Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Raya wurde überstürzt verheiratet. Ihr Vater hatte herausgefunden, dass ein bestimmter junger Mann ihr äußerst viel Beachtung schenkte, anfangs nur durch lange Blicke und ein verstohlenes Lächeln im Vorübergehen, später dann, der Vater hatte es selbst gesehen, indem er sich ihr dreist in den Weg stellte und sie in minutenlange Gespräche verwickelte. Wahrscheinlich drängte er auf ein heimliches Treffen und machte ihr unsinnige Versprechungen, alles vor den Augen ihres Vaters. Das Verhalten des jungen Mannes war unanständig, dreist und respektlos. Der Vater machte sich nicht zuletzt deshalb solche Sorgen um Raya, weil er den jungen Mann kannte. Wäre er ein Fremder gewesen, hätte die Sache natürlich noch schlechter ausgesehen, trotzdem war der drohende Schaden groß genug. Der junge Mann hieß Rafik und war in der ganzen Nachbarschaft bekannt, wobei Rayas Eltern im Laufe der Jahre nur wenig Kontakt zu seiner Familie gehabt hatten. Er war zusammen mit anderen Jugendlichen durch die Straßen gezogen und hatte am Strand Fußball gespielt, und später, als der Versuch, die Briten loszuwerden, das Land in Aufruhr und Chaos stürzte, hatte er sich den sogenannten Genossen angeschlossen und war in die Umma-Partei eingetreten. Die Partei hatte ihn und viele andere Freiwillige zur militärischen Grundausbildung nach Kuba geschickt - mit Wissen der britischen Kolonialbeamten, die den Sinn der Exkursion nicht verstanden, oder vielleicht war es ihnen auch egal. Eigentlich warteten sie nur noch darauf, das Land verlassen zu können.
Nach seiner Rückkehr war Rafik ansehnlicher denn je; er hatte sich in einen schlanken, heldenhaften Krieger verwandelt und trug jetzt eine leuchtend grüne Uniform und dazu eine runde Kappe, wie sie niemand zuvor gesehen hatte. Er und die Genossen waren gerade rechtzeitig zurückgekommen, um bei der Revolution mitzumischen. Die Soldaten jener Zeit, und Rafik war einer davon, hatten nichts Besseres zu tun, als die Bevölkerung zu terrorisieren, denn schließlich war nirgendwo ein Feind zu sehen, stattdessen aber viele verängstigte Zivilisten. Doch selbst Wörter wie »Zivilist« oder »Bürger« waren umstritten, und die Krieger nutzten das gerne aus. Dann hältst du dich also für einen Bürger? Zeig mal deine Geburtsurkunde her. Was soll das heißen, du hast keine? - Besonders oft traf es Menschen fortgeschrittenen Alters, die nie auf die Idee gekommen waren, sich eine solche Urkunde zu besorgen; und nach Papieren gefragt wurde natürlich nur, wenn es jemanden zu demütigen oder einzuschüchtern galt, oder beides. Du Schmarotzer gibst dich als Bürger aus? Zu den Freuden der Macht gehörte auch, willkürlich bestrafen, schikanieren und vertreiben zu können.
Jedenfalls kehrte Rafik in einer schicken Uniform aus Kuba zurück, und mit einer Kappe, wie Fidel Castro sie zu tragen pflegte. Manchmal trug er auch eine schwarze Baskenmütze wie Che Guevara, und seine Kameraden grüßte er mit neuen Parolen, die schon bald vertraut klangen: venceremos, la luta continua, vamos. Ungefähr zu der Zeit begann er, Raya mit Blicken zu verfolgen, sie auf der Straße keck anzulächeln und schließlich anzusprechen. Alle konnten sehen, was er im Schilde führte. Sie war siebzehn und schön, und er hatte den Ruf, junge Frauen ins Unglück zu stürzen.
Wie er mit dir gesprochen hat, gefällt mir gar nicht. Du weißt, wie diese Leute sind, sagte ihr Vater wütend. Mach mir nichts vor. Usindanganye. Du hast ihn angelächelt, als hätten seine Schmeicheleien dir gefallen. Er ist hinter dir her, merkst du das nicht? Er wird dich entehren und uns alle in Schande stürzen.
Raya protestierte. Hatte sie eine Wahl? Sie konnte ja wohl schlecht so tun, als würde sie den jungen Mann nicht kennen. Sie wollte ihn nicht kränken. Ihr Vater hob den Arm und bedeutete ihr mit einer schwungvollen Geste, zu schweigen und ihm aus den Augen zu gehen. Er beriet sich mit seinem älteren Bruder Hafidh, der sich ebenfalls sehr vor der Schande fürchtete und daher nachvollziehen konnte, warum Rafiks Verhalten bei Rayas Vater eine solche Panik auslöste. Erst töten sie unsere Söhne, und dann wollen sie unsere Töchter entehren, sagte Hafidh. Die Brüder wussten, was auf dem Spiel stand, und so hielten sie verzweifelt nach jemandem Ausschau, der Raya - und damit sie alle - vor Demütigung und Schande retten würde. Rayas Vater wandte sich an seinen älteren Bruder, wann immer er einen guten Rat oder Geld brauchte oder, wie in diesem Fall, beides. Denn selbst wenn sie einen geeigneten Kandidaten fanden, würden sie eine Feier ausrichten und Geschenke und das Essen bezahlen müssen, und im Gegensatz zu seinem älteren, zum Glück sehr großzügigen Bruder hatte Rayas Vater fürs Geldverdienen überhaupt kein Talent.
Am Ende stießen sie auf Bakari Abbas, einen freundlichen Mann jenseits der vierzig, der in Pemba lebte. Er war geschieden und hatte es als Bauunternehmer zu einigem Wohlstand gebracht. Auf Nachfrage äußerten sich seine Bekannten wohlwollend über ihn, und so machten die Eltern sich daran, Rayas Leben an seiner Seite zu planen. Ihr Vater informierte sie davon in dem selbstmitleidigen Tonfall, den er immer anschlug, wenn er Raya oder ihre Mutter zu irgendetwas überreden wollte, deshalb glaubte sie nicht, eine echte Wahl zu haben. Entweder sie fügte sich in das Arrangement, das den guten Ruf und die Ehre ihrer Familie rettete, oder sie entschied sich für den Rabauken vom Militär. Niemand außer ihr selbst kam auf die Idee, sich zu fragen, ob sie ihr Glück lieber mit dem Krieger versucht hätte. Doch Raya verdrängte den Gedanken und sprach mit niemandem darüber. Die Planungen waren schon zu weit gediehen, außerdem würde am Ende ja vielleicht alles gut werden.
Und so kam es, dass ihr Vater, der zwar körperlich schwach, aber von herrischem Temperament war, Raya dazu brachte, in eine Ehe einzuwilligen, vor der sie größte Bedenken hatte. So war sie erzogen worden, so lebten alle in ihrem Umfeld. Die hektischen Vorbereitungen ließ sie ebenso über sich ergehen wie die guten Ratschläge ihrer Tanten und Freundinnen, die sie zurechtmachten und umarmten und ihr sagten, sie müsse sich der männlichen Lust unterwerfen. Die Freuen flüsterten Raya zu, das Begehren ihres Mannes würde sie zur Erwachsenen machen und ihre Leidenschaft wecken; seine liebevolle Zuwendung würde sie erfüllen, und Gott würde das Ergebnis segnen. Und dann, am Abend ihrer Auslieferung, lag sie im Bett von Bakari Abbas und erlebte zum ersten Mal und mit Schrecken, wie sich ihr ein fremder Körper aufdrängte. Sie wehrte sich nicht, weder in dieser Nacht noch in den darauffolgenden Nächten, denn so hatte man es ihr beigebracht. Er hatte ein Anrecht darauf, und sich ihm hinzugeben, war ihre Pflicht.
Bakari Abbas war ein Mittvierziger von angenehmem bis gefälligem Äußeren, sehnig und stark und mit seinen eins sechzig durchschnittlich groß. Draußen in der Welt gab er sich liebenswürdig, denn als Geschäftsmann besaß er tadellose Manieren und jene Höflichkeit, die Leute seines Berufsstandes auszeichnet. Nur Raya gegenüber war er kurz angebunden, außerdem verlangte es ihn pausenlos nach ihrem Körper, eigentlich täglich, und manchmal sogar zwei oder drei Mal am Tag. Was ihr zunächst befremdlich und beängstigend erschien, wurde mit der Zeit zu einer lästigen und irgendwie demütigenden Pflichtübung; doch sie fügte sich, weil sie es nicht besser wusste. Sie sagte sich, dass jede Frau das energische Eindringen ertragen müsse, um die Bedürfnisse ihres Mannes zu befriedigen; sie müsse versuchen, dem Ganzen irgendein Vergnügen abzugewinnen. Sie hätte sich verstellen und Lust heucheln können, um seine Dominanz ins Leere laufen zu lassen, aber dafür war sie zu jung und zu angeekelt. Während er Spaß hatte, verzog sie das Gesicht, kniff die Augen zu und wand sich innerlich. Ihre verzagte Art brachte ihn zum Lachen; er versuchte, sie mit leisem Geflüster und kleinen Küssen zu locken, und als das nicht funktionierte, forderte er sie ganz unverhohlen auf, seine Bemühungen mit ein bisschen mehr Begeisterung zu belohnen. Ihr Zaudern und ihr stummer Widerstand machten ihn umso entschlossener, ihre, wie er es nannte, Leidenschaft zu entfachen. In solchen Momenten lächelte er auf eine ganz bestimmte Weise. Komm, mein Vögelchen, gib mir ein winziges Körnchen Lust, murmelte er und schlug seine knochige Hüfte gegen ihre weichen, weit gespreizten Schenkel.
Sie lernte, den Schmerz zu minimieren, indem sie ihren Körper auf den Moment vorbereitete. Um ihrem Mann nicht restlos ausgeliefert zu sein, erlangte sie eine gewisse Kontrolle. Sie lernte auszuweichen, zu verzögern und Lust vorzutäuschen. Sie sagte Nein, wann immer es möglich war, und auf seine Forderungen und Einschüchterungsversuche reagierte sie mit wüsten Beschimpfungen. Es war ein Albtraum, von dem sie niemandem erzählen konnte. Manchmal fragte sie sich, ob sie es mit dem schönen Rafik besser getroffen hätte, dabei wusste sie bereits, auch das hätte ein böses Ende genommen. Rafik war ein Jahr nach ihrer Verheiratung bei einem Blutbad erschossen worden.
Mit Bakari zankte sie sich pausenlos, und nach der Geburt ihres Sohnes Karim wurde es noch schlimmer. Als sie sich weigerte, so kurz nach der Entbindung wieder mit ihm zu schlafen, wurde Bakari ungeduldig, und jede neue Zurückweisung quittierte er mit einem Tobsuchtsanfall. Dem Ruf, ein umgänglicher Mensch zu sein, wurde er nach wie vor gerecht, denn zu anderen Leuten war er, soweit Raya das beurteilen konnte, weiterhin sehr charmant. Er sparte sich seine Grausamkeiten für sie allein auf und fand ein so großes Vergnügen daran, dass sie fürchtete, er könnte eines Tages...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.