»So sieht man sich wieder. Schön, dass du es geschafft hast dieses Buch aufzuschlagen. Du wirkst überrascht.
Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Obwohl ich die ganze Zeit bei dir war. Auch wenn du mich nicht sofort erkannt hast, war ich immer stets in deiner Nähe.
Auch wenn wir uns schon persönlich kennen, stelle ich mich gerne noch einmal bei dir persönlich vor.
Mein Name ist die Wahrheit. Wir sind uns schon öfter begegnet. Wahrscheinlich bin ich dir schon mal über die Lippen gegangen, oder gut versteckt in dem Mantel der Lüge dir erschienen. Auch wenn mich eine Lüge eingewickelt hat, bin ich trotzdem da und in der Regel erscheine ich meisten den Leuten, wenn sie am wenigsten damit rechnen. Manchmal durch einen dummen Zufall oder in einem ungünstigen Moment trete ich hervor. Aber eins sei dir gewiss, ich bin immer da und begleite dich dein Leben lang. Auch wenn viele Leute verlernt haben, mit mir zu leben, oder mich zu akzeptieren, bin ich stets ihr und auch dein unsichtbarer Begleiter. Auch wenn ich kein Geschlecht habe, gefällt mir der Gedanke, dass Ramona und Daniel mich als Erzählerin gewählt haben, da ich alles weiß, jeder Gedanke und jede Tat. Die besten Voraussetzungen, um Geschichten
zu erzählen. Auch wenn Ramona und Daniel ein bestimmtes Bild von mir im Kopf haben. Es amüsiert mich ein wenig.
Auf der Suche nach der Wahrheit, wie diese wohl aussehen mag, stießen die beiden auf das Gemälde von 1896, von dem Maler Jean-Léon Gérôme, mit dem Titel: Die Wahrheit kommt aus dem Brunnen. Die Sage um diese Gemälde von 1896 sparen wir uns für später auf.
Ich werde diese am Ende dieses Buches noch einmal für dich aufschreiben. Normalerweise komme ich nicht allein. Vertrauen ist stets an meiner Seite. Doch wer die Wahrheit zu einer Lüge verdreht, muss mich, die Wahrheit erst wiederfinden. Ist das Vertrauen verloren, brauchst du dich gar nicht erst auf die Suche machen. Du wirst Vertrauen nie wiederfinden.
In diesen Geschichten spiele ich meistens eine indirekte Rolle zwischen den Hauptfiguren. Manchmal taucht auch Vertrauen ab und an auf und verschwindet wieder. Vielleicht kannst du sie in den ganzen Geschichten entdecken.
Um ein glückliches Leben zu haben gebe ich dir einen Rat mit auf den Weg. Sieh es als einen guten Rat einer guten Freundin oder guten Freund, je nachdem du, was du für ein Bild über mich in deinem Geiste hast.
Lebe mit mir, der Wahrheit, so hast du immer Vertrauen an deiner Seite, dazu kommen unsere Geschwister wie Freude, Glück, Liebe, Hoffnung, Lachen, Gesundheit, Mitgefühl, Empathie, Leichtigkeit, Geborgenheit und Aura. Mit Aura meine ich deine komplette Ausstrahlung.
Bedenke, dass alle diese Eigenschaften, meine Geschwister, mit dir im Einklang sein müssen. Wir alles funktionieren nur miteinander. Solltest du mich, die Wahrheit, gegen die Lüge eintauschen, verschwindet auch Vertrauen und unsere anderen Geschwister verschwinden auch nach und nach und lassen ihr hässliches Gegenteil zurück.
Denke mal in Ruhe darüber nach, welche von meinen Geschwistern dir in deinem Leben fehlt und wieso dies der Fall ist. Vielleicht solltest du daran mal arbeiten, um dieses zu ändern.«
»Wo war Ramona stehengeblieben?
Ach ja, ... Jojo, genau. Ja eine flüchtige Bekannte von den beiden. Wirklich nur flüchtig. Weil man am liebsten flüchten wollte, wenn sie einen belagerte. Man traf sie immer zufällig auf irgendwelchen Partys.
Meistens solche Feten, wo sie sich galant selbst, mit einem selbst gemachten Salat, selbst eingeladen hatte.
Oder Jojo bekam eine von diesen Mitleidseinladungen. So nach dem Motto: ja, okay du bist ein armes Schwein, hast ja keinen, dann komm halt. Komm halt einfach, du armes trauriges Wesen.
Ihr Aussehen störte Jojo nicht. Ihre Art, jeden unbedingt gefallen zu müssen, trieb vielen Leuten die Geduld allerdings ins nächste Fegefeuer und man musste den zwanghaften Wunsch unterdrücken ihr irgendwelche Gegenstände mit einem Hochluftdrucktacker an den Kopf zu tackern.
Sie lachte immer so übertrieben laut und blickte sich dabei immer zeitgleich in alle Richtungen, nur um genau abzuchecken, ob jemand sie lachen hörte, weil sie sich amüsierte und über einen Witz von einem anderen Gast, der gerade lachte. Es war nicht der Witz an sich. Jojo wollte nur dafür sorgen, dass alle anderen Gäste auch wahrnahmen, dass sie von jemanden wahrgenommen wurde - auch wenn man ihr nur einen billigen Witz erzählt hatte.«
»Weißt du Ramona ..., lallte ihr Jojo entgegen. Und sie versuchte, ihre Alkoholfahne auszublenden, so wie die Tatsache, dass, sie fast bei jedem zweiten Wort versuchte, einen Schluckauf zu unterdrücken ...
Alle Männer ... hicks ... sind nur Notgeile ... hicks ... Schweine. Da schickt ... hicks ... man ihnen, ein oder zwei ... hicks ... Fotos von einem und schon wollen sie ... hicks ... die Sau von hinten besteigen.«
Es folgte eine kurze Sprechpause von Jojo. Und für einen kleinen Augenblick war Ramona sich nicht sicher, ob sie den Faden von ihrem Monolog verloren hatte oder ob der Wodka ihr komplettes Sprachzentrum lahmgelegt hatte.
»Alles okay mit dir?« Fragte sie vorsichtig und schnipste mit ihren Fingern vor ihrem Gesicht herum. Ihr zähflüssiger Blick fiel langsam über Ramonas rechte Schulter und endete in der Dunkelheit im Rande des Gartens, wo sich keiner von den Gästen aufhielt. Die Sommerparty fand praktisch hinter Jojos Rücken statt. Bunte Lichterketten und Gartenfackeln, die die Nacht erleuchteten. Jojo erwachte wieder aus ihrem Wodka Koma.
»Hicks ... ja genau! Du zeigst ihn deine Titten und schon wollen sie ... hicks ... dich von hinten besteigen, wie eine Sau. Einfach die Sau ... hicks ... h-icken.«
Der Wodka hatte ihr F aus ihrem Sprachzentrum für diesen Abend gekillt, vermutete sie.
Ich friere mal Jojos Monolog ein, glaube mir, es wird nicht besser. Und auf die Beschreibung, wie sie sich mit ihrem hochgezogenen Rock und runtergelassenen Schlüpfer, auf allen vieren, an einem Gartenzwerg vergeht - oder der Gartenzwerg sich an ihr vergnügt, lassen wir mal so im Raum schweben.
Der Grund für ihren komatösen Wodkazustand war ein schlimmes Date.
Mal wieder.
Ein Schlimmes von vielen Dates, die sich wie bei einem Dominospiel immer gleich abspielten.
Jojo hatte ein Match, wie man so schön in der Dating Sprache sagt. Dazu sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass sich bei fast jeder Dating-App angemeldet hatte, die es praktisch zu diesem Zeitpunkt zum Runterladen gab. Da Jojo nur mit ihren durch Filtern veränderten Gesichtsbildern arbeitete, musste es ja mal wieder zu einem persönlichen Desaster kommen.
Ich erinnere noch mal an Ramonas Erwähnung, den Prinzen und den Schwan.
Es war der besagte Abend. Eine warme Sommernacht in der Innenstadt. Treffpunkt im Beliebten und zu dieser Jahreszeit belebten Partyviertel in der Innenstadt an der Untertrave. Ihr Date hält Ausschau nach einem Schwan, aber die Raupe kommt auf ihn zu gesteuert. Klar, dass da jeder etwas an genervt wäre. Und manche Sachen kann man dann auch nicht mehr schönreden, wie, durch die großartigen Lichteffekte, sehe ich auf den Fotos siebzig Kilo leichter aus und durch das Blitzlicht habe ich ein kantiges Kinn bekommen.
Schon klar!
Manche Leute halten sich immer für so clever und handeln dann immer völlig idiotisch. Aber denken gleichzeitig, sie seien ihren Mitmenschen stets überlegen und immer zwei Schritte voraus.
Nun ja, die Wahrheit schaut nun mal leider anders aus. Jojo war so ein Paradebeispiel, wie es im Buche geschrieben steht. Oder besser gesagt, in der Kategorie, was sie bei einem ersten Date nicht hätte tun sollen.
Sie standen sich gegenüber. Jojo lächelte ihn an und hatte schon die berühmten Schmetterlinge im Bauch vor Glück.
»Marco?« Fragte sie und sie leckte sich lasziv mit ihrer Zunge über ihre trockenen Lippen. Kombiniert mit ihrem wirklichen Aussehen und den leicht verliebten Blick, war der erste Eindruck für den Marco, eher an eine lüsterne Übergewichtige, die unbedingt mal Sex brauchte. Natürlich stand für ein paar Sekunden das große P in seinen Augen. Die Panik verschwand schnell wieder und verwandelte sich in rasender Wut.
Marco beschimpfte Jojo in aller Öffentlichkeit, als Lügnerin und Betrügerin und ließ sie einfach an den besagten Treffpunkt alleinstehen.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich als Letztes. Und Jojo setzte alles auf eine letzte Karte. Praktisch ihr persönliches As der Liebe spielte sie noch aus.
»Aber meine Tittenfotos waren echt!« Brüllte sie ihm hinterher.
Es war ihr egal, dass es jeder Gast in den öffentlichen Bars, Restaurants oder Kneipen, die draußen saßen, diese Szene beobachten.
Marco blieb stehen. Er hielt kurz inne und drehte sich langsam zu Jojo um. Er lächelte ihr zu und kam ihr langsam entgegen und als er endlich vor ihr stand, nahm er zärtlich ihre Hände in seine und
drückt diese sanft an sein Herz und blickte ihr dabei liebevoll in ihre Augen.
Äh, Nein!
Natürlich nicht!
Das war nur ein Test, ob du auch wirklich richtig mitliest.
In was für einer Welt lebst du bitte? Wenn du mir den Rest von Jojos Geschichte glaubst. Marco streckte seinen rechten Arm aus und zeigte ihr seinen ausgestreckten Mittelfinger, bevor er um die nächste Ecke für immer verschwand.
Daniel meinte, dass er in diesem Moment für immer schwul geworden wäre. Aber das ist seine Theorie, nicht meine.
Warum ich dir das alles erzähle?
Das war nur ein Beispiel von tausenden Geschichten, okay ein paar Geschichten, vielleicht nicht tausende von Ramona und Daniel hier, aber genug, um diese...