Schweitzer Fachinformationen
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Ann Arbor, Michigan
Ich will bloß mein Buch lesen. Aber im Knight's, dem Steakhouse in der Liberty Street, wo ich auf einem weißen Kunstlederstuhl an einem Fenstertisch sitze, ist es zu dunkel. Nicht einmal die Lichter des Michigan Theater gegenüber reichen, um den Platz zu erhellen.
Außerdem bin ich mit Kevan da. Ke-van. Mit »a« hinten.
Gerade ist er an der Bar, um den Spielstand der Basketballmatches zu checken, die auf einem der Flatscreen-Fernseher übertragen werden.
Vielleicht schaffe ich es ja, mit meinem Handylicht ein paar Zeilen des Julia-Quinn-Romans zu lesen, den ich heute angefangen habe, denn die Liebesgeschichte nimmt gerade Fahrt auf.
In der Sekunde, als meine Finger das weiche Papier des Buches in meiner schwarzen Lederhandtasche berühren, kommt Kevan zurück und rutscht auf den Stuhl neben mir. Ich ziehe meine Hand heraus.
»Die Tigers führen, die Pistons liegen hinten. Wollen wir uns einen Krabbencocktail teilen?«
»Danke, nein. Ich habe schon was gegessen.«
»Ist doch nur ein Krabbencocktail«, meint er. »Den kriege ich hier gratis, weil ich im Best Customer Club bin.« Mit dem Daumen deutet er auf das Schwarz-Weiß-Foto an der Wand hinter sich, wo gerahmt die Bilder anderer Topkunden hängen, darunter sein Vater, der Professor an der University of Michigan ist. »Da sind auch Calamari drin. Musst du probieren. Ist das Beste auf der Karte.« Ein Typ an der Bar reißt jubelnd die Arme hoch und springt von seinem Hocker auf. Kevan hebt einen Finger. »Bin gleich wieder da. Bestell schon mal, falls die Kellnerin vorbeikommt.«
Ich werde Dory umbringen. Kevan lässt mich zum dritten Mal wegen des Spielstands allein am Tisch sitzen. In dem Fall kann ich wohl auch mein Buch rausholen und lesen, oder? Aber ich habe Dory versprochen, mich zu bemühen. Anders als mit Roman vor ein paar Wochen und mit dem Typ davor . Aidan oder Adrian. Der mit den vier Katzen.
Kevan kommt wieder zurück, setzt sich und trommelt mit den Fingern auf dem Rand des hohen Mahagonitisches.
»Willst du dich lieber an die Bar setzen?«, frage ich. Vielleicht könnte ich ja lesen, während er das Spiel verfolgt, und wir wären beide zufrieden.
Er schüttelt den Kopf. »Auf keinen Fall. Heute ist unser erstes Date, und ich will mich mit dir unterhalten. Wo waren wir? Ah ja, ich habe dir von meiner Band erzählt.«
Ich glaube nicht, dass er eine Band erwähnt hat, aber möglicherweise war ich mit den Gedanken bei Zane, mit dem ich wesentlich lieber hier wäre. Gelangweilt schaue ich zum Fenster hinaus. Auf der anderen Straßenseite steht ein schlaksiger Teenager in weiter Hose auf der obersten Sprosse einer Leiter und sortiert mit dem Metallgreifer an einer langen Stange die eckigen Plastikbuchstaben für die Titel der neuen Filme dieses Wochenendes.
»Wir nennen uns die Double As«, erklärt Kevan. »Der Name funktioniert auf mehreren Ebenen, weil wir alle Anatomie-Dozenten und aus Ann Arbor sind. Nächste Woche treten wir im Mash auf. Komm doch.« Er zeigt mit seinem schmalen Finger auf mich. »Du könntest mein Groupie sein.«
»Tut mir leid, da kann ich nicht.«
»Ich habe dir ja noch gar nicht gesagt, an welchem Tag«, neckt er mich mit einem schiefen Grinsen, nimmt seinen Bierkrug und stößt mit mir an, wie bei jedem einzelnen Schluck zuvor. Bestimmt ist schon etwas davon in mein halb volles Glas Sauvignon Blanc geschwappt.
Ich blinzle und versuche, positiv zu bleiben, wie ich es Dory versprochen habe. Kevan sieht nicht übel aus. Er hat schöne bernsteinfarbene Augen, ebenmäßige Zähne und einen vollen Mund, allerdings auch ein merkwürdiges Bärtchen unter der Unterlippe, das mir auf seinem Profilfoto nicht aufgefallen war. Und im linken Ohr trägt er mehrere Stecker, alle aus Bernstein - dem Geburtsstein seiner Mutter, wie er mir erläutert hat.
Während Kevan über irgendetwas schwafelt, überlege ich, was ich Dory erzähle, wenn sie mich todsicher fragt, wie es gelaufen ist.
Ein zweites Date wird es nicht geben, werde ich ihr sagen. Und sie wird wissen wollen, warum. Ich werde es erklären. Es liegt nicht an den erwähnten Eigenheiten, den Ohrsteckern oder daran, dass er pausenlos die Spielergebnisse checken muss, an seiner Band oder seiner Begeisterung für den Gratiskrabbencocktail. Meine Ablehnung hat rein gar nichts mit Kevan zu tun, genauso wenig wie mit Roman oder Aidan oder Adrian oder irgendeinem der anderen Typen, mit denen ich über die XO-Dating-App verabredet war. Sondern ausschließlich daran, dass Kevan nicht Zane ist. Für Kevan und mich wird es nie einen romantischen Anfang unserer gemeinsamen Geschichte geben. Das ist das Problem mit Dating-Apps, jedenfalls für mich. Sie beginnen immer mit einem Algorithmus. Ich wünsche mir aber eine Geschichte. Und wenn ich die nicht haben kann, lese ich lieber ein Buch.
Einen Krabbencocktail und eine halbe Stunde später stehen wir zum Glück draußen auf der Straße. Weil Kevan in die entgegengesetzte Richtung zu meiner Wohnung geparkt hat, kann ich ihn davon überzeugen, dass mir ein siebenminütiger Spaziergang allein lieber ist.
Die winzigen weißen Blüten an den Duftblütensträuchern unter dem breiten Dach der Ahornbäume auf der Liberty Plaza verbreiten einen herrlichen Aprikosenduft. Ich biege in die Washington Street ein, wo die Mischung aus Mondschein und sporadischem Licht von Straßenlaternen den Rückweg zu Love Interest, meiner Buchhandlung und meinem Zuhause, erhellt. Das Glöckchen über der Tür klingelt, als ich eintrete, und der vertraute Geruch von alten Büchern begrüßt mich. Bei jedem Schritt über den mit Perserteppichen bedeckten Hartholzboden steigen kleine Staubwolken auf, als ich den Raum durchquere. Ich werfe meine Handtasche auf die zerschrammte Eichenverkaufstheke, die mein Großvater geschreinert hat und in die Dutzende berühmter Autoren und Autorinnen in den fünfzig Jahren ihrer Existenz ihre Namen geritzt haben, und hole den Besen aus dem hinteren Lager. Das Metall fühlt sich kühl in meinen warmen Händen an. In dem Fach unter der Theke steht eine Sprühflasche, aus der ich regelmäßig meine Bromelien einneble, daneben liegt mein ledergepolsterter schwarzer Kopfhörer, den ich mir aufsetze. Mein Handy ist ganz unten in der Handtasche vergraben; meine Finger kribbeln vor Vorfreude, als sie es berühren. Ich wische über das Display und halte beim Anblick des Titels - Die Stunde der Entscheidung - inne. Beim Gedanken daran, wie ich das Buch in der Audiobook-App entdeckt habe, geht mir das Herz auf.
Daran, wie es mir das erste romantische Treffen meiner Eltern ins Gedächtnis rief.
Wie ich es mit einem Achselzucken abtat und dann doch lauschte.
Wie ich Zanes Stimme das erste Mal hörte.
Ich drücke auf Play. Als Zanes Stimme ertönt, verflüchtigt sich die Realität.
»Sieht nach Nordostwind aus«, sagte Jack und rieb sich über die Bartstoppeln am Kinn. Mirabelle schaute zu ihm hinüber und überlegte, ob er mit ihr redete. Ob sie etwas erwidern sollte. Sie zog ihr hauchdünnes Tuch enger um die Schultern und blickte auf die Schaumkronen im dunkler werdenden Wasser hinaus.
Zanes sanfte Stimme liebkost jedes Wort. Ich blende die Story aus, die ich auswendig kenne, und tue so, als würde er mit mir reden, mir von seinem Tag erzählen. Für Passanten mag es so aussehen, als würde ich nur den Boden fegen, für mich jedoch ist Zane bei mir, während ich den Laden putze.
Heute Abend ist das nicht der schlechteste Teil des Tages, sondern der mit Abstand beste.
Zanes Stimme trägt mich förmlich durch meine Tätigkeit. Der eben noch schmutzige Boden verwandelt sich in einen sauberen. Der Papierkorb unter der Ladentheke, der bis zum Rand mit Pappbechern, Plastikdeckeln und Kassenbons gefüllt war, leert sich. Die fadenscheinigen Teppiche husten Staubwolken gegen die Ziegelwand hinter dem Haus. Der schwere Ladentisch ist im Handumdrehen ordentlich. Das alles geschieht, während ich mit seiner Stimme allein bin.
Eine Stunde später - auch jetzt noch höre ich Zanes Stimme über Kopfhörer - trete ich hinaus und verschließe die Ladentür hinter mir, bevor ich zur Fourth hinübergehe. Die Stufen zu meiner Wohnung im ersten Stock knarren unter meinen Füßen, und die alte Eichentür bleibt wie immer an einem lockeren Dielenbrett hängen, sodass ich ein wenig dagegendrücken muss. Allmählich merkt man dem Apartment das Alter an - viel deutlicher als damals, als Mom und Dad mit Lars und mir hier wohnten. Dory liegt mir ständig in den Ohren, das klemmende Schloss, den tropfenden Wasserhahn und den herausstehenden Nagel im Dielenboden vor meinem Bett, an dem ich mir jedes Mal die Socken aufreiße, endlich reparieren zu lassen. Aber eigentlich soll ich den Handwerker auch noch für etwas anderes anheuern. Und ihr hinterher davon erzählen. »Er könnte süß und Single sein«, hat sie mehr als einmal gesagt, aber seien wir ehrlich: Er wird bestimmt nicht so sein wie Dominic, der Handwerker und alleinerziehende Vater, in den sich Emma in Jane Greens Falling verliebt. Männer sind nie so. Und keiner besitzt das Seelenverwandtschaftspotenzial eines Zane.
Wie sich herausstellt, ist es gar nicht so schwierig, den tropfenden Wasserhahn in der Küche in den Griff zu bekommen. Und dass ich es auch allein schaffe, zeigt mir, dass ich keinen Mann brauche, um vollständig zu sein - selbst wenn der Hahn nach ein paar Wochen wieder zu tropfen anfängt, weil ich es nicht fachmännisch hinbekommen habe. Dad hatte seine...
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