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Als H. G. Wells im Alter von fünfundvierzig Jahren zusätzlich zu seinem Haus in London einen hübschen roten Backsteinbau in Easton Glebe in Essex, also im Süden Englands mietete, hatte er seine bedeutendsten Werke, allen voran Die Zeitmaschine, bereits geschrieben und war auf dem Gipfel seines Ruhms. Es sollten noch zwanzig weitere Romane folgen, die aber allesamt nicht beachtet wurden.
Mit Little Easton war auch ein Herzenswunsch von Jane, seiner zweiten Frau, in Erfüllung gegangen. Ihr zuliebe hatte sich H. G. - »Eidschi« - schon vor fünfzehn Jahren von seiner ersten Frau Isabel scheiden lassen. Nun konnte das Söhnchen des Ehepaars Wells auf dem Land aufwachsen, in guter Luft, in angenehmem Klima.
Es gab in Easton Glebe eine ebene Weide, die Eidschi mähen, als Hockeyfeld markieren und mit richtigen Toren mit Netzen ausstatten ließ, die sich herrlich bauschten, wenn man den Ball hineinschoss, was Wells ein unglaubliches Lustgefühl verursachte. Eidschi konnte nicht genug davon bekommen, die Bälle wie Pfeile in die Kreuzecke zu jagen! Wie das eine ins andere passte! Wie das krachte, wenn die Geschoße die Tore beinahe aus der Verankerung rissen! Phänomenal! Das war wie Sex, wie ein Orgasmus, wie ein täglicher Welt-Höhepunkt! Enormer Druck. Enorme Entladung. Enorme Erleichterung. Ahhh! Die Netze in Easton Glebe mussten sich bauschen; die wunderschönen Spielzüge, die zu den wunderschönen Toren führten, leuchteten und glitzerten in Eidschis Geist wie bunte Neonketten. Wie Nabelschnüre des Universums. Noch nachts am Schreibtisch zeichnete er sie in tiefster Befriedigung nach und schuf aus dem Hockeyspiel Geometrie und Mathematik, pure Schönheit, pure Lust! Überall Sturm und Drang und Druck auf Wiesen und Feldern, überdimensionierte Peniskanäle der Fantasie, überall vergoss Eidschi seinen Samen! Jane freute sich, wenn sich Eidschi freute, auch wenn er dadurch später zu Bett ging. Außerdem war zwischen ihnen ja noch ihr kleiner George Philip, Gip genannt. »Jane« hieß eigentlich Amy Catherine. Eidschi nannte sie bloß »Jane« - er hatte eine Abneigung, jemanden so zu nennen, wie er genannt war. Diese dichterische Freiheit nehmen sich viele Dichter, denn sie kostet nichts und erregt im Glücksfall Aufsehen. Dichter sind schließlich im Grund nichts anderes als Benennungskünstler. Ringelnatz nannte sich Ringelnatz, obwohl er eigentlich Hans Gustav Bötticher hieß. Wirklich schön ist Ringelnatz auch nicht, lässt ein wenig an wirbellose Fauna denken . hier im Reptilienzoo sehen wir heute ein schönes Ringelnatzexemplar, na, wie auch immer, seine Frau nannte Ringelnatz Muschelkalk, und die Wahrheit ist, dass Muschelkalk Ringelnatz weder Muschelkalk noch Ringelnatz geheißen hat, sondern Leonharda Pieper. Dazu später mehr. Wells hingegen kommt nicht vom Fisch, Wells hieß wirklich Wells, allerdings wurde er postum mit Orson Welles verwechselt. Ob Orson wirklich Orson hieß, weiß man nicht so genau.
Jane und Eidschi gaben oft Partys in Easton Glebe, empfingen Freunde und Kollegen aus London, und Eidschis Wochenendgäste, Männer wie Frauen, mussten dort alle gemischtes Hockey spielen. Sogar Joyce war einmal eingeladen, aber der Schlappschwanz kam nicht. Wells sorgte dafür, dass stets genügend Hockeyschläger für Rechts- und Linkshänder zur Verfügung standen, gepolsterte Schienbeinschützer und eine große Kiste weißer Cricket- und Tennisschuhe sowie zwei Garnituren Shirts, eine braun-pink-gelb, die andere moosgrün-violett! Gespielt wurde mit einem harten Ledercricketball. Wenn man den auf einen ungeschützten Körperteil geschossen bekam, brannte die Stelle fürchterlich und tat weh, aber das gehört nun einmal zum Leben. Always victorious, happy and glorious! The Empire fights back! Die deutschen Dichter und Denker und Intellektuellen waren fürchterlich verkrampft, wenn es um Sport ging und noch dazu um ein Ballspiel. Bei den deutschen Intellektuellen war sportliche Untauglichkeit ja fast Ehrensache. Thomas Mann beispielsweise. Ungeschicklichkeit, Filigranität, Kränklichkeit waren geradezu Erkennungsmerkmale deutscher Dichter und Denker, das war kontinentale Lächerlichkeit, nie würde sich einer in den Dienst einer Mannschaft stellen. They always walk alone. In einer Mannschaft kann man viele Positionen bekleiden, viele Rollen spielen. Auch Frauen spielten mit. Sie und ältere Besucher stellte Wells in die Verteidigung oder ins Tor. Frauen haben nicht so viel davon, wenn sich die Netze bauschen.
Wells nahm sich immer tragende Rollen bei seinen Hockeymatches heraus. Er war immer Stürmer, Topscorer, außerdem Libero, Regisseur, Kapitän und nebenbei Schiedsrichter, denn er selbst hatte die Regeln des Easton-Hockeys niedergeschrieben, und er war der Einzige, der diese Hockeyregeln in allen Details kannte. Heimvorteil ist Heimvorteil. Gewonnen hat meistens der HCW (Hockey Club Wells).
Knapp vor dem Krieg verletzte sich H. G. Wells und zerrte sich die Bänder im linken Knie. Eine langwierige, lästige Sache, die ihn am Autofahren und am Geschlechtsverkehr mit Rebecca hinderte, eine neunzehnjährige überaus intelligente Schönheit, die seinen Roman Marriage in The Freewoman besprochen hatte. Der Roman handelte von Eheproblemen der Mittelschicht. Die Feministin wurde schnell seine Mätresse. Nur die Wochenendgäste waren über die Verletzung ihres Gastgebers froh, denn sie mussten eine Zeit lang nicht Hockey spielen. Allerdings mussten sie stattdessen Eidschis Weltregierungsgefasel über sich ergehen lassen.
Verletzungen waren schicksalsbestimmend in Eidschis Leben. Als Achtjähriger stürzte er, brach sich ein Bein und war einige Monate bettlägrig. Er nutzte die Zeit zu ausgiebiger Lektüre und nannte den Sturz eines der glücklichsten Ereignisse in seinem Leben. Always victorious . Sein Vater, ein erfolgreicher Cricketspieler und erfolgloser Kaufmann, brach sich ebenfalls ein Bein und blieb für den Rest seines Lebens teilweise gelähmt. Er führte einen schlecht gehenden Laden mit Cricketausrüstungen, Porzellan und Kleinwaren. Das hatte alles keinen Sinn.
Als Neunzehnjähriger erlitt H. G. die folgenschwerste Verletzung seines Lebens. Er hatte eine Stelle als Hilfslehrer in einer Einrichtung namens Holt Academy bei Wrexham in Wales. Das Klassenzimmer war schäbig, das Essen schlecht, das Logis schmutzig, der Direktor unfähig. Die Schüler in der Hauptsache örtliche Bauerntrampel, die kein Interesse hatten, irgendetwas zu lernen. Ein Nebel aus tiefer provinzieller Stumpfheit hing über dem Dorf und der Landschaft und H. G. Wells.
Ein rüpelhafter Schüler foulte ihn böswillig beim Fußballspielen und fügte ihm eine Verletzung zu, wegen der er später Blut im Urin hatte. Nach ein paar Tagen Erholung unterrichtete er wieder, brach aber bald zusammen und hustete auch Blut. Die Verletzung erwies sich als Nierenquetschung, aber der Arzt vermutete auch Tuberkulose. Aus der Nierenquetschung wurde ein Nierenriss, Eidschi schwebte monatelang, wenn nicht jahrelang in Lebensgefahr, nicht in akuter, sondern in latenter Lebensgefahr, aber Lebensgefahr bleibt Lebensgefahr, was so viel bedeutet wie das Gegenteil, nämlich: Todesgefahr. Zeitweise gaben ihm die Ärzte nur noch wenige Jahre zu leben. Und das stimmte im Grund auch. Wenig oder viel, das ist relativ. Sind die neunundfünfzig Jahre, die Wells noch hatte, wenig oder viel - sub specie aeternitatis?
Jedenfalls las Wells wieder viel, Keats, Shelley, Heine, Stevenson und Carlyle, wurde von der Mama gepflegt, schrieb eine erste Fassung einer Geschichte über Zeitreisen, The Chronic Argonauts, und den sehr humorvollen Essay How I Died. Anschließend fuhr er mit seiner Frau zur Erholung für zwei Wochen an die englische Südküste. Dort war es schön, aber fad. Ihm fiel ein Buch von J. M. Barrie in die Hände, der ein paar Jahre später mit Peter Pan berühmt werden sollte. Dieses Buch aber trug den schockierenden Titel When a Man's Single (Wenn ein Mann auf sich gestellt ist), handelte von Barries Journalistentätigkeit und zeigte, wie man zu seinem Thema kommt. Merke: Schreibe nicht über Politik und Philosophie, sondern über das, was du unter deiner Nase findest, zum Beispiel Regenschirme, Siegellack oder Pfeifen. Nutze den Zufall! Nutze, was dir zufällt! Das tun wir seither alle, auch ich, ich noch mehr als die meisten anderen, selbst wenn ich unter meiner Nase noch nie einen Regenschirm gefunden habe, nur haufenweise schiefe Bilder und sprachlichen Schwachsinn. Jedenfalls nahm sich Wells Peter Pans Rat zu Herzen, hielt sich ans Naheliegende und schrieb über das, was er um sich sah, das Strandleben von Eastbourne und nannte den Essay Über die Kunst, sich am Strand aufzuhalten.
Wenn er nicht schrieb, fuhr Wells...
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