Schweitzer Fachinformationen
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Das Geräusch von Papierseiten, die hin- und hergeschoben, angehoben und zur Seite gelegt wurden, war seit Minuten das Einzige, was in dem Verhandlungszimmer zu hören war. Schriftführerin gab es keine, Richterin Fucik sprach das Protokoll in ein Diktiergerät.
Maximilian Frank sah von der Richterin zu Staatsanwalt Braunhof und wieder zurück zu Fucik. Obgleich sie seinen Ausführungen in aller Ruhe gelauscht hatte und den Antrag auf Enthaftung zur Kenntnis genommen hatte, ließ sie sich provozierend viel Zeit für ihre Entscheidung. Seit ihrer letzten Begegnung hatte sie sich eine eckige, schwarze Brille zugelegt und trug das blonde Haar zu einem fransigen Nackenknoten zusammengedreht. Dieses strenge Äußere sollte von ihrer Jugend ablenken, das war Maximilian klar. Er vermutete seit Langem, dass sie bereitwillig zehn Jahre ihrer Jugend gegen zehn Jahre seines Alters tauschen würde, nur um mehr Respekt vonseiten der Beschuldigten, Staatsanwälte und Anwälte zu erfahren. Jeder wusste, wie hart der Einstieg in diesen Job war, besonders für eine junge, relativ hübsche Blondine. Das durfte man als Mann heutzutage gar nicht mehr laut sagen, es würde bereits die Erwähnung als Diskriminierung aufgefasst werden. Die Frauen in diesem Job waren härter als alle Männer zusammen und bissen sich durch. So wie Franziska damals, aber die war darüber hinaus etwas ganz Besonderes. Maximilian seufzte, konzentrierte sich erneut auf seine Richterin.
Keine Ahnung, wann die Fehde mit Fucik begonnen hatte, doch er las es aus jeder ihrer Bewegungen, der konzentrierten Falte zwischen den Augenbrauen und wie sie von Zeit zu Zeit die Lippen schürzte, dass sie seinen Antrag ablehnen würde. Und dann hieß es zurück zu dem tschetschenischen Freiheitskämpfer, der einen wildfremden Mann am helllichten Tag niedergeschlagen und krankenhausreif geprügelt hatte, weil der seine Frau angesehen hatte. Und zu dem mageren Drogendealer, der dumm genug gewesen war, an der U-Bahnlinie 6 Drogen zu verkaufen, obwohl in allen Zeitungen die »Aktion Scharf« der Polizei gegen den Drogenhandel entlang der U-Bahn-Strecke angekündigt worden war.
Bei dem Gedanken an die Enge der Zelle begann es in ihm zu vibrieren. Das Herz schlug wie nach einem Sprint, ein Schweißfilm breitete sich über die Haut aus, und seine Beine zuckten, wollten davonrennen. Wie sie es auskostet, ärgerte er sich, fühlte animalische Wut aufsteigen, die sich kaum verbergen ließ. Wahrscheinlich sah man ihm all seine Emotionen an, die verrieten, wie sehr die fortgesetzte Haft ihn erniedrigen und weiter an den Rand der Depression treiben würde. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich, versuchte, tiefer zu atmen und sich von seinem Fall zu distanzieren.
Es war ein dünner Strang an Indizien, und doch war er der einzige Verdächtige. Die Geschichte war bereits in den Medien, und die Polizei konnte in Zeiten wie diesen eine Erfolgsmeldung gut gebrauchen. Kürzlich erst hatte die Statistik der Verbrechensbekämpfer nicht gerade Begeisterungsstürme hervorgerufen, Bürgerwehren fanden begeisterte Unterstützer, und die Bewaffnung der Bevölkerung hatte einen neuen Höchststand erreicht. Die Öffentlichkeit wollte das Gefühl von Sicherheit zurück, verlangte nach einer effizienten Exekutive.
Damit war er geliefert.
»Gut«, verkündete Fucik und riss sich endlich vom Akt los. »Dem Antrag der Staatsanwaltschaft wird stattgegeben. Herr Doktor Frank«, sie sah ihn für einen Moment an, ehe sie fortfuhr. »Über Sie wird wegen des dringenden Tatverdachts und der zu befürchtenden Verdunkelungsgefahr die Untersuchungshaft verhängt. Es gibt die Aussage einer Zeugin, dass Sie zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt am Tatort waren, und es gibt die Aussage ihrer Sekretärin, wonach es überdies ein Motiv für den Mord gegeben hat. Es gibt keinerlei Hinweise auf einen Einbruch oder einen Kampf am Tatort. Nach Einlangen des Berichts der Spurensicherung und Gerichtsmedizin werde ich die Haft neuerlich prüfen.« Karoline Fucik erhob sich und mit ihr der Staatsanwalt und Maximilian. Maximilian allerdings nicht aus Respekt vor dem Gericht, sondern aus der sich zusammenballenden Angst vor der Zelle, die ihm die Brust verengte, sodass er kaum noch atmen konnte.
»Das ist ein Fehler, Frau Rat. Es gibt keinerlei Beweise …«
»Ein Fehler?«, unterbrach Fucik und machte sich nicht die Mühe, ihre Verärgerung zu verbergen. Im nächsten Moment schlug der Ärger um. Sie richtete den Kragen des Talars, strich das Insignium ihrer Macht glatt. »Es tut mir leid für Sie, Doktor Frank.« War da ein höhnischer Zug um ihren Mund, oder lag es an der Verzweiflung, die Maximilian wie Eisregen traf und die Gesichter ringsum zu Fratzen verzerrte? Der Justizwachebeamte trat an ihn heran, ein graues Gespenst, das nach Uniformmoder stank, nach abgestandenen Räumen und Schweiß.
Die Zelle. Er musste zurück. 24 Stunden rastlose Untätigkeit, sechs Schritte vor, drei zur Seite, sechs Schritte zurück. Pissen und Scheißen vor Publikum. Im Gestank vegetieren, ihn niemals zurücklassen.
Fucik klemmte sich den Akt unter den Arm, nickte Braunhof kurz zu und verließ das Verhandlungszimmer. Maximilian hörte dem Klacken ihrer Absätze nach. Je leiser das Geräusch wurde, desto lauter wummerte das Blut in seinen Ohren.
»Herr Doktor«, rief jemand. Er ignorierte die Stimme. Die Zelle wartete auf ihn. Weitere 24 Stunden.
»Ich erhebe Einspruch«, wollte er schreien, krächzte jedoch gleich einem sterbenden Raben.
Braunhof trat an ihn heran. Die Stirnglatze glänzte im Neonlicht, ein paar mausbraune Strähnen lagen quer darüber frisiert. Maximilian blickte auf den kleinen Mann herab, unfähig, auf die veränderte Rollenverteilung angemessen reagieren zu können.
»Doktor Frank, bitte nehmen Sie meinen Antrag nicht persönlich«, begann er mit seiner charakteristischen Fistelstimme. »Der war obligatorisch, Sie wissen, wie das läuft. Eine schlimme Sache ist das. Die Ferstl wird Sie mit Sicherheit im Handumdrehen herausholen.« Damit klopfte er Maximilian auf den Oberarm und verschwand.
»Also dann«, sagte der Wachebeamte neben ihm, »gemma.«
*
Halbgesperre, Neonlicht. Die gläserne Wand zwischen Besucherzone und Justizanstalt. Ein Justizwachebeamter, gelangweilt, das Rattengesicht bereits wieder abgewandt, hob einen Finger, öffnete für Franziska die Schleuse. Die Tür ging hinter ihr zu. Blick in den grauen Monitor, Gesichtsscan. Das grüne Lämpchen flammte auf, die Schleuse öffnete sich in den Gefängnistrakt.
Am Schalter den Besuch anmelden, warten.
»Für Maximilian Frank«, rief ein junger Justizwachebeamter. Sie nickte ihm zu, folgte ihm den schmalen Gang hinterher, Besucherkojen zur Linken, Fenster zur Rechten; bis er haltmachte und auf eine Tür wies. Fensterloser Raum, chemischer Gestank, als wäre eben der Putztrupp durchgezogen. Eine Glasscheibe teilte den Raum, ein Tisch stand davor.
Anders als sonst setzte sie sich nicht, sondern legte lediglich ihre Unterlagen ab, die Füllfeder daneben, und stützte sich mit beiden Händen am Tisch ab. Eine Nacht voller Albträume lag hinter ihr, in der sie bis 2.00 Uhr gearbeitet, sich um die Planung der nächsten Schritte gekümmert hatte. So sehr sie dem Treffen mit Maximilian entgegenfieberte, so sehr fürchtete sie die Begegnung.
Jenseits der Glasscheibe ging die Tür auf, Maximilian trat ein. Franziska richtete sich ruckartig auf. Schwarze Anzughose, weißes Hemd, natürlich keine Krawatte, kein Gürtel. Seine Haut wirkte grau, die Augen lagen tief in den Höhlen, die Mund- und Stirnfalten stark eingekerbt – Zeugen einer schlaflosen Nacht.
»Ziska.« Gedämpfte Worte, sie musste sich durch schmale Schlitze kämpfen. »Gott sein Dank.«
Der Wachebeamte nickte ihnen zu und schloss die Tür hinter sich.
»Max, die Verhandlung heute Morgen habe ich nicht geschafft. Ich wurde erst eine Stunde vor Verhandlungsbeginn verständigt. Aber den Einspruch habe ich fertig, wollte bloß noch die Details mit dir be…«
»Warst du bei Bianca?«, unterbrach Maximilian ansatzlos.
»Gleich gestern Abend. Sie wird bestätigen, dass du vor 16.00 Uhr daheim warst.«
»Gut.« Maximilian strich sich über das Gesicht und rubbelte den Bartschatten, der ihn zehn Jahre älter machte. Der Stuhl kratzte über den Boden, Max setzte sich.
»Du siehst scheiße aus.« Franziska versuchte, ihre Feststellung locker zu bringen, um ihm wenigstens ein kleines Lächeln abzuringen, und setzte sich ihm gegenüber.
Maximilians Augen bohrten sich in sie, übertrugen seine Panik. »Ich muss hier raus, Franziska. Das …« Seine Stimme stockte, erstarb. Mit beiden Händen rieb er wieder übers Gesicht, und als er erneut aufsah, schien die Fassade zu halten. »Hast du Akteneinsicht genommen?«
»Am Vormittag.« Sie legte den dünnen Schnellhefter mit ihren Notizen zum Fall auf den Tisch. »Die Haft fußt auf der Aussage von Friederike Hohenfellner, die dich im Stiegenhaus gesehen hat, und zwar nach ihrer Angabe um 16.00 Uhr, was mutmaßlich auch der ungefähre Todeszeitpunkt von Siegfried sein soll. Das Ganze wurde von Biancas ungenauer Angabe zu deiner Heimkehr und den Anschuldigungen von Samira Dinic untermauert. Samira schrie bei Eintreffen der Polizeibeamten unentwegt: ›Der Frank hat ihn umgebracht!‹ Eine genauere Befragung war nicht möglich, weil sie einen Nervenzusammenbruch hatte. Sie haben aber mittlerweile von ihr erfahren, dass du und Fürstenstein in letzter Zeit immer wieder Streit hattet und du ihm angeblich gedroht hast.«
»Das ist völlig...
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