Schweitzer Fachinformationen
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»Tiermasken, Marxismus und schwarzes Konfetti?«, fragte Gemma verwundert. »Seltsame Kombination.«
Johanna schmunzelte. Ihre Enkelin war wie immer die Vernunft in Person. Sie brauchte sich keine Sorgen machen, ob sie wohl irgendeiner Art von Extremismus anheimfallen könnte. Extremismus war nicht logisch, und alles Unlogische war Gemma ein Gräuel.
Johanna hatte sie am gemeinsamen Ladengeschäft in Llucmajor abgeholt, nun rollten die beiden in Johannas Fiat 500 in Richtung Port d'Andratx zu ihrem jüngsten Fall. Sie besaßen noch einen altersschwachen Toyota-Pick-up, den sie zum Beliefern ihres Ladens nutzten. Johanna fuhr den Wagen nicht gern, damit bekam sie praktisch nie einen vernünftigen Parkplatz. Sie berichtete Gemma während der Fahrt ausführlich von ihren Erlebnissen am Vormittag in Palma.
»Mal sehen, was dein Liebster dazu sagt.« Johanna lachte amüsiert, während sie über die Ma-19 in Richtung Palma brauste.
Sie trug ihr Haar in weichen weißen Wellen, dazu ein leichtes rosa Jäckchen und eine bequeme Leinenhose in Babyblau. Harmloser konnte man nicht aussehen. Nur Eingeweihte wussten, dass Johanna die beste und härteste Ermittlerin der Insel, vielleicht sogar ganz Spaniens war. Und ihre Geheimnisse kannten noch nicht einmal die Eingeweihten.
»Wir werden sehen, was dein Liebster sagt. Womöglich ist die Bandera Negra ja schon polizeibekannt«, wiederholte sie.
Gemma hockte in ausgebeulten, ausgefransten Shorts auf dem Beifahrersitz und tippte auf ihrem Handy herum. Sie war einen Meter achtzig groß, schlank und durchtrainiert. »Was wer sagt?« Sie sah fragend auf.
»Na, Héctor natürlich.«
Johanna betrachtete Gemma misstrauisch von der Seite. Sie ging davon aus, dass ihre Enkelin und der junge Inspector Héctor Ballester von der Policía Nacional ein Paar seien. Héctor ging ihres Wissens auch davon aus. Wovon Gemma ausging, war wie immer allen ein Rätsel.
Gemma brummte nur »Aha« und tippte weiter. Nach einigen Minuten legte sie das Smartphone weg und gab Johanna einen kurzen Abriss zu dem neuen Fall, den sie heute Morgen telefonisch angenommen hatte.
»Unsere Klientin heißt Sabine Ungrad, ihr gehört das Bistro >Chicaria< in Port d'Andratx.«
»>Chicaria<? Lustiger Name.«
Gemma machte eine unwirsche Handbewegung. »Ja. Sehr lustig. Die Dame möchte uns engagieren, weil ihr bester Kellner verschwunden ist.«
»Soso«, murmelte Johanna, setzte den Blinker und fädelte sich in Richtung Port d'Andratx ein. »Seit wann ist er denn fort? Und war sie schon bei der Polizei?«
»Mehr weiß ich noch nicht. Sie rief heute gegen zehn Uhr an, und da war eine ganze Reisegruppe im Bistro, dem Lärm im Hintergrund nach zu urteilen. Und gib mal was Gas, ich habe gesagt, wir wären gegen dreizehn Uhr da.«
Da die Autobahn rund um die Inselhauptstadt mittags tatsächlich recht leer war, kamen sie zur angekündigten Zeit in Port d'Andratx an. Das Städtchen mit der hübschen Hafenpromenade zog vor allem betuchtere Urlauber an. Schmucke weiße Yachten schaukelten sanft in der blauen Bucht, auf den grünen Hügeln rund um die Bai reihten sich Villen und schicke Apartments. Port d'Andratx rühmte sich seiner bohemischen Mischung aus Prominenten, Medienleuten, Urlaubern und Fischern bei der Arbeit, wobei Letztere immer weniger und Erstere immer mehr wurden.
Johanna bog vor dem Hafen rechts auf den großen Parkplatz ab und ergatterte eine Stellfläche mit Schatten.
Das Bistro »Chicaria« lag direkt am Hafen und war zur Mittagszeit gut besucht. Ganze Trauben von Menschen hockten in den bequemen dunkelbraunen Korbsesseln und speisten. Eine blonde Frau Anfang dreißig in einem schicken hellgrauen Kostüm räumte hektisch einen Tisch ab, dabei fielen ihr gleich drei Teller herunter und zerbrachen. Mehrere nicht verspeiste Oliven kullerten von den Tellern und rollten über die Promenade. Ein sehr kleiner Mann in Kellneruniform lief herbei, tätschelte beruhigend ihren Arm und begann, mit dem Fuß die Scherben zusammenzuschieben.
Johanna trat auf die beiden zu. »Frau Ungrad?«
Die blonde Dame hatte Tränen in den Augen. »Ja?«, fragte sie ein wenig barsch zurück.
»Wir hatten telefoniert«, erklärte Gemma ihr. »Wir sind die Detektivinnen. Johanna und Gemma Miebach.«
Sabine Ungrad starrte die beiden an. »Sie?« Es klang fast unhöflich. Sie schloss die Augen, atmete hörbar ein und öffnete die Augen wieder. »Na gut. Wie auch immer. Dann kommen Sie mal mit.«
Johanna und Gemma ließen sich in ein vollgestelltes Büro hinter der Küche des Bistros führen. Die beiden Stühle vor dem papierübersäten Schreibtisch dienten als Abstellfläche für weitere Unterlagen, Aktenordner und Mappen. Rasch nahm Sabine Ungrad die Papiere von den Stühlen, schnappte sich einen leeren Karton und warf umstandslos alles hinein.
»Setzen Sie sich doch«, sagte sie nun um einiges höflicher. »Entschuldigung, dass ich so überrascht reagiert habe. Señor Riera hat Sie beide empfohlen. Und er beschrieb Sie als knallharte Topermittlerinnen. Da hatte ich nicht erwartet, dass .« Sie stockte.
»Dass eine alte Frau und ein kleines Mädchen vor der Tür stehen?« Johanna lachte. »Aber keine Sorge, wir haben sehr viele zufriedene Klienten. Wir können Ihnen hoffentlich weiterhelfen.«
Sabine Ungrad ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen und verbarg das Gesicht in den Händen. »Ich bin wohl gerade etwas genervt.« Sie blickte hoch. »Mitten im August. Bei uns ist die Hölle los. Und da verschwindet dieser Kerl einfach sang- und klanglos. Wir wissen weder ein noch aus.«
Wie aufs Stichwort eilte der kleine Kellner herein. Er hatte blitzende braune Augen, eine große Nase und wirkte so betont selbstbewusst, wie es kleine Männer häufig taten. »Sabina, wo sind die neuen Likörgläser?«, fragte er auf Spanisch. »Wir hatten welche bestellt, und sie waren auch gekommen, aber der Schrank ist leer.«
Sabine Ungrad starrte ihn verwirrt an, überlegte und nickte. »Die hat noch keiner ausgepackt. Stehen in der Kiste im Vorratsraum.«
Der Kellner drehte wortlos ab und verschwand.
»Aber spül sie vorher kurz durch, Amado! Ja?«
Er war schon weg.
Sabine Ungrad schüttelte den Kopf. »Ich kann mitten in der Saison niemand Neues finden, schon gar nicht so einen guten Kellner wie Emilio. Der hat den Laden geschmissen.« Sie hielt plötzlich inne und schaltete den Computer auf dem Schreibtisch an. »Ich werde Ihnen mal gleich ein paar Fotos von ihm ausdrucken, Sie wissen schon, damit Sie sofort nach ihm suchen können.«
»Moment«, bat Johanna. »Erst einmal brauchen wir mehr Infos. Wie heißt der Mann mit vollem Namen, seit wann ist er bei Ihnen? Seit wann ist er verschwunden? Waren Sie schon bei der Polizei?«
Sabine Ungrad sah Johanna unglücklich an. »Nein, war ich nicht. Emilio Curra heißt er, kommt aus Andalusien. Er ist dreißig Jahre alt. War schon im vergangenen Jahr über die Hauptsaison hier. Hat im Winter in Österreich gearbeitet, in einem Skiort.« Sie spielte nervös mit einer Büroklammer. »Das hatte ich ihm sogar vermittelt. Über Winter machen wir zu, und Petros suchte jemand in Salzburg. Petros Melas, der war mit mir auf der Hotelfachschule in Sankt Gallen. Ich weiß nicht, wo Emilio im Frühjahr war, auf jeden Fall war er weg. Hat auch nicht auf meine Mails geantwortet und nichts, ich dachte, er kommt dieses Jahr gar nicht her.«
Draußen hörten die drei ein lautes Scheppern. Es klang, als seien alle neuen Likörgläser gleichzeitig heruntergefallen und zersplittert. Sabine Ungrad zuckte zusammen, blieb aber sitzen.
»Und dann stand er Anfang Juni plötzlich vor der Tür, und ich war einfach nur froh, weil ich noch keinen neuen Kellner gefunden hatte, ich habe ja fest mit ihm gerechnet.« Sie nahm einen Kuli in die Hand und malte wütend eine Drei auf einen Schmierzettel. »Ab 3. Juni war er hier. Und seit dem 4. August ist er verschwunden, also seit zwei Tagen.«
Zur Drei auf dem Schmierzettel gesellten sich noch eine Vier und eine Zwei. Vor der Bürotür war ein weiteres Scheppern zu hören, danach ein Fluchen.
»Und ich mache mir richtig Sorgen. Ich habe alle Krankenhäuser durchtelefoniert. Nichts, nichts und noch mal nichts. Von meinen Leuten bleibt keiner einfach so weg. Ich zahle gut, außerdem hat Emilio sogar eine kostenfreie Wohnung über dem Bistro. Mit Balkon!«
Johanna war beeindruckt. Es musste wirklich etwas passiert sein, denn dass ein Kellner mir nichts, dir nichts seinen Job schmiss, kam schon einmal vor. Aber kein Kellner auf ganz Mallorca ließ einfach so eine kostenlose Wohnung sausen. Bezahlbarer Wohnraum war mittlerweile knapper als eine freie Sonnenliege am Ballermann zur Hochsaison.
»Er hat seinen Ausweis hiergelassen, auch seine Kreditkarten, alles. Sein Auto steht unten vor der Tür. Ich habe nicht die geringste Idee, wo er sein könnte.«
Gemma hatte ihren Laptop auf den Knien aufgeklappt und tippte die Notizen mit. Ohne hochzusehen, fragte sie: »Gut. Und wann sagen Sie uns, warum Sie das noch nicht der Polizei gemeldet haben?«
Sabine Ungrad blickte betreten auf ihre gemalten Zahlen. »Tja, ich hatte noch keine Zeit, ihn, ähm, anzumelden .« Sie verstummte.
»Er arbeitet illegal im Bistro? Seit Juni?« Das überraschte Gemma. Denn zum einen wurde seit einigen Jahren sehr streng gegen Schwarzarbeit vorgegangen, zum anderen war dies für ein gehobenes Lokal wie das »Chicaria« eher ungewöhnlich.
Sabine Ungrad sah sie flehend an. »Er hatte mich darum gebeten. Na ja, er hatte wohl Schwierigkeiten, irgendwas mit der Steuer. Das wollte er zuerst wieder geradebiegen, und das hat sich...
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