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Von Wolf Biermann
Wenn ich demnächst in die Höllen des Himmelreichs komme, werde ich dem gehörnten Gott eine gute und eine schlechte Nachricht überbringen können, denn ich habe die Lektion auf Erden am eigenen Leibe: in der Nazizeit und dann in Ost und West erlebt. Die gute Nachricht: Eine Diktatur macht nicht aus allen Menschen Schweine. Die schlechte: Eine Demokratie macht nicht aus allen Schweinen Menschen.
Den ersten Teil dieser dialektischen Erfahrung liefert uns nun mein Freund Manfred Haferburg schwarz auf weiß, denn er hat einen besonders häßlichen und verrückten Teil seiner DDR-Geschichte schön vernünftig aufgeschrieben. Ich hätte sogar ein ideales Motto für sein Buch:
Wir achten eine Geschichte, die einmal die unsrige war, viel zu wenig, und doch werden die Zeittropfen, durch die wir schwimmen, erst in der Ferne der Erinnerung zum Regenbogen des Genusses.
Jean Paul, Roman "Hesperus oder 45 Hundposttage"
Dieses Wort vom genialen Frühromantiker paßt wie die Faust aufs Auge zu den Erinnerungen des AKW-Ingenieurs aus der DDR. Seine Geschichte nennt der Autor einen Roman. Er liefert uns, ganz nebenbei, eine aufschlußreiche Innenansicht eines realsozialistischen Kernkraftwerkes russischer Bauart. Und die Klarnamen darin hat er offensichtlich enigmatisiert. Ich vermute den Grund: der Autor will womöglich leidige Prozesse wegen Beleidigung und Verleumdung mit Zeitgenossen vermeiden, Rechtsstreit mit den immer noch lebenden Untoten der verreckten DDR-Diktatur. "Zeittropfen" - dieses Wort von Jean Paul gefällt mir. Es erinnert ja auch an den Vierzeiler des jungen Hölderlin:
Wie schnell ists ausgeronnen
Diß karge Tröpfchen Zeit
Dann mischt in unsre Wonnen
Sich nimmer Harm und Leid.
Schön altmodisch also, dieses Wort "Zeittropfen" ! Heute, zweihundert Jahre später - wie Brecht schrieb: "in den finsteren Zeiten" - sind die Tropfen besonders blutrot vom millionenfach vergossenen Blut des 20. Jahrhunderts, sind ein ganzes Totes Meer voll salziger Tränen, sind pisse-gelb und todes-angstschweiß-naß. Und trotz alledem sind die hier dokumentierten DDR-"Zeittropfen" für mich beim Lesen des Buches " ... in der ... Erinnerung zum Regenbogen eines Genusses" geworden. Es ist allerdings der knochenkarge Genuss an der Wahrheit über die Diktatur - oder wie mein toter Freund Jürgen Fuchs es treffend nannte: die Wahrheit über "Die Landschaften der Lüge" .
Der Autor hatte mich nun aber nicht um irgendein passendes Motto gebeten, sondern um einen Freundschaftsdienst: ein Vorwort zum Leseranlocken. Das Motto für seinen Doku-Roman bastelte er sich selber, eine Art Blanko-Allerwelts-Widmung:
Für alle diejenigen, die trotz ihrer Angst
der Diktatur des Proletariats
die Stirn geboten haben
Sympathisch! Ja ja, und anrührend! Beim zweiten Lesen provoziert diese Formulierung dann aber doch meinen Einspruch. Was der Autor Manfred Haferburg da die "Diktatur des Proletariats" schimpft, das war im Osten Deutschlands, genau so wie in der Sowjetunion, wohl eine Diktatur. Aber es war eine Diktatur nicht des, sondern eine über das Proletariat. Der deutsche Realsozialismus existierte von Anfang bis Ende nur als eine totalitäre Diktatur mit besonderer Härte gegen das arbeitende Volk. Dieses Ulbricht-Honecker-Mielke-Krenz-Gysi-Regime, das Manfred Haferburg hier schildert, war eine rotlackierte Menschenbrechmaschine in sowjetischer Lizenz gebaut. Das Volk schuftete in Volkseigenen Fabriken, die ja nie dem Volke gehörten. Und die DDR war auch ein brutales Joch für all die entbauerten Bauern in der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die zu sozialistischen Leibeigenen geprügelt worden waren. Die DDR war freilich auch ein Kontroll- und Strafapparat gegen die Intellektuellen. Und all den prometheuselnden Poeten und picassoversauten Malern und west-dekadenten Musikern wurde fürsorglich nicht die gallige Leber, sondern das Herz jeden Tag aus dem Rippenkäfig gerissen und gefressen, das erledigten Mielkes Aasgeier der Gehirnpolizei.
Mir gefällt, daß der Haferburg in seinem Motto schreibt: "Für alle diejenigen, die trotz ihrer Angst ..." Das ist ein tapferes Bekenntnis zur Angst auch der Mutigen, zur Furcht der Widersacher, zum Zittern der Rebellen und zum Recht auch der Freiheitskämpfer auf Feigheit.
Dieses Dilemma ist jeden Tag neu zu lösen: Wer hat wen? Habe ich die Angst, oder hat die Angst mich! Und genau davon erzählt dieses Buch: vom Mut eines widerspenstigen Angsthasen, eines halb angepaßten Rebellen, eines wunderbar unzuverlässigen Freigeistes, eines Ingenieurs im größten Atomkraftwerk, im Prestige-AKW der DDR, in Lubmin bei Greifswald.
Haferburgs Geschichte muß von mir im Vorwort weder nachbereitet noch vorgekaut werden. In meinem Tagebuch von vor vielleicht zehn Jahren fand ich eine Notiz:
Als Pamela und ich vorgestern, am 21. Januar, aus Paris mit Air France zurück nach Hamburg flogen, saß direkt vor uns ein Mann, etwa Anfang 50. Ob seine Kummerfalten im Nacken vorn im Gesicht Lachfalten sind, konnte ich von hinten nicht erkennen. Und weil er so lässig Französisch parlierte, mit der Stewardess, hatte ich ihn für 'n Franzosen gehalten. Lässig charmant und hilfsbereit reagierte er, als noch eine junge Musikerin kam und ihren sperrigen Cello-Koffer ungeschickt auf seinen Schoß knallte. Er half ihr beim Festschnallen des Instruments ...
Und dann, bei der Landung auf dem Flughafen in Fuhlsbüttel, die Anschnallzeichen erloschen mit einem "Bling-Bling", da sprach er mich an: "Herr Biermann ..." Also doch ein Deutscher!
Und sogar ein Ostdeutscher! Er sei Ingenieur für Kernkraftwerke. Er reise durch die Welt als technischer Kontrolleur für die Sicherheit in AKWs, Europa, Asien, sogar in den USA ... und er sei grade auf dem Weg zu einer Inspektion des Atomkraftwerkes Brokdorf, hier an der Elbe ... und er kenne meine Lieder auswendig ...
"Oh ...", spottete Pamela, "gegen das AKW Brokdorf hat mein Mann damals mitdemonstriert ! Und trotzdem ist er für die Nutzung der Atomkraft ..."
Nun rappelte der junge Graukopf uns eine Kurz-Vita runter. Als wir dann unten auf die Koffer warteten, erzählte er, daß er in Dresden studiert habe und daß er ... auch im Zusammenhang mit dem Fall Biermann, in der DDR großen Ärger hatte, weil er für'n paar Freunde bei Gelegenheit meine verbotenen Lieder sang. Sein schlimmstes Verbrechen aber: er trat als leitender Ingenieur nicht in die SED ein. Und noch schlimmer: Er weigerte sich, ein IM des MfS zu werden.
Dann sei seine Flucht über die Tschechoslowakei in den Westen mißlungen. Den Knast in der CSSR überlebte er nur knapp: da ging es noch brutaler zu, weil archaischer, als in der DDR. Dann die fein-infamere U-Haft bei der Stasi Hohenschönhausen. Ihn rettete 1989 die sanfte Revolution vor einer langen Haftstrafe.
Ihm wurden damals in den Tagen der sogenannten Wende plötzlich in der Zelle die Augen verbunden. Dann habe man ihn wie einen Blinden über Flure und Treppen in den Keller geführt ... eine dunkle Todesangst habe ihn überflutet. Er konnte die Situation nicht versteh'n. Eine Tiefgarage. Man drückte ihn in einen Personenwagen. Man fuhr mit ihm durch die Stadt ... Dann kurzer Stopp. Irgendwer stieß ihn dann aus dem Wagen auf die Straße ... Er riß sich die Binde von den Augen und fand sich nun irgendwo in Berlin. Ostberlin? Nein, Westen?
Das ist eine groteske Konstruktion: Ein eigensinniger Kernkraft-Ingenieur wird unkonventionell entsorgt wie ein radioaktiver Brennstab im Mülleimer.
Natürlich hat mich seine Story berührt und neugierig gemacht: den wollte ich gern mal wieder treffen und in Ruhe.
Ich drückte ihm enpasssant meine frische CD "Heimkehr nach Berlin Mitte" in die Hand, die ich - wie immer - zufällig in der Tasche hatte. Und dazu auch das Neueste: ein kleines blaues Büchlein vom 2001-Verlag, darin abgedruckt fünf brisante Briefe. Den ersten hatte ich von Paris aus an meinen einstmaligen Fürsten, Erich Honecker, geschrieben. Der zweite war ein Bittbrief an Kanzler Kohl um den Freikauf eines Gefangenen aus dem VEB-Knast. Dann ein Brief an Roberts Witwe Katja Havemann, ein vierter Brief an die DDR-Mutter Theresa des Menschenhandels, den Rechtsanwalt Dr.h.c. Vogel. Und zum Schluß eine peinliche Epistel an den bayrischen Medienmafioso Beierlein wegen der "Internationale" ...
Und ich krakelte dem Ostmenschen beim Aussteigen schnell noch meine eMail-Adresse dazu. Dann rutschten endlich die Gepäckstücke auf dem Fließband vorbei, und wir verloren einander aus den Augen.
Schon zwei Tage nach dieser Begegnung landete seine digitale Mail in meinem Computer. Und als pdf dazu ein Riesenmanuskript. Es war die ungewaschene Rohfassung einer Erzählung über seine Erlebnisse in der DDR. Ich habe ein Drittel des Manuskripts am selben Abend gelesen und war tief bewegt.
Manfred Haferburg - er nennt sich im Buch Manni Gerstenschloß - schreibt wahrhaftig und schnörkellos. Dieser Zeitzeuge macht es goldrichtig, er vertraut auf die Phantasie der verrückten Wirklichkeit, die meistens phantastischer ist, als manche Schriftsteller und Schraftstuller sich ausdenken.
*
Das Ganze erinnert mich nebenbei an ein vergessenes Lied, das der tapfere DEFA-Regisseur Frank Beyer 1965 im Sommer von mir haben wollte. Immerhin: eine...
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