Schweitzer Fachinformationen
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Letztens hat die Stadtzeitung eine bestellte Glosse von mir vergessen und verwurstelt. Die zuständige Redakteurin hat sich per E-Mail damit entschuldigt, dass sie »wahrscheinlich schon unter Seltenheimer« litte (mir aber kein Ausfallshonorar in Aussicht gestellt). In der nächsten Nummer ist die Glosse nun doch erschienen - unter dem Titel der vorletzten.
Bei Veit Heinichen lese ich gerade: »Man sieht die Wipfel der Karnischen Alpen.« Jubel! Das tut einer verwundeten Schriftstellerseele gut!
Zum Bundespräsidenten hätte ich dann eh nicht können, weil sich gegen Abend eine Druckstelle am Unterkiefer entwickelt hat. Das kommt leider häufig vor. Druckstellen oder Reibstellen sind weniger schlimm als Zahnschmerzen, aber immer noch unangenehm genug. Ortung: Unten, links, hinten. Die Beseitigung ist gewöhnlich kein Problem, sofern eben die Zahnarztpraxis geöffnet ist. Woanders mag ich nicht hingehen, zu keinem Notdienst, zu keiner Urlaubsvertretung. Zur Druckstellenbeseitigung muss man bloß ein kleines bisschen Prothese abschleifen. Das kann auch die Assistentin machen.
Über Nacht ist die Druckstelle unten, hinten, links, was durch Extraktion der Prothese manchmal glückt, nicht verschwunden, und weil wir (ich) morgen zur Marunada, dem Kastanienfest nach Opatija wollen (will), sollte ich etwas unternehmen. Durch meinen elenden Körper sind mir alle Reisen, vor allem alle Auslandsreisen vergällt: Mit einer Druckstelle fängt es an, und mit einem Herzinfarkt hört es auf. Alle Weihnachten, Ostern und verlängerten Wochenenden sind mir wegen dieses miesen Gebrauchtkörpers vergällt, all die verfluchten Zeiten, die die niedergelassenen Ärzte zu Kurzurlauben nutzen.
Auf dem Weg zum Zahnarzt denke ich über das Sterben nach, über meinen Todesort. Einmal habe ich geschrieben, dass ich während einer Lesung erschossen werden möchte. Das war kokett. Ein anderes Mal, ich wolle küssend sterben. Na ja. Vielleicht auch nicht.
Heute weiß ich: Ich will daheim sterben. Nicht im Ausland, nicht in einer anderen Stadt, nicht unterwegs. In Österreich, in Klagenfurt, in meinem Haus, in meinem Atelier, auf dem Sofa. Gesund. Gemütlich. Lebenssatt wie Hiob. Leicht. Vielleicht auch noch am Silvesterabend wie alle meine Helden. Auf dem Gehsteig liegt ein toter Mann. Nein, tot ist er nicht, er bewegt sich noch. Aber alt ist er und liegt am Rücken auf dem Asphalt und kommt nicht hoch und wirkt abwesend. Eine Frau kniet sich zu ihm nieder, ein anderer Mann kommt, ich komme, wir helfen ihm hoch. Die Frau meint, ich solle die Rettung anrufen. Wie geht die Nummer? Versuchen wir es mit 144. Freizeichen. Niemand hebt ab. Stimmt 144? Oder doch 141? Oder gar 122? 120 ist der ÖAMTC, aber der hilft hier nicht. Noch immer hebt niemand ab. Ob man die Ortsvorwahl nehmen muss? Oder das österreichische Landeskennzeichen? Warum hebt niemand ab? Wenn er stirbt! Jetzt ist der Akku leer. Einmal ist mein Handy nicht frisch aufgeladen, weil Herta den Akku verschlampt hat, schon geht es um Leben und Tod und ich versage. Tot. Tilt. Keine Verbindung. Ende. Dem Mann geht es wieder besser, nur ein Schwächeanfall, er wohnt gleich um die Ecke, danke für die Hilfe. Wenn der gestorben wäre, während ich zu blöd gewesen war, die Rettung zu verständigen .
Es gibt Situationen, da will ich mit mir nichts zu tun haben.
Bei der Lektüre von Julian Barnes' Dover-Calais im Zahnarztwartezimmer stört mich immer wieder das Ö3-Gequatsche, das wie eine Klangwolke die Praxis erfüllt. Noch schlimmer als Andi Knoll ist die Werbung. »Blödmann!«, schallt es durch das Wartezimmer. Ich zucke unwillkürlich zusammen. Genau genommen brauche ich beim Zahnarzt auch keine Staumeldungen aus Niederösterreich und dem Burgenland. Meine Lieblingsassistentin, die nette pummelige, scheint nicht da zu sein. Und die andere, die lispelnde, lässt sich nicht blicken. Und der Zahnarzt auch nicht. Ein ganz leichtes, monotones Rasseln, wie nach dem Weltuntergang. Sprechstundenhilfe gibt es keine, die Eingangstür öffnet automatisch. Aus dem leisen Rauschen aus den Behandlungsräumen schließe ich, dass doch jemand da sein muss. Jetzt sitze ich schon eine halbe Stunde hier wie der letzte Mensch auf der Welt, höre unfreiwillig Ö3 und bin noch nicht einmal registriert worden. Nach einer Dreiviertelstunde bekomme ich im Zahnarztwartezimmer Augenweh. Was nun?
Morgen ist Nationalfeiertag: Danke, Ö3! Dank Ö3 weiß ich jetzt auch, dass erstens Wien keine Landeshymne hat, zweitens die oberösterreichische im Dialekt gesungen wird, drittens das falsche Singen der Tiroler Hymne mit zweitausend Euro geahndet wird.
Radio ist Terror.
Rainhard Fendrich verändert gerade einen seiner dussligen pseudopatriotischen Liedtexte dergestalt, dass er in eine Werbung für Hartl Häuser passt, als die Assistentin, die andere, doch erscheint, mich bemerkt und mich vorwurfsvoll fragt, warum ich mich nicht früher bemerkbar gemacht habe.
Bei wem?, frage ich.
Die Assistentin seufzt. Jetzt ist blöd, sagt sie.
Ich kann mir leider nicht aussuchen, wann Druckstellen entstehen, sag ich.
Sie kann mich nicht wegschicken, aber sie kann mich auch nicht drannehmen. Das kann jetzt dauern, sagt sie. Die E-Card nimmt sie aber vorsorglich. Blödmann! Heute, sagt sie, ist ein Wahnsinn.
Da kommt aber doch die andere, meine Lieblingsassistentin, lächelt mich an und sagt, gehen wir da in den Raum nebenan, meiner ist noch besetzt. Während ich die Prothese aus dem Mund nehme, wächst in mir ein schrecklicher Verdacht: Das ist gar keine Assistentin. Das ist die Zahnärztin! Seit zwanzig Jahren halte ich meine Zahnärztin für ihre Assistentin - und kann nur deswegen so nett und ungezwungen mit ihr plaudern. Soll ich das Missverständnis aufklären? Aber je länger man jemanden kennt, desto schwerer kann man ihn fragen, wer er ist.
Meine kleine Tochter Ira, neun, erzählt mir vor dem Einschlafen, dass Britney Spears sich im Rausch eine Glatze hat schneiden lassen und deswegen sogar »in die Psychologie« gekommen ist. Heute hat Ira ihr erstes Lied getextet. Titel: Wer Himbeeren paniert, ist wirklich verwirrt. Ja! In fünfzehn Jahren ist sie ein Star!
Wir haben drei Möglichkeiten.
Erstens: Wir fahren ans Meer, nehmen Ira gegen ihren Willen mit und sind drei Tage lang mit Sätzen wie denen beschäftigt: »Wo sind wir jetzt?« »Wie lange brauchen wir noch?« »Mir ist langweilig!« »Wann fahren wir?« »Mir ist so langweilig!« »Mir ist schlecht!«
Zweitens: Wir fahren ans Meer, lassen Ira bei den Großeltern, sehnen uns drei Tage nach Ira und denken uns, wie schön es wäre, wäre sie jetzt hier bei uns. Wozu hat man denn Kinder, wenn man sie weggibt und nicht an all dem Schönen teilhaben lässt, das man selbst erlebt? Das Schöne besteht freilich hauptsächlich aus essen und trinken und wieder essen und wieder trinken, aufs Meer hinausschauen und lamentieren und lästern über Gott und die Welt. Bei Punkt zwei ängstige ich mich zusätzlich, dass mir ein tödlicher Unfall passiert und Ira zu Hause mit ihren neun Jahren ihre sensationellen Eltern verliert und ihr restliches Leben lang ein armes Waisenkind bleibt. Noch viel schlimmer wäre, dass ihr etwas zustößt und ich sie verliere. Seit der neunjährige Bub letzte Woche auf dem Schulweg auf dem Zebrastreifen bei grüner Ampel von einem Lastwagen überrollt und getötet worden ist, will ich Ira nach Möglichkeit überhaupt nicht mehr aus den Augen lassen.
Drittens: Wir sagen unseren Meeresausflug nach langem Hin und Her schließlich kurzerhand ab und bleiben daheim. Aber das wäre ein Präzedenzfall. Achtung, Falle!
Ich hasse Absagen. Ich fürchte mich vor dem Wegfahren, aber ich hasse das Daheimbleiben. A) schreit mich gerade meine innere Stimme an: »Adria!« »Scampi!« »Calamari!« »Maroni!«, B) wäre es mir äußerst unangenehm, den Nationalfeiertag innerhalb der Nation zu verbringen. Am Nationalfeiertag bin ich immer auswärts, letztes Jahr in Warschau, im Jahr davor in London und so weiter: Die Maßnahme hat sich sehr bewährt. C) ist Opatija ohnehin schon der Minimalkompromiss, weil wir C1) am Landesfeiertag nicht am Meer, sondern bloß in Trzic gewesen sind und wir am Nationalfeiertag nicht wie ursprünglich geplant nach C11) Budapest oder C12) Prag fahren. Ich muss weg. Ich muss die Welt erobern. Ich war extra beim Zahnarzt.
Ich muss. Ich will. Ich werde. Ich bin ein Österreicher, dem Triest und Rijeka näher liegen als Wien. Ich bin ein Österreicher, dem Ljubljana näher liegt als Graz. Ich bin ein Österreicher, dem Venedig näher liegt als Salzburg, Verona näher als Linz, Bologna näher als St. Pölten. Ich bin ein Österreicher, dem Florenz näher liegt als Innsbruck und Rom näher als Bregenz! Eine Nationalfeiertagsansprache, die ausschließlich vom Ausland handelt! Trotzdem - und obwohl...
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