Schweitzer Fachinformationen
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Der Himmel öffnet gähnend blau den Rachen«, sagte Matzbach. Er plumpste aus dem breiten Bett, blinzelte und tastete mit den Zehen nach den sich auflösenden Hanflatschen. »Die Vögel hocken hustend im Geäst.« Er hustete und schlurfte über knarzende Bohlen zur Tür. »Wer möchte da nicht in die Socken machen, und würf ihn auch die Kebse aus dem Nest?«
»Wage es nicht.« Jorindes verschlafenes Gesicht erschien unter den verwickelten Wolldecken, dann auf dem Kissen. Sie richtete sich langsam auf, rutschte zurück, bis ihre bloßen Schulterblätter die Wand berührten, und blickte zum Wecker, der auf dem Rand der alten steinernen Pferdetränke stand. »Erst zehn. Was willst du denn schon draußen?«
Baltasar blieb unter dem Türsturz stehen, kratzte sich das Brusthaar und musterte die Hexe. Langsam breitete sich ein unrasiertes Lächeln über sein Antlitz.
Das Steingebäude war einmal Kapelle gewesen, später Stall, dann Unterkunft für Feldgendarmerie, Geräteschuppen und zuletzt – bis vor etwa drei Jahren – Alterssitz eines hessischen Staatssekretärs, der an die Nordgrenze des feindlichen Auslands Rheinland-Pfalz geflohen war. Aus dem bunten Bleifenster über Bett und Trog – es zeigte einen Seraph mit Flammenschwert, kokett abgespreizten Flügeln und grünstichigen Schwungfedern – rieselte Sommerlicht in mehreren Farbschichten.
Als Jorinde Seyß an der Wand wieder ein wenig hinabrutschte, schob sich ihr langes Mahagonihaar als schimmernde Mütze über den Kopf. Sie hatte den linken Arm zum Trogrand erhoben und ergriff den Aschenbecher; die rechte Brust lugte über die Wolldecken, und auf dem sahnigen Fleisch knisterte ein von der Schwertspitze des Seraphs geseihtes Brandlicht.
»Mußt du so früh schon grinsen?«
Matzbach schnalzte. »Des Bildes Anmut«, sagte er heiser. »Apart und revolutionär, wiewohl seitenverkehrt. Dein Haar als phrygischer Kopfputz – es fehlt die Fahne.«
Jorinde schloß die Augen. »O Mann.«
»Zutreffend. Und bevor ob deiner Unruh mein Pendel ausschlägt, geh ich lieber ins Aushaus.« Er öffnete die Tür.
»Herzchen.« Jorinde blinzelte. »Aber doch nicht so.«
Matzbach blickte an sich hinunter. »Wie?«
»Nackt.«
»Nein?«
»Nein.«
»Doch.«
»Ja?«
»Ich betrachte es nicht als vordringliche Aufgabe, optische Gefährdungen von meinen Mitmenschen abzuwenden. Wer das Risiko eingeht, zu mir hinzusehen, der ist selber schuld.«
»O Mann.«
Matzbach nickte und trat in den Sonnenschein hinaus. Die mobile Bauarbeiter-Toilette – grünes Plastikzeug mit einem aufgemalten roten Herzchen, darüber Wellblech – stand einige Meter rechts der Tür, im Halbschatten des modernen Anbaus. Nach vollzogener Entwässerung watschelte Baltasar zur Viehtränke vor dem alten Hausteil, zog am kreischenden Schwengel der Pumpe, schnitt eine schmerzliche Grimasse und hielt den Kopf unter das kalte Wasser. In einem Anflug von Heroismus klomm er prustend und schnaubend in den Trog und ließ sich zur Gänze überspülen.
Als er den steinernen Behälter verließ und sich schüttelte, bemerkte er die Signalleine, die wahrzunehmen seine Augen vorher nicht imstande gewesen waren: Zwischen der Pumpe und der Antenne des zerbeulten grünen Volvo-Kombi spannten sich drei verknotete Nylonstrümpfe; in einem der Knoten steckte ein zusammengerolltes Stück Papier.
»Auch noch Inkas.« Mit nasser Pfote nestelte er an den Knoten.
»Was?« sagte Jorinde; die Tür war nur angelehnt.
»Post von Atahualpa. Ein Quipu.«
Matzbach schlang sich die Nylonstrümpfe um Hals und Schultern. Sonnenstrahlen leckten an den Tropfen auf seiner Haut und in seinem Haar. Er entrollte die Botschaft. WENN DU ZU ENDE GEPOFT HAST, KOMM ZUM GALGENBERG WG. INTERESSANTE LEICHEN – HEINRICH
Baltasar gluckste und ging zurück ins Haus. Jorinde saß noch immer malerisch zu Füßen des Seraph. Sie streckte die Hand aus, nahm den Zettel, las und rümpfte die Nase.
»Hat er wieder wen verbuddelt?«
Matzbach zuckte mit den Schultern. »Macht er doch häufiger; dafür ist er ja Privatbestatter, oder?«
Sie seufzte, legte den Zettel auf den Rand des Trogs, unter den Wecker, und rutschte tiefer zwischen Decken und Laken. »Machst du Kaffee, herrlicher Mann?«
Matzbach blickte abermals an sich hinunter. »Ja. Nun ja.« Jorinde verfolgte ihn mit ihrem schrägen Lächeln. Er ging zum riesigen Kamin an der rechten Kopfseite des Raums, nahm das Kistchen vom Bord darüber, holte eine Zigarre heraus, steckte sie hinter sein linkes Ohr, klemmte das Streichholzdöschen zwischen die Zähne, nahm den Korb mit Holzscheiten und Tannenzapfen in die linke Hand und wanderte zur anderen Kopfseite, hinter der der moderne Anbau begann. Dort stand ein alter Herd, von dem Röhren zu vier Heizgerippen an den beiden langen Wänden führten. Auf halbem Weg, als er das Fußende des Betts passierte, hielt Jorinde ihn auf.
»Moment, Herzchen«, sagte sie kopfschüttelnd. »So geht das aber nicht.«
Sie kniete, während er sich auf ihre Gesten hin vorbeugte.
Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Nase und band die drapierten Nylonstrümpfe zu einer Schleife. »Jetzt kannst du Kaffee kochen. Woher stammen übrigens die Strümpfe?«
Matzbach hob die Schultern und nuschelte etwas um die Streichholzdose herum. Er spuckte die Schachtel auf die Herdplatte. »Heinrich nimmt so was als Briefumschlag, offenbar.«
Die Hexe verdrehte die Augen und rollte sich wieder in die Decken.
Aus den Proviantkartons fischte Baltasar Knäuel aus Zeitungspapier, warf sie in den Herd, streute Tannenzapfen darüber, legte Holz darauf und riß ein Streichholz an. Immer noch unbekleidet ging er wieder zur Pumpe vor dem Haus, füllte die antike Blechkanne mit Wasser, brachte sie pfeifend zum Herd zurück, stellte sie auf die Platte und zündete sich die Zigarre an. Nach ein paar mächtigen Vorfrühstückszügen legte er sie in den mitgebrachten irdenen Aschenbecher zu Haupte der Hexe.
»Willst du dich nicht mal anziehen?« sagte Jorinde.
»Warum? Gefall ich dir nicht mehr?«
»Ein Jegliches hat seine Zeit, o Matzbach. Es ist nicht zu leugnen, daß der Anblick mich gelegentlich erschauern läßt, aber jetzt ist nur Schaudern angesagt.«
Er giggelte schrill und ging zum Kamin, wo auf der Pyramide dickerer Hölzer seine Gewänder ruhten. Nachdem er die helle Leinenhose, die die untere Hälfte seiner 120 Kilo faßte, mit dem Gürtel gesichert hatte, stülpte er ein blaues Frotteehemd über die obere Partie. Das Wasser in der Kanne begann mißtönend zu singen.
Nach Heinrich Genengers Auskünften war auch der Speicher über dem einen großen Raum der ollen Kapolle leer. Herd, Kamin, bunte Fenster, die Heizkörper und die Tröge an der Wand gegenüber der Tür hatten seit Jahren den Raum mit Mäusen und anderen Geschöpfen des Feldes sowie Unrat geteilt. Jorinde Seyß und Baltasar Matzbach, am späten Nachmittag des Vortags zur Erholung angereist, waren vor der Tür mit dem demontierten Bettgestell, Matratzen, Decken, Brennholz, Tannenzapfen, einem Eimer, mehreren Besen und einem Zettel von Genenger kollidiert – er habe dringend fortgemußt, werde morgens jemanden bestatten und stehe alsdann zur Verfügung; bis dahin wünsche er feines Räumen und seliges Beilager. Dank längerer Telefonate in den letzten Wochen wußten sie, daß der moderne Anbau seit dem Tod des weiland Staatssekretärs versperrt war. Die Unschlüssigkeit der kleinen Landgemeinde hinsichtlich der Gebäude dauerte pietätvoll an.
Das Dorf lag an der Mündung des Adelbachs in die Ahr. Im Zuge der Gebietsreformen war es annektiert worden; es gab jedoch neben Bauern, Winzern, Handwerkern, Krämern und dem Pfarrer immer noch einen Dorfbürgermeister und offenbar auch Zuständigkeit für verwahrloste Gebäude. An der Mündung war das Tal breit genug für Felder und Weiden; die talauf schnell zusammenrückenden Hänge, nach alter Art terrassiert, produzierten mit Hilfe von Sonne, Regen, Wind und Winzern mehrere Weinsorten, über deren Trinkbarkeit Matzbach sich näher informieren wollte.
Auf dem linken Ufer des unbegradigten Bachs schlängelte sich eine vor vielleicht zwanzig Jahren zuletzt nachgebesserte Asphaltstraße talauf. Etwa...
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