1
Das Hakenkreuz war ihm in die Brust geschnitten worden, bevor er starb. Der Mord war mit einer fast unglaublich entschlossenen Gehässigkeit ausgeführt worden. Es schien ein in die Länge gezogenes Ritual gewesen zu sein, bei dem der oder die Mörder das Opfer lange am Leben gehalten hatten, um ihm soviel Schmerz und Demütigung wie möglich zufügen zu können.
Dies war zumindest Rune Janssons spontane Vermutung, obwohl er bis jetzt kaum hatte Luft holen können. Der Gerichtsmediziner und die Techniker des Erkennungsdienstes würden noch viele Fragen beantworten müssen.
Er zwang sich, den Toten nicht mehr anzusehen, und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. In dem offenen Kamin war noch eine schwache Glut zu sehen. Es gab keinerlei Spuren von Kampf. Der oder die Täter waren offensichtlich bewaffnet gewesen.
Echte Perserteppiche, Ölporträts mit Goldrahmen an den Wänden. Eins der Gemälde stellte den Toten vor vielleicht zwanzig Jahren in Generalsuniform dar. Es war ein typisches Generalsbild: festes Kinn, halbes Profil, Adlerblick, alles, was dazugehört.
Im Raum roch es nach Urin.
Rune Jansson sah automatisch unter den Stuhl des Toten. Nein, er hatte sich nicht in die Hosen gemacht. Einen Meter von Rune Janssons mit Plastik überzogenen Schuhen entfernt lag eine Generalsuniform, als hätte sie jemand demonstrativ vor dem Toten ausgebreitet. Jemand, der nicht das Opfer hatte sein können, hatte die Uniform angepinkelt. Und dann das Hakenkreuz.
Rune Jansson trat näher an den toten Mann im Stuhl heran. Der oder die Täter hatten das Hemd unter der Hausjacke aufgeknöpft und die Brust des Opfers entblößt. Mit einem vermutlich sehr scharfen Schneidwerkzeug, wie es in den morgigen Berichten heißen würde, war ein Hakenkreuz in die Brust des Opfers geritzt worden und unter das Hakenkreuz zwei eckige Buchstaben, die das Wort ED* [* ED = schwed. Eid (Anmerkung des Übersetzers).] bildeten.
Soviel Rune Jansson erkennen konnte, war das Opfer mit fünf Schüssen getötet worden, von denen vier bewußt keine tödliche Wirkung gehabt hatten. Der tödliche Schuß war aus allernächster Nähe abgefeuert worden. Jemand hatte dem Opfer die Mündung einer Waffe unter die Nase gehalten, dann schräg nach oben gezielt und abgedrückt.
Die Gewebereste fanden sich noch in fünf Meter Entfernung hinter dem Opfer und auf einer Breite von etwa zwei Metern.
Die Gewebereste, dachte Rune Jansson.
Aber so heißt es nun mal. Ich bin Polizeibeamter, und dies ist mein Job. Ich muß klar denken. Wir werden den Scheißkerl schnappen, der das hier angerichtet hat, und deshalb muß ich klar denken.
Er trat behutsam einige Schritte zurück und versuchte, seine ersten spontanen Eindrücke zu einem Ablauf zu ordnen.
Sie kommen herein. Sie sind bewaffnet und damit sofort Herren der Situation. Das Opfer, ein alter Militär, leistet angesichts der bewaffneten Übermacht, oder wie ein General das sonst formuliert hätte, keinen Widerstand.
Sie fesseln ihn an den englischen Ledersessel. Es sind also mindestens zwei Täter, da niemand gern seine Waffe weglegt, um jemanden zu fesseln. Sie benutzen dazu die Krawatte und den Gürtel der Hausjacke. Sie fesseln die Handgelenke an die Armlehnen.
Dann geht jemand los und sucht die alte Uniform des Opfers. Vielleicht fragen sie den Mann auch, wo sie hängt. Sie werfen die Uniform vor dem Opfer auf den Fußboden und pinkeln darauf; das Labor wird feststellen müssen, ob es sich um den Urin eines Mannes oder zweier Männer handelt; nicht besonders profihaft, eine Urinprobe am Tatort zurückzulassen; Entschlossenheit und Haß dieser Mörder sind offenbar größer als ihr Wille, ungestraft davonzukommen.
Sie pinkeln also auf seine Uniform. Auf das Eichenlaub, auf die Generalssterne, auf diese Farbkleckse, wie immer die Dinger heißen. Dann fangen sie an, den General langsam zu Tode zu schießen. Es mußte schauerlich weh getan haben. Wie zum Teufel hatte der Mann es geschafft, dabei bei Bewußtsein zu bleiben?
Erst unterhalb der einen Schulter. Entfernung nur wenige Zentimeter. Man sieht deutlich die Pulverspuren am Einschußloch. Und dann, ja, das ist eine reine Vermutung, dann die eine Kniescheibe. Jetzt tut es wirklich weh, denn den ersten Schuß wird er wegen des Schocks kaum gespürt haben.
Dann die zweite Schulter, dann die andere Kniescheibe. Sie müssen absolut sicher gewesen sein, nicht gestört zu werden. Nein, diese Mörder denken nicht so. Für sie stehen Rache und Haß im Vordergrund, ein unglaublicher Haß.
Warum hat der Mann immer noch die Brille auf?
Wenn er noch bei Bewußtsein war, als sie ihn erst durch das eine Knie und dann durch das andere schossen, muß er ja versucht haben, den Oberkörper hin und her zu werfen. Trotzdem sitzt die Brille noch da.
Nein, das ist noch längst nicht alles.
Der Mann ist unfähig, sich zu bewegen, aber bei Bewußtsein. Jetzt entblößen sie seine Brust und schneiden das Hakenkreuz in die Haut und diese Buchstaben - hat er einmal einen Eid gebrochen? -, und dann wollen sie, daß er eine Brille auf der Nase hat. Sie holen die Brille, beispielsweise vom Schreibtisch. Nein, neben dem Stuhl liegt eine Zeitung; wir korrigieren uns.
Sie heben die Brille vom Fußboden auf und setzen sie ihm auf. Es ist eine Lesebrille. Sie hat wohl auf der Zeitung gelegen. Er konnte die Männer auch ohne Brille sehen und vor allem hören.
Sie wollen, daß er etwas liest. Soll er den Eid, den er gebrochen hat, vor dem Tod noch einmal lesen?
Nun ja, oder etwas in der Richtung. Er soll jedenfalls etwas lesen, bevor er stirbt.
Nachdem der Mann gelesen hat, hält ihm einer der Täter mit einer Hand das Dokument vors Gesicht, spricht mit seinem Opfer, drückt ihm die Pistole oder den Revolver, oder was er sonst benutzt hat, gegen die Nase.
Einige letzte Worte, Verwünschungen, Flüche oder höhnische Bemerkungen, und dann drückt der Mörder ab.
Die Täter räumen nicht auf. Sie lassen ihr Opfer mit der vollgespritzten, blutverschmierten und verrutschten Brille so sitzen, wie er ist. Das ist alles, was sich im Augenblick erkennen läßt. Vielleicht ist alles völlig falsch. Das werden wir sehen, wenn die Techniker mit ihrer Arbeit fertig sind.
»Sind die Techniker schon unterwegs?« fragte Rune Jansson in dem neuen, etwas abgehackten Tonfall, den er sich, wie seine Frau behauptete, seit seiner Beförderung zum Chef zugelegt hatte.
»O ja. Ich habe auch den Quacksalber in Linköping angerufen. Die ganze Bande ist schon unterwegs. Dürften in zwanzig Minuten oder so hier sein«, erwiderte der uniformierte Polizeibeamte, der mit einem rot-weißen Absperrband zwischen den Zähnen in der Tür stand.
»Der Quacksalber?« fragte Rune Jansson.
»Also der Gerichtsmediziner, Verzeihung, falls ich .«
»Schon gut, ich weiß. Aber der ist mit seiner Arbeit erst später dran.«
»Schon, aber das hier ist ja recht speziell, und ich dachte mir, daß er sich das Ganze vielleicht sozusagen am Tatort ansehen will. Er schien jedenfalls interessiert zu sein und hat ein Essen sausen lassen . und ja.«
»Richtig gedacht. Wie heißt du übrigens?«
»Arne. Arne Johansson.«
»Du bist als erster am Tatort gewesen?«
»Ja, ein paar Minuten vor dem Krankenwagen. Sie, also die Witwe, hatte 90 000 gewählt.«
»Mhm. Wo ist sie jetzt? Ist sonst noch jemand im Haus?«
»Nee, nur sie. In der Küche. Die Krankenwagenfahrer halten sie fest.«
»Halten sie fest?«
»Ja, sie versuchen, sie zu beruhigen und ihr irgendwas zu geben. Sie will unbedingt mit irgendeinem Chef sprechen, so daß es vielleicht am besten ist, wenn du .?«
»Ja. In der Küche, sagst du. Wo ist sie?«
»Raus durch die Diele, zweite Tür links durch einen Anrichteraum, und dann brauchst du nur dem Lärm zu folgen.«
»Dem Lärm?«
»Ja, die Alte, Verzeihung, die Witwe, ist stinkwütend. Dürfte der Schock sein.«
Rune Jansson drängte sich an dem uniformierten Beamten vorbei und zog sich die Plastikhüllen von den Schuhen. In dem dunklen Anrichteraum hörte er tatsächlich eine laute weibliche Stimme. Sie war durchaus nicht hysterisch, aber laut.
Er klopfte vorsichtig an der halboffenen Küchentür, bevor er eintrat. Am Tisch, einem großen Küchentisch aus massiver Kiefer, der in der Mitte der erstaunlich modernen Küche stand, saßen drei Personen. Zwei Krankenwagenfahrer und sie.
Sie strahlte eher Stärke als Trauer und Verzweiflung aus. Um die Augen war ein wenig Mascara verlaufen, aber sie saß mit kerzengeradem Rücken ein Stück vom Tisch entfernt in einer Körperhaltung da, die starke Mißbilligung verriet. Vor ihr lagen zwei weiße Pillen, und daneben stand ein Glas Wasser.
»Auf gar keinen Fall, habe ich gesagt. Und wer sind Sie?« sagte sie und wandte sich zu Rune Jansson.
»Ich heiße Rune Jansson und bin Chef der Kriminalpolizei in Norrköping«, erwiderte er. Er ertappte sich dabei, sich zum ersten Mal so vorgestellt zu haben.
»So, Sie sind also der Chef dieser Figuren hier«, sagte die grauhaarige Dame eher im Kommandoton als in Form einer Frage.
»Nein, sie sind Krankenwagenpersonal, und .«
»Können Sie denen nicht wenigstens sagen, daß ich so etwas nicht nehme!«
Rune Jansson warf dem Krankenwagenfahrer, der ihm am nächsten saß, einen fragenden Blick zu, bekam aber nur ein Achselzucken zur Antwort.
»Sie haben hier im Augenblick sicher nichts mehr zu tun?« sagte er in Richtung der beiden Männer.
»Nein, es ist ja kein akuter . das hier dürfte sicher noch eine Zeitlang dauern, so daß wir genausogut .?« erwiderte der...