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Leonie kommt zu spät ans Sterbebett ihrer geliebten Großmutter. Umso mehr will sie deren letzten Wunsch erfüllen und die düsteren Umstände aufklären, die ihre Familie vor Jahren entzweiten. Gemeinsam mit ihrem Vater und dem sympathischen Krankenpfleger Jan, der ihre Oma in den letzten Monaten betreut hat, versucht Leonie, mehr über das Familienzerwürfnis herauszufinden. Ihre Suche führt sie in die harten Kindheitsjahre ihres Großvaters in den Alpen, die entbehrungsreiche Zeit während der Weltkriege und gipfelt in einer Reise nach Krakau, wo sie ein schreckliches Geheimnis lüftet. Und auch Jan, dem Leonie im Laufe ihrer Recherchen näherkommt, scheint etwas zu verbergen ... Der zweite Familienroman von Eva Grübl-Widmann nach ihrem erfolgreichen Debüt Das Bernsteincollier. Eine tief bewegende Familien- und Liebesgeschichte. Weitere Romane der Autorin bei beHEARTBEAT: Das BernsteincollierDas Geheimnis des Schärengartens eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Leonie lauschte dem regelmäßigen Ticken der alten Pendeluhr, während ihr Blick durch den dunklen Raum wanderte. Sie erahnte die bekannten Gegenstände, die sich hinter grauen Schattengestalten verbargen. Die Dunkelheit verwandelte sie in farb- und gesichtslose Gebilde. Der Straßenlärm war lange verebbt, die laute Diskussion der Nachbarn, die unter Leonie wohnten, verstummt. Es war spät, und immer noch wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, den Kopf so voller Gedanken, dass an Schlaf nicht zu denken war. Lebhafte Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend drehten sich unaufhörlich in ihrem Kopf und hinderten sie seit Stunden daran einzuschlafen. Gedankenverloren hob sie ihre müden Glieder aus dem Bett, zog die Gardinen zurecht, die eine kühle Nachtbrise zu großen, bauchigen Gestalten aufblähte, und schloss das Fenster. Sie schlurfte in die Küche, wärmte sich ein Glas Milch, ließ einen Löffel zähen Honig in die weiße Flüssigkeit tropfen, und trottete träge ins Wohnzimmer. Dort sank sie mit einem Seufzer auf ihr sandfarbenes Sofa, zog die Wolldecke über ihre nackten Beine und legte den Kopf in den Nacken. Bilder blitzten vor ihren Augen auf, wie Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus alten Stummfilmen, begleitet von Gerüchen, die sich jahrzehntelang in ihrem Gedächtnis festgesetzt hatten: frisch gehacktes Holz, der süße Duft roter Äpfel und üppig blühender Hortensienbüsche. Lächelnd und mit einem Hauch Melancholie in ihrer Brust begab sie sich auf die gedankliche Zeitreise in ein kleines Dorf in den österreichischen Alpen.
Das blassgelbe Häuschen ihrer Großmutter schmiegte sich an den Waldrand. Versteckt und unscheinbar stand es da und trotzte den mächtigen Fichten, die drohten, es mit ihren tief herunterhängenden Ästen zu verschlingen. Es roch nach feuchter Rinde und Nadelbäumen. Auf den Waschbetonplatten vor dem Haus wucherte Moos, daneben standen der alte Holzschuppen und der knorrige Blutapfelbaum mit seinen dunkelroten, winzig kleinen Äpfeln, unter dem die Großmutter so gern saß und ihre Zeitung durchblätterte.
Leonies Gedanken wanderten durch das Haus. Sie sah sich selbst neben der damals noch rüstigen Frau, in kurzen Hosen, die Knie eng an den Oberkörper gezogen - ein kleines Kind aus der deutschen Großstadt Berlin, das seine jährlichen Sommerferien in dem idyllischen Bergdorf im Salzburger Land verbrachte und alle Handgriffe seiner Großmutter mit Bewunderung beobachtete. Die Frau flocht ihr hüftlanges, silber-schwarzes Haar geschickt zu einem langen Zopf, den sie dann zu einem Knoten drehte und mit Haarnadeln im Nacken feststeckte. Darüber band sie ihr braun-gelb geblümtes Kopftuch. Tiefe Falten umgaben ihre Augen, die vor Gutmütigkeit und Ruhe strahlten. Stumm führte sie Leonie hinaus in den Schuppen und bedeutete ihr, sich in sicherer Entfernung hinzusetzen. Sie redete nicht viel. Doch wenn sie sprach, war es wie ein Gesang in einem fremd klingenden Dialekt. Bekleidet mit ihrem einfachen Hauskittel, fasste sie ein Holzscheit und positionierte es auf dem Hackstock. Der Hieb saß, das Holz splitterte, und Leonies Augen folgten den hinunterfallenden Scheiten. In der Stube hob die Großmutter mit dem Schürhaken den Eisendeckel des Tischherds an und füllte diesen durch die obere Öffnung mit Zeitungspapier und den gehackten Scheiten, um ihn dann von unten zu befeuern. Der Tischherd diente in der kalten Jahreszeit als Heizung und zugleich als Kochstelle, auf der alle Mahlzeiten zubereitet wurden. Die Flammen züngelten hungrig nach dem trockenen Holz, ließen es knacken und knistern. Das Feuer ging bis spät abends nicht aus. Es war folgsam. Es kannte die Großmutter seit vielen Jahren.
Die Erinnerungen zogen Leonie in diese längst vergangene Zeit, in das kleine abgewohnte Häuschen, dessen Erdgeschoss nur aus drei kleinen Räumen bestand: einer Stube, dem Jungenzimmer und dem Schlafzimmer, in dem neben dem Elternpaar früher auch die zwei Mädchen geschlafen hatten. Feuchtes Mauerwerk, kühle Kammern, knarrende Betten mit unbequemen Rosshaarmatratzen. Leonie liebte das schlichte Heim der Großmutter. Selbst der PVC-Boden im Vorhaus, bedruckt mit einem üppigen, beigefarbenen Blütenmuster und unsauber verlegt, strahlte mit seinen Luftblasen und löchrigen Stellen eine unerklärliche Schönheit aus. Übertrumpft wurde er noch von der Speisekammer - einer Geruchsexplosion, einem köstlichen Gemisch aus dem Duft nach Würsten, Brot, Obst und Orangensirup. Das Haus glich einer Ansammlung geheimnisvoller Verstecke, Kammern und Nischen, deren Wände Geschichten erzählten. Und dann war da der geheimnisvolle Dachboden, für Kinder die verbotene Zone, die Aufbewahrungsstätte für Gerümpel, Lavendelsträußchen und verstaubte Fotografien von längst vergessenen Verwandten. Leonie wusste nur wenig über sie. Manche wären vor oder während des Krieges gestorben, darüber hinaus sei nichts von Bedeutung, einfache Leute, Bauern eben. Die knappe Auskunft der Großmutter hatte alle zufriedengestellt, und die Erinnerungen verschwammen mehr und mehr im Dunst der Vergangenheit. Nie hatte Leonie nachgehakt, nach Namen, Erzählungen, alten Verwandten gefragt. Hätte sie es irgendwann in all den Jahren getan, so wäre ihr vielleicht der Schmerz im Blick der Großmutter aufgefallen, die Wehmut und die Qual der Erinnerung.
Leonie öffnete die Augen, und die Bilder lösten sich in nichts auf. Ihre Großmutter würde sterben und mit ihr viele unerzählte Geschichten. Sie knipste die Leselampe an, öffnete den Wohnzimmerschrank und kramte ungeduldig in der Fotokiste. Ganz unten fand sie eine alte Ansicht des Hauses im Salzburger Land. Aus dem Fenster lugte ihre Mutter - so jung, so glücklich. Das Sommerparadies ihrer Kindheit existierte immer noch, doch ihre Mutter Sabine, die ihr auf diesem Foto entgegenlachte, war schon lange von dieser Welt gegangen. Als sie im Frühjahr 1986 bei einem Autounfall starb, hatte sie ihre fünfzehnjährige Tochter in einem Chaos aus Gefühlen zurückgelassen. Damals war ihre Großmutter Katharina Leonies Anker gewesen. Ihr Vater war versunken in einem Meer aus Trauer, Dunkelheit und Wut. Nie war er wieder der Alte geworden, hatte nicht aus dem Dickicht aus Selbstvorwürfen und Depression herausgefunden. Selbst heute noch, so viele Jahre nach dem Unglück, litt Leonie unter dem, was geschehen war. Damals hatte ihr Vater gewütet und mit wilden Ideen um sich geworfen. Vincent hatte kurzerhand beschlossen, seine Tochter aus Berlin fortzubringen, nach Österreich zu ziehen und Großmutters altes, baufälliges Häuschen abzureißen. Ein neues Haus hatte er im Sinn gehabt, wo er mit Leonie und seiner Mutter leben wollte - weit weg von der Erinnerung an seine Frau, weg von der gefährlichen Großstadt, die Leonie verderben würde. Die modrigen Gerüche sollten einem modernen, frischen Duft, strahlend weißen Wänden, Badezimmer und Parkettboden weichen. Er wollte einen Neuanfang, doch Leonies Großmutter hatte nicht mitgespielt. Katharina Lausegger hatte keine der verrückten Ideen hören wollen, kein neues Haus, kein Umzug ihres Sohnes und ihrer Enkelin. Niemand würde in ihrem Garten graben, ihre Wände zerschlagen, ihre Gemüsebeete zerstören. Und Leonie hatte nicht fortgewollt aus Berlin.
Es war der letzte gemeinsame Sommerurlaub bei der Großmutter gewesen. Er endete mit Streit, Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Leonie hatte rebelliert, sich stur geweigert, ihre Heimat und ihre Freunde aufzugeben. Im Herbst nach Mutters Tod war sie aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Ihr Vater hingegen hatte seine Pläne, nach Österreich zu ziehen, verworfen und sich gekränkt in ein tiefes Loch aus Gram und Zorn verkrochen. Tochter und Mutter sah er kaum noch und machte sich damit sein Leben noch schwerer. Leonies Besuche in Österreich waren mit den Jahren, in denen sie zu einer jungen Frau herangewachsen war, immer seltener und kürzer geworden.
Das Alter holte die Großmutter ein, hatte ihr fast vollkommen den Gehörsinn genommen, nicht aber den Verstand und ihre Eigenwilligkeit. Die Gewohnheiten, die sie mit ihren dreiundneunzig Jahren begleitet hatten, konnte sie nicht ablegen. Die moderne Welt war nichts für sie. Noch immer stand die abgeschlagene Waschschüssel aus Email, Lappen und Seife mitten in der alten Stube. Eine Dusche, die ohne Aufwand heißes Wasser lieferte, hatte die Großmutter ihr Leben lang abgelehnt. Die Jahre waren wie Sand durch ein Sieb gelaufen, hatten Katharina Falten, Krankheit und Alter gebracht. Das schwarze Haar war nun grau, die Leichtigkeit, mit der sie einst ihre Arbeiten verrichtet hatte, war verschwunden. Leonies Großmutter lag in ihrem Krankenhausbett und wartete geduldig auf ihre Verwandten, die ihr in ihrer letzten Stunde beistehen würden.
Ein silbergrauer Streifen am Horizont kündigte einen neuen wolkenlosen, klirrend kalten Tag an. Leonie, die ein paar Stunden auf dem Sofa im Wohnzimmer eingenickt war, trottete erschöpft ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn über der Wanne an. Sie musterte sich im Spiegel und bürstete müde ihr langes, kastanienbraunes Haar. Dann ließ sich mit einem tiefen Seufzer ins heiße Wasser sinken.
Nach dem Bad zwängte...
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