte. Die Farbe Grün war mir also vertraut.
Was bei Carola zu großer Irritation führte, weckte bei mir in gewisser Weise sentimentale Erinnerungen. Ein warmes Gefühl überkam mich beim Anblick grüner Tischdecken und grüner Servietten, grüner Stuhlkissen, grüner Vorhänge, grüner Tassen und Teller, grüner Kugelschreiber, grüner Eierlöffel.
Eigentlich hatten wir uns bei der Einführungswoche täglich abwechseln wollen, aber nach ihrem ersten Vormittag streikte Carola. Auf meinen Vorschlag, sich doch ihre alte Sonnenbrille mit den roten Gläsern aufzusetzen, die das Grün in Braun verwandelte, wollte sie nicht eingehen.
»Ich geh nicht mehr in diesen grünen Irrsinn«, beschied mir Carola ebenso knapp wie unwiderruflich und ließ mir für die restlichen Tage den Vortritt. »Das Erste, was ich machen werde, ist, das ganze Grün rausschmeißen.«
Am Morgen des vierten Tages stand die Einweisung ins Buchungsportal an, eine komplexe Angelegenheit, die Konzentration erforderte, und der ich mich nun alleine zu stellen hatte. Ich traf das Ehepaar Riedel beim späten Frühstück an. Das zelebrierten sie täglich, nachdem die Hotelgäste den Frühstücksraum verlassen hatten. Ich könne ja schon mal nach oben ins Zimmer 7 gehen, erklärten sie mir, und mir dort von Alyona zeigen lassen, wie die Zimmer geputzt werden. Einigermaßen verblüfft über diesen Vorschlag, wollte ich den Riedels jetzt aber keine unnötige Diskussion über meine Vorstellung einer würdigen Übergabe aufdrängen, auch war ich nicht scharf darauf, ihnen beim Frühstück zuzusehen. Also ging ich nach oben. Denn in die Geheimnisse der Zimmerreinigung eingeweiht zu werden, war wohl keine schlechte Idee.
Alyona, eine großgewachsene Weißrussin um die vierzig, war gekleidet, als sei sie auf dem Weg in eine Kleinstadtdisco der Achtzigerjahre. Ihre leuchtend blonden, halblangen Haare hatte sie mit einem geflochtenen Stirnband gebändigt, ihr Oberkörper steckte in einem engen, mit Goldapplikationen verzierten Top, und als Beinkleid trug sie eine hautenge Jeans, die in einer auffälligen Regelmäßigkeit gestonewasht war. Auf den ebenfalls goldfarbenen, hochhackigen Pumps maß Alyona geschätzte einmeterneunzig.
»Hallo Alyona!«, grüßte ich nach Betreten von Zimmer 7. »Geht es Ihnen gut? Ich bin Simon. Meine Frau und ich, wir werden das Gästehaus in Zukunft betreiben.«
Das Personal beim Vornamen nennen, gepaart mit einem distanzierten Sie, so stellten Carola und ich uns den Umgang mit Alyona und Scarlett, der anderen Hilfskraft, vor.
»Oh, gut Morgän! Ja, habä schon von Ihnän gähört.«
Mein Auftauchen überraschte Alyona nicht. Sie war gerade im Bad, wo eine Art Treibhausatmosphäre vorherrschte, und wischte mit einem Tuch die Duschwände trocken. Sie hielt inne und lächelte mich an.
»Lassen Sie sich nicht stören!«, sagte ich. »Ich wollte nur mal gucken, was hier so beim Putzen zu machen ist. Wo versteckt sich denn der Schmutz?«
Sie legte ihre Stirn in Falten und lachte kurz, dann schrubbte sie weiter.
»Sie mächtän Schmutz sähän? Und wissän, wie gäht mit Putzän?«, fragte sie.
Ich nickte zustimmend und fühlte mich etwas unwohl. Ich blickte mich kurz im Zimmer um. Meine Augen glitten über grüne Handtücher, grüne Bettwäsche, grüne Nachttischlampenschirmchen, einen grünen Sessel.
»Kommän Sie.« Alyona winkte mich ins Badezimmer. »Das ist Schmutz, Sie sähän?«
Sie öffnete den kleinen Badezimmermülleimer, der randvoll mit verbrauchten Hygieneartikeln aller Art war. Dann deutete sie auf Haarreste im Duschabfluss. Haare lagen auf dem Duschboden verteilt und klebten an der Innenwand der Duschkabine. Mir war sofort klar, dass ich lieber keinen Schmutz sehen wollte. Es war aber zu spät.
»Sie nähmän Haar mit Gummihandschuh«, begann Alyona ihren Schnellkurs. »Mit Gummihandschuh ist niechhht äklig. Dann nähmän Sie Mittäl hier Badezimmer WC und über Bodän wischän, dann wiedär Glanz. Klo äbänso. Erst WC-Mittäl rein, dann nähmän Sie Klobürste. Wänn niechhht gut riecht, dann nähmän Sie Spräy für Luft. Nähmän Sie auch Sagrotan, Mistär Propä auch gut. Manchmal WC-Tablättä über Nacht. Wenn nur deutscher Mann als Gast, dann niechhht viel Sagrotan drum härum. Deutscher Mann pinkäln in Sitzän. Belarus ist da niechhht so gut, weil in Belarus gibt es niechhht Mann, die pinkält im Sitzän. Belarus Diktatur. In Diktatur Männär pinkäln in Stähän. Märkel ist Demokratie und macht Männär Sitzenpinkäln .«
Dieser Aspekt des Sitzpinkelns war mir neu, und ich spürte den Impuls, Alyona zu zeigen, dass ein deutscher Mann gut und gerne mit einem kernigen Weißrussen mithalten konnte. Andererseits hielt ich es für keine passende Idee, als neuer Chef vor den Augen des Personals ausgerechnet in dieser Disziplin die weißrussischen Männer in ihre Schranken zu weisen.
»Belarusmann ist ein bisschän wie Tier in Brunft«, fuhr Alyona fort. »Rävier markierän. Nimmst du viel Sagrotan, alles einsprühän, dann wischän.« Sie wog den Kopf hin und her. »Ja, leider. Bei Belarusmann du aufpassän. Als Frau sowieso. Kannst du niechhht, wenn es dunkäl ist, alleine auf Straßä. Wirst du gleich, wie sagt man, päng .«, sie schlug mit der rechten Handfläche auf die Stirnseite der zur Faust geballten linken Hand, ». zärknallt?!«
»Zerknallt? Sie meinen . vergewaltigt?!«
»Värgewaltigt, gänau. Dankä. Iechhh kann in Belarus, wo iechhh herkommä, kleine Stadt, niechhht so in Dunkäln laufän.« Sie zupfte an ihrem T-Shirt,...
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