Schweitzer Fachinformationen
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Freitag, 19. Dezember
9:30 Uhr
Michael Bublé hatte völlig recht: Es weihnachtete tatsächlich an jeder Ecke. Die mit Petunien bepflanzten Körbe an den Laternenpfählen waren mit silber- und goldfarbenen Kugeln geschmückt, an den Palmen am Straßenrand hingen filigrane Lichterketten, und auf der Plakatwand der Epic-Firmenzentrale in Burbank prangte die aktuelle Nummer eins der Netflix-Weihnachtsfilme. Mit Michael Bublés Version eines meiner Lieblingsweihnachtslieder über meine Airpods im Ohr - ein gutes Omen für alles Kanadische, was da kommen möge - trat ich durch die Eingangstür von Epic Productions, die wie ein riesiges Weihnachtsgeschenk geschmückt war, und verdrängte jeden Gedanken an Tomas. Was mir ganz gut gelang.
Abserviert. Entsorgt. Wie eine volle Mülltüte. Wieso musste das Wort so negativ behaftet sein? Schlimm genug, dass jemand einen nicht mehr in seinem Leben haben wollte, aber musste man sich auch wie Abfall fühlen? Nicht einmal »gekündigt« klang so brutal. »Den Job verloren« hörte sich an, als wäre das auf ein Missgeschick zurückzuführen, weshalb man nicht mehr dorthin zurückkehren konnte. Was ja nicht das Schlimmste war. Wenn es so viele Möglichkeiten gab, einen Mitarbeiter vor die Tür zu setzen, wieso konnte man eine Beziehung dann nicht mit einer ähnlich netten Formulierung beenden? Ohne dass der andere sich dabei aussortiert fühlte?
Eigentlich hatte ich weder an Tomas noch daran denken wollen, dass ich keine Pläne für Weihnachten hatte, doch der Bestätigungsanruf für meinen Spraytan-Termin heute Morgen hatte meinen Ex aus dem hinteren Winkel meines Gedächtnisses gezerrt. Den Termin hatte ich bereits vor Monaten vereinbart, um für unsere Reise einen Hauch Farbe zu haben, da ich meinen irischen Teint mit dem höchsten Lichtschutzfaktor jeden Tag eisern vor der kalifornischen Sonne bewahrte.
Ich schob meine XXL-Sonnenbrille hoch, steckte die AirPods in das Ladecase und verstaute sie in meiner schwarzen Crossbody-Bag, die ich zu Jeans und dem korallenroten Boyfriend-Blazer trug.
Der helle Eingangsbereich von Epic war mit Perserteppichen, Secondhand-Sofas und Antikmöbeln ausgestattet, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten. Der Studentencharme war keineswegs unserer Erfolglosigkeit geschuldet, ganz im Gegenteil: Wir waren sogar extrem erfolgreich und hatten das dritte Jahr in Folge den erfolgreichsten Weihnachtsfilm auf Netflix produziert. Einen Innenarchitekten zu engagieren, der das Headquarter auf Vordermann brachte, stand auf unser aller Aufgabenliste, nur kam niemand je dazu, sie bis zu diesem Punkt abzuarbeiten und es anzuleiern. Den Status als größte Produktionsfirma für Weihnachtsfilme behalten zu wollen, war mit einer Menge Arbeit verbunden.
Ich winkte Misha zu, die auf einem Hocker an der Rezeption saß.
»Hey, Zoey!«, rief sie und beugte sich über den Tresen aus wiederverwertetem Treibholz. »Oh, tolle Schuhe«, fügte sie mit einem Blick auf meine Kitten Heels hinzu, die gerade hoch genug waren, dass ich meinem Boss Elijah in die Augen würde blicken können. »Der Babysitter hat vorhin zugesagt. Ich habe also heute Abend Zeit. Wie wär's mit Cocktails im Azure?«
»Machen wir«, sagte ich. Misha war eine meiner ältesten und besten Freundinnen.
Ich ging den Flur hinunter, vorbei am Pausenraum, wo ich meine Wasserflasche füllte, und dem ersten Autorenbüro, wo ich Bethany kurz begrüßte, ehe ich nach links in den Korridor mit der angeschrammten Wandfarbe bog. Nach einem kurzen Klopfen betrat ich das Büro von Roberto Diaz, unserem Ober-Problemlöser, dessen vager Titel (Produktionsassistent) perfekt beschrieb, wie er jede produktionstechnische Hürde meisterte.
»Wie läuft es mit den Genehmigungen?« Allein die Erwähnung eines solchen Produktionsdetails zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht und ließ mich sofort all meine Gedanken an Tomas und das bevorstehende Solo-Weihnachtsfest vergessen. Ich konnte es kaum erwarten, mich auf diesen Film zu stürzen. Meinen Feiertagsfilm, eine Friends to Lovers-RomCom über Ruby Russo und Jacques Pelletier, die beiden Protagonisten.
Roberto fuhr sich mit seiner gebräunten Hand durch das wirre sandfarbene Haar und fixierte mich mit seinen blauen Augen, dann wies er mit einem Nicken auf das Drehbuch auf dem Stapel gegenüber von seinem Monitor. »Erledigt«, bestätigte er mit einem selbstsicheren Grinsen. »Die letzte Location ging heute Morgen durch.«
»Das schreit nach Ghettofaust«, rief ich und schob meinen Blazerärmel hoch.
Roberto nickte übertrieben. »Ach, Zoey, du weißt ja, dass die Ghettofaust mein Lebenselixier ist.«
Das war der einzige Grund, weshalb ich es überhaupt vorgeschlagen hatte. »Gut gemacht, Roberto.« Mein Lob war aufrichtig gemeint.
»Allerdings gibt's noch ein paar Vorbehalte«, wandte er ein, zog den Papierstapel heran und blätterte zum Formular für die Drehorte, in dessen rechter Spalte meine Anforderungen aufgelistet waren: Haus im Tudor-Stil. Lebensmittelgeschäft. Verschneiter Weg zum Haus. Schätzungsweise umfasste die Liste ein Dutzend Drehorte. Anhand meiner Angaben dürfte Roberto mehrere Wochen lang mithilfe von Google Street View nach den perfekten Locations Ausschau gehalten, mit den Eigentümern Kontakt aufgenommen und einen entsprechenden Tagessatz ausgehandelt haben. Ich wusste genau, wie viel Zeit so etwas in Anspruch nehmen konnte, weil ich früher Robertos Job hatte - so wie die meisten in der Firma.
»Ich weiß, dass du ein Haus im Tudor-Stil haben wolltest«, sagte er. »Eine exakte Entsprechung habe ich nicht gefunden, aber zumindest ein georgianisches Stadthaus, dessen Besitzer, ein Ehepaar, es uns zur Verfügung stellen. Vor zwei Jahren haben wir schon Weihnachtsfieber dort gedreht. Es ist großzügig, mit hohen Decken und Stuckverzierungen, außerdem wissen die beiden, was zu tun ist. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie auf den Caymans überwintern und ohnehin nicht da sein werden.«
Ich runzelte die Stirn. »Ein georgianisches Stadthaus? Das ist stilistisch gesehen ziemlich weit weg von Tudor. Außerdem klingt es nicht nach Chelsea, finde ich. Spielte Weihnachtsfieber nicht in New York?«
Mein Blick fiel auf unser vertrautes Logo, als er die Genehmigung durchblätterte: Das große N mit Filmlochstreifen auf dem linken Strich, dann das schwarze Y und C des New York Film Office, das für die Ausstellung sämtlicher Drehgenehmigungen der fünf Stadtbezirke zuständig war.
Mit meinem frisch lackierten Nagel (You Don't Know Jacques! von OPI zu Ehren von Rubys Angebetetem im Film) tippte ich auf die Seite. »Aber das ist die Genehmigung von der New Yorker Filmstelle!« Es war, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Einen heftigen.
»Stimmt«, erwiderte er. »Für die 24th Street und die Ninth Avenue. Willst du die anderen Locations sehen? Ich habe eine Bodega an der Ecke West 30th/Tenth Avenue am Haken und bin ziemlich sicher, dass es für den verschneiten Weg mit der High Line klappt, vorausgesetzt, wir drehen montags, was mir als absolut machbar erscheint.«
»Aber ich wollte Chelsea in Québec.« Meine Stimme wurde eine Oktave höher. Ich zupfte an meinen langen braunen Haaren, die ich auf dem Weg aus dem Fitnessstudio am Morgen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
»Was meinst du damit?«, fragte er verwirrt.
»Die Kleinstadt. In Québec. In Kanada.«
»Was ist damit?«
»Dort spielt der Film, Roberto! Hast du das Drehbuch nicht gelesen?«
Doch noch bevor ich es ausgesprochen hatte, kannte ich die Wahrheit bereits. Natürlich hatte er es nicht gelesen. Damals, als ich noch seine Position innehatte, als Branchenneuling, hatte ich das auch nie getan. Denn es war schlicht keine Zeit für die Lektüre geblieben.
»Spielt das eine Rolle?«, fragte er, immer noch verwirrt.
»Was ist hier los?«, ertönte eine Stimme auf dem Korridor. Sekunden später steckte Elijah den Kopf zur Tür herein. Er trug einen blauen Blazer über seinem weißen Hemd, in dessen lässig aufgeknöpftem Kragen eine geschmackvolle Goldkette schimmerte. Unter dem Arm hatte er eine zerknautschte Ledermappe, in der linken Hand einen Stift. Der Geschäftsführer von Epic und mein Boss wirkte stets wie von einem Profi gestylt, bis hin zu den Accessoires. Was vermutlich auch der Fall war. Seine Freundin arbeitete als Stylistin in einer Vormittagstalkshow.
»Gar nichts«, wiegelte ich eilig ab. »Nur ein kleines Problem. Nichts, was sich nicht lösen ließe.« Ich rang mir ein Lächeln ab, ehe ich mich wieder Roberto zuwandte. »Also, überlegen wir, woher wir die richtige Genehmigung kriegen.«
»Die richtige?«, hakte Elijah nach. »Welche ist denn die verkehrte?«
»Ein Missverständnis. Roberto hat erstklassige Genehmigungen für Chelsea in New York eingeholt, ich wollte aber Chelsea in Québec.«
»Wir drehen nicht in New York.« Nun hob sich auch Elijahs Stimme merklich. »Dafür haben wir gar nicht das Budget.«
»Das weiß ich«, sagte ich. Außerdem könnten wir auch nicht in New York drehen, weil die Story in den winterlichen Laurentinischen Bergen angesiedelt war. Poutine. Ahornsirup. Céline Dion. Lange Spaziergänge durch verschneite Wälder. Jedenfalls nicht die quirligen Straßen Manhattans.
»Hatten wir nicht eine Genehmigung für Vancouver?«, blaffte Elijah Roberto an.
Robertos Haar flog hoch und senkte sich...
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