Schweitzer Fachinformationen
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Wenn er es einrichten konnte, begab sich Exkommissar Niklas de Jong montags gern in die Innenstadt, hauptsächlich, um mit Kurt Schmedebach ein Schwätzchen zu halten. Schmedebach war der Inhaber von Schmedebach Tabakwaren, einem winzigen Ladengeschäft in der Fußgängerzone. Es führte aber nicht nur Tabakwaren, sondern auch diverse Süßigkeiten, Fernseh- und Tageszeitungen und neuerdings Münster-Souvenirs. Das stickige, düstere Innere roch nach Pfeifentabak und bedrucktem Papier. Wettfreudige konnten hier in aller Ruhe ihre Lottoscheine ausfüllen und dabei über die miserable Weltlage diskutieren.
Der Besuch lief immer gleich ab, wie nach einem ungeschriebenen Drehbuch, das allen Beteiligten seit Langem in Fleisch und Blut übergegangen war: Kurz bevor de Jong die schwere Ladentür aufdrückte, trat ihm ein Mann in den Weg, um die fünfzig Jahre alt, kahlköpfig und mit einem ausladenden Doppelkinn. Meistens trug er einen abgewetzten Pulli über einem verschwitzten Hemd, in der kalten Jahreszeit zwängte er sich in einen etwas zu kurzen, speckigen, graugrünen Parka.
Der Mann stellte sich als Rambo vor, grinste dann und sagte: »aber nicht der Rambo. Die Betonung ist auf der zweiten Silbe, Rambeaux, also keine Verwandtschaft.«
Dieser Hinweis erfolgte jedes Mal aufs Neue, obwohl de Jong - so wie jeder andere, den der Kahlköpfige anquatschte - seinen Namen längst kannte. Das galt auch für die Geschichte, die stets folgte: Rambeaux war gerade erst aus der Haft entlassen, seinen Haftentlassungsschein hatte er dabei und sicherheitshalber laminieren lassen, damit er durch den intensiven Gebrauch nicht unleserlich wurde. Aber jetzt kam das Problem: Da er obdachlos war und ehemaliger Strafgefangener, wollte keiner ihm einen Job geben. Und wie sollte er eine Wohnung bekommen, wenn er keinen Job hatte? Ein tragischer Kreislauf.
»Der Hauptmann von Köpenick lässt grüßen«, sagte de Jong jedes Mal.
Dann ließ der Exkommissar zwei Euro springen - als Spende und Starthilfe für den Obdachlosen, was dieser mit einem schiefen Lächeln quittierte, als könnte er sich gerade noch die Bemerkung verkneifen, dass zwei Euro nicht eben weit reichen würden, es sei denn, man wollte damit nur sein schlechtes Gewissen beruhigen.
»Überleg dir eine neue Geschichte, dann wird auch das Honorar üppiger«, sagte de Jong und betrat den Laden.
So verlief es meistens. Nur heute nicht. De Jong stand an der Ladentheke und hatte weder die alte Geschichte von der Haftentlassung gehört, noch war er zwei Euro losgeworden.
»Hat Rambo seinen freien Tag?«, erkundigte er sich bei Schmedebach.
Kurt Schmedebach, Ende vierzig, war klein und hatte die Figur eines Menschen, der wenig von Sport hält, lieber viel sitzt und seine Zeit damit verbringt, dem schnellen Hunger nachzugeben. Er war auffällig korrekt gekleidet - Jackett über einem weißen, gebügelten Hemd, dazu eine passende Krawatte. Was seine Sicht auf die Welt als Ganzes anging, musste man ihn als glühenden Pessimisten bezeichnen. De Jong hielt ihn sogar für einen der führenden Pessimisten seiner Zeit.
»Der war schon länger nicht mehr da«, sagte Schmedebach mit einem sauren Grinsen. »Tja, nicht nur die Kunden bleiben einem weg, was? Sondern sogar die Schnorrer.«
»Der kommt schon wieder.«
»Darauf wette ich.« Schmedebach ließ ein schnaufendes Lachen hören. »Selbst wenn sich kaum Kundschaft blicken lässt, einer muss schließlich da sein, der sie mir vertreibt.«
»Wie laufen denn die Geschäfte so?«, versuchte de Jong ein anderes Thema, ohne viel Hoffnung auf gute Nachrichten.
»Fragen Sie besser nicht«, meinte der Ladenbesitzer, aber weil der Rat ja offenkundig zu spät kam, fügte er hinzu: »Wenn das so weitergeht, kann ich zumachen. Glauben Sie nicht, was? Aber was beklage ich mich. Das kommt ja wohl kaum überraschend.«
»Für mich schon«, meinte de Jong, obwohl das kein bisschen stimmte. Wenn es nach Schmedebach ging, war er immer kurz vorm Zumachen.
»Kein Wunder. Sehen Sie sich die City an: Nur noch die großen Ketten mit ihren Filialen, die sich hier breitmachen. Gegen die hast du null Chancen. Und was kommt dabei heraus: gähnende Langeweile.«
»Das wird schon wieder.«
»Und das Internet macht alles noch schlimmer. Die Smartphone-Generation. Sie denken doch nicht, dass die noch einen Fuß vor die Tür setzt, um einzukaufen.«
»Wenn einer mal reichen würde«, gab de Jong zu.
»Fragen Sie die mal, ob es regnet oder die Sonne scheint. Dann gucken die nicht nach oben, sondern googeln die Wetterlage.«
»Naja«, meinte de Jong. »Sicher sind nicht alle so.« Er nahm eine Tageszeitung aus dem Ständer. Die Blutnacht von Sankt Lamberti lautete die Titelschlagzeile. Der Exkommissar legte sie auf den Tresen und kramte Kleingeld hervor, als sein Handy klingelte.
»Hier ist Eugen«, meldete sich eine männliche Stimme. »Kann ich dich kurz sprechen?«
Eugen Küppers und de Jong waren lange Zeit Kollegen gewesen. Seit Jahren trafen sie sich regelmäßig zum Bier und erörterten wichtige Dinge, die Weltlage und was früher alles besser gewesen war. Meistens waren die Dinge aber nicht so eilig, dass sie nicht warten konnten. »Klar«, sagte de Jong.
»Was macht die Schriftstellerei?«
»Keine Ahnung. Rufst du etwa deswegen an?«
»Natürlich nicht. Was ist mit übermorgen? Bleibt's bei neunzehn Uhr im Knipperdolling?«
»Ja, so wie immer. Wie lange machen wir das jetzt schon?«
»Was ist denn los? Hab ich dich bei irgendwas gestört?«
»Wieso denn?«
»Na, weil du so grantig bist.«
»Bin ich doch gar nicht. Vielleicht sagst du endlich mal, was ich für dich tun kann.«
Küppers ließ einen langen Moment verstreichen, bis de Jong sich schon fragte, ob er tatsächlich den Anlass seines Anrufs vergessen haben könnte. »Erinnerst du dich vielleicht noch an den Oktober 2005?«
»Dunkel«, sagte de Jong vage, dann präzisierte er: »Ehrlich gesagt, nein.«
»Ich hab dir damals den Arsch gerettet.«
Das half de Jong allerdings auf die Sprünge. Obwohl es nicht ganz zutraf, weil es genau genommen nicht sein Arsch gewesen war: Damals waren er und Giulia noch zusammen gewesen. Nach einer späten Party war sie auf dem Nachhauseweg mit dem Rad in eine Polizeikontrolle geraten, aufgrund ihrer alkoholisierten Hochstimmung spontan durchgestartet und hatte die Beamten abgehängt, dabei auch noch eine rote Ampel überfahren. Küppers, der jede Gelegenheit nutzte, um zu betonen, was für eine beeindruckende Frau Giulia sei - etwas zu oft, fand de Jong -, hatte damals versprochen zu sehen, was er für de Jong tun könne. Und so war die Angelegenheit schon bald recht glimpflich ausgegangen, regelrecht im Sande verlaufen. Wie Küppers das damals gedreht hatte, wollte de Jong auch heute noch nicht wissen.
»Stimmt, ja«, sagte de Jong. »Du meinst diese Sache.«
»Genau. Und jetzt wäre die Gelegenheit da, dass du dich revanchieren kannst.«
Nicht, dass de Jong einen Gefallen einfach so annehmen und sich nicht dafür revanchieren wollte. Aber wenn er ehrlich war, dann passte es ihm gar nicht so gut, dass sich ausgerechnet jetzt die Gelegenheit dazu bot. Er plante nämlich, an einem der nächsten Tage Giulia zu besuchen, seine Ehemalige - in Giulias Sprachgebrauch, der von de Jong bis heute nicht akzeptiert wurde -, die irgendwo in Frankreich an einem Workshop mit dem Thema »kreatives Schweigen« teilnahm. Der Besuch war nicht so ganz ohne, weil sie in keiner Weise mit ihm rechnete, sodass es aus ihrer Sicht möglicherweise wie ein Überfall aussah. De Jong dagegen sah es lieber als eine gelungene Überraschung.
»Du kennst doch Achim, meinen Neffen«, sagte Küppers. »Achim Bühlow.«
De Jong kannte ihn nicht, erinnerte sich aber, dass Küppers, selbst kinderlos, in seinen Neffen immer regelrecht vernarrt gewesen war. Da war schlichtweg nichts gewesen, was er dem Jungen hätte abschlagen können. Und jetzt war so viel Zeit vergangen, dass der Kleine längst erwachsen sein musste.
»Achim hatte es eigentlich auf die Steuerbranche abgesehen«, fuhr Küppers fort. »Kostennutzenrechnungen, Freibeträge, Gewinn- und Verlustrechnungen - so was hat ihn immer fasziniert, schon als Kind. Seinen Mathelehrer hat er damit schier in den Burn-out getrieben. Aber dann, eines Tages,...
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