Überraschung bei der Heuernte
Im zauberhaften Salzburger Land, etwa zwei bis drei Fußstunden von dem Dörfchen Unken entfernt, unweit des Heutals, liegen hoch in den Bergen neun uralte Bauernhöfe - allerdings so verstreut, dass man von einem nicht zum anderen sehen kann, denn sie schmiegen sich in dem extrem steilen Gelände schutzsuchend in die wenigen Mulden. Diese Ansiedlung fernab der Dörfer und Städte trägt von alters her den Namen Gföll.
Dort kam ich im Juni 1929 zur Welt, wobei mein Eintritt ins Leben auf höchst dramatische Weise vonstatten ging. Der fünfundzwanzigste war ein Tag, wie ihn die Bauern lieben - ideal, um das Winterfutter für die Tiere trocken einzubringen. Seit dem frühen Morgen schon brannte die Sonne heiß vom blauen, wolkenlosen Himmel, und so wurde auf allen Wiesen seit Stunden unermüdlich gearbeitet. Vom Moarhof waren es zehn Personen, die damit beschäftigt waren, von den hofnahen Wiesen das Heu einzubringen. Und wenn man den zehnjährigen Martschi dazuzählte, sogar elf. Die Aufgabe des Buben bestand darin, die Rosse zu führen. Das bedeutete, er musste die Pferde ein Stück vorwärts gehen zu lassen, wenn der Gstatter-Martin vom Leiterwagen herunter das Kommando gab. Damit der Bub beim Heuen überhaupt helfen konnte, hatte der Bauer eigens die Befreiung vom Schulunterricht erbeten. Denn es galt, jeden schönen Tag zu nutzen - und jede Hand. Da konnte man nicht auf die Sommerferien warten.
Das Heu, das Maximilian, der Sohn des Bauern, und der Großknecht Sepp Gabel für Gabel hinaufreichten, packte der Martin fest und gleichmäßig auf den Leiterwagen. Diese äußerst wichtige Aufgabe mochte er niemand anderem überlassen. Bei der Fahrt über die buckligen Wege zum Bauernhof oder zu einem der Feldstadel kippte ein schlecht beladener Heuwagen nur allzu leicht um, was eine Gefahr für Mensch und Tier bedeutete. Abgesehen davon konnte man es sich nicht leisten, im Straßenstaub womöglich eine Menge des kostbaren Winterfutters einzubüßen.
Die anderen, der Rossknecht, der Jungknecht Seppi und die Weiberleut, rechten im Schweiße ihres Angesichts das getrocknete Gras zu Zeilen zusammen, damit es die Mannerleut bequem aufladen konnten. Einige Fuhren hatte man an dem Tag schon eingebracht, und wenn alle so fleißig weiterarbeiteten, würde man noch weitere Fuder schaffen. Die Wagen, die man hier oben auf den steilen Wiesen benutzte, waren nämlich kleiner als diejenigen, auf die man im Tal das Heu packte.
Plötzlich, mitten unter der Arbeit, stieß die Kathi einen Schrei aus, fasste sich an den Leib und ließ sich auf einen Heuhaufen sinken. Besorgt stürzte Anna, die Frau des Bauern, hinzu: »Was ist denn mit dir, Kathi? Wo fehlt's?«
Die Kathi keuchte nur, hielt sich den Bauch und wand sich vor Schmerzen. Die Anna beugte sich zur Kathi nieder und tastete sie ab. Überrascht rief sie aus: »Ja, Kathi, was machst denn für Sachen? Du kriegst ja ein Kind!«
»Wie sollt ich an ein Kind kommen?«, jammerte das Mädchen und machte dabei ein Gesicht, das wirklich den Eindruck vermittelte, als habe sie keine Ahnung, was da mit ihr geschah.
»Das hätt ich dich fragen wollen«, gab die Moarbäuerin zurück. »Aber darüber reden wir später. Erst musst nach Hause und die Hebamme soll kommen.«
»Die Schmerzen haben aufgehört«, verkündete die Kathi erleichtert und bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen. Die Anna stützte sie und rückte die Sache ins rechte Licht. »Die werden wiederkommen. Darauf kannst dich verlassen. Jetzt müssen wir uns schicken, damit wir vor der nächsten Wehe daheim sind. Martschi, komm mit!«
»Aber die Ross?« Verunsichert schaute der Bub abwechselnd die Bäuerin und seine braunen Pferde an.
»Um die kümmert sich der Seppi.«
Diese Aussage fasste der Jungknecht als Befehl auf und nahm sofort vorne bei den Rössern Aufstellung. Das war eine Tätigkeit, die ihm wesentlich besser gefiel als das Zusammenrechen.
»Ja, seid ihr narrisch geworden, dass ihr auf einmal alle davonlauft?«, rief der Martin vom Wagen herab, als er sah, wie sich seine Frau mit der Kathi und dem Rossbuben auf den Weg machte.
»Die Kathi kriegt ein Kind«, rief die Anna und blieb stehen, während sich der Martschi mit der werdenden Mutter weiter in Richtung Hof bewegte. Die Gstatterin hatte laut genug gerufen, sodass nun selbst diejenigen Bescheid wussten, die bisher zu weit weg gewesen waren, um von dem Zwischenfall etwas mitzubekommen.
»Ja, Kruzitürken«, fluchte der Bauer vom Wagen herunter. »Muss das ausgerechnet jetzt sein, wo wir grad erst mit dem Heumachen angefangen haben? Hätt das Lausdirndl damit net warten können, bis wir fertig sind?«
»Das hätt auch nix gebracht«, versuchte die Bäuerin ihren Ehemann zu beschwichtigen. »Dann würd sie uns bei der Heuernte auf der Futteralm fehlen.«
»Da hast auch recht, Alte. Da droben brauchen wir noch dringender jede Hand. Ich hoff nur«, er schaute seine Weiberleut, die inzwischen gaffend näher gekommen waren, forschend an, »dass mir dann nicht die Nächste von euch so daherkommt.«
»Gewiss net«, versicherten diese und kehrten an ihre Arbeit zurück.
»Ich mein halt nur«, wandte sich der Bauer nun in versöhnlicherem Ton wieder an seine Frau, »mit dem Kinderkriegen hätt sich die Kathi noch ein paar Jahre Zeit lassen können.«
»Ja, mei«, war die vielsagende Antwort der Anna, bevor sie sich umdrehte und ebenfalls in Richtung Hof davonging.
»Und was ist mit meinem Heu?«, vernahm sie im Gehen noch die besorgte Stimme des Bauern.
»Es sind doch Leut genug«, rief die Bäuerin über die Schulter zurück. »Außerdem komm ich wieder, wenn alles geregelt ist. Dann bring ich gleich das Essen mit.«
Am Hof angekommen, schickte die Anna den Martschi gleich ins Dorf: »Läufst hinunter zur Hebamme. Sie möcht bitt schön sofort raufkommen. Bei uns tät's pressieren.«
»Und wenns' net daheim ist?«, gab er zu bedenken.
»Irgendwer wird dir schon Auskunft geben können, wo du sie findest.«
Der Bub lief los, und die Anna begleitete die Schwangere in ihre Kammer. Kaum lag die Kathi in ihrem Bett, kam schon die nächste Wehe. Die Bäuerin nahm sich jedoch nicht die Zeit, bei dem jammernden Mädchen auszuharren. Sie ging geradewegs nach unten in die Küche, wo sie auf Eva, ihre Stiefmutter, traf. Die war gerade damit beschäftigt, einem blondlockigen kleinen Mädchen sein Mittagessen zu geben. Als es die Anna erblickte, rutschte es von der Bank und lief mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Großmutter, Großmutter«, rief es dabei. Die Gstatterin hob das Kind hoch, drückte es an sich, küsste es auf beide Wangen und setzte es auf die Bank zurück. »Jetzt musst brav dein Muaserl essen, Burgi«, mahnte sie. Folgsam sperrte die Kleine den Mund auf, und die Eva schob den nächsten Löffel Brei hinein. Da sie bereits neunundsechzig war, wollte man ihr die schwere Feldarbeit nicht mehr zumuten, aber um das Hauswesen zu versorgen und Annas erstes Enkelkind zu betreuen, dafür war sie noch rüstig genug.
»Ja, Anna, du bist heut aber früh dran. Das Essen ist noch gar nicht fertig. Ich wollt vorher die Kleine ins Bett schaffen.«
»Wegen dem Essen bin ich auch net gekommen. Ich wollt dir nur sagen, halt nach dem Kochen das Feuer weiter in Gang. Wir werden bald eine Menge heißes Wasser brauchen.«
»Wieso das?«, fragte die Stiefmutter mit hochgezogenen Brauen. »Kriegen wir etwa ein Kind?« Sie glaubte, einen Scherz zu machen, und lachte entsprechend gelöst.
»Erraten«, antwortete die Anna mit ernstem Gesicht. »Ich hab den Martschi schon um die Hebamme geschickt.«
»Das gibt's doch net! Jetzt muss ich mich erst mal setzen.« Sie ließ sich neben der Burgi nieder und schlug die Hände zusammen. »Ja mei, geht das schon wieder los? Bei wem denn? Ich hab gar nicht gespannt, dass eins in der Hoffnung wär.«
»Mir ging's ja gradso. Was meinst, was das ein Schreck für mich war, als die Kathi mitten im Heumachen zusammenklappte mit Wehen.«
»Die Kathi?«
»Genau die. Deine brave Enkelin.«
Ungläubig starrte die alte Eva die Bäuerin an. »Mein Gott! Das Dirndl ist doch grad erst achtzehn.«
»Zum Kinderkriegen alt genug«, stellte die Anna kurz und bündig fest.
»Ja, meiomei«, lamentierte ihre Stiefmutter, »und ich hab gedacht, das Dirndl hätt noch net mitgekriegt, dass es zweierlei Menschen gibt.«
»Da sie jetzt in Wehen liegt, scheint sie das längst gespannt zu haben.«
Anna schaffte ihre...