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Inhaltsverzeichnis Was nun beginnen mit der angebrochenen Nacht? überlegte jetzt Graf Banco, denn das war der Name des accreditirten Gardelieutenants, der sich dem liebenswürdigen jungen Bürgermädchen unter dem Namen und Stand eines Kaufmann Liebreich vorgestellt hatte.
»Auf Ehre, famose Resistance, die Kleine da. Hätte sie gern eingeführt in unsere Societé des Ingenus, und das war ja am Ende der Hauptzweck meiner Poussage dieser Bürgermamsell, indeß ah bah! wird sich schon machen, nur beharrlich die Rolle eines sponsirenden Erzphilisters durchgeführt, und das muß mir der Neid lassen, magnifique hab' ich gespielt, dann wird schon der Teufel helfen, daß ....«
»Aber wie ist mir denn? heute souper fin mit Grisetten im Hotel LeBlanc. Noch wird es Zeit sein! Sacre ..... he, Droschke! Nach Le Blanc's Restauration, rasch, aber im Galopp.«
Bald hielt die einpferdige Equipage nach einer Reihe von Stößen, die das bereits sehr baufällige Fahrzeug reichlich gewährte, vor der genannten Restauration unter den Linden. Der Droschkier öffnete selbst den Wagen; Graf Banco warf ihm einen Thaler zu und stieg die ziemlich schmuzige Treppe hinauf, ging aber nicht in das vordere große Restaurationslocal, sondern zog unter mehreren Klingeln eine, die sich an einer Seitenthür befand. Ein Kellner öffnete, eine kleine schmächtige Figur mit kurzer Jacke, starkgeschnürter Taille und einer Serviette, die zur Hälfte aus der Hosentasche hing; auch eine moderne Kellnerpolitesse.
»Der Herr Graf kommen spät!« sprach der Bursche mit frecher Vertraulichkeit, die das Mitwissen gewisser Geheimnisse erzeugt, »es geht schon Alles drüber und drunter.«
»Schon abgespeist?«
»Bis auf den Braten.«
»Was giebt's?«
»Damhirschrücken und Fasanen!«
»Viele da?«
»Sechs gnädige Herren und .....«
»Auguste dabei?«
»Zu Befehl.«
»Schon engagirt?«
»Ein Junker von der Cavallerie, Herr von .....«
»Muß weichen!«
Die Thür einer geräumigen Hinterstube, mit einigen Nebencabinetten, war verschlossen. Graf Banco klopfte, nannte seinen Namen; aber ein wüstes Lachen und lautes Durcheinanderreden und Gläsergeklingel erschallte aus dem Innern. Man hörte ihn nicht. Endlich kam der Kellner mit einer brennenden Punschbowle. Ein Anderer, der ihn begleitete, öffnete die Thür mittelst eines Schlüssels.
Beide dienende Brüder schienen längst in die Mysterien dieser nächtlichen Orgien eines exclusiven Kreises eingeweiht zu sein. Man schien sich bei seinem Eintreten wenig zu geniren und der Graf wurde mit Jubel und Gläserklang bewillkommt.
Der Kellner zog sich zurück und verschloß die Thür.
Auch für unsere Leser falle der Vorhang.
Eine Stunde später war es oben schon stiller geworden. Da zog ein Mann, in einen großen Mantel gehüllt, an derselben Klingel.
Derselbe kleine schmächtige Kellner mit eingeschnürter Taille, wohl gesalbtem und geordnetem Haar und magern verlebten Gesichtszügen, am Kinn einen dünnen Bart, öffnete und trat erschrocken einen Schritt zurück.
»Herr Polizeirath«, sprach er, »sind gar zu gütig, mir wieder eine Gratification zuwenden zu wollen.«
»Es wird doch gespielt, wir sahen den Baron von Grelling hineingehen, diesen Erzspieler, der überall seine falschen Karten und Würfel hat.«
»Nun ja, es ist wahr, das Souper ist zu Ende, die Amüsements ebenfalls, was thut's, dem König Pharao wird ein kleines Paroli gebogen.«
In diesem Augenblick hörte man unten leises Waffenklirren.
»Ruf mir die Gensdarmen herauf!« sprach der Polizeirath düster, »und dann öffne. Hazardspiele sind verboten.«
»Und«, fuhr der Polizeibeamte fort, »Gesetzwidrigkeiten dürfen durchaus nicht geduldet werden.«
»Doch mit Rücksichten und Ausnahmen, Herr Polizeirath, es kommt immer darauf an, wer spielt. Den Herren Weißbierphilistern und den Proletariern, wenn sie zur Erholung ihr Schafkopf spielen, werden mit Recht die letzten Silberlinge und Kupferdreier aus den Taschen genommen, aber die hohen Herrschaften...«
»Was sagst Du da?«
»Nun ja, die da mit Gold pointiren, sind der Graf Banco und andere adlige Gardeoffiziere.«
»Mit Gold?« sprach der Polizeirath vor sich hin; »Teufel, das wäre noch ein Fang! Indeß laß Dich vom Satan des Golddurstes nicht blenden, verbrenne Dir nicht die feine Polizeinase; (laut) also adlige Cavaliere? Gardeoffiziere? Gute Nacht, Jean, ein andermal, wenn es dort Leute von der Geldaristokratie giebt, Banquiers, Rentiers, Börsenmänner etc., gieb wieder Nachricht.«
Gute Nacht, Jean!«
In einem andern Locale erging es schlimmer. Wir müssen's schon erzählen, weil wir dort auch einen unserer Bekannten treffen werden.
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Inhaltsverzeichnis Es war in der Spandauerstraße, wo sich im ersten Stock ein Restaurationslocal befand, das damals den Ruf hatte, die saftigsten, noch blutrothen Beefsteaks à l'Anglais und den veritabelsten Porter und Ale, nebst ächtem Chester-Käse zu führen.
Hier, in einem der kleinen Hinterzimmer, fand man jeden Abend, nach beendigtem Schauspiel oder noch tiefer in der Nacht, einen nicht sehr großen Kreis von Stammgästen, deren meistens volle, weinrothe Gesichter und Glatzköpfe bei einer obligaten Körperfülle bewiesen, daß sie im Fach der Gourmandie schon etwas geleistet hatten.
Doch sah man auch andere Leute, ärmliche, aber verschmitzte Gaunergesichter, die den wahrscheinlich nicht unbedeutenden Inhalt ihrer Börsen für andere Zwecke aufsparen wollten und sich daher mit einem Seidel bairisch Bier begnügten. An einem andern Tische saßen einige jüngere Leute, von eleganter Kleidung, mit besonders sorgfältig gehaltenem Haar, denen man es an den eigenthümlichen Höflichkeitsformen, an der Politesse und Arroganz, an Großsprecherei und etwas linkischem Wesen, bei großen, meist vom Frost gerötheten Händen ansehen konnte, daß diese Nachtschwärmer Ritter von der Elle oder Barone aus dem Käseladen waren, die vielleicht hier in aller Gemüthlichkeit die etwa am Tage eroberten Schwenzelpfennige verkneipten, um mich des üblichen Kunstausdruckes zu bedienen.
Ein hirnloseres Durcheinander von Politicis, Sammt und Seide, Käse und Häring, Theater und Mädchen, Principalen und Principalinnen, Reisesuiten, Eisenbahnen und Actien, war noch nie lauter und mit mehr Suffisance in die Welt hineingeblasen, als hier an diesem Tische geschah.
Bald erschien ein junger Mann von breiten Schultern, breiter, gewölbter Brust, hoher Stirn, das Haar kurz à la mécontent verschnitten, der Bart aber breit und prächtig, die ganze untere Hälfte des Gesichts bedeckend, vor den kleinen blinzelnden Augen eine Stahlbrille tragend.
»Ah, Doktor Ajax!« sprachen mehreren von den Handlungscommis, »wie sieht es aus, Herr Doctor«, fragte einer, »mit der Stiftung des Vereins für die Verbesserung der Lage der Handlungsbeflissenen, worüber Sie uns neulich so schöne Worte sagten?«
»Ich bin mit dem Entwurf der Statuten beschäftigt, mein Herr, gewiß bald, sehr bald.«
»Ah, schön, schön, wir rechnen auf Ihre Güte!« »Welche Cigarren, Herr Doktor«, nahm ein Anderer das Wort, »lieben Sie am meisten? wir führen ächte Cabanas, leichte de los Amigos, wurmstichigen Knaster.«
»Und ich könnte mit altem Portwein dienen, prima Qualität.«
»Wir führen Bukskin, großcarrirten, ein durabler Stoff, der nicht durchzureiten ist.«
»Und ich«, ergänzte ein Vierter, »würde mir die Ehre geben, mit Jamaika-Rum und Zucker, genug zu zehn Bowlen, aufzuwarten.«
»Aber, mein Herr Doctor«, schloß der Fünfte, »den Sonntag machen Sie uns frei.«
»Nichts leichter, meine Herren, solchen Wünschen wird die pietistische Richtung von oben gern entgegenkommen.«
»Aber die Herren Principale, die denken zu verieren, wenn sie an Sonntagen das Geschäft schließen müßten.«
»Wird ihnen nichts helfen, wir leben jetzt in einer Zeit, wo Alles unten geschehen muß, was von oben befohlen wird. Ich habe mit Hengstenberg gesprochen, er wird in seiner evangelischen Kirchenzeitung mit Zeloteneifer die Sünde der Sabbatsentheiligung durch Handel und Wandel verdammen; er wird auf die puritanische Stille der anglicanischen Kirche hinweisen. Um diese hier einzuführen, war ja, wie verlautet, die Commission von Sydow u. Compagnie nach England geschickt, ob's helfen wird, steht dahin; im Ganzen ist das Volk in Deutschland nicht für solche Kopfhängerei.«
»Was thut's, Herr Ajax, kriegen wir nur freie Sonntage, so mögen alle Teufel beten und die Köpfe hängen, das gilt uns Alles eins!«
»Geduld, meine Herren, Rom ist nicht in einem Tage erbauet.«
Mit diesen Worten grüßte der Literat die Handlungsdiener mit freundlicher Herablassung und setzte sich an den Tisch der ältern Schmacksäbel, worunter sich, wie er wußte, reiche Käuze befanden. Diese machten ihm freundlich Platz, ließen ihm ein Glas bringen, das sie vollschenkten, rühmten die Trefflichkeit des Beefsteak und ließen eine tellergroße Portion vor ihn hinsetzen. Wir aber glauben mit unsern Lesern die Bemerkung zu machen, daß Herr Ajax nicht eben übermäßig gesegnet war an Glücksgütern, jedenfalls mehr an Schulden, besonders aber, daß er nicht ohne Geschick und Neigung war, auf fremder Leute Kosten sich bene zu thun; wenigstens schmeckte es ihm in dieser Nacht, nachdem er den kleinen Fritz nach Hause gebracht hatte, ganz vortrefflich.
Bald darauf trat ein großer, starker Mann herein, dessen...