Schweitzer Fachinformationen
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Everswinkel war eine kleine, unaufdringliche Gemeinde im Osten Münsters. Sie beherbergte eine katholische Kirche samt Friedhof, ein Gewerbegebiet, eine Waldorfschule und seit einiger Zeit das Detektivbüro Küppers, angeblich spezialisiert auf besonders vertrackte Ermittlungen. Auch de Jong hatte hier gewohnt, aber dann hatte es ihn für fast ein Jahr nach Sizilien verschlagen, und als er zurückkam, fand er seine alte Etagenwohnung anderweitig vermietet und bewohnt vor. Sein Vermieter, der aus Amsterdam stammte, hatte ihm ein vorläufiges Ausweichquartier zur Verfügung gestellt, ein ziemlich betagtes Hausboot mit dem Namen Het Oude Meisje, das er in Münster auf dem Kanal an der Anlegestelle Warendorfer Straße geparkt hatte. Meist roch es muffig, warmes Wasser gab es häufig, dafür tropfte es immer durchs Dach, wenn es regnete. De Jong hatte sich trotzdem in das Alte Mädchen verliebt, wenn auch hauptsächlich deshalb, weil er hoffte, Giulia eines Tages an ihrer romantischen Seite zu packen. Bis jetzt hatte sich diese Hoffnung noch nicht erfüllt. Romantische Gefühle, speziell was undichte Hausboote anging, waren nicht ihre Sache, sonst wäre sie wohl kaum mit einem Mann zusammen, gegen den sie einen erbitterten Kleinkrieg führte und dies eine »lebendige Beziehung« nannte.
»Weißt du, manchmal denke ich, mit uns könnte es noch mal klappen«, hatte sie de Jong erst neulich erklärt. »Wenn du wenigstens der wärest, der du sein könntest.«
»Was soll das denn bedeuten?«
»Wenn du dein Potenzial ausschöpfst, dann könntest du der Beste sein. Na ja, jedenfalls besser als jetzt. Aber so .«
»So? Was zum Teufel meinst du mit >so<?«
Darauf hatte sie nicht geantwortet, und er hatte wütend aufgelegt. Wütend und eingeschnappt war er gewesen und hatte seitdem das Eingeschnapptsein kultiviert - lange Abende verbrachte er allein auf dem Achterdeck seiner vorläufigen Behausung, trank Flaschenbier, blies Trübsal und grübelte über das »beachtliche Potenzial« nach. Er hatte damit angefangen, einen düsteren Roman zu schreiben, der davon handelte, dass ein zwangsläufig Verflossener seinen Nachfolger bei Giulia Tag und Nacht beobachtete, um ihn dann auf eine besonders langsame und grausame Weise umzubringen, worauf seiner Ehemaligen wie Schuppen von den Augen fiel, in was für einer pathologischen Beziehung sie gefangen gewesen war. Und dass sie jetzt alles dafür tun würde, mit ihm wieder zusammen zu sein, nur dass es dafür jetzt zu spät war .
An einem milden Spätsommerabend Anfang September schloss de Jong sein Fahrrad auf, um nach Senden zu radeln, zum Gasthof Krone des Münsterlandes, wo sein Exkollege silberne Hochzeit feierte. Das Wetter konnte sich nicht recht entscheiden, tagsüber bescherte es sommerliche Hitze, des Nachts plötzliche Böen, die nach Herbstlaub rochen, oder tückische Regenschauer, die wie aus dem Nichts zu kommen schienen.
Es war eine lockere Silberhochzeit, ohne Tischkärtchen und feste Menüfolge, was de Jong sehr entgegenkam, denn er verfügte über wenig Erfahrung als Hochzeitsgast. Die üblichen Reden wurden natürlich gehalten, aber de Jong war seinem Freund zu Dank verpflichtet, dass er ihn nicht um eine gebeten hatte. So stand er eine geraume Weile recht unnütz herum - Small Talk mit dem Glas in der Hand war auch nicht seine Stärke - bis er wenigstens ein bekanntes Gesicht entdeckte.
»Dat nenn ich mal eine Überraschung«, freute sich das Gesicht, obwohl man es ja eigentlich keine nennen konnte. Hauptkommissar Merzenich, rheinische Frohnatur und schon vor Küppers' Ausscheiden einer der aufgehenden Sterne am Münsteraner Kripohimmel.
»Na, wie geht's voran in der Welt der vorsätzlichen Tötungsdelikte?«, erkundigte sich de Jong höflich.
Merzenich seufzte auf effektvolle Weise. »Tja, glauben Sie mir, wie gerne ich Ihnen sagen würde, dat ich nicht klagen kann.«
De Jong glaubte ihm, fragte aber lieber nicht nach. Der Hauptkommissar schien jedoch geradezu darauf zu brennen, seine Fähigkeit zu klagen unter Beweis zu stellen. »Morde sind heutzutage nicht mehr dat Problem, sondern Personal. Sie kriegen einfach keine guten Kriminalisten mehr. Wenn sie nicht auf Fortbildung sind, sind sie krank, so ist das.«
»Immerhin«, sagte de Jong.
»Leute wie Sie könnte ich gebrauchen. Händeringend.«
»Aber die gibt es ja nicht mehr«, erklärte sich de Jong. »Selbst händeringend.«
»Wat würden Sie davon halten, wieder einzusteigen?«
De Jong hielt nichts davon, aber Merzenich erzählte trotzdem, dass man beim städtischen Finanzamt bei ähnlich kritischem Personalstand dazu übergegangen sei, Ehemalige zu »reanimieren«, auf 450-Euro-Basis oder ehrenamtlich, viele Ruheständler seien schließlich dankbar dafür, im Alter noch eine Lebensperspektive zu bekommen.
Währenddessen pustete Küppers, der silberne Bräutigam, in das Mikrofon und erklärte dann den versammelten Gästen, dass er und seine geliebte Millie auf eine Mittelmeerkreuzfahrt gehen würden, weil Millie sich das schon so lange gewünscht habe. Sie nahm ihm das Mikrofon weg: Nein, sie beide hätten sich das so lange gewünscht, und dann er wieder: Na ja, jeder, der ihn kenne, wisse ja wohl auch von seiner Leidenschaft für die Berge. Applaus.
»Hab was läuten hören, dat Sie jetzt sein neuer Partner sind«, grinste Merzenich und stupste ihn in die Seite. »Privatschnüfflermäßig.«
»Wer immer Ihnen das geläutet hat, hat falsch geläutet«, sagte de Jong sauer. Er zwängte sich durch die Menge der Applaudierenden, verließ die Gaststätte und trat in den Garten zu den Rauchern. Auch hier blieb er nicht lange allein. Beim Wiederhineingehen stieß er praktisch mit einem Mann zusammen, den er auf Anhieb wiedererkannte, obwohl der ihn schlagartig in eine ganz andere Zeit und an einen ganz anderen Ort versetzte. Oder vielleicht gerade deswegen. Und dem Mann schien es genauso zu ergehen.
»Das ist ja ein Ding«, murmelte er und starrte de Jong an.
Monströse Brille, dicke Lippen, zwischen denen eine Fluppe qualmte: Das war unverkennbar Mickie Kelzenberg. Ein halbes Jahrhundert älter, und immer noch sah er so aus, als hätte er gestern erst auf dem Schulhof herumgestanden. Immer noch hielt er sich so ungeschickt, als hätte man ihn gegen seinen Willen in seine Haut hineingezwängt. »Niklas Jong, stimmt's?«
»De Jong«, sagte de Jong und grinste. »Und du bist Mickie.«
Kelzenberg war bis zur Zehnten sein Mitschüler gewesen. Nicht, dass de Jong viel mit ihm zu tun gehabt hätte. Keiner hatte so richtig mit ihm zu tun gehabt. Mickie hatte meistens allein abgehangen.
»Was hat dich denn hierher verschlagen?«, erkundigte er sich.
»Der Job, was wohl sonst?«
»Bist du wirklich Bulle geworden?«
Alle Achtung, dachte de Jong. Das hatte er sich also gemerkt. Er nickte. »Aber das ist inzwischen schon wieder Vergangenheit«, sagte er.
Sie traten aus dem Pulk der Raucher hinaus und gingen bis an den Rand eines kleinen Teiches. Dort standen sie nebeneinander und starrten auf die schwarze Wasseroberfläche.
»Hoffe doch, du bist nicht auch so geworden wie die«, sagte Mickie.
»Wie die? Wen meinst du?«
»Na, sieh sie dir doch an: Alle hier haben brav Karriere gemacht, ihr Potenzial ausgeschöpft, genauso wie man's von ihnen erwartet hat.«
»Hört sich so an, als würdest du was davon verstehen«, sagte de Jong, der bei dem Wort Potenzial hellhörig wurde.
Mickie schnaufte abfällig, als wäre das ja wohl das Letzte, wovon er etwas verstehen wollte. »Gesellschaft für Selbstoptimierung - kein Scherz, die gibt's wirklich. Zufällig kenne ich den Laden ziemlich gut. Die haben sich da richtig reingesteigert. Und das peinliche Ergebnis kannst du überall bewundern.«
»Aber was ist denn daran so falsch?«, wollte de Jong wissen.
»Tja, wenn dir das nicht klar ist .«
De Jong fand das reichlich überheblich. »Und du hast den Stein der Weisen gefunden, oder was?« Dabei war ihm natürlich klar, dass man leicht zum Überheblichsein neigte, wenn man so betrunken war wie Mickie Kelzenberg.
Mickie rülpste. »Siehst du hier irgendjemanden, der glücklich ist? Oder anders gefragt: Bist du glücklich, Niklas?«
»Keine Ahnung«, sagte de Jong. »Wieso ist das anders gefragt?«
Kelzenberg wollte auf coole Weise...
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