Schweitzer Fachinformationen
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»Silence lay steadily against the wood and stone,
and whatever walked there, walked alone.«
Shirley Jackson
»The Haunting of Hill House«
1
Gustav Sims war trotz der dreiundsiebzig Jahre, die er seinem Hobby schon nachging, nie ein sonderlich begabter Brandstifter gewesen. Als er jedoch durch die Windschutzscheibe seines ergrauten VW Kombis die verfallene Fassade der Holtzbrinck-Villa vor sich aufragen sah, flammten seine alten Augen auf wie helles Feuer.
»Ist es das?«, fragte er seine innere Stimme.
Ja, das ist es! Und wie es das ist.
Das Haus stand verlassen auf der Lichtung, auf der es bereits ein Jahrhundert vor Gustavs Geburt errichtet worden war. Die starken Mauern hielten sich aufrecht, der hohe Giebel trotzte dem Wind und den Birken, die mit ihren langen Ästen wie Gespenster über die Dachschindeln fegten. Mit dem Blick eines Leichnams starrten die Fenster auf die breite, von Unkraut überwucherte Schotterzufahrt hinunter, wo Gustav seinen Wagen parkte.
»Na dann, an die Arbeit«, sagte er, schaltete die Zündung aus und drehte sich auf dem Fahrersitz um. Hinter ihm - wie auch immer das Tier es geschafft hatte, eine einigermaßen bequeme Position zu finden - lag ein altersschwacher Bernhardiner, der gerade so auf die Rückbank passte.
Das Tier zuckte mit der Nase und sah sein Herrchen aus müden Augen an. Bitte nicht!, flehten diese. Du darfst mich ruhig noch ein Weilchen durch die Gegend kutschieren. In einer Stunde bin ich fit, versprochen.
»Na komm, Donald. Los, du Faulpelz. Absitzen!«
Der riesige Hund rappelte sich auf und gähnte, sodass sich seine Zunge rollte. Dann schüttelte er sich, und eine Wolke aus braunen und weißen Haaren flog durch das Wageninnere.
Gustav rümpfte die Nase, als er einen stechenden Geruch wahrnahm, den ganz eindeutig Donalds Hinterteil verströmte. »Meine Güte, wir müssen wirklich mal zum Tierarzt, alter Kumpel. Das kann unmöglich am Futter liegen.«
Der Bernhardiner zog die Augenbrauen hoch und schmatzte, während sein Herrchen die Fahrertür öffnete und erleichtert ein paar tiefe Züge der kühlen, nach feuchtem Laub duftenden Herbstluft atmete.
Dann ließ Gustav seinen Hund aussteigen und wartete, bis Donald mit allen vier Pfoten sicher auf der Einfahrt stand, bevor er die Tür wieder zuschlug.
Der Hund sah sich ohne großes Interesse um, schnüffelte am Boden und verschwand kurz darauf hinter einer Birke, die er nach der langen Fahrt ausgiebig markierte.
»Na dann, man sieht sich später«, sagte Gustav und umrundete den Wagen.
Im Kofferraum des Kombis befand sich seine Hobbyausrüstung, wie er sie gern im Gespräch mit sich selbst oder mit Donald bezeichnete. Neben einem 6 kg ABC-Pulverlöscher, einer Feuerlöschdecke, Schweißerhandschuhen und natürlich seiner fast vierhundert Euro teuren Hitzeschutzjacke für bis zu tausend Grad Strahlungshitze hatte Gustav immer einen Zehn-Liter-Kanister voll mit Normalbenzin, mehrere zerrissene Baumwolltücher und ein Dutzend leere Glasflaschen für Molotowcocktails dabei. Eine Packung mit hundert Sturmstreichhölzern von Mil-Tec steckte stets in seiner Hosentasche. Wo bei anderen Fahrzeugen der Wagenheber war, bewahrte Gustav in seinem VW ein selbst gebasteltes Extra auf, das eine gravierende Ähnlichkeit mit einem Fondue-Brennpastenbehälter hatte, aber um ein Vielfaches größer war - größer und gefährlicher.
Meinst du nicht, das Ding könnten wir brauchen?
»Das morsche Holz ist doch trocken wie Heu. Da reicht ein einziger Funke.«
Ja, aber überleg doch mal, was dieses Schätzchen anrichten könnte, und wie schön die .
»Gut, überredet.«
Gustav kramte eine Einkaufstüte von Aldi hervor, steckte den metallenen Behälter hinein und hängte sie sich über die Schulter. Dann warf er einen Blick in Richtung Haus, dessen Umriss sich scharf vom Himmel und der untergehenden Sonne abzeichnete.
Die Villa sah bedeutend größer aus als auf den Fotos, die er in dem vergilbten Familienalbum der Holtzbrincks im Stadtarchiv von Herscheid mindestens eine halbe Stunde lang betrachtet hatte, während er sich mit einem Leuchten in den Augen vorstellte, wie knisternde Flammen aus den Fenstern auf den Dachstuhl übergriffen, und was es für ein Anblick wäre, das Feuer direkt aus der Nähe zu sehen - so nah, dass er die Hitze auf der Haut spüren und den Brandgeruch in den Lungen wahrnehmen konnte.
Gustav fühlte einen angenehmen Schauder, der ihm am Rückgrat hinauf- und an den Armen wieder hinunterlief. Er griff in die Innentasche seiner Jacke, holte einen Flachmann heraus und nahm einen Schluck Doppelkorn, um sich Courage anzutrinken.
Nun mach schon, worauf wartest du?
»Ich bin ja schon dabei. Aber nur noch dieses eine Mal.«
Und dann ist Schluss?
»Und dann ist Schluss.«
Das hatte er schon oft gesagt. Eigentlich jedes Mal, wenn er diesen Drang in sich spürte, irgendetwas anzünden zu müssen.
Es fing stets mit einer Laune an, die schnell zu einem Drang wurde - wie bei einer Sucht, der sich Gustav nun schon hingab, seit er im zarten Alter von nur fünf Jahren sein Elternhaus in Brand gesetzt hatte.
Natürlich ging man davon aus, dass es sich um einen Unfall handelte. In Wahrheit hatte Gustav einfach sehen wollen, wie das Bett im großen Schlafzimmer in Flammen aufging. Seitdem - er wusste selbst nicht, wie er es angestellt hatte - war er nicht mehr bei der Ausübung seiner Lieblingsbeschäftigung erwischt worden.
Den insgesamt hundertsiebenunddreißig Fällen von Brandstiftung waren größtenteils Müllcontainer, Telefonzellen und Holzhütten in Schrebergärten zum Opfer gefallen, aber auch mehrere ungenutzte Einfamilienhäuser, eine Grundschule, ein altes Krankenhaus und sogar eine leer stehende Zwiebackfabrik hatten sich unter seinen Händen in ausgebrannte Ruinen verwandelt.
In eine wunderschön leuchtende Zerstörung.
Letztlich war es für Gustav genau das: ein erhabenes Gefühl der Kunst, die Entfesselung von gottgleicher Macht, seine eigene Ästhetik der Vernichtung.
»Was redest du für einen Stuss. Du bist nur ein alter Spinner, der für sein Leben gern zündelt, weiter nichts.«
Wie du meinst.
»Das meine ich!«
Obwohl es ihn einige Kraft kostete, sich gegen seine innere Stimme durchzusetzen, entschied sich Gustav dazu, erst einmal die Lage zu sondieren.
Die Anspannung, die ihn jedes Mal befiel, wenn er den Duft von Benzin in die Nase bekam, ließ zwar schon seit Minuten seine Hände zittern, ein weiterer Schluck Doppelkorn brachte sie aber wieder unter Kontrolle.
Er musste nachsehen, ob die Villa wirklich so leer war, wie sie schien. Manchmal verirrten sich Jugendliche oder Vandalen in eines der Häuser, die er sich für sein liebstes Hobby ausgesucht hatte. Einmal kam ein junger Kerl mit offener Hose gefolgt von einer halb nackten Blondine aus einem heruntergekommenen Forsthaus gestürzt, dessen Dachstuhl bereits lichterloh brannte. Als sie Gustavs Kombi auf dem Waldweg stehen sahen - er saß natürlich längst im Wagen und hatte den Rückwärtsgang eingelegt -, bemerkten sie erst, dass die Haare der Frau ebenso in Flammen standen.
»Das passiert uns nicht noch mal. Wir lassen uns niemals erwischen.«
Bla, bla, bla, beeil dich gefälligst!
Aus einer Ablage über dem Radkasten zog Gustav eine lange Taschenlampe hervor, prüfte ihre Batterien und schlug den Kofferraumdeckel wieder zu. Dann sah er sich um. Der Himmel hatte bereits die Farbe von blauer Seide angenommen, die letzten Strahlen der Sonne funkelten durch das Blätterdach der hohen Birken und die ersten Sterne glitzerten wie angestrahlte Stecknadelköpfe.
»Donald?«
Der Baum, dem sich Gustavs alter Bernhardiner vor wenigen Minuten persönlich vorgestellt hatte, wies einen feuchten Fleck auf der weißen Rinde auf. Vom Hund selbst war keine Spur zu sehen.
»Hey, mein Junge! Wohin hast du dich verzogen? Du bist zu alt, um Rehe zu jagen.«
Er schaltete die Taschenlampe ein und richtete den hellen Lichtkegel auf stachelige Brombeersträucher, Brennnesseln und haufenweise totes Gestrüpp, das sich im nassen Laub unter den Bäumen auftürmte. Um dieses Grundstück hatte sich seit vielen Jahren niemand mehr gekümmert.
Aber bald werden sie hier aufräumen müssen. Sonst kommt die Feuerwehr nicht durch.
»Donald!«
Gustav kramte eine angebrochene Packung Pedigree Schmackos mit Rind aus seiner Hosentasche. Er zog einen der Streifen aus der Tüte, wedelte damit in der Luft herum und steckte den Rest wieder ein. Für den Bernhardiner war das zwar nicht mehr als etwas Luft mit Geschmack, aber Donald sprang gewöhnlich darauf an wie ein junger Welpe.
»Hey, Donald, komm!«
Nichts rührte sich.
Scheiße!
»Was du nicht sagst.«
Gustav spürte den Blick des alten Hauses, der von hinten über seine Schultern kroch. Irgendetwas stimmte nicht.
»Do.«
Dann hörte er es, und der Schmacko-Streifen fiel ihm aus den zittrigen Fingern. Es war ein unverkennbares Geräusch, aber es drang nicht zwischen den Bäumen hervor wie erwartet. Es kam aus dem Inneren der Holtzbrinck-Villa.
***
Daniel lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und betrachtete die Zeilen, die vor ihm auf dem Bildschirm seines Laptops flackerten.
Wie viel hatte er jetzt? Rund sieben Seiten. Doch die Hälfte davon war...
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