Schweitzer Fachinformationen
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»Izt, bruder, trink ich, / un wen es rojscht in kop, / fajf ich ojf der ganzer welt / un tanz mir hop-hop-hop!« Diese Trinkverse sind Thomas Meyers im Jahr 2012 veröffentlichtem Debütroman Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse vorangestellt, der die Kritiker entzückte und die derzeitige Begeisterung fürs Jiddische weiter anfachte. Diese speist sich zum Teil aus der kitschig-kommerziellen Klezmerszene mit nostalgischer »shtetl«-Folklore. Man liebt die vielen Diminutivformen voll emotionaler Nähe oder ironischer Distanz: féjgele ist ein »Vögelchen«, hindel ist ein »Hündchen«, féderl ein kurzer »Schreibstift«, »mesúsele« ein »Türpfosten«, kezl ein kleines, kézele ein besonders possierliches »Kätzchen« oder eine geliebte Person.
Neben dieser oberflächlichen, teils überschwänglichen Hinneigung gab es früher und gibt es zum Glück seit etlichen Jahren in den USA und auch wieder in Europa ernsthafte wissenschaftliche Bemühungen um die jiddische Sprache, u. a. an den Hochschulen in Basel, Klagenfurt, Trier, Potsdam, Heidelberg und Düsseldorf.
Ergänzend sei auf die Bilanz verwiesen, die die derzeit an der Universität Innsbruck lehrende Linguistin Andrea Fiedermutz (2002) mit Blick auf Israel vorgelegt hat: »An allen fünf Universitäten Israels werden Jiddischkurse angeboten, an der Hebräischen Universität in Jerusalem gibt es seit 1951 ein eigenes Jiddisch-Institut, zusätzlich laufen zahlreiche Forschungsprojekte in jiddischer Literatur und Linguistik. Jiddische Clubs in verschiedenen Städten des Landes, das Jiddische Theater in Tel Aviv und der jiddische Schriftsteller- und Journalistenverband, dem 200 Mitglieder angehören, sind äußerst aktiv.«[1]
Pierre Heumann sprach schon 2007 in einem Spiegel-Bericht aus Tel Aviv davon, dass die alte Wechselbeziehung zwischen dem Deutschen und dem Jiddischen eine Renaissance erlebe: »Umso erstaunlicher, dass das Durchschnittsalter der Eleven im Tel Aviver Sommerkurs bei rund 30 Jahren liegt. Sie widersprechen dem alten Witz über das Aussterben des Jiddischen: Als ein jüdischer Zeitungsverleger vom Fenster seiner Redaktionsstube aus beobachtet, wie die Gemeinde einem verstorbenen Juden die letzte Ehre erweist, sagt er seinem >Haver« (Freund): >Oj, morgn drukn mir eins zeitung weiniker.<«[2]
Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums Hohenems, formulierte es in der Zeitschrift Sonntag so: »Zu den erfreulichsten Entwicklungen gehört (.), dass in den letzten Jahren das akademische Interesse einer jungen Wissenschaftlergeneration an Jüdischen Studien mit einer breiteren kulturwissenschaftlichen Perspektive zugenommen hat. Dazu gehört auch das Jiddische. Vielerorts werden die entsprechenden Fakultäten langsam ausgebaut. Die Erforschung der jiddischen Sprache, Kultur, Literatur ist zu einem eigenständigen Zweig in den Jüdischen Studien geworden.«[3]
Noch vor rund drei Jahrzehnten meinte Salcia Landmann, »sowohl der jüdische Witz wie die jüdische Sprache, sind in der Hitlerzeit zusammen mit den geschlossenen jüdischen Gemeinden Europas untergegangen«.[4] Folglich grenzt es an ein Wunder, dass inzwischen zuversichtliche Töne zu vernehmen sind. Ursula Homann wurde nicht müde, in ihren Beiträgen festzuhalten: »Das Jiddische hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen.«[5] Und auch andere betonen, es sei endlich Zeit damit aufzuhören, für das Jiddische die Totenglocke zu läuten, wie Stephanie Butnick mit ihrem Artikel »Stop Kvetching: Yiddish isn't dying«[6] oder Chaijm Guski in seinem Aufsatz »Jiddisch ist cool«: »Langsam kehrt die Mameloschn wieder zurück in den Alltag gerade junger Juden - ausgerechnet über die coolen amerikanischen Glaubensgenossen.«[7]
Dies belegt etwa ein Blick auf die von jiddischer Sprache belebte Kulturszene: Man denke an das Musical »Fiddler on the Roof« oder an die von Jerry Seinfeld und Larry David geschaffene US-amerikanische Sitcom »Seinfeld«. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang Hilary Saunders' kurze Retrospektive »6 Artists You Didn't Know Used Yiddish, From Elvis to Public Enemy« in der Zeitschrift Forward, in der sie die zahlreichen Jiddisch-Anleihen z. B. in der modernen Popmusik hervorhob.[8] Schon die Komposition All or Nothing At All von Arthur Altman und Jack Lawrence aus dem Jahr 1939, die später durch Interpreten wie Frank Sinatra, Chet Baker, John Coltrane, Diana Krall und Sarah Vaughan Berühmtheit erlangte, wies auf das jiddische Sprichwort Oder gor oder gorniht (»Alles oder nichts«); Elvis Presleys Song The Walls Have Ears im Film Girls, Girls, Girls spielte auf die jiddische Wendung Vent hobn oyern (»Die Wände haben Ohren«) an; die Hip-Hop-Gruppe Public Enemy gab ihrer 15. LP den Titel Man Plans, God Laughs und erinnerte damit an den jiddischen Spruch Der mensch tracht un got lacht (»Der Mensch denkt, und Gott lenkt«); die Band The Black Eyed Peas integrierte den hebräisch-jiddischen Glückwunsch Masel-tov (»Viel Erfolg!«), der gelegentlich lauthals bei jüdischen Hochzeiten und Bar Mitzwas gerufen wird, in ihr wildes Party-Video I gotta feeling; und Diana Krall kokettierte in ihrem 1997 erschienenen Album Love Scenes mit dem jiddischen Leitsatz Fil meloches, vainik broches (»Viel Arbeit und wenig Segen«).
Entscheidend ist jedoch bei diesen künstlerischen Anklängen die Erkenntnis, dass das Jiddische kein vermasseltes Deutsch, kein gaunersprachliches Idiom und auch kein Dialekt, sondern eine individuelle Sprache ist. Sie besitzt ein eigenes Grammatiksystem, das sich in Lautung, Wortbildung, Wortbedeutung, Satzbau und bei sprachlichen Handlungen von anderen unterscheidet, wobei die Nähe zum Deutschen spürbar ist.
Max Weinreich charakterisierte das Jiddische, das in hebräischen Lettern von rechts nach links geschrieben wird, als »Schmélzsprach«, in die Komponenten aus unterschiedlichen »Quellsprachen« eingegangen sind, die für die historischen und kulturellen Bezüge und -Lebensbereiche der Juden bedeutsam waren. Andrea Fiedermutz präzisiert: »Die Hauptkomponenten des Jiddischen sind indoeuropäischer und semitischer Herkunft: Hebräisch, Aramäisch, Deutsch und Slawisch. (.)
Interessant sind bei einer Analyse des jiddischen Wortschatzes sind vor allem folgende Punkte:
a) Zahlreiche Elemente haben ihre Bedeutung abweichend vom Wort in der Ursprungssprache geändert (jidd. machmoes, >wahrscheinlich< < mod. hebr. mashmaut, >Bedeutung<).
b) Andere Elemente sind im Jiddischen weiterhin in Gebrauch, obwohl sie in der Ausgangssprache inzwischen nicht mehr verwendet werden (jidd. shver >Schwiegervater< < mhd. sweher; jidd. eydem, >Schwiegersohn< < mhd. eidem).
c) In einem einzigen jiddischen Wort können Elemente verschiedener Komponenten auftauchen (jidd. khutspenitse, >impertinente, freche Frau< < hebr. khutspa, >Frechheit< und slaw. fem. Suffix -itse).
d) Oft existiert für einen Begriff ein Synonympaar, wobei ein Teil des Paars hebräisch-aramäischen Ursprungs ist und das zweite Synonym aus einer anderen Sprache stammt (z. B. jidd. seyfer, >religiöses Buch< < hebr. sefer; daneben auch jidd. bukh, >Buch<).
Der >deutsche< Bestandteil (Jiddisch stammt nicht einfach vom >Deutschen< ab, sondern von einer Kombination verschiedener mittelalterlicher regionaler deutscher Dialekte) macht ca. 70 % aus und wird charakterisiert durch eine Betonungsverschiebung auf die Stammsilbe (im Gegensatz zum Hebräischen), den weit verbreiteten Umlaut, die Endungen der Nomina, die Deklination, die Pluralbildung, durch Wortstellung, Wortstruktur und Wortbildung.
Die semitische ist die älteste Komponente und übermittelt vor allem aus dem Geistesbereich stammende Begriffe: all jene, die Grundlage des Judentums, seine Quellen, Festtage, Lehranstalten, Sitten und Gebräuche betreffen. Um die 20 % des Lexikons sind hebräisch-aramäischer Herkunft. Die Wörter stammen aus der Thora, hauptsächlich aber aus Mischna und Gemara, teilweise aus der Kabbala und mittelalterlichen Quellen. Die Laute im hebräisch-aramäischen Bestandteil des Jiddischen gehen zum Teil auf die überlieferten zurück, zum Teil haben sie eine Weiterentwicklung, zum Teil eine Angleichung an die anderen phonetischen Elemente der Sprache erfahren. Der Akzent liegt bei Hebraismen meist auf der vorletzten Silbe.«[9]
Dazu schreibt Josef Stern in seinem Aufsatz über »Hebräisches im Deutschen«: »Irgendwann in der Frühzeit des deutschen Judentums entwickelte sich die aschkenasische Aussprache des Hebräischen. Ansatzpunkte dazu waren sicherlich von Anfang an vorhanden, denn im Vergleich mit anderen jüdischen Exilgruppen, vor allem den Jemeniten, werden erstaunliche Gleichheiten hörbar. Das Kamaz des mit hebräischen Buchstaben Geschriebenen wird zu o, das Cholam zu au, und das unpunktierte Thav zu s. Hinzu kommt, unter dem Einfluss des Deutschen und seiner Dialekte, die Verlegung der Betonung von der...
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