Schweitzer Fachinformationen
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Wien beginnt mit W. Warten auch. In Wien lernte Wolfgang warten. Er vertrieb sich die Zeit mit Noten schreiben, Klavier üben, Geige spielen, ärgerte das Nannerl und redete gescheit daher. Er erzählte von dem krummbeinigen Offizier, dem schwalbenschwänzigen Ungarn, den er auf dem Donauschiff kennengelernt, den der Vater aber nie gesehen hatte, stotterte manchmal sehr kunstvoll, vor allem, wenn es zu einem Di kam, das er in zahlreiche kurze und längere Di-Laute aufteilte: Die-die-didi, oder zum schmetternden Da, Da-da-dada. Sie wohnten zuerst im »Weißen Ochsen«, dort konnte er, wenn es ihm passte, aus dem Zimmer verschwinden und sich auf dem Fleischmarkt umschauen. Als sie jedoch bei Herrn Ditscher ein Zimmer bezogen, in dem sie sich auf die Füße traten, Mutter, der Vater, das Nannerl und er, war es aus mit seiner Bewegungsfreiheit. Fast jeden Tag bekamen sie Besuch, von Offizieren, Grafen, Gräfinnen, die immer, wie der Vater am Schluss wütend feststellte, etwas haben und nichts dafür geben wollten. Das Geld ging ihnen aus. Die Gräfin Sinsendorf, eine stattliche Dame, die ihnen, sobald sie ins Zimmer trat, die Luft raubte, übergab dem Vater im Auftrag des Hofes immerhin einen Vorschuss, und sie waren, nach einem gelungenen Konzert beim Grafen Harrach, sicher, dass sie von der Kaiserin eingeladen würden, nach Schönbrunn.
Während des Konzerts war es Wolfgang gelungen, die Zauberkraft von Quintus zu nützen. Der überraschte ihn, winzig und beweglich, als er die Hände auf die Tasten legte, gespreizt zu einer Quinte.
Oi! staunte Woferl.
Worauf der Vater beunruhigt fragte: Passt dir etwa das Instrument nicht?
Und die Gräfin Harrach wollte wissen, ob es ihm nicht gutgehe. Darauf lachte Quintus hundsgemein. Wolfgang auch.
Womit er den Vater bewog, ihn sanft zu tadeln: Aber, aber, Woferl. Was ist mit dir? Fang schon an.
Er spielte, so gut er nur konnte, einen türkischen Marsch, und Quintus hüpfte den Quinten voraus und verleitete ihn zu einem kühnen Versuch, allerdings noch nicht bei einer fremden, sondern einer ihm vertrauten Person. Er befahl dem Quintengeist, der Nannerl unters Kleid zu fahren, auf den Rücken, wo sie sich selber nicht kitzeln konnte. Dort sollte er sie jucken auf Teufel komm raus. Quintus verschwand. Wolfgang spielte. Das Publikum lauschte, bewunderte den Knaben. Der aber beobachtete den Erfolg, den er mit seinem Quintus bei der Schwester hatte. Das Nannerl wand sich in dem allzu hohen Sessel, rieb den Rücken an der Lehne, versetzte mit seiner Unruhe die ganze Reihe mit Grafen und Hoheiten und Obristenfrauen in zuckende Bewegung.
Also du mit deiner türkischen Musik, stellte der Vater hernach fest, kannst die Leute geradezu in Schwung versetzen. Sie sind, hast du's bemerkt, beinahe mitgehüpft.
Und mich hat's am Buckel viehisch gejuckt, klagte das Nannerl.
Ihre Majestät, die Kaiserin Maria Theresia, hatte ihren Obersthofmeister, einen dürren Riesen mit einer piepsenden Vögelchenstimme, geschickt, um ihnen die erwartete Einladung zu überbringen.
Zufrieden stellte Vater Leopold fest: Ihre Majestät ist an dir und an deiner Kunst interessiert, Woferl. Und du, du musst zeigen, was du gelernt hast, was du kannst.
Worauf sich der Bub vor dem Vater verbeugte wie nach einem erfolgreichen Auftritt: Gewiss, Herr Papa, daran soll es nicht fehlen.
Der Vater musterte ihn verblüfft: Ich möchte bloß wissen, wie es kommt, dass du dich so ausdrückst.
Wolfgang verblüffte ihn ein weiteres Mal mit seiner Antwort: Das kommt von der Musik.
Soll einer dich verstehen, sagte das Nannerl, das ihnen zugehört hatte.
Ehe sie sich nach Schönbrunn, in das prächtige Schloss begaben, stritten die Eltern.
Wie sollen wir nach Schönbrunn gelangen? fragte Mutter.
Vater äffte ihre Angst nach: Ja, wie sollen wir nach Schönbrunn gelangen?
Ja wie? fragte auch Wolfgang.
Mit der Kutsche! Der Vater wurde ein wenig lauter.
Damit er auf sie höre, fragte die Mutter noch lauter: Mit welcher?
Mit welcher? wiederholte der Vater fortissimo. Mit der kaiserlichen, der Hofkutsche. Nicht mit irgendeiner bestellten.
Ich geh, sagte Wolfgang und witschte aus dem engen Zimmer, in dem die Gerüche von vier Personen sich mischten, der Schweiß, die Damendüfte, der Puder. Er sprang die Stiegen hinunter, die letzten zwei auf einmal, und ließ die Haustür hinter sich zufallen. Geduckt eilten Leute unterm Regen weg, fuchtelten mit Schirmen, schimpften.
Ein paar Gassenbuben umkreisten ihn und streckten ihm die Zunge heraus. Du feines Bürschel, woher kommst du?
Er gab ihnen keine Antwort. Wenn die wüssten, dass er von der Kaiserin eingeladen ist, würden sie vor Staunen auf den Hintern fallen.
Komm! rief die Mutter: Woferl, komm!
Er erwiderte singend. I komm scho. I komm scho. Dann lief er zum Klavier und spielte die Tonfolge, die er gesungen hatte. Vielleicht kann er so ein Stück beginnen.
Das Gespann, das sie nach dem Mittagessen abholt, gleicht beinahe denen bei der Post: eine geschlossene Kutsche, ein livrierter Kutscher und zwei kräftige Rösser. Nur dass die Pferde feiner und gepflegter aussehen, der Kutscher eher wie ein Offizier auftritt, die Uniform blitzsauber ist und das Leder glänzt. Die Kutsche, schwarz lackiert, hat eine mit einem ausgehungerten, vergoldeten Doppeladler geschmückte Tür. Misstrauisch beobachtet der Kutschersoldat den Aufmarsch der Familie: Woferl an der Spitze, dahinter die Eltern und die Schwester.
Ob er der berühmte Bub und Musiker sei? fragt der Kutscher mit einer Stimme, die er an seinen Pferden erprobt hat.
Soll ich wiehern? fragt sich Wolfgang und tut's. Womit er den Kutscher erschreckt und beleidigt.
Vater und Mutter entschuldigen sich zweistimmig »für das Kind«. Es habe manchmal sonderbare Einfälle. Es gelingt ihnen jedoch nicht, den Mann umzustimmen. Er blinzelt, schiebt seine Lippen durch den Bart und winkt Wolfgang mit einer heftigen Handbewegung in die Kutsche. Hinein! Die Familie folgt ihm geduckt und betreten.
Kaum sitzen sie auf den weichen gepolsterten Bänken einander gegenüber, Kinder und Eltern, beginnt das Nannerl zu klagen: Also der Kutscher vom Grafen Collalto war tausendmal freundlicher als der da vorn. Der ist auch von seiner Majestät ausgeschickt und nimmt sich tausendmal wichtiger, erklärt Vater mit gesenkter Stimme und legt Wolfgang das Notenbuch auf den Schoß. Dem ist die Bank zu hoch, weshalb er sich mit den Beinen nicht aufstützen kann und es mit den Armen tut. Die Noten hatte der Vater ihm am »10. Oktober 1762 zum sechsten Namenstag« geschenkt. Aus Gewohnheit hatte er vors Datum »Salzburg« geschrieben. Daraus kannst du der Majestät spielen. Ein paar Stückerln von Haydn, Gluck oder auch von mir.
Wie beim Collalto, nickt Wolfgang.
Du meinst den Grafen Collalto, verbessert ihn der Vater.
Jaja, beim Collalto hat's mir gefallen in seinem Palais. Das war längst nicht so weit weg wie Schönbrunn.
So passabel musst du spielen wie dort.
Wolfgang nickt wieder: Die Madame Bianchini hat mich mit ihrem Gesang auch angefeuert. Mit der Euridice.
Wer weiß, was dich bei Hof anfeuert, seufzt die Mutter und späht angestrengt aus dem Fenster, als suche sie dort nach der rettenden Person.
Das Nannerl stößt ihn mit dem Ellenbogen in die Seite: Du hättest das Büchel vom Pufendorf mitnehmen sollen, damit die Kaiserin gleich weiß, was sie von dir halten muss.
Ach geh. Er spielt den Verlegenen.
Als der Graf Pufendorf im Collalto-Palais das Gedicht auf den »kleinen sechsjährigen Pianisten aus Salzburg« vortrug, wäre der vor Stolz beinahe geplatzt. Er hatte das Gefühl, die Knöpfe sprängen ihm von der Jacke.
Der Graf hatte sich vor dem überraschten Publikum aufgestellt, neben dem Klavier und neben Wolfgang, der schon seine Hände auf die Tasten gelegt hatte, und sprach mit erhobener Stimme:
»Bewunderungswürdiges Kind!
des Fertigkeit man preist,
und Dich den kleinsten, doch den größten Spieler heißt.
Die Tonkunst hat für Dich nicht weiter viel Beschwerden.
Du kannst in kurzer Zeit der größte...
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