Schweitzer Fachinformationen
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Zwanzig Minuten. Nur zwanzig Minuten dauert der Videocall mit Mann und Kindern, und schon kann ich meine wunderbare Urlaubsüberraschung vergessen. Es lebe die Familie!
Die Haustür fällt mit einem lauten Knall hinter mir ins Schloss. Immer noch sehe ich die Gesichter »meiner Lieben« überdeutlich vor mir. Verdammt, wo ist die Fernbedienung für das Garagentor? Ich durchwühle die Handtasche. Nichts. Hat sich heute denn alles und jeder gegen mich verschworen? Ein zweiter Versuch. Na endlich, da ist sie. Während sich das Rolltor leise surrend nach oben schiebt, muss ich noch mal zurück. Ist die Haustür wirklich zu? Und das Küchenfenster? Doch, ja, alles in Ordnung. Jetzt ist die Garage offen, und ich schiebe mein Rad nach draußen. Prüfe mit dem Daumen den Reifendruck, schließe das Garagentor und fahre los.
Ich hatte mir das so schön vorgestellt. Dachte, die flippen vor Freude alle aus, sagen etwas in der Art wie: »Geile Idee, Mum! Pfingsten auf Amrum!« Aber nein, Pustekuchen! Sie haben alle etwas anderes vor. Und dann noch die oberschlaue Bemerkung meines Göttergatten: »Warum hast du das nicht vorher mit uns besprochen, Schatz?« Verdammt, Martin! Weil es dann keine Überraschung mehr gewesen wäre!
Ich trete kräftiger in die Pedale und merke, dass mein Herzschlag schneller wird. Denke an Pia, die vorhin, während unseres Online-Meetings, die vollen zwanzig Minuten locker auf dem Hometrainer durchgestrampelt und dabei noch mit uns gequatscht hat.
Martins hochgezogene Augenbrauen, die gerunzelte Stirn und dann seine Frage: »Du hast das Ferienhaus aber noch nicht gebucht?«
Doch! Hatte ich. Zwanzig Prozent Anzahlung inklusive. Das sagte ich ihm allerdings nicht, schüttelte stattdessen den Kopf, lachte übertrieben laut, bis Martin hinzufügte: »Hätte ich mir auch nicht vorstellen können, Schatz.«
Warum habe ich ihn angelogen? Ich beiße mir auf die Lippe und mache noch mehr Tempo. Diese blöde Nachtschicht. Selbst schuld. Ich hätte sie ja nicht übernehmen müssen, nur weil Inges neuer Freund sie mit zwei Theaterkarten für den heutigen Abend überraschte. Na und? Aber Inge flehte mich mit hochrotem Kopf an. Als ich schließlich nickte, umarmte sie mich überschwänglich. »Du bist die Beste!«
Und jetzt strample ich hier mit Wut im Bauch zu »ihrer« Nachtschicht. Was sagte Martin am Ende des Online-Treffens mit einem unübersehbaren Augenzwinkern zu den Kindern? »Eure Mutter hat es mal wieder gut gemeint.«
Ich spüre ein Brennen hinter den Augen. Muss mich zusammennehmen. Drossle das Tempo. Mein Puls dröhnt in den Ohren. Endlich komme ich am Hotel an und stelle das Rad in den Fahrradständer. Sichere es mit zwei Schlössern ab. Unter meiner Jacke klebt mir die Bluse schweißnass am Rücken.
Hinter der Rezeption steht Kollege Dollfuss, auch das noch! Er reicht gerade einem Gast den Stadtplan. Ich gehe schneller und senke den Blick. Hoffentlich sieht er mich nicht, aber da höre ich schon seine näselnde Stimme.
»Frau Kirschbaum?«
Im Weitergehen drehe ich den Kopf in seine Richtung. Er hält den Arm hoch und tippt auf seine Uhr. Was für ein unverschämter Kerl! Es sind noch fünf Minuten bis zum Schichtbeginn. Und in zehn Jahren bin ich schließlich noch nie zu spät gekommen. Der Milchbubi ist dagegen gerade mal ein Jahr hier und spielt sich dermaßen auf. Als ich in den Personalraum stürme, renne ich beinahe Lea und Petra um. Lea sieht aus, als hätte sie geweint. »Was ist denn los?«
Lea sagt: »Ich muss hier raus!«
Petra zieht die Schultern hoch, wirft mir einen kurzen entschuldigenden Blick zu, und schon sind sie beide weg.
Ich renne hinter ihnen her. »Kann ich irgendwie helfen?«
Sie reagieren nicht und laufen weiter.
»Tschüss!«, rufe ich noch und wundere mich. Denn Lea gehört zu den wenigen Kolleginnen, die auch in Stresssituationen bewundernswert gelassen bleiben. Ob sie private Probleme hat? Ich schließe meinen Spind auf und ziehe mich in Windeseile um. Prüfe vor dem Spiegel, ob der Rock und die Kostümjacke richtig sitzen. Beim Rauslaufen sehe ich in meinem Postfach zwei Umschläge liegen. Die können warten.
»Na, endlich.« Herr Dollfuss schaut auf seine Uhr.
Ich verkneife mir eine patzige Antwort. »Irgendwelche Besonderheiten?«
Herr Dollfuss grinst mich fies mit offenem Mund an, sodass ich seine gelblich verfärbten großen Zähne sehe.
»Gegen einundzwanzig Uhr kommt eine Gruppe für den Medizinerkongress an. Ihr Flug landet um zwanzig Uhr fünfzehn. Achtzehn Gäste. Alle haben Einzelzimmer. Frohes Schaffen.« Er nickt einem braun gebrannten Herrn im grauen Anzug zu, der seinen Trolley vor der Rezeption abstellt. »Moment, meine Kollegin ist für Sie zuständig.« Und an mich gewandt, macht er eine auffordernde Handbewegung, sagt: »Frau Kirschbaum, bitte!«, und verschwindet.
In meinem Hals steckt ein fetter Kloß, mein Gesicht zeigt jedoch ein Lächeln. »Guten Abend. Was kann ich für Sie tun?«
Vier Stunden später habe ich endlich Zeit zum Verschnaufen und hole das Handy aus der Handtasche. Vielleicht hat Martin mir eine versöhnliche Nachricht geschickt wie: Dann fahren eben wir beide nach Amrum. Nur wir zwei. Ich freu mich! Mit einem knallroten Herz-Emoji.
Aber da ist keine Nachricht von Martin, nur von Ben.
Hilfe, Mum! Habe eine Waschmaschinenladung verfärbt. Mit einem roten Sweatshirt. Mein cooles weißes Skate-Shirt und meine weiße Trainingshose sind ROSA!
Mensch Ben, wie kannst du rote Kleidung mit weißer waschen!
Im Drogeriemarkt gibt es Entfärber.
Lies zuerst die Gebrauchsanweisung.
»Oh, ich muss ins Bett«, höre ich da eine nuschelnde Stimme und lautes Gelächter. Schnell tippe ich auf Senden. Eine Männergruppe bewegt sich Richtung Fahrstuhl. Ein korpulenter Typ wankt auf die Rezeption zu. Das sind die Mediziner. Die haben gut einen getankt.
»Sie sin ja immer noch da.« Vor mir stützt sich der Dicke mit beiden Ellbogen auf dem Tresen ab und starrt mich mit glasigen Augen an. »Ham se keinen Mann zu Haus?«
»Ey, Jan!« Ein großer Blonder mit schief geknöpftem Jackett steht jetzt neben ihm und nickt mir zu. »Ent-schulligung.«
Er hakt seinen Kollegen unter und zieht ihn zum Fahrstuhl, in den gerade die anderen unter großem Gelächter einsteigen.
Ham se keinen Mann zu Haus?
Du hast das Haus doch noch nicht gebucht?
Mein Magen krampft sich zusammen.
Es ist zwei Uhr. Das Telefon ist still, alle Gäste in ihren Zimmern. Endlich herrscht Ruhe an der Rezeption, aber nicht in meinem Kopf. Amrum. Die restlichen achtzig Prozent der Rechnung wollte ich ursprünglich von unserem gemeinsamen Konto abbuchen. Jetzt muss ich an mein mager bestücktes Konto ran. Nichts mit der kleinen Finanzspritze für die Kinder, von der sie zum Glück nichts wissen. Das Geld wird für das Ferienhaus draufgehen. Vielleicht kann ich die Buchung rückgängig machen? Pfingsten ist Saison. Es sind noch zwei Wochen bis dahin. Morgen kümmere ich mich darum.
Vier Uhr. Wieder spukt Amrum in meinem Hirn herum. Ich sehe uns alle barfuß im Schlickwatt laufen, spüre das prickelnde Gefühl, wenn ich mit den Füßen im nassen Schlamm versinke.
Fünf Uhr. Wie sehr hatte ich mir wieder ein paar Tage für uns alle zusammen gewünscht. Das letzte Familientreffen war an Weihnachten, schon viereinhalb Monate her.
Fünf Uhr dreißig. Pia, unser Nesthäkchen. Ihr Umzug vor zwei Monaten nach Berlin. Wir hatten die letzten Kartons aus dem gemieteten Transporter geholt und stellten sie in ihrem WG-Zimmer ab. Pia grinste uns schief an. »Also, das war es dann.«
»Aber ich kann doch noch beim Auspacken helfen, und ihr zwei könnt derweil das Bett aufbauen«, bot ich an und puffte Martin in die Seite. Pia fasste mich an den Schultern und schob mich aus dem Zimmer. »Ist gut, Mami«, meinte sie und winkte uns draußen aus der Parklücke raus. Martin hupte dreimal, ich beugte mich aus dem Seitenfenster und verrenkte meinen Hals nach ihr, sogar noch, als sie nicht mehr zu sehen war.
Es ist sechs Uhr. Noch eine Stunde. Ich gähne hinter vorgehaltener Hand. Ein Gast will seine Rechnung bezahlen. Ein anderer beschwert sich, dass es erst ab sieben Uhr Frühstück gibt. Ein Pärchen will auschecken. Und dann treffen Paul und Tina ein, um mich abzulösen.
»Feierabend.« Tina gibt mir links und rechts Begrüßungsküsschen, ich rieche den Duft ihres Kokosnussshampoos.
»Hallo! Ich habe nicht ewig Zeit.« Ein glatzköpfiger Gast im Lodenmantel klopft mit seinem Zimmerschlüssel auf den Empfangstresen.
»Bin schon da.« Tina dreht sich zu ihm um.
Ich mache mich auf den Weg zum Personalraum, schaue auf mein Handy: Immer noch keine Nachricht von Martin, tausche die Arbeitsuniform gegen meine Bluse und Hose aus. Möchte nur noch zu Hause ins Bett kippen und den Tag verschlafen. Beim Rausgehen sehe ich im Postfach wieder die beiden weißen Umschläge. Der obere ist von meinem Chef, Herrn Süßkind. Stellen wir vielleicht auf ein neues Buchungssystem um und benötigen eine Schulung? Oder bekomme ich endlich die längst fällige Gehaltserhöhung?
Neugierig öffne ich den Brief.
Sehr geehrte Frau Kirschbaum,
ich danke Ihnen für Ihre kompetente und stets zuverlässige Arbeit.
Aus Altersgründen habe ich mich entschieden, das Hotel zu verkaufen. Die neuen Besitzer haben andere Konzeptideen, die auf eine jüngere Klientel abzielen.
Ich konnte die Herren nicht überzeugen, Sie zu übernehmen.
Es tut mir aufrichtig leid.
Ich...
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