Schweitzer Fachinformationen
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Ich zog als Erste in das kleine Backsteinhaus im Poets Square. Tims alter Mietvertrag lief noch ein paar Wochen, er packte seine Sachen, räumte seine Schubladen aus und schrubbte alles gründlich genug, um seine Kaution wiederzubekommen. Ich hatte meine bisherige Wohnung schon hinter mir gelassen. Mein ganzes Leben öffnete sich für die Möglichkeiten, die unsere Bleibe, das kleine Mietshaus, das wir zusammen ausgesucht hatten, für uns bereithielt. Ich war bereit für einen Neuanfang.
Ich schlief nur auf einer Matratze in dem Raum, der unser Schlafzimmer werden sollte. Ich malte mir alles aus: die Bilder an den Wänden, die Anlage im Wohnzimmer, die Hintergrundmusik. Das Refugium, das wir uns hier schaffen würden, ein Versteck vor all dem, was gerade auf der Welt passierte. Es war ein ruhiges Viertel. Hier würden wir von allen Problemen verschont bleiben.
Als ich an diesem ersten Abend im neuen Haus allein im leeren Wohnzimmer saß, klang jeder noch so kleine Laut nach. Der Fernseher war noch nicht angeschlossen, das WLAN funktionierte nicht. Ich verbrachte den Abend mit Horchen und tauchte in die Geräusche der Nachbarschaft ein. Ein Geräusch an der Tür, vielleicht vom Wind. Ein Geräusch im Hinterhof. Etwas, das sich anhörte wie Schritte auf dem Dach.
Immer wieder spähte ich nach draußen - hatte da die Tür gescheppert? Etwas gegen das Fenster geklopft? -?, aber ich sah nichts. Vielleicht hätte ich es als Einbildung abgetan, aber meine Hündin Maggie hörte es auch: Ihre Ohren drehten sich immer wieder in Richtung der trippelnden Laute an der Schlafzimmerdecke. In dieser Nacht blieb ich wach, hörte die Mülltonnen in der Auffahrt rumpeln und beobachtete, wie der Bewegungsmelder immer wieder die Flutlichter anspringen ließ. Aber keine Spur von irgendjemandem.
Als ich am nächsten Morgen früh aufstand und, durch das Tageslicht wieder mutiger, vor die Tür ging, waren die Spuren unübersehbar. Überall auf den Eingangsstufen, dem Dach, in der Auffahrt sah ich kleine Pfotenabdrücke.
Bevor wir zusammenzogen, lebte Tim zehn Minuten entfernt von mir in der Innenstadt von Tucson in einem Mehrparteienhaus mit einem geschlossenen Innenhof, durch den immer ein paar streunende Katzen strichen. Eine mochten wir besonders, eine große braune, die wir Mushroom Risotto getauft hatten. Alles kann ein Katzenname sein, erklärte mir Tim. So hatte ich das noch nie gesehen. Ich zerbrach mir jedes Mal krampfhaft den Kopf über einen passenden Namen. Tim hingegen traf draußen im Dunkeln eine Streunerkatze und benannte sie unumwunden nach unserem letzten Abendessen.
Es war der Sommer, in dem die Berge in Flammen standen. Wir konnten den niedrig dahinziehenden Rauch in der ganzen Stadt riechen. Die Pandemie hatte begonnen, und Tim und ich waren allein in unserer Blase, allein in unserer frischen Beziehung. Ich verbrachte jede Nacht in seiner Wohnung, und vom Balkon seines Hauses aus überblickten wir alles: die heulenden Rettungswagen auf dem Weg zum Krankenhaus, die Proteste vor der Polizeistation, die Flammen, die sich in die Berge fraßen; die Katzen, die durchs Gebüsch wanderten, und ihre gelegentlichen nächtlichen Schreie.
Der Sommer fühlte sich gleichzeitig angespannt und unbeschwert an, wir hatten die Probleme der Welt vor Augen, waren aber irgendwie weit weg von ihnen. Die Brände, die sich durch die Wälder wälzten - was konnten wir schon dagegen ausrichten? Ich ging zur Arbeit, trug Maske, schützte mich vor dem Rauch und konzentrierte mich voll und ganz auf mich selbst, auf Tim, auf mein zukünftiges Leben in unserer gerade aufkeimenden Beziehung. Ich hielt mich damals für einen guten Menschen. Ich hatte die Berge schließlich nicht angezündet. Jeden Abend saß ich bei Tim auf dem Sofa, sah ihm zu, wie er für mich kochte, genoss die Sicherheit seiner abgeschirmten Wohnanlage, die warmen Mahlzeiten, seine Aufmerksamkeit. Jeden Abend begleitete er mich zurück zu meinem Auto, und wir küssten uns im Dunkeln, suchten nach Mushroom Risotto, deren Wuschelpelz in die Nacht verschwand. Das erste Mal in meinem kleinen, unbedeutenden Leben hatte ich das Gefühl, die Welt könnte untergehen, und statt etwas dagegen zu unternehmen, war ich damit beschäftigt, mich zu verlieben.
Bei Tageslicht folgte ich den Pfotenabdrücken ums Haus und versuchte zu rekonstruieren, woher eine Katze gekommen und wohin sie gegangen sein könnte, aber es waren zu viele Spuren, um schlau daraus zu werden. Tim gegenüber erwähnte ich nichts, auch nicht, als schon ein paar Wochen ins Land gegangen und wir gemeinsam in unser neues Schlafzimmer gezogen waren. Jede Nacht hörte ich die Katze - zwei Katzen? Vielleicht drei? - auf dem Dach herumtänzeln, vom Zaun springen, über die Auffahrt huschen.
Ständig hatte ich Angst, alles zu vermasseln. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich das Gefühl, dass etwas in meinem Leben richtig lief, dass ich einfach ins Bett kriechen, mich behaglich und geborgen wissen konnte, ohne Sorgen, ohne Verantwortung, ohne irgendwem etwas schuldig zu sein. Sicherlich stammten die Geräusche nur von einer Nachbarskatze.
Die Gegend war ruhiger als mein altes Viertel, und auch dunkler, es gab keine Straßenlaternen, und vom Hof aus konnte ich die Sterne deutlicher sehen als an jedem Ort, an dem ich bisher gelebt hatte. Wenn Tim ins Bett gegangen war, schlich ich mich jeden Abend im Dunkeln hinaus, stand still da und bestaunte die Sternbilder, die sich über mir erstreckten. Dabei wusste ich, dass ich eigentlich nach etwas anderem als Sternen Ausschau hielt. Wenn ich nur lang genug stillhielt, sah ich sie: leuchtende Augenpaare, ein raschelnd im Gebüsch verschwindender Schwanz. Da waren mehr als drei Katzen. In der Dunkelheit beobachteten wir einander.
Ist dir aufgefallen, fragte Tim eines Morgens, als er gerade in unserer neuen Küche Kaffee kochte, dass hier immer ein paar Katzen rumlaufen?
Ja, sagte ich. Ein paar.
Die erste Katze, die ich bei Tageslicht sah, war grau und weiß, dünn und langbeinig, und sie schlief tief und fest auf der Motorhaube meines Autos, als ich gerade das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Entschuldigung, flüsterte ich, und als ich mit meinem Schlüsselbund klimperte, riss sie ihre gelben Augen weit auf, machte einen panischen Katzenbuckel und schoss davon. Als ich am Abend nach Hause kam, saß eine schwarze Katze auf den Eingangsstufen. Am nächsten Morgen huschte ein buschiger orangefarbener Schwanz ins Gebüsch, auf dem Zaun hockte eine dreifarbige Katze. Im Haus schleppte Tim Kisten. Wir wickelten immer noch Tassen aus, um in der Küche unseren Morgenkaffee zu trinken.
Ah ja, sagte er, als ich von der bunten Katze erzählte. Die hab ich heute auch schon gesehen. Er linste durch die Jalousien nach draußen. Oh, sagte er. Das ist eine andere.
Ich schwöre, es kam vor, dass ich aus dem Fenster schaute und dort eine einsame schwarze Katze wie ein Omen sitzen sah, und wenn ich eine Sekunde später erneut schaute, saß da stattdessen eine weiße. Mit jedem Wimpernschlag schien da draußen vor dem Haus eine neue Katze aufzutauchen, wie durch ein Portal. Ich ging raus, um die Post zu holen, und als ich in den Himmel schaute, saß da eine riesige Katze in der Krone unseres Baums und blickte auf mich herunter. Ich öffnete die Hintertür, und vor mir stand plötzlich eine geschmeidige Siamkatze, die Beine dunkel, als trüge sie kniehohe Stiefel, und mit extrem schielenden blauen Augen. Es war wie in einer Show mit versteckter Kamera, als wollte jemand herausfinden, wie viele verschiedene Katzen er in unserer Ausfahrt aussetzen konnte, bis wir durchdrehten.
Ich machte mir Notizen, führte Buch über die Katzen. Die weiße, die du heute Morgen gesehen hast, fragte ich Tim bei einem unserer Telefonate in der Mittagspause. Hatte die kurzes Fell oder langes? Ich hatte ein kleines Notizbuch gezückt, kontrollierte meine Liste. Langes, sagte er. Und auch nicht ganz weiß. Sie war ein bisschen rot am Schwanz.
Die war neu. Ich machte einen Eintrag.
Wo kommen die denn her?, fragte Tim. Wo verstecken die sich? Bei der Hausbesichtigung hatten wir keine einzige Katze gesehen. Tagsüber ließen sie sich immer noch kaum blicken. Wir sprachen die Vermieterin darauf an, stellten uns extra bei den Nachbarn vor, um herauszufinden, ob sie etwas über die Katzen wussten. Ein bisschen hatte ich Angst, dass sie Nein sagen würden, dass ich mir vielleicht alles nur einbildete. Die Vermieterin meinte, die Katzen gehörten wohl einem Nachbarn. Auch an ein paar herrenlose Katzen erinnerte sie sich vage. Jaja, sagten die Nachbarn und winkten ab. Hier sind ein paar Streuner unterwegs.
Zu der Zeit, als wir zusammenzogen, machte Tim viel Risotto. Er kochte gern, und ganz besonders gern immer und immer wieder das gleiche Gericht, feilte und justierte an den Aromen. Mein ungeübter Gaumen konnte nie einen Unterschied schmecken, aber Tim nickte, schmatzte, kostete jeden Löffel aus und merkte, wie er sich nach und nach verbesserte. Ich beneidete ihn. Um seine Hingabe, seine Präzision.
Fast jeden Abend bereitete Tim einen großen Topf voll zu,...
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