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Will man die Novemberrevolution in Deutschland angemessen begreifen, so verdienen die Hoffnungen und Erwartungen der Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich gab es wenige Momente in der deutschen Geschichte, in denen optimistischer Aufbruch und Resignation eine derart spannungsvolle Melange eingingen wie in der Gründungsphase der Weimarer Republik. Dies galt vor allem für das sehr heterogene Lager des politischen und intellektuellen Liberalismus.
Der Historiker hat es mit der Evaluation von Handlungsspielräumen und Alternativen zu tun, und sicherlich wäre in politischer Hinsicht vielerlei über verspielte Chancen und verpasste Möglichkeiten zu sagen. Natürlich liegt es nahe, hier eine Geschichte des Versagens liberaler Politik zu erzählen. Sie ist hinreichend bekannt: Wir haben es uns angewöhnt, Weimars Ende mit der Erosion der bürgerlichen Mitte und dem politischen und geistigen Niedergang des Liberalismus zu verknüpfen.1
Aber in den letzten Jahren hat sich eine Perspektivverschiebung ergeben. Die erste deutsche Demokratie wird nicht mehr allein als Geschichte des Scheiterns erkundet, sondern die Errungenschaften, die Entwicklungsmöglichkeiten und die mit ihr verbundenen Neuanfänge werden stärker ins Blickfeld gerückt.2 Oder, um es anders zu wenden: Es war nicht selbstverständlich, dass trotz vielfältiger Belastungen überhaupt eine demokratische Ordnung entstehen konnte.
Arnold Brecht, ein republikanischer Ministerialbeamter und späterer Politikwissenschaftler, hat diesen Blickwechsel schon viel früher gefordert: "Das eigentlich Erstaunliche", bemerkte Brecht zur Gründungsphase Weimars in seinen Memoiren, "ist nicht, daß dreizehn Jahre später die demokratische Verfassung in Deutschland zusammenbrach, sondern daß das nicht schon viel eher geschah." Statt nach Sündenböcken zu suchen, wäre es logischer, sich zu vergegenwärtigen, "welche Ereignisse und Personen dazu beigetragen haben, daß die demokratische Republik trotz des Widerspruchs zwischen den Spielregeln und den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen so lange funktionieren konnte".3
Wir haben es also mit einer komplizierten Gemengelage zu tun: Vor dem Hintergrund der alsbald schwindenden Unterstützung für die Weimarer Koalition, ist die Verfassungsschöpfung aus der Revolution und die vorübergehende Stabilisierung innerhalb massiver Krisen außenpolitischer, innenpolitischer und ökonomischer Art das erklärungsbedürftige Faszinosum. Überhaupt gilt es daran zu erinnern, dass das liberale Momentum der Republikgründung zunächst gar nicht absehbar war. Immerhin war es die politische Linke, die im Rat der Volksbeauftragten und auf der Straße die Novemberrevolution prägte, während sich die bürgerliche Mitte erst einmal in der Defensive befand.
Insofern erscheint es gerechtfertigt, sich mit den Chancen, dem Neuen und auch den Wagnissen derer zu beschäftigen, die wir zum Kreis der Liberalen zählen können. Dabei werde ich den Liberalismus aus ideengeschichtlicher Perspektive behandeln und die politische Ereignisgeschichte und die komplexe Transformationsgeschichte der liberalen Parteien eher vernachlässigen.
Ich möchte dabei in vier Schritten vorgehen: Zunächst will ich versuchen zu erläutern, in welcher Weise wir überhaupt von Liberalismus als einem Sammelbegriff in der Novemberrevolution sprechen können; in einem zweiten Abschnitt möchte ich mich dann mit dem besonderen Spannungsverhältnis zwischen Liberalismus und Demokratie beschäftigen, um Weimar als Durchbruchphase zur liberalen Demokratie - etwas bis dato Neues - begreifen zu können. Drittens möchte ich auf den parteipolitischen Neuanfang unter "massendemokratischen" Bedingungen eingehen, der in vielerlei Hinsicht revolutionär war, auch wenn der echte Aufbruch nur ein knappes Jahr dauerte. Viertens sollen aus ideengeschichtlicher Perspektive die langfristigen Innovationen des demokratischen Liberalismus in Weimar verdeutlicht werden, um am Ende zu einem knappen Fazit zu kommen.
1. Zum Begriff des Liberalismus
Es ist unmöglich, einen klar definierten Liberalismusbegriff zu präsentieren. Meiner Ansicht nach gibt es drei Möglichkeiten:
Man nimmt erstens die Selbst- und Fremdbezeichnung der Zeitgenossen ernst und bezieht jeden, der von sich oder anderen als liberal bezeichnet wird, in die Untersuchung ein. Ein solches Vorgehen ist mit dem Problem konfrontiert, dass sich im Revolutionsjahr kaum jemand als liberal exponierte; der Begriff war verbrannt, galt als Relikt des 19. Jahrhunderts und gehörte gewissermaßen zu einer im Weltkrieg untergegangenen Epoche.
Zweitens könnten wir uns den Parteien zuwenden, die nach allgemeinem Verständnis dem liberal-bürgerlichen Lager zugerechnet wurden (und bekanntlich auch nicht das Wort liberal im Namen trugen). Dies würde den Blickwinkel allerdings politisch einengen, denn der Liberalismus war stets eine unübersichtliche "Familie von Ideen und Verhaltensmustern" (Sheehan), von Netzwerken und Gruppierungen.4 Es gehört zu seiner Eigenheit, dass er als Ensemble von Ideen und Überzeugungen in viele Richtungen diffundierte.
Dies führt uns drittens zu dem Problem, im Liberalismus so etwas wie einen überzeitlichen ideellen oder normativen Kern auszumachen. Auch dies scheint schwer möglich. Ein Blick auf den Theoretiker, der allgemein als wichtigster Repräsentant des Liberalismus gesehen wird, nämlich Max Weber, mag das illustrieren.5 Es gibt wichtige Argumente - und ich werde sie gleich vertreten -, Weber als entscheidenden Vordenker der liberalen Demokratie zu würdigen. Aber genauso gut kann man die Auffassung haben, dass an gewissen Wertüberzeugungen gemessen Weber nach heutigen Maßstäben (und wohl auch schon in den Augen anders gepolter liberaler Zeitgenossen) weit entfernt von gängigen liberalen Vorstellungen war: Weder vergötterte er den freien Markt noch war er ein Anwalt internationaler friedlicher Völkerverständigung; auch der Schutzraum des Einzelnen vor dem Staat interessierte ihn nicht besonders - und einen Fortschrittsoptimisten wird man ihn auch nicht nennen wollen, denn zu düster war sein Blick auf 'das stahlharte Gehäuse der Hörigkeit', welches das moderne Individuum einenge.6 Insofern kann es im Folgenden nicht darum gehen, eine Gesamtschau des Liberalismus mit allen Licht- und Schattenseiten zu geben, sondern ich möchte einige Linien herausarbeiten, die in konstruktiver Absicht die im Entstehen begriffene liberale Demokratie konturierten.7
2. Liberalismus und Demokratie
Der englische Journalist Edmund Fawcett hat in seiner Ideengeschichte des Liberalismus noch einmal daran erinnert, dass der Kompromiss zwischen Liberalismus und Demokratie, die Kombination von Freiheits- und Bürgerrechten und demokratischer Regierungsform (begleitet vom Ringen um eine sozialverträgliche Ökonomie) hart erkämpft und historisch keineswegs zwangsläufig war.8 Ideengeschichtlich ist es ironisch, dass just in dem Moment, da Carl Schmitt die Unverträglichkeit von Parlamentarismus und Demokratie beweisen wollte, progressive Liberale von Max Weber über Hugo Preuß bis zu jüngeren wie Hans Kelsen oder Moritz Julius Bonn die repräsentative Regierungsform als einzig mögliche Realisierung der modernen Demokratie verteidigten.
Das ist nicht als Ergebnis eines durch Kriegsniederlage erzwungenen Vernunftrepublikanismus aufzufassen. Schon die Demokratisierungsdebatte während des Ersten Weltkriegs bereitete den Boden für Späteres, denn Deutschlands liberale Intellektuelle stritten in dieser Zeit vehement für Parlamentarisierung und politische Mitbestimmung.9 Auf drei Weltkriegsschriften möchte ich kurz verweisen: Hugo Preuß' Das deutsche Volk und die Politik aus dem Jahr 1915, Max Webers Artikelserie in der Frankfurter Zeitung zu Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland aus dem Sommer 1917 und die etwas unbekanntere Schrift von Leopold von Wiese über den Liberalismus in Vergangenheit und Gegenwart, ebenfalls 1917 erschienen.
Preuß war einer der wenigen, die sich nach dem Kriegsausbruch 1914 nicht vom nationalen Überschwang anstecken ließen. Bereits im Frühjahr 1915 veröffentlichte er seine viel diskutierte Stellungnahme, die sich in großer Distanz zu den "Ideen von 1914" befand.10 Seine massive Kritik am wilhelminischen Obrigkeitsstaat verband er mit einem Plädoyer für den "Volksstaat". Dieser Begriff war nichts anderes als das Synonym für eine Demokratie mit republikanischem Ethos. Preuß konzipierte den Staat als "Wir-Gemeinschaft", die sich von einem Untertanenvolk zu einem positiv politisierten Staatsvolk wandeln sollte.
Mit Sorge hatte er die "Verachtung des...
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