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Presley
Mein kurzes blausilbernes Paillettenkleid funkelte mit dem Glitzer-Make-up und dem Schmuck in meinem rosa Haar um die Wette, doch innerlich waren jeglicher Funke und das einstige Feuer schon lange erloschen. Noch vor einem Jahr hatte mich ein Auftritt wie der heutige vor einem Publikum von über 60 000 Menschen im Stadion und etlichen Hunderttausenden vor den Fernsehbildschirmen beflügelt. Mein Herz hatte schneller geschlagen. Meine Knie hatten gezittert, und das Adrenalin hatte meinen Körper in Beschlag genommen. Doch hier und jetzt fühlte ich nichts. Nichts außer einer endlosen Leere, von der ich glaubte, sie nie wieder mit etwas füllen zu können, selbst wenn ich es mir mehr wünschte als alles andere in meinem Leben.
Ich vermisste es.
Ich vermisste mich.
»Immer schön lächeln«, riss mich meine Assistentin Raquel aus meinen Gedanken und stieß mir leicht ihren Ellenbogen in die Seite. Ihre karamellfarbenen Wellen umrahmten lose ihre feinen Gesichtszüge.
»Noch sind wir nicht auf der Bühne«, murmelte ich, während wir durch die Katakomben des SoFi Stadium marschierten. Meine silbernen High Heels drückten, das Kleid saß zu eng und quetschte mir die Brüste bis unters Kinn. Am liebsten hätte ich es mir vom Körper gerissen, mich in meine Jogginghose und ein Shirt geschwungen und wäre in meinem Bett abgetaucht, wie ich es die letzten Monate getan hatte. Doch dieser Auftritt, das war mir bewusst, war viel zu wichtig, um ihn abzublasen. Ich musste mich jetzt zusammenreißen.
Meine Absätze klackerten über den glatten Boden des langen Flurs, als ich an Mitarbeitenden des Stadions vorbeilief, die sich hinter den Kulissen um alles kümmerten. Gehetzt steuerte eine junge Frau mit Headset durch den Gang und eine der Türen, die seitlich abgingen, während wir weiter den Spielertunnel ansteuerten, durch den eben schon die Jungs des Footballteams der Los Angeles Thunderstorms aufs Feld gesprintet waren.
»Achtung, Kameras.« Raquel warf mir einen mahnenden Blick zu, woraufhin ich mein breitestes Lächeln aufsetzte. »Sehr gut, Presley. Zeig ihnen, dass du zurück bist.« Ihre rehbraunen Augen strahlten.
Das hier sollte mein erster Auftritt nach langer Zeit sein. Ein Jahr lang hatte man mich musikalisch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich hatte nur hinter den Mauern meines Eispalasts, in meiner Villa in den Hills, gesungen, nachdem jeden Tag neue Negativschlagzeilen über mich verbreitet worden waren, die teilweise stimmten, teilweise aber auch erstunken und erlogen waren, nur um meinen Namen aufs Neue in den Dreck zu ziehen.
Presley Wren kokst mit Frontmann der Cosmic Outlaws und landet nach Überdosis im Krankenhaus! - falsch. James hatte die Überdosis, nicht ich.
Pop-Prinzessin am Boden: Presley Wren wurde von den Vibrant Vortex Studios fallen gelassen - okay, das stimmte. Irgendwie.
Presley Wren eskaliert im Nachtclub und wird in Handschellen abgeführt - jap, das auch.
Sex-Tape geleakt: Presley Wren lässt Hüllen fallen - das war glatt gelogen. Obwohl es mich nicht gewundert hätte, wenn einer der Kerle tatsächlich etwas von uns aufgezeichnet hätte.
Diva Wren verprügelt Fotografen mit Mikrofonständer - und das stimmte definitiv nicht. Verfickte Presse.
Was jedoch niemand wusste, war, wie es in mir drin aussah. Dass nicht nur meine Karriere, sondern auch mein Innerstes in etliche Scherben zersprungen war. Es war nicht von heute auf morgen geschehen, sondern über Jahre hinweg. Immer wieder hatte diese Branche mit ihren Erwartungen und Bemerkungen, ihren Vorwürfen und unangebrachten Handlungen auf meine Fassade der Perfektion eingehämmert, bis sie kleine Risse bekommen und letztendlich vollkommen in sich zusammengefallen war. Ich hatte mir nicht mehr zu helfen gewusst, hatte ein Ventil gebraucht und mich nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Eigentlich verwunderlich, dass ich überhaupt so lange durchgehalten hatte. Aber irgendwann hatte ich es nicht mehr geschafft, den Schmerz, die Verbitterung und die Frustration wie in den Anfangsjahren meiner Karriere zu unterdrücken. Und genau das war mir zum Verhängnis geworden.
Doch heute würde sich all das ändern. Bei dem Gedanken spürte ich, wie mir vor Nervosität ganz flau im Magen wurde. Ich hatte nur diese eine Chance, meine Karriere zu retten. Es musste einfach klappen.
Seit ein paar Wochen war ich bei einem neuen Plattenlabel unter Vertrag, nachdem mein letztes mich abgesägt und durch eine neue Sängerin, Suki Loveless, ersetzt hatte. Welch eine Ironie, dass Suki diese Arschlöcher durchschaut und ebenfalls das Label gewechselt hatte.
Tja, und da war ich nun. Bei einem Spiel der LA Thunderstorms in Inglewood, Kalifornien, kurz vor meinem längst überfälligen Comeback. Ich würde vor dem Kickoff die Nationalhymne singen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich hielt die Anspannung fast nicht mehr aus. Trotzdem achtete ich darauf, dass meine Mundwinkel weiterhin zu einem breiten Lächeln verzogen waren. Ich wollte allen zeigen, dass ich nicht unterzukriegen war. Dass ich immer noch Presley Wren war, eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Staaten, bereit, mich wieder zurück an die Spitze der Musikindustrie zu kämpfen. Dieser Auftritt würde der erste Schritt meines Comebacks sein. Ich wollte mein Image aufpolieren, indem ich beim Singen der Hymne im Stadion mein Bestes gab und damit hoffentlich alle begeisterte. Mein neues Label hatte mir diesen Auftritt besorgt, da es eine Ehre war, hier singen zu dürfen, und ich wusste selbst, dass das meinem Ruf den gewünschten und dringend notwendigen Aufschwung geben würde. Wenn ich es nur nicht verbockte.
»Okay, ab hier bist du auf dich gestellt«, raunte mir Raquel zu und ließ mich in den Spielertunnel weitergehen.
»Alles klar, danke.« Ich zwinkerte ihr noch einmal zu und wandte mich dann vorn zu der Kamera, die mich gleich auf Schritt und Tritt aufs Feld verfolgen würde. Scheinwerfer und Licht von allen Seiten des Tunnels, während sich in mir Dunkelheit ausbreitete. Wo war meine Leidenschaft hin? Ich liebte es doch, zu singen und zu performen, die Menschen mitzureißen. Mein Herz hätte mir bis in den Hals schlagen, das Adrenalin durch meine Adern peitschen müssen, doch in meinem Inneren tat sich nichts.
Ich fühlte mich wie betäubt. Verloren.
Und das machte mich trauriger als jede zersplitterte Karriere.
Was war geschehen? Was zur Hölle war mit mir geschehen?
Ich war ausgebrannt. Völlig leer. Ich steckte in einem kreativen Loch, bekam nichts mehr zustande, auf das ich stolz war. Und zugleich hörte ich tagtäglich diese leise Stimme, die mir beharrlich zuflüsterte, dass ich endlich wieder einen Hit schreiben musste, weil sonst die nächste Newcomerin karrieretechnisch an mir vorbeiziehen würde. Dass ich mehr geben musste. Immer mehr und mehr. Dass der nächste Song mein bester zu sein hatte. Dass ich mich mit einem innovativen Album neu erfinden musste. So wie bisher schon alle anderen verdammten Male. So wie es von den Sängerinnen in der Branche erwartet wurde, um nur ansatzweise akzeptiert zu werden und mithalten zu können.
Von Weitem hörte ich das Jubeln und Pfeifen der Zuschauer und wildes Gestampfe in den Zuschauerrängen. Die Betonwände des Tunnels schienen regelrecht zu erzittern. Meine Mundwinkel hoben sich immer weiter, und ich strahlte mit den Scheinwerfern um die Wette, während ich von einem Bein aufs andere trat und tief durchatmete. Ein wenig Show gehörte immerhin dazu, wenn die Kamera auf mich gerichtet war.
»Herzlich willkommen, Presley Wren, Ladies und Gentlemen!«, schallte die Stimme des Kommentators zu mir herüber, und ich setzte mich im Tunnel in Bewegung. Showtime. Mit einem Grinsen zwinkerte ich in die Kamera, die von einem Kerl vor mir hergeführt wurde und mir den Weg ins Stadion wies.
Du musst alles geben. Mehr als das. Du musst ihnen zeigen, dass du immer noch die Alte bist. Dass du es wert bist, gehört zu werden. Dass du relevant bist.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen und näherte mich dem Spielfeld. Schon sah ich all die Menschen im Publikum, wie sie dort das Blau und Silber der Thunderstorms oder die Farben des gegnerischen Teams, der Miami Vipers, trugen und wie wild klatschten. Sie jubelten zum Teil für mich, was meinen Kampfgeist nur noch mehr befeuert hätte, hätte ich ihn heute gespürt. Doch immer noch kam es mir so vor, als ob ich neben mir stünde und einer leeren Version von mir selbst zusähe. Ich verdrängte den Gedanken und konzentrierte mich darauf, nett zu lächeln, zu winken und meinen Job zu machen. Ich versuchte, jegliche Zweifel hinunterzuschlucken. Mit großen Schritten näherte ich mich dem Mikrofonständer, der sich in der Mitte des Feldes befand. Dahinter wartete die Band, die mich begleiten würde. Auf den riesigen Bildschirmen war mein Gesicht zu sehen. Das Lächeln reichte nicht im Ansatz bis zu meinen Augen, doch vermutlich fiel es niemandem auf. An den Seiten des Spielfelds konnte ich die beiden Teams ausmachen, die ihre Helme abgenommen hatten und darauf warteten, nach meinem Auftritt dem gegnerischen Team den Arsch aufzureißen.
Als ich vor den sechs Männern in dunkelblauen Uniformen und mit den Flaggen, die sie als Mitglieder des Militärs oder als Veteranen zu erkennen gaben, am Mikrofon zum Stehen kam, legte sich Stille über das Stadion. Kein Mucks war mehr zu hören, als ich tief durchatmete und wie ferngesteuert meine Lippen öffnete, um die Hymne anzustimmen. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Ich sang die erste Zeile und hörte meine...
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