Schweitzer Fachinformationen
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Wir flanierten weiter durch Courseulles.
»Schau mal«, sagte ich. Deutete auf ein Schild.
In der Einfahrt stand ein Leichenwagen.
Auf dem Schild stand: »Funérailles Paix. Hier wird auch Deutsch gesprochen.«
Ich sagte: »Die haben wohl eine Marktlücke entdeckt.«
Stanzi zog mich an der Hand weiter, sagte: »Ach, lass das. Das ist so deprimierend. Bestattung. Leichenwagen.«
»Leichenwagen bringen Glück!«
»Quatsch! Leichenwagen bringen Tote.«
»Doch, das stimmt. Glück bringt er, der Leichenwagen . Aber nur, wenn er von links kommt!«
»Bist jetzt durchgeknallt?«
»Wahrscheinlich. Aber es stimmt. Weiß ich schon immer. Schon als Bub .«
»Ach, lass mich in Ruh mit deinen Spinnereien!«
Ich sagte: »Ich will bloß schnell was rausfinden! Geh halt eine halbe Stunde Shopping. Kannst mir eine Süddeutsche mitbringen .«
Sie ließ sich widerwillig zum Shopping überreden.
Ich öffnete die Tür vom Bestattungsinstitut Paix.
An der Rezeption saß eine Dame. Sah aus wie Mireille Mathieu nach der Menopause. Pechschwarzes Haar. Knallrote Lippen. Vertrauensvoller Blick.
»Bonjour, monsieur!«
Sie meinte mich.
Ich sagte: »Da draußen auf Ihrem Schild steht, dass man hier auch Deutsch spricht.«
»Oui, monsieur . un moment!«
Sie lächelte mich an. Beruhigend.
Rief ins Innere des Etablissements: »Orst!«
Sagte zu mir: »Tout de suite! Asseyez-vous!«
Deutete auf einen schwarzen Sessel.
Ich sagte: »Merci beaucoup.«
Dazu reichte mein Französisch gerade noch.
Auf dem Sessel hockte eine Katze. Klein. Weiß. Mit einem pechschwarzen Tupfen zwischen den Augen. Vielleicht benutzte sie das gleiche Schampon wie Madame Mireille.
Ich sagte: ». petit chat . magnifique .« Weiter kam ich nicht, weil ich nicht wusste, was »Tupfen« auf Französisch heißt.
Madame Mireille errötete verschämt, sagte: »Oh pardon, monsieur.«
Zur Katze: »Viens ici, ma chérie!«
Das Kätzchen machte einen Satz und landete auf dem Schoß von Madame.
Ich dachte: Da wär ich jetzt auch lieber als in einem harten Plastiksessel.
»Ich sagte: »Magnifique . quelle chatte amoureuse!«
Sollte heißen: Was für ein liebes Kätzchen.
Madame kicherte, das Rouge auf ihren Wangen erglühte.
Ein Schrei erlöste uns aus der unglücklichen deutsch-französischen Situation. Er kam aus dem Nebenraum. »Ja?«
Die Ja-Stimme gehörte Orst. Er sagte: »Horst Mengele« und streckte mir seine Hand entgegen: »Was kann ich für Sie tun?«
Ich sagte: »Bär. Emil Bär. Es handelt sich um . äh . was Vertrauliches«, streifte mit einem Blick Madame Mireille mit der Pussy auf ihrem Schoß. Sie tippte auf die Tasten ihres Gerätes ein, schaute ganz tief in den Bildschirm ihres PCs.
Orst kapierte sofort, sagte: »Kommen Sie doch mit in mein Büro.«
Sein Büro war eingerichtet wie eine Gruft, nüchtern, am Fenster stand eine Urne.
Ich dachte, ob sie wohl voll ist oder leer.
Er bot mir einen Stuhl an.
Lächelte erwartungsvoll.
Wie ein Psychoanalytiker.
Ich sagte: »Ich bin nämlich in Sorge. Wegen meinem Vater, mit dem mach ich gerade Urlaub hier . Es war sein letzter Wunsch, er ist schon neunundachtzig, multimorbid, wenn Sie verstehen, was ich meine .«
Orst nickte wissend.
»Er war nämlich als junger Mann hier, im Krieg, 1944, Invasion, Sie wissen schon .«
Orst nickte wieder. Wissend.
»Und in den letzten Tagen sind doch etliche von den alten Leuten umgekommen .«
»Ja, ich weiß. Deshalb haben wir hier auch einen speziellen Service eingerichtet. Im Falle, dass -«
»Und ich hab mir gedacht, wenn meinem Vater was zustößt, was passiert dann?«
Orst lächelte aufgeräumt: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wir organisieren die Rückführungen von Anfang bis Ende.«
»Rückführungen?«
»Ja, die . Verstorbenen und ihre Angehörigen . möchten doch, dass ihre Lieben in der Heimaterde zur letzten Ruhe gelegt werden, und deshalb haben wir diesen Rückführungsservice eingerichtet. Wir erledigen auch alle Formalitäten mit den französischen Behörden hier, mit den Ärzten, Gesundheitsamt, Polizei, Konsulat, Zoll, Spezialsarg aus Zink, undurchlässig verlötet, der auch in Deutschland genehmigt ist . Einfach das ganze Paket.«
»Und was kostet so eine Rückführung und das ganze Paket?«
»Es kommt auf die Umstände an. Und die Entfernung.«
»Sagen wir mal von hier nach Kempten. Allgäu.«
Orst tippte Zahlen in einen Taschenrechner, checkte auf Google Maps die Entfernung zwischen Courseulles und Kempten, sagte: »So ganz genau kann ich es nicht sagen. Hängt auch von den Wochentagen ab.«
»Wieso?«
»Wenn die Rückführung übers Wochenende stattfindet, greifen die Wochenendtarife. Für die Fahrer. Wir brauchen zwei Fahrer . EU-Bestimmungen, wie bei den Fernfahrern . und Klimaanlage und so . jetzt im Sommer .«
»Klar . Mich interessiert nur die Größenordnung, auf ein paar hundert Euro hin oder her kommt es mir nicht an.«
Orst zögerte, sagte: »Also ganz grob gerechnet . zwischen zehntausend und zwanzigtausend Euro. Eher zwanzigtausend plus. Standard. Zehntausend ist mehr für Sozialfälle .« Er schaute angewidert. Ergänzte: »Unwürdig. Pietätlos.«
Ich hielt mich an meinem Stuhl fest.
»Was heißt Standard?«
»Die billigste Ausführung.«
»Das ist ja mehr, als der ganze Urlaub hier kostet!«
Orst nickte verständnisvoll, sagte: »Es war schon immer teurer, zu sterben, als Urlaub zu machen.«
Ich, ganz Schwabe: »Gibt's denn da keinen Rabatt oder so was?«
»Es käme günstiger, wenn wir zwei . äh . Särge zugleich transportieren würden . sozusagen Mengenrabatt. Aber dann müssten die . äh . Herrschaften relativ zeitnah miteinander das Zeitliche segnen und auch ortsnah wohnen. Zum Beispiel im Allgäu. Wenn einer ins Allgäu und einer nach Kiel rückgeführt wird, ist das schon wieder kostspieliger.«
Ich hatte eine Eingebung: »Und der ADAC? Ich bin Mitglied. Gold Plus. Der ADAC sammelt auch die kaputten Autos auf und bringt sie mit einer Sammelladung zurück, hab ich selber schon erlebt .«
»Dazu würde ich nicht raten. Der ADAC übernimmt zwar die Überführung an den Heimatort im Todesfall. Aber unsere . äh . Kunden hier sind in dem Alter, wo sie nicht mehr selber Auto fahren und deshalb auch nicht mehr beim ADAC sind. Wir hatten noch keinen Fall . Außerdem sind unsere Kunden eher wohlhabend. Und wir legen keinen Wert auf den ADAC, weil wir damit an Minimalstandards gebunden wären, und unseren Kunden, denen ist für ihre dahingegangenen Lieben nur das Beste gut genug. Man kann das daran sehen, dass bei einer Bestattung am Sterbeort, also in dem Fall hier in Courseulles, bis zu zehntausend Euro erstattet werden. Das ist so die Größenordnung wie für eine billige Rückführung . Wie gesagt: unwürdig, pietätlos.«
Er meinte wohl so was wie Knebelverträge.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn.
Dachte noch rechtzeitig, dass mein Vater schon seit dreißig Jahren unterm Boden ist.
Fragte: »Haben Sie eine Ahnung, warum gerade so viele alte deutsche Urlauber sterben?«
»Es machen ungewöhnlich viele hier Urlaub in diesem Jahr . und in dem Alter . Vielleicht das Klima . oder der Klimawandel . keine Ahnung .«
Ich stand auf, sagte: »Daran hab ich noch gar nicht gedacht, dass der Klimawandel so gefährlich sein kann. Aber auf jeden Fall vielen Dank, Herr Mengele. Jetzt weiß ich wenigstens, was auf mich zukommt, wenn's so weit ist .«
Orst sagte: »Keine Sorge, es wird schon alles gut gehen. Hier ist meine Karte. Mit Mobilnummer. Rund um die Uhr. Alles in Deutsch. Ich begleite Sie noch hinaus.«
Ich winkte im Vorbeigehen der Mireille Mathieu und ihrem Kätzchen zu, sagte im besten Französisch, das ich hatte: »Au revoir, madame!«
Sie winkte zurück, zwinkerte mit ihren geschminkten Glutaugen: »Au revoir, monsieur. A bientôt.«
»Nein danke, das nicht«, sagte ich erschrocken.
Auf Deutsch.
Orst geleitete mich hinaus. In die gleißende Sonne. Zeigte auf den Leichenwagen, sagte stolz: »Unser neuestes Modell. Top-Ausführung. Klimaanlage, dreihundertfünfzig PS, spart zwanzig Prozent der Fahrzeit . ein Traum!«
Ich sagte: »Und tiefergelegt ist er auch!«
Orst sagte: »Tiefergelegt?«
»Ja, schauen S' . Der liegt doch ziemlich tief auf der Straße.«
Orst schaute. Wurde leichenblass, hauchte: »Mon Dieu, mon Dieu.«
Ich fragte: »Was kaputt?«
Er deutete mit seiner rechten Hand auf den Leichenwagen, unten auf die Reifen.
Sie waren platt.
Zerstochen.
»Merde! Diese Schweine, schon wieder . Oh, Entschuldigung!«
Er rang um Fassung.
Ich fragte: »Kommt das öfter vor?«
Er sagte: »Leider ja.«
»Warum?«
Er schaute sich um, flüsterte: »Es gibt hier politische Kräfte, ich möchte keine Namen nennen, Extremisten, die sehen es nicht so gerne, wenn wir uns so sehr um...
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