Offenbar ist meine Manuskriptmaschine sehr böse darüber, daß ich schon wieder weggehen will. Aber ich kann das diesmal nicht ändern. Ich muß zweimal das Geld für ein Mittagessen ausgeben, denn der Hackepeter ist ungenießbar und gehört in den Mülleimer. Er ist sogar so weit heruntergekommen, daß ihn selbst der Müllforscher nicht einer Beachtung würdigen wird. Doch die Kartoffeln sind noch brauchbar. Als sie kochten, gar waren und abgegossen wurden, war ich noch wach. Jetzt sind sie fast kalt. Sie müssen also als Bratkartoffeln verwendet werden. Vielleicht kann das Fräulein Karla mir billig Sülze dazu geben.
Die vergessene Klappstulle wird nachgeholt und ermöglicht mir, noch in guter Haltung das Speiselokal von Pirschke zu erreichen, ohne die Straßenbahn benützen zu müssen. Es ist zwar nur eine Fahrt von zwei Haltestellen, aber zu laufen ist es ein gutes Stück Weges, besonders am Tage nach einer Wachnacht bei den Klavieren. Unmittelbar in der Nähe meiner Wohnung gibt es kein preiswürdiges Lokal. Sie sind selten und viel zu teuer für mich. Auch Pirschke kann ich nicht jeden Tag, sondern nur zuweilen besuchen. Würde ich in das Lokal an der Ecke über den Damm gehen, gäbe es sofort ein Gerede, daß der Uhlenhorst, der alte Taper, wohl unverhofft zu Geld gekommen sei, oder weshalb sich der Nachtwächter nicht selber kochen könne, wie es heute so viele Menschen tun müssen, die noch viel älter und weit mehr sind als der Uhlenhorst, wo es doch heutzutage schon allerhand gibt, manches sogar preiswert.
Niemand ist anspruchsvoller als der Untere, weil er eine vervielfachende Masse von Gleichgesinnten hinter sich fühlt. Auch ist er überzeugt, daß ihm Unrecht getan wird, daß es ihm weit besser gehen müßte, und daß der heilige Franziskus ein großer Halbidiot gewesen sei, nicht aber ein Künstler des Lebens. -
Es ist unheimlich warm geworden, wie es sich, genau genommen, für den Juli auch geziemt. Weil aber höchst selten das geschieht, was sich eigentlich geziemt, so wundere ich mich über die Wärme. Auch liegt mir immer noch der fast ganz vergessene Traum im Sinn, der zu jenem tragischen Anbrennen des Hackepeters von Fräulein Karla führte und den eben erst gestalteten Bratklops nach Form und Inhalt vernichtete. Preiswürdig war dieser Bratklops gelungen. Aber man soll auf nichts stolz sein.
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Wie ich das Speisehaus von Pirschke erreiche, kommt mir ein gemischter, aber höchst eindringlicher und aufreizender Geruch entgegen: Zwiebeln, Bratensoße, grüne Bohnen mit Speckbrocken, Kaßler mit Sauerkraut. Alles dies bildet vorbehaltlos die europäische Union! Dennoch betrachte ich erst den Aushang mit den erhältlichen Gerichten. Ich muß heute zweimal sparen, einmal wegen des angebrannten Hackepeters, und zum zweiten Mal, weil ich an und für sich wenig Geld habe.
Ich kann gar nicht begreifen, wie es kam, daß die Manuskriptschreibmaschine sich gerade bei mir niedergelassen hat. Es gibt doch eine ganze Anzahl wirklicher Schriftsteller, die zu Recht der Krankenversicherungspflicht unterliegen, gedruckt werden, Bücher ihrer Fertigung auf dem Markt erscheinen sehen, teilweise sogar Honorar erhalten, Stellungen beim Radio oder bei Kunstbehörden haben und von denen das Auftauchen eines neuen Planes und die Arbeit an einem neuen Manuskript in den Spalten des Feuilletons und der Kulturnachrichten als bedeutendes Ereignis vermerkt wird. Aber wie kam die Manuskriptschreibmaschine gerade zu mir?
Manchmal scheint es mir, als sei dies, von seiten der Manuskriptmaschine gesehen, um sich und mich zu ärgern. Besonders heute habe ich diesen Eindruck. Es scheint mir so, als ob mein technischer Gegner, mein Gegenspieler, sich unaufhörlich über Mangel an Beschäftigung beklagt und darüber wütend ist. Heute ist doch nur der ganz gewöhnliche Tag eines ganz gewöhnlichen Menschen. Aber heute gerade ist mir dieser Groll auf mich in dem bösartigen Funkeln ihrer Metallreflexe besonders aufgefallen, mehr als sonst.
Noch immer betrachte ich den Speiseaushang und mustere schon den Eingang in das gelobte Land der Gerüche.
Was also gibt es heute bei Pirschke?
Als Stammgericht Knacker mit Bratkartoffeln und Tomatensalat. Darüber ließe sich durchaus reden Aber das kostet eine Mark zehn, dazu zehn Prozent Trinkgeld und es wird auch betrieblicherseits angenehm empfunden, wenn ein kleines Glas Bier dazu getrunken wird, zwei Zehntel etwa. Nein, das übersteigt heute meine Möglichkeit.
Ich bestelle also eine Portion Hackepeter, um im Rahmen zu bleiben. Dazu habe ich mir zwei Stullen eingesteckt. Heute abend werde ich mir die Kartoffeln in der sogenannten Speisekammer als Bratkartoffeln einverleiben und auf die Sülze verzichten. Wenn ich mir dann die Thermosflasche mit heißem Kaffee mitnehme, so habe ich eine gute Grundlage für den Besuch bei meiner zweiten Ausgabe gelegt. Es scheint auch abends warm zu bleiben, so daß ich ohne Regenmantel gehen kann.
Es fällt mir ein, ich könnte den Kiesel an das Bürofenster werfen, mit dem heute vormittag der lustige Knabe mit dem Flitzbogen seine Schießfertigkeit bewiesen hat. Dann sind diese aus dem Rahmen des Tages fallenden Dinge untergebracht. Ein solides Kontinuum ist hergestellt. Die Koordination ist erfolgt.
Wie ich auf den bestellten Hackepeter warte und die beiden Stullen auspacke - dergleichen fällt hier nicht auf, der unterste Ring des Bestehens bei Pirschke erlaubt es nicht nur, sondern fordert es fast - kommt es mir ein, wie gern ich genau genommen zu den Klavieren gehe und Nachtwache halte. Wo findet man noch eine Einsamkeit, die soviel Sinn hat? Schlaflosigkeit ist sonst ein beklagenswertes Leiden. Hier ist sie bezahlte Pflichtleistung und ermöglicht Bestehen und einen von minderen Sorgen belasteten Restschlaf am Tage oder in der freien Nacht des Zwischenraums. Bei den Klavieren kann ich mich mit den vergangenen Tagen unterhalten. Um mich ist die Möglichkeit von Musik. Sie ist nur verschlossen, nicht durch Anschläge zum Leben gebracht, aber sie ist vorhanden und könnte klingen, wie auch mein Leben hätte klingen können, wenn ich nicht verschlossen gewesen wäre. Im Grunde habe ich immer Angst vor dem Ungewöhnlichen gehabt und den Durchschnitt gezeigt, weil ich nicht Durchschnitt war - leider. Denn selig sind die Durchschnittlichen. Sie sind immer in einer großen Familie.
Man kann das auch Feigheit nennen.
Da kommt der Hackepeter.
Ist aber Mut heute etwas, das Sinn hat und Erfolge zeitigt? Erfolge sind nur in der Zeit möglich. Ich aber war als ganz gewöhnlicher Mensch nie in der Zeit, die heute von ungewöhnlichen Menschen und Plänen wimmelt. Gerissenheit und Hochstapelei zeitigen Erfolge. Dazu gehört kein Mut, nur Feigheit mit Menschenkenntnis gepaart. Für oder gegen die Verworrenheit der Zeit aber kann ich nichts tun. Ich kann auch nicht gegen sie kämpfen. So gebe ich meinem Affen Zucker und mache mich über den Hackepeter her.
Ich esse und betrachte zugleich meine Umgebung.
Einige von den Kunden kenne ich. Sie kommen jeden Tag. Es sind Arbeiter, kleine Geschäftsreisende, Agenten für alle möglichen Arten von Versicherungen auf Feuer, Einbruch, Leben und Tod. Gelegentlich kommen sogar Bettler hierher, die sich aus anderen Vierteln bei günstigen Einnahmen zu Pirschke begeben, auf daß nicht der eine oder andere Wohltäter sie sehe und sich wundere und späterhin an Herzverhärtung leide. Einige Dauerkunden kenne ich auch.
Am Nachbartisch sitzt zum Beispiel der alte Professor, längst im Ruhestand, also Rentenempfänger, wie ich es noch zu werden hoffe. Er hat das Ziel bereits erreicht, das mir noch vorschwebt wie Falstaffs Bauch. Das ist der einzige Verdienst, den er davon hat, daß er eine Reihe von Jahren noch früher geboren wurde als ich. Für seine Hauptfehler oder -vorteile kann man gewöhnlich nicht. Es ist übrigens gut möglich, daß der Professor bei den Verhältnissen weniger Rente bekommt, als ich sie bekommen würde, wenn ich sie bekomme.
Der alte Professor ist sehr kurzsichtig, vielmehr weitsichtig. Sonst hätte er mich schon erwischt. Aber so ist er mit seinen Knackern beschäftigt und speist zugleich aus einem Buch mit sonderbaren Abbildungen. Ich schiele ein wenig hinüber, vorsichtig, denn wenn der Professor mich erkennt, ergießt er sich hemmungslos in senilen Gesprächen über mich. Das ist lächerlich. Andere Einsame sprechen hemmungslos mit sich, hemmungslos und ebenso töricht. Sie sprechen vielleicht sogar mit sich noch törichter, denn die heftig hervorgesprudelten und hervorgezischten Äußerungen des alten Professors haben immer noch einen wissenschaftlichen Kern. Nur daß er sie so hemmungslos hervorsprudelt und für gewöhnlich Leute damit überschüttet, die nichts davon verstehen und auch nichts davon verstehen wollen, macht ihn so absonderlich und so lächerlich. Seitdem er zur Ruhe gesetzt ist, studiert er Ursprachen: die Mitteilungen über Tontafeln mit Inschriften, die in der letzten Zeit ausgegraben wurden. Auch die Abbildungen in einem Wälzer, den er zuweilen aufblättert, stellen Tafeln mit Keilschriften und Zeichen dar, die in ihren merkwürdigen Krakeln Hieroglyphen ähnlich sehen.
Der zur Ruhe gesetzte Professor weiß natürlich nicht, wer ich bin. Ich bin ein Kunde vom Stamme derer von Pirschke, wie er einmal kichernd krächzte. Ihm genügt es. Mir genügt es auch.
Ich beschäftige mich herabgebeugt mit meinem Hackepeter und den beiden Stullen, die ich noch dicker als gewöhnlich abgeschnitten habe. Niemand mißbilligt das hier. Der größte Teil der anwesenden Gäste macht es ebenso. Der bedingungslos freie Senftopf spendet auch. So ist das Ganze recht nahrhaft, sättigend und voll derben, erfrischenden Geschmacks. Als Nachtisch kann draußen eine Portion...