Frust-Typen
Für den Menschen gibt es eine Idee, Frustration je nach Persönlichkeit in verschiedene Frust-Typen einzuteilen. Diese Idee kommt aus der Psychologie und wird hier von mir in stark vereinfachter Form übernommen.
Ich übertrage sie außerdem auf den Hund. Natürlich nenne ich die Dinge hier auch bei anderen Namen, denn glaub mir, die wissenschaftlichen Ausdrücke für die jetzt folgenden Erklärungen sind nicht sehr eingängig, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich möchte sie hier aber leicht verständlich und vor allem praxisnah zugänglich machen. Wenn du dich tiefergehend damit auseinandersetzen möchtest, dann suche einmal nach dem Rosenzweig-Test, den Herr Rosenzweig entworfen hat, um Frustausdrücke bestimmten Typen zuzuordnen. Daran inspiriert ist der folgende Teil dieses Buches.
Frust hat viele Gesichter
Du hast zuvor im Buch schon gelesen, dass Frust immer etwas mit Wut und Enttäuschung zu tun hat. Diese Wut kommt irgendwo zum Vorschein, aber nicht bei allen auf dieselbe Weise. Eine sehr introvertierte, konfliktvermeidende Person würde doch niemals lauthals ihre Genervtheit herausbrüllen, wenn an der Kasse vor ihr jemand nach Centstücken im Geldbeutel kramt. Das passt einfach nicht zum Charakter. Trotzdem wäre dieser schüchterne Mensch genauso frustriert. Sein Gefühl kanalisiert sich aber anders.
Ein Extrovertierter mit Lust auf Auseinandersetzungen wird dagegen seine Wut offen und laut gegen genau die Person richten, die im Portemonnaie kramt und jemand, der zwar gern seinen Unmut nach außen lassen, aber keinen Ärger haben möchte, wird hinter dem Rücken des Suchenden die Augen verdrehen oder der Kassiererin sein Leid klagen, wenn der andere Mensch weg ist, oder sich bei anderen Menschen in der Schlange "auskotzen".
Alle diese drei Typen haben in dem Moment Frust empfunden und alle vielleicht ungefähr gleich stark. Sie sind aber anders mit ihrer Wut umgegangen und das macht den Unterschied. Den lauthals Brüllenden erkennen wir am schnellsten und unterstellen, dass er am frustriertesten gewesen sein muss. Aber nein. Er hat nur seine Impulse weniger kontrolliert als die anderen beiden. Frust haben sie alle empfunden.
© Anna Auerbach
In sich gekehrt, traurig und selbstmitleidig ...
© Anna Auerbach
. oder aktiv nach außen orientiert und sich an den hindernden Umständen störend?
Auf den Hund übertragen
Übertragen wir das mal auf den Hund: Ein Hund, der bei einer stillen Pause beim Spaziergang an seinem Menschen hochspringt, ihn auffordernd anbellt, an seiner Jacke zerrt und jault, den werden wir schnell als frustriert identifizieren, denn er brüllt es direkt heraus und richtet sich auch direkt gegen die Person, die seiner Meinung nach die Verantwortung trägt.
Ein Hund vom Typ "Alles muss raus, aber ohne jemanden direkt anzusprechen" würde stattdessen vielleicht in der Gegend herumschauen und vor sich hin fiepen, vorbeilaufende Hunde und Menschen anbellen, ohne wirklich Kontakt aufzunehmen, in die Leine beißen oder sich über den piekenden Waldboden aufregen und angewidert die Pfote von einem Tannenzapfen heben.
Der Hund mit einer in sich gekehrten, stillen Persönlichkeit dagegen würde mit eingeklemmtem Schwanz und verkniffenem Gesicht dastehen. Seine Mimik wäre starr und voller Abneigung gegen die bestehende Situation. Sein Gesichtsausdruck traurig und enttäuscht. Seine Muskeln wären fest, aber er würde sich kaum bewegen, keinen Kontakt aufnehmen und still, aber offensichtlich leidend versuchen, herunterzuschlucken, wie mies es ihm geht. Vielleicht würde er sogar zittern vor Anspannung.
Diese drei Typen als gleichwertig frustriert erkennen zu können ist wichtig, um nicht zu denken, dass nur der Hund Frust zeigt, der möglichst laut und anstrengend ist. Das würde zu einer Überbewertung der lauten Frustäußerung und zu einer Nichtbeachtung des stillen Leidens führen.
Frust ist immer unangenehm. Der Hund möchte die Situation merkbar gern verändern, ist unzufrieden und angespannt. Seine Wut richtet sich gegen einen klaren Adressaten, die Umwelt und alle im Allgemeinen oder sich selbst und in sein Inneres - den letzten Typ übersehen wir dabei gern.
Der in sich gekehrte, mit schlechter Frustrationstoleranz ist der mies gelaunte, sich stets entziehende Hund, der keine Lust auf Dinge hat, der wirkt, als sei er immerzu unbegeistert und selten so richtig freudig bei der Sache. Das Wetter ist zu kalt und er trippelt auf den Boden schauend und zusammengekrümmt hinter seinem Menschen her, stoisch und unzufrieden. Genauso natürlich, wenn es zu warm, zu windig oder der Boden zu hart ist. Er legt sich hin, aber mühsam, leise stöhnend und kompliziert, sodass jedem klar wird: Es ist ungemütlich! Er ruckelt sich mühsam in Position und fühlt sich ausschließlich auf weichen Kissen oder einer kalten Fliese wohl, wenn alle Bedingungen zu hundert Prozent so sind, wie er es mag. Der still leidende, frustrierte Hund wirkt in seiner Mimik und Anspannung immer so, als würde er lieber gehen und als seien alle anderen blöd und er fehl am Platz. Natürlich nicht immer. Wer kann schon immer frustriert sein. Aber du wirst ihn ziemlich gut erkennen und er ist sicherlich nicht der fröhliche Sonnenschein mit Dauergrinsen.
Der lautstarke Frust-Typ wird auch in anderen Situationen des Lebens auffällig und lebendig sein. Er macht wahrscheinlich insgesamt viele Geräusche, bewegt sich ausufernd und ist lebhaft und kontaktfreudig. Er kann ein Clown sein und genauso hüpfend und ungeduldig außer sich vor Freude sein, wie er in der Frustration wütend wird.
Der Mischtyp, der der Umwelt die Schuld an seiner Misere gibt, hat von beidem etwas, aber nicht so extrem. Zu diesen Typen gibt es noch viel mehr zu sagen, aber erstmal möchte ich wieder auf dich und deine eigene Frustrationstoleranz zurückkommen.
© Anna Auerbach
Ein Gesichtsausdruck und eine körperliche Anspannung sind genauso aussagekräftig wie laute Geräusche.
© Anna Auerbach
Ein dramatischer Anfall kann bei emotionsstarken Hunden vorkommen.
Und welcher Typ bist du?
Um die Zusammenhänge besser bewerten zu können, sollst du nun dich selbst einschätzen, was deinen eigenen bevorzugten Frustrationstyp angeht. Und auch wenn du diese Übung vielleicht lieber überblättern möchtest, empfehle ich dir sehr, sie gerade deshalb unbedingt zu machen. Niemand wird es sehen, du bist allein mit diesem Buch und kannst nur lernen. Also schnapp dir einen Zettel und einen Stift und bleib gespannt. Ich verspreche dir, es wird dir nachher im Umgang mit deinem Hund helfen und ist keine verkappte Psychotherapie für dich.
Was für ein Frust-Typ bist du?
Du wirst gleich ein paar Situationen vorgestellt bekommen, die sehr kurz und bündig ausgeführt sind. Du wirst dir also eine Menge selbst vorstellen müssen. In der ersten Situation wirst du zum Beispiel in einem Restaurant sein und Essen bestellen. Wo du genau bist, was du bestellt hast und wer sonst dabei ist, wird nicht gesagt und bleibt deiner Fantasie überlassen.
Stopp! Lies die Fragen bitte noch NICHT vorher durch! Egal wie du dir die beschriebenen Situationen im Detail vorstellst: Sie sollen immer maximal frustrierend sein! Bei dem falsch gelieferten Essen im ersten Beispiel hast du also wirklich Hunger, es gibt kein zweites Restaurant nebenan, du kannst nicht schnell etwas anderes bekommen und das, was du bekommen hast, ist wirklich so eklig für dich, dass du es nicht essen möchtest. Immer wenn du dich also fragst, ob es vielleicht gar nicht so schlimm ist, dann stell dir die Situation so vor, dass sie die schlechtest mögliche Ausgangslage hat. Bei der Situation mit dem bereits überfüllten Bus ist die Strecke weit, es regnet und es kommt nicht gleich ein nächster Bus vorbei. Bei dem unterbrochenen Gang zur Toilette musst du wirklich sehr und die Kneipe ist mitten in einem belebten Viertel, in dem du nicht eben mal in eine dunkle Ecke huschen und dich dort erleichtern kannst und so weiter.
Du liest dir gleich die Situationen einzeln durch und hast dann immer eine kurze Beschreibung davon, wo du dich befindest und was jemand anderes zu dir sagt. Was du antwortest, trägst du auf deinem Zettel ein. Denke dabei gar nicht lange nach, schreibe spontan und schnell auf, was dir als erstes in den Sinn kommt, und gehe dann direkt zur nächsten Situation weiter. Erst wenn du überall deine Antwort aufgeschrieben hast, wertest du den Test aus. Vielleicht wirst du irgendwann denken, dass du zwar etwas Bestimmtes sagen, aber eigentlich etwas anderes denken würdest. Dann schreibe beides auf und mache dir einen Vermerk, dass du hier zwar zum Beispiel höflich "Ach, kein Problem!", sagen, aber vielleicht eher "Ich hasse dich, du unfähiger Dreckskerl!" denken würdest. Du fängst nun an zu lesen und zu schreiben und wir sehen uns gleich bei der Auswertung wieder. Viel Spaß!
...