Schweitzer Fachinformationen
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Es ist mir nicht an der Wiege gesungen worden, dass ich einmal Hebamme werden würde, denn bei meiner Geburt schien mein Weg in groben Zügen festgelegt. Als erstes Kind eines Bergbauern geboren, gab es für mich eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder würde ich eines Tages einen Bauern heiraten und mich auf einem mehr oder weniger großen Hof mit Schwiegereltern und einer Schar eigener Kinder abplagen, oder ich würde mich als ledige Tante auf dem elterlichen Hof um Haushalt und Kinder des ältesten Bruders kümmern - falls ein Sohn nachkam, wovon man in der Regel jedoch angesichts des reichen Kindersegens ausgehen konnte. Vorbilder für einen solchen Lebensweg gab es in der Familie genug, sowohl auf väterlicher als auch auf mütterlicher Seite.
Zwei Jahre später kam der erhoffte Hoferbe, und es sollte, wie erwartet, nicht bei dem einen Sohn bleiben. Weitere Brüder und Schwestern folgten, und so ging die Kathi, unsere Storchentante, wie die Hebamme von uns Kindern genannt wurde, mit schöner Regelmäßigkeit bei uns aus und ein. Da ich die Älteste in der Geschwisterreihe war, nahm ich die Besuche der Kathi ziemlich genau wahr, wenngleich ich natürlich über die konkreten Aufgaben einer Hebamme zunächst nicht wirklich Bescheid wusste.
Immerhin stellte ich sehr schnell fest, dass jedes Mal, wenn sie bei uns auftauchte und in der Schlafkammer verschwand, wo sie dann stundenlang mit der Mutter blieb, am Ende ein neues Kind in der Wiege lag. Bald vermutete ich einen gewissen Zusammenhang zwischen dieser Tatsache und ihren Besuchen, wobei ich mir jedoch eine merkwürdige Erklärung zusammenreimte. Da sie immer eine große braune Ledertasche bei sich trug, keimte in mir nämlich der Verdacht auf, dass sie darin die Kinder mitbrachte.
Weiter dachte ich zunächst nicht - woher sie die vielen Kinder nahm, darüber machte ich mir keine Gedanken. Viel stärker beschäftigte mich die Frage, warum sie die Kinder nicht selbst behielt und vor allem, wenn sie sie schon los sein wollte, warum sie sie immer zu uns brachte. Nach ein paar Jahren war ich nämlich zu der Überzeugung gekommen, dass wir allmählich wirklich mehr als genug hatten. Auch wunderte es mich, dass sie die Kinder ausgerechnet dann brachte, wenn meine Mutter krank im Bett lag und sich nicht um uns kümmern konnte, geschweige denn um einen hilflosen Säugling. Eines hielt ich der Hebamme jedoch zugute - sie besaß wenigstens Anstand genug, noch einige Tage lang bei uns hereinzuschauen, um das Neugeborene zu versorgen, weil unsere Mutter dazu ja nicht in der Lage war.
Einige Monate nach meinem fünften Geburtstag sah ich wieder einmal die Kathi mit ihrer großen Tasche im elterlichen Schlafzimmer verschwinden. Uns Kinder scheuchte man wie immer in die Küche, wo uns die Großmutter beaufsichtigte, die scheinbar rein zufällig am Vortag bei uns hereingeschneit war. Während wir gerade am Mittagstisch saßen, streckte die Hebamme gut gelaunt ihren Kopf zur Tür herein: »Ich gratuliere, Hausbacherin, ihr habt wieder einen Buben.«
»Dank dir schön, Kathi«, rief ihr die Großmutter nach, als die Storchentante schon fast an der Haustür war. Wie ein Wiesel flitzte ich hinterher, denn jetzt wollte ich es endlich genau wissen. Das war doch kein Zufall: die Ankunft der Kathi, die große Tasche, und bei ihrem Weggang ein neuer Schreihals im Haus! Bis zum Hoftor trippelte ich neben ihr her und drängte: »Sag mal, Kathi, immer wenn du bei uns warst, haben wir ein neues Kind.«
»Ja, das stimmt«, war ihre knappe Antwort, die mich jedoch keineswegs zufriedenstellte, denn von dieser Tatsache konnte ich mich schließlich mit meinen eigenen Augen überzeugen.
Aber ich ließ nicht locker - ich wollte und musste es wissen, was es auf sich hatte mit den Kindern. »Gell, du bringst die kleinen Kinder in deiner Tasche?«, flüsterte ich verschwörerisch.
Die Kathi schaute mich ein wenig verwundert an. »Genau, das stimmt«, antwortete sie schmunzelnd. Da sie mir das Wichtigste noch immer nicht verraten hatte, forschte ich weiter: »Und wo kriegst du die Kinder her?«
Sie schien einen Moment zu überlegen und erklärte dann: »Weißt, Nanni, der Storch bringt sie von weit her und legt sie mir vor die Haustür. Da brauch ich sie nur aufzuheben. Manchmal lässt er aber auch eines, wenn er sich gerade einen Frosch fangen will, in den Bach fallen. Wenn dann so ein Kleines angeschwommen kommt, fische ich es heraus.«
So, jetzt wusste ich wenigstens Bescheid. Dankbar verabschiedete ich mich von der Kathi und kehrte an meinen Teller zurück.
In den folgenden Tagen trieb es mich, sobald ich meinen kleinen häuslichen Pflichten entkommen konnte, hinunter zum Bach, der unweit unseres Hofes entlang floss. Dort hockte ich mich hin und starrte angestrengt in das plätschernde Wasser. Wenn die Kathi hier immer wieder ein kleines Kind fand, dann sollte mir das doch auch gelingen, dachte ich. Meine Chancen mussten sogar erheblich größer sein als die ihren, denn ehe der Bach bei ihrem Haus ankam, floss er bei uns vorbei. Wenn die Kathi das Kind herausfischte und es ohnehin zu uns brachte, dann konnte ich das doch gleich selbst erledigen. Ich wollte es der Mutter aber nicht bringen, solange sie krank im Bett lag, sondern warten, bis sie gesund war.
Es gab da eine bevorzugte Stelle, wo ich besonders gern saß. Sie war ganz nah am Wehr, an dem man einen Teil des Baches zur Mühle ableiten konnte. Eines Tages wurden mir das lange Sitzen und das sture ins Wasser-Starren zu langweilig. Ich stand auf, balancierte auf dem Wehr herum und beobachtete von dort aus das vorbeirauschende Wasser. Bald darauf wurde wirklich ein Kind aus dem Bach gefischt. Aber nicht von mir und auch nicht von der Hebamme, sondern von der Nachbarin.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem eigenen Bett. Über mir sah ich das besorgte Gesicht meiner Großmutter. »Aber Dirndl, was machst du für Sachen?« Ein milder Vorwurf, vor allem aber Erleichterung war aus ihrer Stimme zu hören.
»Ich wollte doch nur nachschauen, ob im Bach ein Kind schwimmt«, antwortete ich kleinlaut.
»Ja, da ist eins geschwommen. Aber das warst du.«
Da dämmerte es mir: Ich war vom Wehr abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Dann muss ich das Bewusstsein verloren haben.
»Du wärst jetzt tot«, fuhr meine Großmutter fort, »wenn die Nachbarin nicht zufällig aus dem Haus gekommen wäre und deinen Schrei gehört hätte. Da ist sie beherzt hinzugesprungen. Sie konnte dich grad noch rausziehen, bevor du in den Strudel geraten bist.«
Oh mein Gott, der Strudel! Dort wäre ich unrettbar verloren gewesen.
»Ich wollte doch nur sehen, ob ich nicht auch so ein ganz kleines Kind im Bach finde«, führte ich zu meiner Verteidigung an.
»Wie kommst du denn auf solchen Blödsinn?«, wollte die Großmutter wissen.
»Die Kathi hat's mir erzählt. Sie fischt manchmal eins aus dem Bach, wenn der Storch es hat reinfallen lassen.«
»Wie kann die Kathi nur solch einen Schwachsinn verzapfen«, empörte sich die Großmutter. »Der werde ich was erzählen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.«
»Wo hat die Kathi die Kinder denn sonst her, wenn nicht aus dem Bach?«, versuchte ich endlich die Wahrheit zu erfahren. Verlegen schaute die alte Frau eine Weile geradeaus, bevor sie etwas unwirsch antwortete: »Was weiß ich, wo sie die Kinder hernimmt. Jedenfalls nicht aus dem Bach.«
»Ja, aber woher denn dann?«, fragte ich ungeduldig und enttäuscht, dass ich schon wieder abgewimmelt werden sollte.
»Das wirst du noch früh genug erfahren.«
Von Stunde an ließ mich das Thema Kinderkriegen nicht mehr los. Wo immer es möglich war, versuchte ich, mich auf diesem Gebiet schlau zu machen, aber der Informationsfluss war nur äußerst spärlich.
Die Hebamme kam noch oft zu uns ins Haus, bis wir zehn Geschwister waren und es endlich andere Abnehmer für die Kinder der Kathi zu geben schien. Obwohl mich diese ganzen undurchsichtigen Geschichten nach wie vor brennend interessierten, machte ich seit meinem wenig heldenhaften Erlebnis am Bach einen großen Bogen um die Storchentante, der ich es irgendwie übel nahm, weil sie sich so offensichtlich über mich lustig gemacht und solch dumme Antworten gegeben hatte. Ich wagte es nie wieder, sie etwas zu fragen, denn dass man mich für dumm verkaufte, das konnte ich nicht leiden.
Aber so war es halt damals. Selbst die Erwachsenen redeten oft nur verschämt über manche Dinge - wie sollten sie da in der Lage sein, offen mit ihren Kindern zu sprechen, vor allem wenn es um sexuelle Aufklärung ging. Nicht wenige Frauen sind nur halbherzig aufgeklärt in die Ehe gegangen, und viele andere wurden zu »gefallenen Mädchen«, weil sie keine Ahnung hatten, wie sich das verhielt mit Schwangerschaft und Kinderkriegen.
Man könnte nun annehmen, ich sei Hebamme geworden, um endlich hinter das Geheimnis des Lebens zu kommen. Weit gefehlt, denn trotz meines ausgeprägten Interesses an allem, was mit Schwangerschaft und Geburt und den Aufgaben einer Hebamme zu tun hatte, dachte ich nicht im Entferntesten daran, selbst eine...
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