Schweitzer Fachinformationen
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Es wäre einfach, an dieser Stelle einige Nationalparks zu nennen, also Waldgebiete aufzuzählen, die in den letzten Jahrzehnten aus der Nutzung genommen wurden und die sich dem Besucher als wild und ungezähmt präsentieren. Den Schwarzwald ganz im Südwesten vielleicht oder den Hainich im Herzen Deutschlands. Den Darßwald im Norden oder den Bayerischen Wald im Südosten.
Wenn im Frühling die Buchen austreiben und dazwischen dunkelgrüne Tannen stehen; der Boden übersät mit dem rotbraunen Buchenfalllaub, aus dem ein paar Farnwedel ragen - kein Gemälde könnte schöner sein. Wenn in der Herbstsonne der Spitzahorn, unser vielleicht farbenprächtigster Laubbaum, in Gelb, Orange, Grün und Lila zwischen den oft in Gesellschaft auftretenden, ewig grünen Eschen und Fichten aufleuchtet: schön sind sie alle, die Wälder unserer Naturschutzgebiete und Nationalparks. Aber nicht nur sie!
Wer ein besonderes Feuerwerk der Farben erleben will, dem sei ein herbstlicher Spaziergang durch den Exotenwald von Weinheim nördlich von Heidelberg ans Herz gelegt. Hier stehen auf 60 Hektar Baumarten aus aller Welt beisammen, darunter riesige Mammutbäume, die unsere heimischen Bäume weit überragen. Sicheltanne, Kuchenbaum, Gurken-Magnolie, Riesen-Lebensbaum, Zucker-Ahorn und Dutzende andere Exoten bieten in dem 1872 gegründeten Arboretum ein botanisches Schaulaufen der Blattformen und Laubfarben. Hier kann man auch eine Reihe von Baumarten bestaunen, die früher einmal bei uns heimisch waren und die im Laufe der Zeit aus Mitteleuropa verdrängt wurden.
Aber auch der Nullachtfünfzehn-Wirtschaftswald, der klassische Forst, kann schön und spannend sein. Ich bin im Münchner Osten aufgewachsen, am Rande des Ebersberger Forstes. Mit ihm verbinde ich zahllose Expeditionen als Kind, in eine geheimnisvolle Welt aus Moosen, Pilzen und Bäumen, in der es herrlich roch und wo es so vieles zu entdecken gab. Eulengewölle zum Beispiel, die ich mit Begeisterung suchte, um anschließend voller Neugierde nachzusehen, ob sie die Schädelknochen der zuvor vertilgten Kleinsäuger enthielten. Noch hundertmal habe ich eine Stelle aufgesucht, wo ich kurz hintereinander gleich zwei Abwurfstangen vom Reh gefunden hatte. (Dass es den Tatbestand der Wilderei erfüllte, als ich die beiden mitnahm und in meinen doppeltürigen Naturalien-Schaukasten packte, war mir damals nicht bewusst.) Dieser Wirtschaftswald war Bestandteil meiner glücklichen Kindheit. Schon deswegen ist er für mich schön, auch wenn er im Wesentlichen eine Holzplantage ist.
Mit einer Fläche von 90 Quadratkilometern ist der Ebersberger Forst eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands. Ein Teppich aus wirtschaftlich wichtigen Baumarten, allen voran die Fichte. Gelegen auf den eiszeitlichen Schotterterrassen des Alpenvorlandes und erntegerecht unterteilt wie eine Schokoladentafel in symmetrisch angeordnete Quadrate. Zwischen diesen 200 Kilometern meist schnurgerader Forststraßen, die regelmäßig abgezogen und gekiest werden. Rechts und links Fichtenmonokulturen, die es hier bereits seit zwei Jahrhunderten gibt.
In den Jahrzehnten nach der Anpflanzung fraßen mehrmals in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts kleine Schmetterlinge, namentlich Nonne und Kiefernspanner, Teile des Waldes auf; genauer gesagt deren Larven. Zeitzeugen berichten von meterbreiten Wanderzügen der Raupen, schildern umherwirbelnde Faltermassen, die einem Schneegestöber glichen, und bemerken, dass die Falter aus den Kahlfraßflächen bis nach München flogen, wo sie sich auf jedem Biergartenbaum, an den »Gascandelabern« und an Hauswänden bei »elektrischem Lichte« massenhaft niederließen. Alle Versuche, die Forstschädlinge zu vernichten, etwa mit Zinkfackeln oder dampfbetriebenen Staubsaugern, blieben erfolglos. Die Zeiten von Karate Forst flüssig und all den anderen heute im Waldbau eingesetzten Bioziden waren noch weit weg. Nachdem die Massenvermehrung der nadelfressenden Schmetterlinge abgeebbt war, begannen die Aufräumarbeiten. Zeitweise bevölkerten 3000 Holzhauer den Ebersberger Forst. Hunderttausende Tonnen Holz wurden auf eigens verlegten Eisenbahnschienen aus dem Gebiet zur Weiterverarbeitung abtransportiert. Die Wiederaufforstung der Kahlschläge mit neuen Monokulturen dauerte Jahrzehnte.
In jüngster Zeit und vor dem Hintergrund des Klimawandels werden Teile des Forstes in mutmaßlich widerstandsfähige Mischwälder umgebaut, was das Gesicht des Waldes erneut stark verändert. Betrachtet man Gegenwart und Geschichte dieses Waldes, wird klar, dass es sich beim Ebersberger Forst um ein durch und durch künstliches Gebilde handelt. Der Mensch bestimmt, was hier wächst und was nicht. Natürliche Prozesse, die die Landschaft gestalten, werden, so gut es geht, ferngehalten. Wie es hier natürlicherweise aussähe, weiß zwar niemand. Aber man kann in einer Art ökologischer Schnitzeljagd den zahlreichen Hinweisen nachgehen, die Pflanzen, Pilze und Tiere bereithalten. Aus vielen kleinen Puzzleteilen lässt sich zumindest ein ungefähres Bild des vollkommen wilden Waldes zusammensetzen.
Einen Versuch, dieses Puzzle zusammenzufügen, wollen wir in diesem Buch unternehmen.
Bei aller Liebe zur ungestörten, ungeordneten Natur verehre ich doch die Ästhetik der Kulturlandschaft. Mähwiesen mit ihrem gleichmäßigen Blütenflor, Kornfelder voller Mohn und anderen Beikräutern, von Stauden gesäumte Feldwege, all das schmeichelt dem Auge. Künstliche, vom Menschen gestaltete Lebensräume, die eine Vielzahl von Arten beherbergen, zumindest solange sie nicht zu intensiv bewirtschaftet und mit Chemikalien behandelt werden. Wie steht es mit unseren Wäldern? Der Ebersberger Forst ist, ich habe es schon gesagt, im Wesentlichen eine Anbaufläche für Holz, so wie ein Getreideacker eine Anbaufläche für Nahrungsmittel ist. Wie das Gerstenfeld hat für mich auch der Fichtenforst eine ihm innewohnende Schönheit. Es wirkt gefällig dank der Einheitlichkeit und Aufgeräumtheit, die doch immer wieder unterbrochen wird: im Feld eine blaue Kornblume im Meer der goldenen Getreideähren, im Wald eine lindgrün belaubte Heckenkirsche im Ozean der Nadelbäume.
Forst und Feld sind zwar Plantage, aber dennoch Heimat für viele Tiere. Ganz gleich wie monoton sich die eine oder die andere Anbaufläche präsentiert, im Frühling herrscht hier wie dort vielstimmiges Vogelkonzert. Und am Boden lassen sich schillernd bunte Laufkäfer, zyklopenäugige Weberknechte und andere Waldtiere entdecken.
Im hypothetischen Wald, wie er von Natur aus, also ohne die gestaltenden Kräfte des Menschen, existieren würde, wäre die Artenvielfalt wesentlich größer als im Wald, wie wir ihn für gewöhnlich in unseren Breiten erleben. Da uns der direkte Vergleich fehlt, halten wir für normal und richtig, was wir kennen und gewohnt sind, und geben uns damit zufrieden. Dabei lohnt der Versuch einer zunächst gedanklichen Rekonstruktion dessen, was von Natur aus wäre. Viele Fragen, die sich uns im Wald stellen, können dadurch beantwortet werden. Etwa auch, warum in naturgeschützten Wäldern, in denen der Mensch heute nicht mehr eingreift, die Artenvielfalt zurückgeht, statt zuzunehmen, wie man es annehmen könnte und wie es immer wieder behauptet wird.
Beginnen wir also, Puzzleteile zusammenzutragen. Ziel ist es, den aus Sicht der Biodiversität »besten« Wald zu finden. Einen Wald, in dem möglichst viele Pflanzen-, Pilz- und Tierarten leben, und zwar möglichst viele Individuen jener Arten, die unter natürlichen Bedingungen genau hier vorkommen würden. Es geht nicht um einen Artenrekord um seiner selbst willen, sondern um ein Maximum an Spezies und Variationen, die für unsere geografische Region von Natur aus »vorgesehen sind«. Ein Ansatz, der oft missverstanden wird. So hat mich auf einer meiner Reisen durch die deutschen Wälder ein Mitarbeiter eines Waldnationalparks im Herzen Deutschlands mit der Aussage verblüfft, es gehe beim Schutz der Natur im Nationalpark nicht vorrangig darum, einen Schutzraum für eine möglichst große Anzahl an Arten zu schaffen. Das Ziel sei vielmehr, der Natur die Möglichkeit zu geben, sich ohne den Einfluss des Menschen zu entwickeln. Sollte beides nicht untrennbar miteinander verbunden sein?
Ausgangspunkt war meine Frage gewesen, warum durch das Aus-der-Nutzung-Nehmen des betreffenden Waldgebietes gewissen Arten die Lebensgrundlage entzogen wird (was wir uns später noch genauer ansehen werden). Jedenfalls hatte ich in der freundschaftlichen, aber durchaus leidenschaftlichen Diskussion das Initiieren und Zulassen von Prozessen befürwortet, die den Wald öffnen, weil sonst viele lichtliebende Arten aus dem Schutzgebiet verschwinden. Die Reaktion klang fatalistisch: Dann sei das halt so, entgegnete mir der Mann vom Nationalpark. Es gehe, fuhr er fort, eben nicht darum, möglichst viele Arten zu erhalten, sondern den Wald in einen Zustand zu überführen, in dem er sich ohne menschliches Zutun so naturnah wie möglich entwickelt. Können wir aber wirklich von »naturnah« sprechen, wenn Luchs und Auerhahn aus einem Wald verschwinden, weil er ihnen nicht mehr das zum Leben bietet, was sie früher hier fanden?
Ich beharrte darauf, dass die Natur in einem Waldgebiet umso intakter ist, je mehr der potenziell beziehungsweise früher hier vorkommenden Arten vorhanden sind. Das wäre für mich vielleicht das wichtigste Kriterium bei der Kür der Kandidaten für den Titel »Deutschlands schönster Wald«. Ungestörtheit und Wildheit, als davon losgelöste Ziele für sich, genügen mir nicht. Was nicht heißt, dass es von Natur aus keine artenarmen Lebensräume gäbe. Die gibt es durchaus, man denke nur an das Hochmoor. Ungestörtheit führt heute...
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