Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Mein Name ist Stephen Florida, und ich werde den NCAA Championship der IV. Division in der Gewichtsklasse 60 Kilo gewinnen.
Das ist alles. Glaubt ihr mir, wenn ich sage, dass ich in jeder Stunde an jedem Tag mindestens zwanzigmal daran denke? Das ist die Wahrheit. Ich lüge zwar manchmal, aber bei so was lüge ich nicht. Wenn man etwas so sehr will, dass man dafür hungert, weiß man nicht, wie es wirklich ist, bis es endlich passiert. Ich weiß, dass es ein weißes Siegerpodium mit acht Stufen gibt und dass man für die Fotografen mit seinem Pokal posiert, der exakt die Größe einer hübschen Schreibtischuhr hat. Das Ganze läuft in der Kenosha Arena in Kenosha, Wisconsin, ab, wo es sechs Matten in unterschiedlichen Farben gibt und die zweitausend blauen Sitze bis auf den letzten besetzt sind. Unter der Arena ist ein Keller mit alten Lampen und genug Platz, damit jeder Ringer, ob Sieger oder Verlierer, seine eigene dunkle Ecke zum Weinen findet - vor Glück oder weil seine Saison gelaufen ist. Da gehen danach alle hin. Das ist Tradition. Aber bis dahin dauert es noch, und ich bin noch nicht so weit.
Naiv, wie ich im ersten Studienjahr war, habe ich das immer allen auf die Nase gebunden und gemeint, ich könnte das Schwert sofort aus dem Stein ziehen, stellt euch das mal vor. Jetzt behalte ich das Ganze für mich. Ich überarbeite und kürze im Kopf. Wenn es jemand wissen will, fragt er schon, aber ich habe einen kahlgeschorenen Schädel und ein Äußeres, das selbst entspannt fies aussieht, und ich werde schnell wütend, was ich von meinem Vater habe und was mir beim Ringen hilft, aber nicht bei der interpersonellen Kommunikation. Auch dazu habe ich mal einen Kurs belegt.
Jetzt überstürze ich nichts mehr. Daran habe ich gearbeitet. Trotzdem denke ich noch an die Arena, die Matten, das Treppchen. Ich kann nicht anders. Ich habe ekstatische Visionen davon, wie ich runter in den Keller steige. An all das denke ich, wenn ich mit dem Mannschaftsbus fahre, wenn ich meine Wäsche falte, wenn ich mir den Wundschorf abreiße, wenn ich scheiße, wenn ich eine Vorlesung in einem zu heißen Hörsaal absitze und so tue, als würde ich runter in mein Lehrbuch schauen, während ich die Augen eigentlich bei einem seichten Dösen in ferner Konzentration geschlossen habe.
Auch jetzt denke ich daran. Eines Tages wird jeder wissen, wer ich bin.
Denn wenn ich es schaffe, erzählen sie meine Geschichte womöglich in der New York Times!
Wann immer ich nicht an all das denke, denke ich daran, wie ich dort hinkomme. Ideen sind einfach nur Neuronen im Gehirn, die Chemikalien auf andere Neuronen spritzen. Träumt ihr von Armhebeln und Kopfklammern? Vom eigentümlichen Quietschen und Wummern beim Training, den Geräuschen der schwitzigen Verausgabung eures Fleisches? Habt ihr schon mal ausführlich einen Schweißfleck auf der Matte angestarrt und beschlossen, ihn aufzulecken, nur weil er aus euch herauskam? Übt ihr euren Stand und humpelt alleine herum wie Quasimodo, bis euch die Knie steif werden? Sind Haare für euch bloße Eitelkeit? Lenkt ihr euch mit einem verdammten fünfhundertseitigen Barron's SAT-Wörterbuch ab, das die Benotung für euren Wortschatz bis zur Prüfung garantiert um hundert Punkte erhöht?
Aber wie gesagt darf man nichts überstürzen, also halte ich mich an meiner Bank in der Umkleide fest und hefte den Blick auf meine Umgebung, denn das Leben ist nichts als die Gegenwart. Die roten Spinde, die zwei Dutzend Kerle, die Trainer, die mit verschränkten Armen herumstehen, das ist die Gegenwart. Die roten Wände, die Bank, an der meine Haut klebt, das ist die Gegenwart. Die fünfzig Jahre toter und lebender Männer, die in dieser Umkleide waren, die sind Vergangenheit. Sie waren alle mal einen Augenblick lang wichtig, aber der ist vorbei. Wichtig ist der Geruch von oxidierter Haut, dieser Geruch wie nasses Aluminium, auch das ist die Gegenwart.
«Stephen kriegt beim Abendessen ein Stück Hühnchen extra dafür, dass er dem Kerl den Arm gebrochen hat.»
Coach Hargraves ist ein netter Mann, aber ich höre nicht auf ihn. In dem Jahr, als mir mein Trainer sagte, ich soll «den perfekten Kampf visualisieren und alles dafür tun, ihn zu realisieren», habe ich mehr Kämpfe verloren als in jedem anderen. Jetzt spare ich mir die Energie auf, die das Zuhören kosten würde, während mir Hargraves' kehliges Gebrumme um die Ohren dröhnt und mein Gehirn sich verkriecht. Einfache Gedanken sprießen in meinem Schädel wie Pflanzen, stehen wie einzelne, kopflastige Sonnenblumen, die sich neigen und umknicken, wenn sie das Gewicht nicht mehr tragen können. Neben Hargraves stehen die Assistenten. Eerik, Fink, Whiting, Farrow und Lee. Ich unterscheide eigentlich nicht zwischen ihnen, bis sich mal einer absondert. Sie stehen in einer Reihe in ihren weißen Hemden mit dem kleinen roten George-Washington-Kopf auf der Brust, «Presidents Assistant Coach». Kann sich einer vorstellen, dass die nach Hause zu ihren Kindern fahren? Selbst irgendwelche Hoffnungen haben? Bei klassischer Musik weinen? Ich nicht.
«Florida?»
«Mm?»
«Ein paar Worte zum Ansporn?, habe ich gefragt. Für die Jüngeren?»
Ich schüttele den Kopf, zucke die Schultern und schüttele den Kopf weiter.
Der Trainer hat uns an der großen Tafel alle unsere Kurse anschreiben lassen. Warum, weiß ich nicht. Einer der Assistenten, ich weiß nicht, welcher, hat uns allen Kassetten mit Meditationsmusik mitgegeben, die wir uns im Schlaf anhören sollen. Sie faseln alle dauernd von einer «Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft», also von einer Theorie, dass man sich eher selbst treu bleibt und sich höhere Ziele setzt, wenn man die Herde nicht im Stich lassen will (Tiervergleiche werden hier oft gezogen). Damit soll uns Ringern Angst gemacht werden, bloß nicht das schwächste Glied zu sein, aber das bin ich sowieso nicht, ich bin überhaupt kein Teil der Herde, ich kümmere mich um mich selbst, und das braucht meine ganze Anstrengung und Zeit. In dem Spind neben meinem (der im Moment Ellis gehört) steht in uralter Schrift: Wer will meinen Pentis sehen? Der Spind vier weiter hat mal Mycah irgendwas gehört, wir waren nur ein Jahr lang gleichzeitig hier, und die ganze Zeit wollte er eigentlich hinschmeißen, weil er mit seiner Mattenherpes nicht klarkam. Sie haben aber so lange auf ihn eingeredet, bis er doch blieb. Der Spind zwei weiter (im Moment der von Sherman) hat letztes Jahr und die drei davor Flores gehört, der die ganze Zeit noch gewachsen ist, ein mexikanischer Farmjunge aus Illinois, der seine Größe andauernd mit Filzer an der Innenwand des Spinds markiert hat. Während seiner Zeit am Oregsburg College ist er von der 60-Kilo-Klasse bis zur 71 hochgegangen. Seit Mai habe ich nichts mehr von ihm gehört. Hat keiner von uns. Flores, der kleine Füße und schlechte Zähne hatte und sich im Voraus für seinen Mundgeruch entschuldigte, der mindestens dreien seiner Dozenten den bösen Blick zuwarf und dann zurück nach Illinois ging, das ihn für immer verschluckte.
Leise wird etwas herumgereicht.
Ich habe das Problem, dass ich mir immer die Finger in den Mund stecken will, vor allem dann, wenn ich lange stillsitzen muss. Wenn man sich die Knöchel über die leicht geöffneten Zähne rollt, ist das ein Sinnesvergnügen, das man jederzeit haben kann. Manchmal tut es gut, das Gesicht an etwas zu drücken, das härter ist als es selbst. Dann bekommt man keinen Schreck, wie hart der Kontakt im Kampf ist. Wenn man glaubt, dass das Universum ein Ort des Aufpralls ist, eins kollidiert mit dem anderen, und das setzt sich ewig fort, dann werden die eigenen Arme zur Wiege, und man sehnt sich nach etwas, was einen mit seinen Sinnen verankert. Das soll nicht heißen, dass es immer brutal sein muss. Meine Oma hatte einen Tigerkater namens Poker, der war ihr zugelaufen, und er hat sich mir immer gerne auf den Schoß gelegt und sich hinter den Ohren kraulen lassen.
«In drei Tagen fahren wir nach Miles City», sagt Hargraves.
Miles City ist eine Stadt mit Gebäuden und Leuten in Montana. Dort wird es ein Viererturnier geben, bei dem ich in vier Stunden dreimal ringen muss. Es hilft, wenn man sich diese einfachen Fakten aufzählt, weil man sich so darauf einstellt, sie durchzuziehen. Der schnellste Schultersieg aller Zeiten dauerte nur neun Sekunden. Ich reibe alte Narben auf der Stirn, wo mir vor zwei Jahren mal eine kleine Verhärtung weh getan und ich mir Gedanken wegen irgendeiner problematischen neurologischen Wucherung gemacht hatte, einem Tumor oder Schlaganfallklümpchen, das mich umbringen würde, noch bevor ich nach Kenosha kann. Als ich dann zum Studierendengesundheitszentrum ging und meine Lage darlegte, hieß es, es ist ein Pickel.
Linus legt sich ein Handtuch über den Kopf. Unter dem linken Fuß rollt er einen Lacrosse-Ball hin und her, wegen seiner Plantarfasciitis, die er auf der Highschool vom Crosslauf mit schlechten Schuhen gekriegt hat und die nie ganz weggeht, das weiß jeder. Er hat seinen Kampf heute gewonnen. Er will nach Hause und lesen. Lesen! Ich denke an das eine Feld östlich von Dickinson auf der Strecke nach Miles City, wo man auf absolut jedem Zaunpfahl einen Rotschulterstärling sehen kann.
Fink oder Farrow ergänzt etwas, was Hargraves gerade gesagt hat.
Coach Whiting bemerkt, dass wir etwas rumgeben, aber tut so, als ob nicht. Manche schauen es sich länger an als andere. Es macht die Runde und kommt in meine Richtung.
Es fällt schwer, nicht an die Banane hinter mir im Spind zu denken! Ich brauche was im Mund. Ich verspreche mir die Banane für später. Ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen, ich habe mir und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.