Schweitzer Fachinformationen
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Pompeji, Oktober 79 n. Chr.
»Heute ist ein guter Tag für einen Fluch«, murmelte die alte Frau und legte einen brennenden Span in eine Kupferschale mit scharf riechenden Kräutern. Ihre Lippen formten unhörbare Worte. Ihre Hände vollführten geheimnisvolle Bewegungen im aufsteigenden Rauch. Alles an ihr wirkte befremdlich, als würde in ihrem Gewand kein Mensch stecken, sondern ein übergroßes Insekt.
Vibia knetete nervös die Falten ihrer Palla. Sie hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie beklommen ihr zumute war. Sie war noch vor Sonnenaufgang zur Hütte der alten Frau außerhalb der Stadt gekommen, damit niemand sie sah.
Verstohlen sah Vibia sich in der Hütte um. Von der Decke hingen Körbe mit Flaschen und Phiolen. In ihnen mussten sich jene Substanzen verbergen, für die man im Morgengrauen zu der Alten ging. Kräuter, Harze, seltsame Mixturen, um gewisse Dinge zu bekommen, meistens aber, um gewisse Dinge wieder loszuwerden. Man munkelte, dass die Alte mit den Göttern der Unterwelt im Bunde war, mit Nemesis, den Manen, Pluto, Proserpina. Und natürlich den Furien, den alten Rachegöttinnen. Statuen dieser Götter standen auf Schreinen im ganzen Raum verteilt. Blakende Talglichter belebten ihre strengen Gesichter, die Vibia anzustarren schienen. Ihre Unruhe wurde zu Furcht. Was sie hier tun würde, stand unter strengster Strafe. Doch das war es nicht, was ihr die meiste Angst einflößte. Es waren die leichten Vibrationen unter ihren Füßen. Sie spürte sie schon seit Tagen, war sich aber nie sicher, ob sie sich das Ganze nur einbildete. Die anderen Frauen im Lupanar schienen die kaum merklichen Erschütterungen nicht zu spüren.
»Vibia, du verbringst den ganzen Tag auf dem Rücken liegend oder mit dem Kopf unten«, hatte Myrte versucht, Vibias gestörten Gleichgewichtssinn zu erklären, und dabei ihr ansteckendes Lachen ausgestoßen. Aber dann hatte Vibia gestern einen der Freier sagen hören, dass im Garten seines Hauses der Brunnen trockengefallen war und dass am Morgen lauter tote Eidechsen und Spinnen auf den gesprungenen Fliesen lagen. »Und diese seltsame Wärme überall .«
Vibia hatte keine Erklärung für diese Dinge. Sie wusste nur, dass weder ein nahendes Erdbeben oder sonst eine Katastrophe sie von dem abhalten würde, weswegen sie die Alte aufgesucht hatte. Sie warf einen scheuen Blick auf die Statuen und wurde das Gefühl nicht los, von ihnen geprüft zu werden. War ihr Anliegen wirklich groß genug, um dafür die Hilfe der Unterwelt anzurufen?
Die Alte reichte Vibia einen Schreibgriffel und deutete auf eine kleine Bleitafel, nicht größer als Vibias Hand. »Ritze dort ein, was du von den Göttern forderst.«
»Ich . ich kann nicht schreiben.«
Ein Seufzen kam als Antwort. »Natürlich. Wie dumm von mir. Dann sag mir, was du willst, und ich werde es für dich einritzen.«
»Ich soll dir . erzählen, was mir widerfahren ist?«
Vibias Stimme stockte bei der Erinnerung an die vorige Woche, als ein Patrizier sie und andere Mädchen in seine Villa geholt hatte, wo ein großes Festmahl stattfand. Das war nichts Ungewöhnliches, Vibia wurde oft zu derartigen Feiern ausgeliehen. Man gab ihr ein edles Gewand, das sie hinterher wieder zurückgeben musste, es sei denn, es war ihr während der Feiern in Fetzen gerissen worden. Dann häuften sich ihre Schulden bei Tullius, ihrem Besitzer. Beim Gedanken an ihn ballte sie die Fäuste. Tullius hatte ihren Zustand nach der Feier gesehen, ihren mit Striemen und Prellungen übersäten Körper, das Blut, das aus ihr herauslief. Er hatte auch den schlaffen Körper der dreizehnjährigen Nafi gesehen, die diesen gewaltvollen Ansturm männlicher Begierden nicht überlebt hatte. Aber er hatte nur in falscher Wehmut geseufzt, hatte Vibia drei Tage Ruhe eingeräumt, den kindlichen Leichnam weggeschafft und das Gold der Patrizier eingesteckt.
Tränen traten in Vibias Augen. Nafi war wie eine kleine Schwester gewesen. Vibia selbst war mit vierzehn ins Lupanar verkauft worden und hatte Nafi, die aus Ägypten kam, in alle Geheimnisse eingeweiht und die Kleine, auch wenn sie ihre Sprache nicht verstand, in den späten Nachtstunden getröstet, wenn sie zitternd vor Erschöpfung auf dem Bett kauerte. Vielleicht war es besser, dass Nafi tot war. So hatte der Totengott Pluto eine Zeugin für die dringende Notwendigkeit des Fluchs.
»Du sollst es mir nicht erzählen«, riss die Alte sie aus ihren Gedanken. »Du sollst mir sagen, was ich auf diese Bleitafel ritzen soll. Was soll den Betreffenden widerfahren? Und halte dich kurz, es müssen wenige, aber treffende Worte sein.«
Vibia nahm einen tiefen Atemzug von der würzigen Luft und wollte etwas sagen, doch ein heftiges Rumpeln fuhr durch den Boden der Hütte und warf eine der Götterstatuen um. Die Alte sprang auf und stellte die Statue demütig murmelnd wieder auf.
»Vor siebzehn Jahren war es das Gleiche«, sagte sie. »Ein schlimmes Erdbeben. Vielleicht solltest du deinen Fluch rasch auf den Weg bringen und für ein paar Tage aus der Stadt verschwinden.«
Vibia hatte bereits einige Leute gesehen, die mit Gepäck und Hausrat das Herkulaner Tor passierten, um über die westlichen Zugangsstraßen die Stadt zu verlassen. Aber wo sollte sie denn hin? Sie besaß weder Geld noch geeignete Kleidung für eine Reise. Sie war Tullius ausgeliefert.
»Also?« Die Frau sah sie ungeduldig an.
»Gut . ich. ich möchte, dass Spurius und Aulus und ein Mann namens Antonius zugrunde gehen. Und es soll auf schlimme Weise geschehen. Ich will, dass ihnen ihre Schwänze verfaulen und dass ihre Zungen schwarz werden, dass jeder Atemzug sie schmerzt, als wäre Glut in ihrer Lunge!«
Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Es war auf eine bittere Weise wunderbar, sich vorzustellen, wie die drei Männer, die ihr und Nafi das angetan hatten, eines Morgens nur noch einen schwarz verkümmerten Wurm zwischen ihren Beinen hatten. Sie würden nie wieder ein Mädchen zu Tode schänden.
»Und ich binde sie an den Tod. Sie sollen im Fieber zergehen und nichts und niemand darf ihnen Hilfe leisten oder sie erlösen.«
Die Alte ritzte die Worte in das Blei. Vibia hätte zu gern gewusst, wie die Zauberformeln aussahen. Erneut ging eine Vibration durch die Hütte. Es fühlte sich an, als würde sich eine riesige Schlange tief unten im Boden winden und aufbäumen.
»Was jetzt?«, fragte Vibia.
Die Alte schob ihr das Bleitäfelchen hin. »Du musst es nun zusammenfalten. Nimm diese Nadel und zerstoße es ein paarmal.« Sie reichte Vibia eine dicke Schusternadel. »Dein ganzer Hass muss in deine Hände fließen. Sprich mir nach: Ich binde das Leben dieser Männer an Vernichtung und Tod .«
»Ich binde das Leben dieser Männer an Vernichtung und Tod!«
Vibias Knöchel traten weiß hervor. Sie flehte die Götter der Unterwelt an und dachte an Nafi.
»Geh jetzt zurück in die Stadt«, sagte die Alte. »Du kommst an der Gräberstraße vorbei. Such dir ein Grab aus, am besten von einem jung Verstorbenen. Vergrab es tief und sprich: Totendämon, wer du auch bist, ich übergebe dir . dann nennst du die drei Namen, auf dass sie eines schrecklichen Todes sterben.«
»Und es wird wirken?«, fragte Vibia.
»Diese Frage habe ich nicht gehört«, murmelte die Alte und streckte die Hand aus. »Das macht acht Asse.«
Vibias Hände zitterten, als sie das Fluchtäfelchen in ihren Beutel steckte und die Münzen hervorholte. Acht Asse - so viel bekam Tullius für vier Freier, die Vibia bestiegen. Sie selbst hatte es ein ganzes Jahr gekostet, diese lächerliche und doch so hohe Summe anzusparen.
»Venus möge dich schützen, Kind. Und nun geh.«
Vibia wäre gerne noch ein wenig länger bei ihr geblieben, auch wenn ihr die Alte unheimlich war. Es tat gut, außerhalb des Lupanars zu sein und nicht wie eine Hure behandelt zu werden.
Als sie aus der Hütte trat, war die Sonne bereits aufgegangen. Ein Gefühl von Leichtigkeit beflügelte Vibias Schritte. Sie sog tief die frische Luft ein, die für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm war, aber so wohltat. Weit weg vom Gassengewirr der Stadt mit ihren vielen Menschen und Ausdünstungen, weit weg von ihrem Gefängnis, in dem sie schon bald den ersten Mann empfangen musste. Vibia schloss die Hand um das gefaltete Bleitäfelchen in ihrem Beutel. Sie hatte sich noch nie so machtvoll gefühlt. Kurz vor der Stadtmauer fiel es ihr schließlich auf. Sie hatte es schon im Morgengrauen bemerkt, hätte aber nicht sagen können, was genau es war. Jetzt war es ihr schlagartig klar.
Kein einziger Vogel sang. In den Bäumen und Büschen war es vollkommen still. Sie sah auch keinen Vogel. Eine bedrückende Stille lag über allem. Rasch passierte Vibia das Herkulaner Tor und ging zwischen den großen Grabbauten auf die Stadt zu. Es war niemand zu sehen. Nur ein Fuhrmann mit seinem Ochsengespann nahm denselben Weg. Vibia schlüpfte zwischen zwei Mausoleen hindurch, hockte sich zwischen Efeuranken und Farn und tastete nach dem stumpfen Messer, das sie mitgenommen hatte. Rasch war eine zehn Finger tiefe Mulde ausgehoben. Sie legte das Fluchtäfelchen hinein und wiederholte die Beschwörung an den Totengeist dessen, der hier begraben lag. In Verbindung mit den Unterweltgöttern, die seine Seele besaßen, würde der Fluch seinen Weg zu den Lebenden finden.
Vibia schaufelte Erde in das Loch und schob drei größere Steine darüber. Ihr Herz pochte, Schweiß floss an ihrem Hals hinab.
Da zerriss auf einmal ein fremdartiges Geräusch die Stille. Als würde irgendwo ein riesiges Laken zerrissen. Ein Grollen folgte. Alarmiert richtete Vibia sich auf und trat...
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