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Das Flüchtlingskind
Schloss Messkirch (1478-1487)
Bedroht
Katharina von Zimmern war neun Jahre alt, als sie 1487 zusammen mit ihren sieben Geschwistern und ihrer Mutter Margarete von Oettingen vom benachbarten Grafen Hugo von Werdenberg gewaltsam aus dem Schloss Messkirch vertrieben wurde. Der Vater, beim Kaiser in Ungnade gefallen, war bereits geflohen. Die Mutter - mit ihren acht Kindern, mit Hensle, dem unehelichen Sohn ihres Manns und dem leicht behinderten Verwandten Junghans noch im Schloss - widersetzte sich der Ausweisung mit allen Mitteln.
Abb. 1: Stadtansicht von Messkirch, 1575; links neben der Kirche steht das Schloss
Aber ihr Bitten und Flehen, sie mit ihren Kindern im Schloss bleiben zu lassen, half nichts. Graf Hugo gewährte ihr noch eine Frist bis zum Abend. Sie aber sperrte sich mit ihren Kindern ein und verriegelte alle Zugänge zu ihren Gemächern. Da brachen der Graf und seine Leute die Türen auf, drangen mit Gewalt ein, öffneten die Fenster und warfen den ganzen Hausrat in den Schlossgarten - Betten, Tücher, Truhen, alles, was sie in die Hände bekamen. Der mutigen und gleichzeitig verzweifelten Mutter warf er zynisch an den Kopf, was sie denn jetzt hier noch wolle, ob sie vielleicht auf dem Boden schlafen wolle. Wenn sie nicht weiche, werde er sie auf einem Sessel aus dem Schloss tragen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Es wird eine traurige Schar gewesen sein, die nun die verwüsteten Räume verliess. Junghans jedoch hatte sich mit einem Beil in einem Winkel versteckt und wollte den Grafen erschlagen. Er schrie: «Du Bösewicht, willst mir meine liebe Mutter mit Gewalt entführen, du musst sterben!» Mit ihrem beherzten Eingreifen verhinderte Margarete von Oettingen die Bluttat im letzten Augenblick.2
Was war geschehen? Graf Hugo von Werdenberg, Herrscher über das benachbarte Sigmaringen mit seinem imposanten Schloss hoch über der Donau, hatte schon lange ein Auge auf Messkirch geworfen, das sich im Besitz der hochadeligen Freiherren von Zimmern befand. Der Urgrossvater Katharinas hatte das herrschaftliche Schloss und die dazugehörige Schlosskirche um 1400 bauen lassen. Ursprüngliche Heimat der von Zimmern war die Burg Herrenzimmern nördlich von Rottweil. Der Familie wurde nun ein Streit auf höchster politischer Ebene zum Verhängnis. Katharinas Vater, Johann Werner von Zimmern, hatte als einer der mächtigen Räte von Herzog Sigmund von Tirol eine hohe Stellung am Innsbrucker Hof inne. Dem Kreis der «bösen Räte», wie sie nach ihrem Sturz genannt wurden, warf man vor, «landesverräterische Beziehungen zu den beiden Herzögen Albrecht und Georg von Bayern» zu pflegen. Sie hätten zugegeben, dass es besser sei, sämtliche Länder Sigmunds an die Bayern zu übergeben,3 die dann für Kaiser Friedrich verloren gewesen wären. Die Räte hätten Pläne gehabt, den Kaiser zu vergiften. Welche Rolle Katharinas Vater in dem Intrigenspiel zwischen Sigmund und dem Hof Kaiser Friedrichs III. spielte, lässt sich nicht mehr bis ins Letzte ergründen. Ein Auslöser des Konflikts sei die von Herzog Sigmund vermittelte Heiratsabrede der Kaisertochter Kunigunde mit Herzog Albrecht IV. von Bayern gewesen. Friedrich III. habe dieser Heiratsabmachung zunächst zugestimmt, um sie dann aufgrund gewisser Bedenken zu widerrufen. Unterdessen habe der Bote die kaiserliche Zustimmung jedoch bereits überbracht. Der unglückliche Bote sei kein anderer gewesen als Johann Werner von Zimmern, Katharinas Vater. Er sei zum Sündenbock gemacht und wegen Majestätsbeleidigung zusammen mit einer Reihe weiterer Räte Herzog Sigmunds vom Kaiser mit der Reichsacht belegt worden.4 Die Familienchronik, die Katharinas Neffe Froben Christoph von Zimmern 1558-1566 schrieb, hat für diese Intrige den Grafen Hugo von Werdenberg verantwortlich gemacht, der nun 1487/88 in die Herrschaft Messkirch eingesetzt wurde und diese in Besitz nahm.5 Die Messkircher Untertanen mussten ihm den Huldigungseid schwören, was sie jedoch nur unter Androhung von Gewalt vollzogen.
Die Familie verlor damit auf einen Schlag alles: Güter, Herrschaft und Ehre. Der Schicksalsschlag wird bei Katharina von Zimmern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Geboren 1478, war sie als knapp 10-Jährige durchaus in der Lage, zu realisieren, welche verheerenden Auswirkungen politische Intrigen und Machtansprüche haben und dass die verleumderischen Hintergründe lange Zeit im Dunkeln bleiben können, ohne aufgeklärt zu werden. Erst 1504, acht Jahre nach dem Tod Johann Werners von Zimmern, stimmte der Nachfolger Friedrichs III., Kaiser Maximilian, der Wiedereinsetzung der Zimmern in ihre Herrschaft zu und rehabilitierte sie. «Doch der von 1487 und die Exilierung wirkte bei der Familie wie ein kollektives Trauma nach.»6
Die Mutter
Katharina von Zimmern wird in eigenen schwierigen Situationen in ihrem späteren Leben das Bild ihrer Mutter vor Augen gehabt haben, die nach der Flucht ihres Ehemanns die Geschicke der Familie allein in die Hand nehmen musste und sich dem Grafen von Werdenberg mutig widersetzte. Margarete von Oettingen war eine aussergewöhnliche Frau. Ihr Enkel Froben beschreibt sie ausführlich in seiner Chronik. 1458 geboren, wurde sie mit neun Jahren Vollwaise. Ihre acht Jahre ältere Schwester Anna, die bereits 14-jährig mit dem Truchsessen Johannes von Waldburg verheiratet worden war und ein Jahr später ihr erstes Kind gebar, und dann Jahr für Jahr ein weiteres, nahm Margarete zu sich nach Ravensburg auf die Veitsburg. Annas fünftes Kind, das sie mit 20 Jahren zur Welt brachte und das Margarete wohl mit betreute, sollte später Äbtissin zu Königsfelden und enge Vertraute von Margaretes eigener Tochter werden. Das Mädchen hiess ebenfalls Katharina. Der Truchsess von Waldburg, Landvogt in Schwaben, stand in der Gunst des Kaisers. Mit ihm in verwandtschaftliche Beziehung zu treten, konnte nur von Vorteil sein. So ist es verständlich, dass «Freiherr Werner von Zimmern, als er für seinen Sohn Johann Werner auf Brautschau ging, in Margarete eine willkommene Schwiegertochter sah. Er ging sogar auf die Heiratsbedingungen des Truchsessen und seiner Frau ein, die Hochzeit nicht in Messkirch, sondern in Ravensburg stattfinden zu lassen.»7 Margarete war bei der Heirat um 1474 etwas älter als damals ihre Schwester: Mit sechzehn Jahren galten Mädchen als heiratsfähig. Auch Margarete gebar jedes Jahr ein Kind. In den ersten elf Jahren ihrer Ehe überstand sie zehn Schwangerschaften und Geburten. Ihre ersten vier Kinder waren Mädchen, von denen die mittleren zwei das Kindesalter nicht überlebten. Anna, die Erstgeborene (1475), und Katharina (1478), das vierte Mädchen, würden unzertrennlich bleiben. Die beiden, von denen mindestens die drei Jahre ältere Anna den Tod der beiden Schwesterchen miterlebt hatte, blieben bis zum Tod Annas um 1522 zusammen. In den folgenden Jahren kamen noch vier Söhne und zwei weitere Töchter zur Welt.
Abb. 2: Messkirch heute
Margarete von Oettingen trug neben der wachsenden Kinderschar die Verantwortung für den feudalen Haushalt im Schloss Messkirch, da sich ihr Mann als Hofrat des Öftern in Innsbruck aufhielt. «Er gehörte vor seiner Ächtung zu den einflussreichsten Adligen im Umfeld des Erzherzogs.»8 Zudem unternahm er 1483 mit einer Gruppe befreundeter Adliger eine Pilgerreise nach Jerusalem und war den ganzen Sommer über abwesend. Im selben Jahr brach eine Pestepidemie aus, Margarete floh mit den Kindern, der Kleinste ein Säugling, auf die Burg Wildenstein, immerhin unterstützt von ihrem Schwiegervater. Auch diese Bedrohung und der Aufenthalt auf der imposanten Burg, die ebenfalls im Familienbesitz war, wird bei den Mädchen einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Was es für die Mutter bedeutete, kann man sich wohl kaum mehr vorstellen. Kurz nach ihrer Rückkehr nach Messkirch verstarb der Schwiegervater, ihr Mann befand sich noch im Heiligen Land.
Trotzdem müssen die Jahre auf Schloss Messkirch zu Margarete von Oettingens glücklichsten gezählt haben.
Der Vater
Ihr Ehemann, Katharinas Vater, war aussergewöhnlich begabt. Der Chronist erzählt «wie Herr Johanns Wörner Freiherr von Zimbern auferzogen» wurde. Sein Vater habe allen Fleiss aufgewendet, ihm eine gute Erziehung zu geben. Er wurde auf die «hochen schuolen» Freiburg im Breisgau und Wien geschickt, darauf folgten zwei Jahre in Bologna, «daselbst er die welsch sprach zimlichen ergiffen, in astronomia, geometria und andern künsten, die man ciclicas oder mathematicas nempt, hat er fürbindig [ausgezeichnet] gestudiert», sodass ihm darin keiner seiner Standesgenossen in Deutschland gleichgekommen sei. «In beiden Rechten sei er , von denen er auch etliche zu seiner Kurzweil ins Deutsche übersetzt habe. Er konnte vortrefflich reden und schreiben, seine Rechtsschriften selber verfassen. Zu all dem war er ein solcher , dass er auf allen Instrumenten ausgezeichnet spielen konnte.» Er verfasste Gedichte und pflegte seinen Verwandten gereimte Briefe zu schreiben. Er sammelte Bücher und habe, da der Buchdruck noch nicht erfunden war, einen Schreiber engagiert, der ganze Bücher abschrieb. Seiner Jagdlust liess er freien Lauf. Er beschäftigte...
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