Schweitzer Fachinformationen
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Ein verflucht großartiges Weihnachtsfest
VERDAMMTE-HACKE-MISTSCHEISSDRECK-AUUUUUAAAA-VERFLUCHTER-HIMMEL-ARSCH-UND-FAAAACKKKKK! WANN HÖRT DAAAASSSS ENDLICH AUUUUUUF! ICH HAAAAAAB KEINEN BOCK MEEEEEEEHR!
Es war der Heilige Abend und statt mich über Wiener Würstchen, Kartoffelsalat und Obstsalat herzumachen, lag ich im Kreißsaal und fluchte wie ein Bierkutscher. Die Geburt meines zweiten Sohnes stand kurz bevor, und ich krallte mich mit beiden Händen am rechten Haltegriff des Krankenhausbettes fest, schrie irgendwelchen Nonsens und führte mich wie ein Äffchen auf, das zu viele gegorene Kokosnüsse ausgeschlürft hat und sich entsprechend verrückt gebärdet. Der Liebste stand neben meinem Bett und kämpfte mit einem Gefühlschaos aus Hilflosigkeit, Panik, Fürsorge und auch Scham ob meiner peinlichen und ohrenbetäubenden Flucherei.
Doch ich war weder betrunken noch auf anderen Drogen - was ich in diesem Augenblick sehr bereute - denn die Schmerzen der Wehen, die mich minütlich durchpeitschten, waren - und das ist nicht übertrieben - unglaublich brutal. Ich musste in dem Moment an mein erstes und gleichzeitig letztes Waxing-Erlebnis denken. Die Kosmetikerin hatte, als sie mir die Haare herausriss und mir bei jedem Ratsch vor Schmerz Tränen in die Augen schossen, ungerührt gesagt: »Kinderkriegen tut mehr weh.« Damals, noch kinderlos, konnte ich mir nicht vorstellen, dass etwas mehr schmerzen könnte als dieses Haar-Massaker, und ich schwor mir, nie wieder einen Fuß in einen Waxing-Salon zu setzen. Jetzt wusste ich: Sie hatte recht. Kinderkriegen toppt dieses Schmerzerlebnis um Längen.
Leider hielt es die Hebamme nicht für nötig, mir, gleich nach unserer Ankunft eine PDA (kurz für: Periduralanästhesie, zu deutsch: Hammer-Schmerz- und Betäubungsmittel, das im Bereich der Wirbelsäule, oberhalb des Hinterns »reingejagt« wird) zu verabreichen, nach der ich lautstark und ohne jede höfliche Floskel gebrüllt hatte, was sonst gar nicht meine Art ist. Aber für Manieren hatte ich in dem Augenblick echt keine Kapazitäten mehr. Die Hebamme lehnte meine dezibelstarke Bitte jedoch mit den Worten ab, dass mein Muttermund erst einen Zentimeter weit auf sei und dass es für eine PDA noch viel zu früh sei. WHAT!?! Ich dachte, ich höre nicht recht. Seit früh um fünf kämpfte ich mit diesen verdammten Wehen, und nun, zwölf Stunden später, war dieser verdammte Muttermund erst einen winzigen Spaltbreit aufgegangen, obwohl ich mittlerweile alle drei Minuten von einem Uteruskrampf durchgerüttelt wurde!?! Ich brüllte die Hebamme an: »Vergessen Sie´s! Ich liege nicht noch stundenlang unter Schmerzen hier rum. TUN SIE WAS!!!« Trotz meines Tons, als sei sie meine Dienstmagd, lächelte sie nur milde und sagte: »Ich kann Ihnen gern ein paar Globuli gegen die Schmerzen geben.« »Ach du jemine,« dachte ich nur, »jetzt will sie mich wirklich hops nehmen!«
Denn Globuli und ich - wir werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Seit der Geburt meines Großen glaube ich nicht mehr an die wundersame Heilwirkung dieser Zuckermürmelchen. Mittlerweile halte ich - alle Anhänger der Homöopathie mögen mir verzeihen - den Verkauf von Globuli für reine Geldschneiderei. Aber diese Einstellung hatte ich nicht immer. Damals, als ich mit meinem Großen schwanger war, ließ ich mich im Geburtsvorbereitungskurs tatsächlich überzeugen, aus meiner Plazenta Globuli herstellen zu lassen. Die könne man dann bei bestimmten auftretenden Wehwehchen bei Mama und Kind einsetzen. Ja, das klingt sehr seltsam - und das ist es ja irgendwie auch. Noch vor der Entbindung - ich war gezwungen, einen Kaiserschnitt machen zu lassen, weil mein Sohn Kopf-oben-Popo-unten lag, einen zu großen Schädel hatte und sich die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt hatte - reichte ich der anwesenden Schwester zwei Röhrchen, mit der Bitte, doch nach der Geburt kleine Stücke meiner Plazenta darin zu sammeln. Sie grinste nur. Offenbar musste sie dieser absurden Bitte in letzter Zeit häufiger nachkommen. Diese mit braunen Klümpchen gefüllten Röhrchen schickte ich dann wenige Tage nach der Entbindung in eine Apotheke und ließ für Unsummen an Euro Globuli in verschiedenen Potenzen anfertigen. Dazu gab es eine Übersicht, bei welchen Leiden man welche und wie viele Kügelchen einnehmen solle. Der Liebste war gleich skeptisch und fragte mich ernsthaft, ob ich noch ganz dicht sei, so viel Geld für solchen Käse zu verpulvern. Da ich aber eine vorbildliche Mutter sein wollte, die ihrem Kind nur das Beste zukommen lassen will, machte ich diesen Quatsch mit. Und was soll ich sagen? Die Murmeln zauberten weder die Blähungen noch die Erkältung meines Sohnes weg, noch halfen sie gegen den Milchstau, unter dem ich kurzzeitig litt, oder dämpften die schlafmangelbedingten Kopfschmerzen. Sie schmeckten lediglich ganz gut, zuckrig süß eben. Seither ist mein Glaube an überteuerte Globuli komplett und nachhaltig erschüttert. Vielleicht bin ich dafür aber auch einfach nicht esoterisch genug.
In diesem Geburtsvorbereitungskurs fühlte ich mich sowieso wie ein Alien. Alle anwesenden Muttis wollten entweder im Geburtshaus oder sogar zu Hause gebären. Ich war, neben einer weiteren Schwangeren, die noch haderte, die Einzige, die auf jeden Fall ins Krankenhaus wollte. Die Einwände der anderen Mütter, dass es doch im Krankenhaus so steril und klinisch sei und gar nicht kuschelig und heimelig, konnte ich nicht nachvollziehen. »Ich will doch dort nicht einziehen, sondern nur ein Kind kriegen. Und ich glaube, dem Kind ist es ziemlich wumpe, ob die Wand gegenüber weiß gestrichen oder mit zarten Gänseblümchen und einem Regenbogen bemalt ist. Es kann anfangs ja ohnehin nicht so weit gucken«, so mein Einwand. »Und außerdem, was mir viel wichtiger ist als das Muster der Tapete: dass im Notfall ein Arzt oder eine Ärztin bereit steht, um das Leben meines Kindes und auch meins zu retten.« Ich hatte zu viele Horrorgeschichten von Notkaiserschnitten gehört und wollte auf jeden Fall auf Nummer sicher gehen und einen Arzt in Rufnähe wissen. Am Ende der Schwangerschaft, als klar war, dass mein Sohn aufgrund seiner Lage sowieso ein Kaiserschnittkind werden würde, erübrigte sich die Frage nach Kreißsaal oder Geburtshaus sowieso.
Aber das war nicht der einzige Grund, warum ich in dem Kurs häufiger dachte, ich sei im falschen Film. Eine Mutter, sie hatte bereits zwei Kinder, erzählte zum Beispiel, dass sie diesmal auf jegliche Untersuchungen beim Frauenarzt und der Hebamme verzichtete, weil sie diesen so persönlichen Prozess der Schwangerschaft ganz allein und für sich genießen und zu Ende bringen wolle. Ich fragte sie, warum sie dann hier im Kurs sei. Ihre Antwort: um mal Ruhe vor dem Rest der Familie zu haben.
Eine andere erzählte daraufhin, sie habe kürzlich ein Video von einer Frau gesehen, die ihr Kind allein im Wald geboren hatte. Und dass diese Idylle sie sehr inspiriert habe, ihr Baby auch in freier Natur zu bekommen. Ich fand das recht mutig, bei all den Füchsen, Luchsen, Wildschweinen und neuerdings auch Wölfen, die sich in unseren Wäldern so rumtreiben. Nicht dass ihr Baby noch wie Mogli endet und im tiefsten Thüringer Wald aufwachsen muss - allein unter Tieren, nach der Geburt im Moosbett unter einer Kiefer von einem Wolf entführt.
Den unglaublichsten Kursbesuch erlebte ich jedoch, als sich alles um das Thema >Plazenta< drehte. Ich hatte mir bis dato noch nie groß Gedanken um den Mutterkuchen gemacht. Ich wusste, das ist ein quallenartiges rotbraunes rundliches Schwabbelding, an dem die Nabelschnur hängt und das ein paar Minuten nach der eigentlichen Geburt rausflutscht, nachdem es neun Monate mein Kind ernährt hat. Was man damit postnatal alles anstellen konnte, darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Eine der werdenden Mamas erzählte, sie wolle ihre Plazenta mit heim nehmen, im Hofgarten verbuddeln und eine Sonnenblume darauf pflanzen. Unweigerlich sah ich einen Hund vor mir, der das Teil kurz darauf mit großem Appetit wieder ausbuddelte . Eine andere Mutter wollte Teile der Plazenta einfrieren und hin und wieder in ihr Essen mischen, weil das eine heilsame und immunstärkende Wirkung haben solle. Sie habe sogar schon im Netz leckere Smoothie-Rezepte gefunden. Ich würgte innerlich bei dem Gedanken an den blutroten Himbeer-Johannisbeer-Plazenta-Früchteshake. Doch die Krönung in der ganzen Plazenta-Diskussion war die Mutter, die ernsthaft über eine Lotus-Geburt nachdachte. Bis dahin hatte ich noch nie davon gehört. Ich kannte den Lotus-Sitz aus dem Yoga und eine Lotus-Blüte von diversen Bildschirmschonerbildern. Aber eine Lotus-Geburt? Klang ja erst einmal ganz hübsch. Die Hebamme klärte uns auf: Bei einer sogenannten Lotus-Geburt bleibt der Säugling auch nach der Geburt für ein paar Tage über die Nabelschnur mit dem Mutterkuchen verbunden, bis sich die Nabelschnur von selbst von dem Kind ablöst. Die frischgebackene Mama nimmt also zwei siamesisch verbundene Bündel mit nach Hause - in einem ihr Baby, in dem anderen die Plazenta. Vor meinen Augen tauchte ein schlafendes Baby auf und neben ihm lag - statt eines süßen Teddys - eine rotbraune, schwabbelige und glibschige Masse im Bett. Das hatte ja schon Albtraumpotential! Den Schreckensschrei konnte ich...
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