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Sylilapsi-Eino. Sie nannten ihn halb im Scherz und halb aus Teufelei Sylilapsi-Eino. Als höre es sich auf Finnisch schlimmer an als auf Schwedisch. Darüber hatte er eigentlich mehr nachgegrübelt als über das eigentliche Schimpfwort. Was war aus diesem Blickwinkel mit »Säuglings-Eino« nicht in Ordnung? Er vermutete, daß der Abstand zwischen einem richtigen Mann, also einem Polizisten, und einem finnischen »Säugling« größer war als zwischen demselben Polizisten und einem »Baby«, etwas in der Richtung.
Sollten sie ruhig damit weitermachen, so böse war es schließlich doch nicht gemeint. Außerdem war es auf etwas komische Weise ungerecht, daß dieser Ausdruck »plötzlicher Kindstod« keineswegs seine Erfindung gewesen war. Vielmehr hatte gerade er eine Mordermittlung in Gang setzen wollen, weil er nicht daran glaubte, daß Lasse Holma eines plötzlichen Kindstodes gestorben war. Aber seit wann beruhen Anfeindungen im Job auf Logik und Gerechtigkeit?
Er hatte das Ganze auf die Zeit nach Neujahr verschoben, nach der Beerdigung. Jetzt war das neue Jahr da, Lasse Holma war beigesetzt, und nun sollte er es in Angriff nehmen, zu Liisa Holma zu fahren und sie zu vernehmen. Sehr viel mehr Anhaltspunkte hatte er im Moment nicht. Er hatte jedoch gehofft, daß er über die Angelegenheit etwas mehr wissen würde, bevor er sich an diesen schwierigen Schritt heranwagte. Was sollte er ihr antworten, wenn sie fragte, ob man den Verdacht habe, ihr Mann sei ermordet worden?
Sie würde vielleicht anfangen, einen der Chefs in der Polizeidirektion anzurufen, dann vielleicht noch die Zeitungen, und danach würde es dem Kollegen Säuglings-Eino schwerfallen, sich vor dem Polizeidirektor zu rechtfertigen, diesem Kerl aus Östergötland.
Er sah ein, daß er warten mußte. Aber das war auch nicht gut. Zwei Wochen waren schon vergangen, und die Spuren erkalteten. Offiziell untersuchte er ja immer noch einen Diebstahl von Multbeeren, von tiefgekühlten Multbeeren aus Murmansk in einem Gesamtwert von höchstens zehntausend Kronen. Das hatte man unten bei NORRFRYS errechnet. Der Raum, der in dem Fernlaster sozusagen übrig war, entsprach fünf Kartons mit tiefgekühlten Multbeeren.
Eino Niemi fiel nur eins ein, was ihm vernünftig erschien und zugleich rein formal etwas mit der Frage des Multbeerendiebstahls zu tun hatte. Er rief die Firma NORRFRYS an und erhielt die Namen und Telefonnummern einiger Fahrer, die auf der Murmansk-Route eingesetzt wurden. Er erreichte nur einen von ihnen, aber die Antworten auf seine Fragen erschienen ihm recht befriedigend.
Die Fernlaster wurden immer voll beladen, bis an die Decke und bis zu den Hecktüren. In Murmansk gab es immer große Lager tiefgekühlter Beeren, und es wäre vollkommen sinnlos gewesen, einen bestimmten Raum freizulassen. Mit dem Gewicht oder so hatte es nichts zu tun.
Eino Niemi bedankte sich für das Gespräch und notierte sich, welche Fragen man den Fahrern vielleicht noch stellen konnte, wenn die Ermittlungen irgendwann eine andere Richtung einschlugen: Wie ging es bei den Grenzkontrollen zwischen Rußland und Finnland zu, wo wurden die Lastwagen beladen, waren die Fahrer dabei anwesend, war einem der Fahrer das Angebot gemacht worden, etwas zu schmuggeln?
Bis auf weiteres hatte es also den Anschein, als umfaßte das Diebesgut nur ein Volumen von fünf Kartons Multbeeren. Es mußte jedoch etwas Wertvolleres gewesen sein, etwas, wofür Menschen einander töteten.
Eino Niemi fühlte sich plötzlich machtlos. Solange er nur wegen der gestohlenen Multbeeren ermitteln sollte, konnte er kaum mehr tun als im Augenblick. Und außerdem gab es, wenn es nur um diese verfluchten Multbeeren ging, eigentlich wichtigere Dinge aufzuklären. Nach Weihnachten und Silvester hatte es zahlreiche Schlägereien unter Betrunkenen gegeben, und das bedeutete Arbeit für mindestens eine Woche.
Als das Telefon läutete, starrte er es zunächst voller Abscheu an, als hätte er nicht die Absicht, abzunehmen, doch dann hatte er einen Einfall, lächelte selbstironisch und riß den Hörer an sich:
»Sylilapsi-Eino!« brüllte er streng.
»Verzeihung, ich spreche nicht Finnisch … Ist Kriminalinspektor Niemi zu sprechen?« fragte eine kultiviert klingende südschwedische Stimme.
»Kyllä! Am Apparat!«
»Aha, wie gut. Hallo, hier ist Anders Eriksson vom Gerichtsmedizinischen Institut in Umeå. Hast du mein Fax bekommen?«
»Nein … Hast du ein Fax geschickt?« entgegnete Eino Niemi und fühlte, wie er errötete und gleichzeitig sein Puls schneller wurde.
»Ja, vor fünf Minuten. Sei doch so nett und hol es, dann kannst du mich gleich anrufen. Ich werde dann erklären, was erklärt werden muß«, sagte der Pathologe und legte auf.
Eino Niemi saß mit dem stummen Hörer in der Hand wie versteinert da. Ihm war nicht einmal eingefallen, nach dem Ergebnis zu fragen.
Er knallte den Hörer hart auf die Gabel und stand heftig auf. Er rannte halb zum Empfang hinunter, erhielt ein einziges Faxblatt mit dieser gerichtsmedizinischen Schlange oben in der linken Ecke, riß es an sich und schaffte es, bis zu seinem Zimmer zu kommen, ohne auch nur eine Zeile zu lesen. Er erweckte den Eindruck, als hielte er ein Urteil in der Hand, das ihn selbst betraf. Zumindest ging es unleugbar um die Frage, ob er weiterhin der Säuglings-Trottel sein würde oder nicht.
Er strich das Papier vor sich auf der Schreibtischplatte glatt und holte tief Luft. Ja, dies war eine definitive Nachricht. Nach einigen einleitenden Zeilen stand dort eine vielsagende Überschrift:
GUTACHTEN
Dann folgten verschiedene Relativsätze, in denen von Kreislaufelastizität und Atmungselastizität sowie von Schleimhäuten, von Körperhohlräumen und ähnlichem die Rede war, Dinge, die er intuitiv übersprang, während sein Blick zu den beiden letzten Sätzen glitt:
daß der Tod durch Vergiftung mit Toxiferin sowie Tubokurarin verursacht worden ist
daß die Befunde und die Umstände darauf hindeuten, daß die Vergiftung von einer anderen Person verursacht worden ist,
was hiermit bescheinigt wird.
Umeå, den 3. 1. 1992
Anders Eriksson
Chefarzt
Eino Niemi wog das Papier fast andächtig in der Hand. Der Text war so klar, so einfach. Lasse Holma war von einer anderen Person vergiftet worden. Diese einfache medizinische Beobachtung hieß in der Polizeisprache Mord.
Er streckte die Hand nach dem Telefonhörer aus, überlegte es sich dann aber. Statt dessen wiederholte er die Lektüre und überflog zunächst die Sätze, in denen vom Zustand der verschiedenen Organe die Rede war, was ja schon in dem vorläufigen Gutachten gestanden hatte, bis er zur eigentlichen Todesursache kam:
… daß bei der gerichtschemischen Untersuchung das Vorhandensein von Toxiferin und Tubokurarin in einer beachtlichen Konzentration pro Gramm Schenkelmuskulatur nachgewiesen worden ist, hingegen sind Alkohol, Arzneimittel oder Drogen im Schenkelblut nicht nachgewiesen worden (Gutachten der gerichtschemischen Abteilung in Linköping vom 22. 12. 1991).
Toxiferin, Tubokurarin? Was zum Teufel war das?
Eino Niemi wollte den Pathologen ungern anrufen, bevor er sich die Mühe gemacht hatte, die eigentliche Todesursache zu begreifen. Folglich begab er sich zunächst zum Bücherregal und schlug in einem Lexikon nach, jedoch ohne Ergebnis. Dann rief er seinen nächsthöheren Vorgesetzten an und fragte diesen, ohne eine Antwort zu erhalten.
Nun, wenn nicht mal der Kommissar, der sich schon seit mehr als dreißig Jahren mit Mord und anderem menschlichen Elend beschäftigte, eine Ahnung davon hatte, worum es hier ging, brauchte er sich seines Unwissens offenbar nicht zu schämen.
Er wählte ruhig die Nummer nach Umeå und bekam den ungeduldigen Pathologen sofort an den Apparat.
»Nun, es war also Mord«, stellte Eino Niemi fest.
»Ja, diese Schlußfolgerung ist so gut wie unausweichlich«, erwiderte der Pathologe begeistert.
»So gut wie unausweichlich? Und wodurch würde diese Schlußfolgerung ausweichlich?«
»Dann müssen wir voraussetzen, daß das Opfer sich zunächst eine Injektion verabreicht, die den Mann unter Krämpfen, Angst- und Lähmungszuständen tötet, daß er sich anschließend der Spritze entledigt und danach stirbt. Ferner muß er sich nach dem Tod aufrichten, denn er ist nicht in der Körperhaltung gestorben, in der ihr ihn gefunden habt.«
»Das klingt so, als wärst du dir deiner Sache recht sicher, ich meine in der Frage des Mordes?«
»Ja, ein anderer hat ihn getötet.«
»Was diese … verzeih mir meine Unwissenheit, aber was sind Toxi … Toxiferin und Tubokurarin?«
»Tja … Es ist nicht verwunderlich, daß du diese Dinge nicht kennst, zumindest nicht unter diesen Bezeichnungen. Dagegen hast du bestimmt schon die nicht-industrielle Bezeichnung gehört. Es ist nämlich Curare.«
»Curare? Du meinst dieses Zeug, das die Indianer … die mit den Blasrohren?«
»Genau das.«
Eino Niemi schwieg eine Weile, weil sich jetzt plötzlich eine Menge Fragen aufdrängten, alle gleichermaßen wichtig, von denen jetzt jede als erste hinauswollte.
»Du wirst verstehen, daß ich jetzt ein paar Fragen an dich habe«, begann er und holte tief Luft, während der andere nur verständnisvoll kicherte.
»Also«, fuhr er fort, nachdem er sich gesammelt und seine Aufzeichnungen hervorgekramt hatte, »zunächst würde ich gern folgendes erfahren. Wo gibt es dieses Gift noch, außer in den Blasrohren der...
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