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Die Universität in Umeå unterscheidet sich kaum von den anderen großen Universitäten, zumindest nicht in der Organisation der Studentenschaft. Allerdings bezeichnen sich die Verwaltungsangestellten der landsmannschaftlich organisierten Studenten nur als Verwaltungsangestellte und nicht als gewählte Vertreter. Zudem gibt es einen Universitätsrektor, der in den USA gelebt und das Wort »Campus« statt Universitätsgelände eingeführt hat.
Unter den wenigen belastenden Aufgaben dieser Verwaltungsangestellten findet sich der stehende Auftrag, interessante Persönlichkeiten dazu zu bringen, nach Umeå zu kommen, um interessante Vorträge zu halten und das Vergnügen zu genießen, die Studenten Norrlands kennenzulernen, wie es in den Einladungen zu heißen pflegt. Während des Wintersemesters hatten unter anderem Finanzministerin Anne Wibble und Ministerpräsident Carl Bildt zugesagt; dieser fand sich jedoch erst ein, als er nicht mehr Regierungschef war, doch dafür sprach er über die Frage des Beitritts zur EU.
So war es eben: Bei Politikern konnte eine große Universität mit einer angemessenen Zahl von Zusagen rechnen, besonders vor einer Wahl. Bekannte Schriftsteller und sonstige interessante Männer und Frauen entschuldigten sich jedoch normalerweise mit Zeitmangel, langen Reisen und ähnlichem.
Bei den zwei jährlichen Treffen der Verwaltungsangestellten, bei denen ein Brainstorming stattfand, um interessante Vortragsgäste außerhalb der akademischen Welt zu gewinnen, tauchten manchmal – mehr oder weniger scherzhaft – die seltsamsten Namen auf. Eine große Zahl von Einladungen wurde verschickt. Einige wurden überhaupt nicht beantwortet, einige mit Nein und sehr wenige mit Ja. Das überraschte niemanden.
Nach Carl Hamiltons Ernennung zum neuen Chef der schwedischen Sicherheitspolizei hatte irgendein heller Kopf routinemäßig eine Einladung an die »Säpo in Stockholm« abgeschickt – tatsächlich mit diesem Adressaten – und nach einiger Zeit die höfliche, aber keineswegs überraschende Antwort einer Sekretärin erhalten. Der Zeitplan des Generaldirektors sei im Augenblick sehr eng, er hoffe aber, daß die Einladung noch gelte, falls es sich ihm als möglich erweisen werde, etwas später im Herbst zu kommen.
Das Schreiben war nicht einmal als halbe Zusage aufgefaßt worden, sondern vielmehr als Mangel an Urteilsvermögen desjenigen, der auf den Einfall gekommen war, die Einladung abzuschicken. Hamilton hatte sich nach seiner Ernennung überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, und es war nicht schwer zu erraten, daß dies in erster Linie mit seiner privaten Situation zu tun hatte. Wer würde sich schon gern als Vortragsredner engagieren und vor Studenten den Intellekt sprühen lassen, nachdem seine Familie von Mafia-Mördern ausgelöscht worden war?
Nachdem die Einladung beantwortet worden war, war unten in Schonen überdies seine Mutter ermordet worden.
Folglich fiel es dem Verwaltungsangestellten Mattias Johansson schwer, etwas anderes anzunehmen, als daß jemand den Studenten einen Streich spielen wollte, als er den Brief las. Daß er ihn als erster las, lag daran, daß er am Morgen als erster im Verwaltungstrakt erschienen war, wenn auch recht spät, da er am Vorabend noch ein anstrengendes Fest mitgemacht hatte.
Der Brief machte jedoch einen sehr echten Eindruck. Umschlag und Briefpapier waren mit überzeugendem Text bedruckt – so stand etwa unter dem Emblem der Säpo »Der Generaldirektor«.
Die Mitteilung war kurz. Falls die Studentenschaft immer noch ein Interesse daran habe, daß der Generaldirektor zu einem Vortrag erscheine, werde er es gerne tun. Das erfordere jedoch einige praktische Arrangements, die in einem Brief nicht formuliert werden könnten. Wenn daher irgendein Verantwortlicher die Freundlichkeit haben wolle, entweder den Generaldirektor persönlich oder die Sekretärin anzurufen, die den Brief unterschrieben habe, werde man vermutlich einen passenden Termin und eine geeignete Regelung finden können.
Es war kurz vor halb elf am Vormittag. Mattias Johansson las den Brief noch einmal. Dann rief er die Auskunft an und erhielt die Telefonnummer der Sicherheitspolizei in Stockholm. Er betrachtete sie eine Weile und entschloß sich dann, während nach und nach seine Kolleginnen und Kollegen erschienen, einen klaren Bescheid zu verlangen. Er wollte eine klare Antwort, ob das Ganze nun ein Scherz oder ernst gemeint war.
Er wählte die Nummer. Es läutete fünfmal, bis sich am anderen Ende eine Telefonistin meldete.
»Carl Hamilton«, sagte Mattias Johansson und fühlte sich ein wenig albern dabei, als könnte man eine solche Person nicht einfach anrufen wie andere Menschen.
Einen Augenblick, erwiderte die Telefonistin ungerührt, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, mit Carl Hamilton sprechen zu wollen.
Er meldete sich jedoch nicht selbst, sondern eine Frau. Sie sagte, es sei aber sein Apparat. Dann fragte sie, womit sie dienen könne.
Mattias Johansson erklärte sehr unsicher, es sei ein Brief von der Säpo gekommen, und er vertrete die Studentenschaft von Umeå, und in diesem Brief stehe also … nun ja, er habe den Eindruck, als könne der Generaldirektor …
»Aber ja, wie schön, daß du gleich angerufen hast«, unterbrach ihn die Sekretärin. »Einen Augenblick, der Generaldirektor kommt gerade!«
Mattias Johansson wurde verbunden, ohne daß er die Zeit fand zu protestieren. Er wußte gar nicht, wogegen er hätte protestieren sollen, empfand es aber so. Es läutete dreimal, und er hatte das Gefühl, Baumwolle im Kopf zu haben.
»Hamilton«, meldete sich plötzlich die bekannte Stimme, die er sowohl vom Fernsehen als auch vom Rundfunk her kannte.
»Hej, ich rufe von der Studentenschaft Umeå an«, sagte Mattias Johansson unsicher. »Wir haben hier einen Brief bekommen, und ich wollte gern wissen …«
»Genau«, unterbrach ihn die bekannte Stimme, die sich völlig normal und neutral anhörte, wie die eines Menschen, dessen Familie noch intakt ist. »Ich werde gern nach Umeå kommen, um die Studenten kennenzulernen. Ich nehme an, ich soll über die schwedische Sicherheitspolizei in dieser Zeit der Veränderung sprechen oder etwas in der Richtung?«
»Aber gern«, erwiderte Mattias Johansson. Er fühlte sich ein wenig albern, als wäre seine kurze Antwort typisch für die Parodie auf einen Norrland-Bewohner.
»Ausgezeichnet«, sagte die bekannte Stimme. »Ich habe aber einige Bedingungen, und ich bitte dich, sie zu notieren.«
»Aber gern«, erwiderte Mattias Johansson erneut. Langsam begann er zu erkennen, daß das Unwirkliche wirklich war.
»Erstens: Ihr dürft den Termin des Treffens frühestens drei Tage vorher bekanntgeben. Zweitens wünsche ich, daß wir um acht Uhr abends beginnen. Drittens wünsche ich, daß ihr Übernachtungsmöglichkeiten besorgt, am liebsten in Studentenwohnungen oder derlei. Ich brauche Zimmer für fünf Personen, mich eingeschlossen. Viertens darf außer dem engsten Kreis in eurer Verwaltung niemand etwas von dieser Einquartierung erfahren. Fünftens müßt ihr akzeptieren, daß Beamte der Sicherheitspolizei vorab erscheinen und einige praktische Dinge mit euch besprechen. Könnt ihr das alles regeln?«
»Aber ja«, erwiderte Mattias Johansson. Dann ging ihm auf, daß er sich vielleicht etwas ausführlicher äußern sollte. »Doch, das werden wir schon können«, verdeutlichte er.
»Gut«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Teilt es mir doch gleich mit, sobald ihr euch für einen Zeitpunkt entschieden habt.«
Dann wurde das Gespräch so schnell beendet, daß es den Anschein hatte, als wäre es unterbrochen worden. Mattias Johansson saß mit dem Hörer in der Hand da und betrachtete ihn, bevor er langsam auflegte. Dann ging ihm auf, daß seine vermutlich noch müden Kollegen erstaunlich schnell munter werden würden.
So hatte es angefangen. Und zunächst hatten die Kollegen in der Führung der Verwaltung geglaubt, daß auch Mattias Johansson sie auf den Arm nehmen wollte. Dann hatte man schnell ein Datum ausgewählt, für das ein Mitglied der Grünen abgesagt hatte, ein Mann, der jetzt nach Brüssel gehen würde, statt weiterhin gegen die EU zu agitieren. Anschließend hatte sicherheitshalber der Verwaltungschef persönlich angerufen, um das Datum mitzuteilen. Und war auf die gleiche selbstverständliche Höflichkeit gestoßen wie Mattias Johansson, obwohl er nicht mit Hamilton persönlich gesprochen hatte.
Anschließend waren tatsächlich drei Mann der Sicherheitspolizei nach Umeå gekommen. Sie gingen zwei Tage lang mit Blaupausen und Zeichnungen herum, prüften Ausgänge, Eingänge sowie Dinge, bei denen es sich nur um Schußwinkel und Fluchtwege handeln konnte. Die drei Sicherheitsbeamten mit den düsteren Mienen hatten mit keinem Wort angedeutet, daß ihre Arbeit unnötig oder übertrieben war; einer von ihnen hatte vor dem Besuch des früheren Ministerpräsidenten bereits einen ähnlichen, aber weniger sorgfältigen Rundgang gemacht.
Am Ende hatten sie jedenfalls zugestimmt, daß der Vortrag in der sogenannten Rotunde stattfinden sollte. Aus dem Blickwinkel der Sicherheitsbeamten war die Aula der Universität, in der zudem achthundert Personen Platz fanden, geeigneter erschienen. Ein sitzendes Publikum bei guter Beleuchtung war offenbar viel leichter zu kontrollieren als ein Auditorium, das nicht nur saß, sondern teilweise auch stand. Für die Rotunde, die gelegentlich auch als Diskothek diente, entschied man sich meist bei Musikdarbietungen. Der Nachteil der großen Aula war jedoch aus der Sicht der Veranstalter, daß man dort nicht mit drahtlosen Mikrophonen zu jedem gehen konnte, der dem Vortragenden Fragen stellen wollte. Hamilton hatte ausdrücklich mitteilen...
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