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Hamburg, 28. Oktober 2010
Kommissar Werner Hartleib betrat das Büro seines Kollegen Klaus Schöller und fand ihn zwischen weißgrauen Nebelschwaden mit einer grünen Plastikgießkanne in der Hand. Schöller machte einen unentschlossenen Eindruck, als er die Gießkanne betrachtete. Gelbe und rote Blümchen von ehemaligen Pril-Flaschen aus den Siebzigern klebten noch darauf und waren bis zur Unkenntlichkeit vergilbt.
Hartleib beobachtete den Unsinn seines Kollegen.
»Komm, lass gut sein. Das bringt nichts. Der Ficus ist hin. Hast eben kein Händchen für Pflanzen so wie Martin.« Sein Kollege missbilligte diese Aussage mit einem Grunzen und murmelte verächtlich den Namen Martin Pohlmann. Ein Name, den er ganz und gar nicht mochte.
Hartleib schob den Ärmel seines Sakkos hoch und sah auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Eine neue Junghans-Funkuhr von seiner Frau zum 40. Geburtstag, zwei Wochen zuvor.
»Hör jetzt damit auf und setz dich hin. Ich muss dir was sagen.«
»Pflanzen produzieren Sauerstoff«, beteuerte Schöller, seines Zeichens Kriminaloberkommissar im Polizeipräsidium Hamburg-Mitte, und ließ seinen Blick auf dem Ficus ruhen.
»Lebendige Pflanzen? Ja, die schon.« Hartleib schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, weshalb ausgerechnet dir der Chef das Raucherzimmer als Büro gegeben hat.« Schöller grinste verschlagen.
»Du könntest ab und zu mal lüften.« Hartleib ging zum Fenster und stellte es auf gekippt. Es würde eine Weile dauern, bis die Atemluft den gesunden DIN-Normen eines deutschen Arbeitsplatzes entspräche.
Hartleib stand von seinem Kollegen abgewandt, und die Nachricht, die er mitzuteilen hatte, erfüllte ihn mit einer gewissen Schadenfreude: »Hast du schon das Neuste gehört?«
Schöller sah von dem Ficus zu Hartleib auf.
»Pohlmann kommt zurück.« Werner Hartleib sprach diese Worte mit Genuss.
Schöllers Blick glitt ins Leere. Er überlegte, ob er genau das gehört hatte, was Hartleib gesagt, vor allem, was er gemeint hatte. Hartleib nickte bestätigend und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein süffisantes Grinsen dominierte zwischen den eingefallenen Wangen des Halbmarathonläufers.
Hartleib ging erneut zum Fenster und sah hinaus. Fast beiläufig erwähnte er: »Der Chef ist froh darüber.«
Schöller stellte die Gießkanne auf der Fensterbank ab und bedachte den vertrockneten Ficus mit einem sonderbaren Blick. Ihm schien erst in diesem Augenblick aufzufallen, dass das Gestrüpp in der Ecke des Raumes kein einziges Atom Sauerstoff mehr spenden könnte. Resigniert setzte er sich mit einer Pobacke auf die Schreibtischkante.
»Was soll das heißen - er freut sich? Ist es wegen dem aktuellen Fall?«
Hartleib hob die Schultern. »Glaub schon. Bin mir sogar ziemlich sicher.«
»Er geht davon aus, dass wir das nicht auf die Reihe kriegen, was?«
Hartleib schwieg.
Schöller fuhr sich mit den gelblichen Fingerspitzen seiner rechten Hand durch das volle Haar. »Na, er muss es ja wissen.« Dann fixierte er Hartleib. Der Rauch brannte in seinen Augen und er schloss sie für einen Augenblick. »Wann kommt er?« Schöller drehte sich um und drückte die 13. Zigarette des Tages gegen 11.15 Uhr im überfüllten Aschenbecher aus.
»Nächsten Montag.«
Schöller ließ die Antwort einige Sekunden sacken. Während er noch immer die längst erloschene Kippe zerdrückte, sagte er: »Sag mir, was Pohlmann hat, was wir nicht haben.« Schöller wartete nicht ab und nahm Hartleib die Antwort vorweg. »Gutes Aussehen scheidet schon mal aus.« Schöller zählte amüsiert seine Finger ab. »Pünktlichkeit, Ordnungsliebe, sorgfältige Aktenführung fallen mir auch nicht ein, wenn ich an ihn denke.« Schöller hob sein Hinterteil von der Schreibtischkante, ging um ihn herum und wühlte in der zweiten Schublade von oben nach einer vollen Schachtel Fortuna, jener billigen Marke aus dem letzten Mallorca-Urlaub, die er sich stangenweise illegal importiert hatte. Der Urlaub lag drei Wochen zurück, und er stellte mit Entsetzen fest, dass er die letzte Packung in seiner Hand zerknüllte. Die irritierende Nervosität eines Kettenrauchers ergriff von seinen Gedanken Besitz. Er riss weitere Schubladen auf und sah dann erst mit einem verzweifelten, gleich danach mit einem flehenden Blick seinen Kollegen Hartleib an.
Hartleib öffnete sein Sakko, als wolle er demonstrieren, dass er keine Zigaretten bei sich hätte. »Sorry, Klaus. Keine Chance. Ich rauch nicht mehr.«
Schöller schnaubte verächtlich.
»Seit wann?«
»Seit gestern.« Hartleib hielt Schöller seine linke Halshälfte entgegen. »Ich war beim Arzt. Hier! Siehste das Pflaster hinterm Ohr? Nikotin zum Abgewöhnen.«
Schöller lachte und hustete gleich darauf. »Toller Trick. Nikotinentzug mit Nikotin. Na klar.«
»Wenigstens das habt ihr gemeinsam, Pohlmann und du.«
Schöller sah auf. Seiner Meinung nach hatten sie überhaupt nichts gemeinsam.
»Na, ihr beide werdet euch eines Tages auf ganz natürliche Weise umbringen, mit 'ner letzten Kippe im Hals. Er 'ne selbstgedrehte, du 'ne spanische.«
»Du hältst das nicht durch.« Bohrender Neid lag in Schöllers Stimme.
»Garantiert. Sport und Disziplin. Und deine ewige Schnorrerei war ich auch leid.« Hartleib verschränkte die Arme und betrachtete seinen schmachtenden Kollegen. Er legte den Kopf ein wenig in den Nacken und wirkte in dieser Haltung herablassend auf Schöller. Genau das war auch seine Absicht.
»Okay, zurück zu Pohlmann. Du wolltest wissen, was er hat, was du nicht hast. Ich sag's dir.« Hartleib grinste und diese Grimasse erreichte Schöller wie eine schallende Ohrfeige. »Er ist clever.« Hartleib hob die Hand und korrigierte sich. »Nein, warte . Er ist gerissen.«
»Du meinst, er war, bevor er .«
Werner protestierte entschieden. »Schätze, das kann jedem passieren. Viele Leute bekommen heutzutage einen Burn-out: Ärzte, Lehrer, Manager, Sekretärinnen, Musiker, warum nicht auch Polizisten. Und dann noch die Sache mit Sabine .«
Schöller hob die Hände, so, als wollte er sich ergeben. »Okay, aber trotzdem. Vielleicht wird er nie wieder so fit sein wie damals.«
»Das hoffst du vielleicht, aber ich kann dir versichern, dass er wieder der Alte sein wird. Er ist schlau. Bevor er abhaute, hatte er einen siebten Sinn für manche Sachen. Keine Ahnung, wie er das machte. Wenn keiner mehr weiterwusste, kam Pohlmann daher, zog irgendeinen Joker aus der Tasche und zack - Fall gelöst.«
Hartleib hustete. Schöller auch.
»Nee, wirklich«, fuhr Hartleib fort. »Du kennst ihn ja nicht so richtig. Bist ihm ja erst einen Monat vor seiner Abreise begegnet.«
Schöller ging in seinem verrauchten Büro auf und ab. Gedanken an eine neue Packung Zigaretten blieben wie eine sich festgebissene Zecke in seinem Gehirn haften. Schließlich wurde ihm wieder bewusst, dass man dabei war, an einem Bein des Sessels zu sägen, auf dem er saß.
»Hallo? Schon vergessen? Ich bin der offizielle Ersatz für Pohlmann.« Schöller hackte mit seinem rechten Daumen Falten in sein gebügeltes Hemd. Sein novemberbleiches Gesicht färbte sich rosa. »Wenn Pohlmann aus seinem bolivianischen Nest zurückkommt, bedeutet das, das ich demnächst gehen kann. Außendienst, Strafzettel schreiben - oder wie darf ich das verstehen?«
»Ecuador«, korrigierte ihn Hartleib und achtete darauf, seiner Stimme eine Prise Überheblichkeit zu verleihen. Endlich war der Moment gekommen, Klaus Schöller aus der Fassung zu bringen, und er genoss diesen Moment mehr als den faden Sex mit seiner zurzeit übellaunigen Frau.
»Puerto Lopez, um genau zu sein. Whale watching, Piña colada, dunkelgebräunte Mädels am Strand.« Hartleib ließ den Blick in den wolkenverhangenen Himmel Hamburgs schweifen. »Ich find das klasse. Warum denn nicht? Würdest du auch machen, wenn du könntest.«
Schöller sinnierte und musste ihm leider recht geben.
»Tja, wahrscheinlich würd ich das. Doch ich versteh's trotzdem nicht. Pohlmann hatte fast zwei Jahre Auszeit. Warum sollte er aus seinem Paradies freiwillig zurückkommen wollen?« Hartleib schloss sein Sakko und sah Schöller eine Weile an, ohne gleich etwas zu erwidern. Dann wusste er die Antwort. »Weil er sich schon nach einem Jahr zu Tode gelangweilt hat, deshalb. Weil er es satt hat, Touristen in seinem kleinen Hotel zu bedienen. Weil er zu schlau ist, um mit 42 bei Daiquiris zu verblöden. Außerdem hat - und das behältst du bitte für dich, verstanden? - seine Freundin was mit einem anderen gehabt. Martin hat die beiden sogar erwischt.«
Bereits in diesem Augenblick bereute Werner Hartleib die Worte, die ihm unbedacht entwichen waren. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Also versuchte er, das Beste aus der Situation zu machen und fügte erklärend hinzu: »Motor vom Boot kaputt, Tour musste ausfallen, ist früher nach Hause gekommen - ganz klassisch.« Hartleib nickte in Gedanken. »Ich schätze, er lässt alles liegen und stehen und ist froh, mal wieder ordentliches Hamburger Schietwetter zu...
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