Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das Schiff erzitterte unter dem Stoß. Dumpf und hart dröhnte das Echo im Laderaum. Stille folgte, kein Knirschen, kein Splittern von Holz. Der Rumpf hob sich nicht wie beim Auflaufen auf eine Sandbank. Niemand schrie, keine trappelnden Füße an Deck. Ruhig blieb die Fé em Deus auf Kurs. Die Stille war beunruhigender als jede Panik.
Ich riss mir das Laken vom Körper. Die Bewegung versetzte die Hängematte in wildes Schlingern; hart stieß ich mit der Hüfte gegen die Reling. Mit einer Hand hielt ich mich daran fest, setzte mich auf und starrte ins Wasser. Schäumend leuchtete die Bugwelle. Ihr gleichmäßiges Rauschen, nur kurz unterbrochen von den klatschenden Wellen eines in der Nähe vorüberfahrenden Schiffes, hatte mich in den Schlaf begleitet. Ich tastete nach der kleinen Tasche an den Sparren über mir. Sie zogen sich unter dem Oberdeck entlang, dazwischen steckten Schwimmwesten. Vor dem Ablegen hatte ich mir einen dieser stockfleckigen, mit Kork gefüllten Leinensäcke ausgesucht, zu dem ich einigermaßen Vertrauen haben konnte. In der Tasche, in einem wasserdichten Plastiksack, waren Notizbuch und Pass, Kamera, Filme und das Tonbandgerät, Cruzeiros und die Ersatzbrille verstaut. Mit dem Sack, so bildete ich mir zumindest ein, hätte ich schwimmend das Ufer erreichen können.
Das Wasser schimmerte schwarz, keine zwei Meter entfernt. Die Sterne reichten vom Horizont bis zum Rand des Oberdecks. Dazwischen dümpelte die hier am Äquator auf dem Rücken liegende Mondsichel wie eine altägyptische Barke. Kühler Wind trieb mir eine Gänsehaut auf die Arme. Es war sofort windstill, als die Maschine gestoppt und auf der Brücke der Suchscheinwerfer eingeschaltet wurde. Sein Schein tastete als Finger in die Dunkelheit, zitterte unentschlossen, glitt neben dem Rumpf suchend über die Wellen, wanderte nach achtern und erleuchtete das Schraubenwasser. Schließlich verschwand der helle Lichtkegel hinter den Kabinen des Vorschiffs und der Ladung aus meinem Blickfeld. Kistenstapel und Kartons türmten sich auf, Säcke mit Zwiebeln und Orangen, deren Duft die Hitze im Unterdeck anfüllen sollte, sobald wir den Amazonas erreicht und den Passat vom Atlantik im Rücken haben würden. Bis nach Santarém würde uns dieser Duft in einem dämmrigen Zustand belassen, in einer Kopf und Körper erfassenden Gleichgültigkeit, ein süßliches, schläfrig machendes Gift. Der Scheinwerferkegel kam auf meine Seite zurück.
«Que passou», fragte eine rauchige Stimme unter mir, «was ist passiert?» Dionisio stemmte sich von seinem Lager auf einem Packen Luftballons hoch und rammte mir den Kopf ins Steißbein. «Keine Ahnung.» Ich schlug die Beine über den Rand des weiten Tuchs und trat Dionisio auf den Kopf. Sein Haar fühlte sich an wie feiner Draht. Dionisio dirigierte meine Füße in die Richtung, in der er meine Gummilatschen vermutete. Jetzt war es ein Handicap, dass ich die Neonröhre der Notbeleuchtung über unseren Köpfen herausgedreht hatte, um besser schlafen zu können. Rasch zog ich mir ein Hemd über. Ich stützte mich auf ein Holzgestell, das zur Verpackung eines Kühlschranks gehörte, und ließ mich zu Boden gleiten. Die Beleuchtung flackerte.
«Was war das für ein Stoß?» Dionisio blickte vorsichtig über die Reling.
«Hier war das nicht. Komm mit.» Ich zog ihn zum Bug.
An Steuerbord standen zwei Besatzungsmitglieder. Wir sahen nur ihre Beine und Hüften, die Oberkörper waren weit vornübergebeugt. Einen dritten hatten sie am Gürtel gepackt und hielten ihn mit dem Kopf nach unten über die Reling. Es schien, als wäre er bei einem Kopfsprung in der Luft erstarrt. Er leuchtete mit einer Taschenlampe die Bordwand ab. Von der Kommandobrücke ragten Oberkörper wie abgeschnitten über die Reling des Oberdecks.
Der Lichtstrahl des Scheinwerfers geisterte weit voraus über die Wellen und machte jede Bewegung des Schiffes mit. Die Zahl der Oberkörper nahm zu; helle Augen starrten nach unten, ohne zu wissen, was sie suchten, und auch um uns herum hatten sich tuschelnd Passagiere versammelt. Die meisten waren nur notdürftig angezogen, trugen kurze Hosen, T-Shirts; Frauen mit wirrem Haar hatten sich in Tücher eingewickelt, die auch als Bettzeug dienten. Einige Männer setzten sich rittlings auf die Reling.
«Könnt ihr was sehen?», fragte der Kommandant von oben. «Nur Schrammen», gurgelte der Matrose, der über Bord hing, halb erstickt. «Wir kommen nicht nah genug ran.» Er wurde heraufgezogen und dann in einer Seilschlinge sitzend bis zur Hüfte wieder ins Wasser gelassen. Mit der Taschenlampe im Mund, ihr Schein verzerrte sein Gesicht zur grotesken Fratze, tastete er unter Wasser die Bordwand ab. Dann nahm er die Taschenlampe aus dem Mund und spuckte aus. «Hier ist das Leck. Ich fühle den Sog.»
«Zieht ihn hoch, und seht im Laderaum nach!», befahl die Stimme von oben.
Verängstigt drängten sich die Passagiere um den Matrosen.
«Es ist nichts, Leute. Nur ein klitzekleines Löchlein. Niemand bekommt nasse Füße. Geht schlafen!»
Ich hielt ihn fest. «Sind wir auf ein Wrack gelaufen?»
Unwirsch machte er sich los. «Wahrscheinlich ein treibender Baumstamm. Nichts Besonderes.»
«So ein Baumstamm kann ein Schiff versenken», meinte ein Passagier und genoss es sichtlich, seine Mitreisenden nervös zu machen. «Dann schwimmen wir eben», grunzte ein anderer, das Gesicht im Schatten einer Strebe verborgen. Nur wenige lachten - gekünstelt und müde. Als sich die Gruppe auf die Hängematten zubewegte, berichteten die ersten bereits von anderen Unglücken, die sie selbst erlebt hatten oder von denen sie aus ganz zuverlässiger Quelle wussten: «Als die Milagre de Deus kenterte, sind 37 Passagiere ertrunken.» - «Bei der Sobral Santos waren es über hundert!» Eine Frau erzählte von der Ternura, aber mit nur 19 Toten konnte sie nicht mithalten. Die braunen oder schwarzen Gesichter der Passagiere wirkten fahl im kalten Neonlicht. Eine Röhre flackerte wie ein Stroboskoplicht und verlieh den Bewegungen der Passagiere ein roboterhaftes Aussehen.
Die Fé em Deus lag quer zu den Wellen, rollte leicht. Mit einiger Anstrengung ließ sich das Ufer erahnen, eine weit entfernte Linie am unteren Rand des sternenübersäten Himmels. Vielleicht ließ es sich mit etwas Glück und der richtigen Strömung schwimmend erreichen? Ich wusste nicht genau, wo wir uns befanden. Wahrscheinlich hatten wir die Bucht von Marajó schon überquert und waren auf dem Rio Pará. Hier, nahe am Atlantik, war der Gezeitenstrom stark. Die Wassermassen der Flüsse, die südlich vom Amazonas dem Ozean zuströmten, drängten mit Macht aus dem Delta ins Meer und wurden von der Flut wieder zurückgeworfen. Ich sah zum ersten Mal auf die Uhr. Es war Viertel nach zwei.
Die Fé em Deus hatte zuvor bei Sonnenuntergang von der kleinen Pier am Condorviertel in Belém abgelegt. Wir waren den Rio Guama hinuntergeglitten, begleitet von Kanus, vorbei an den windschiefen und verwitterten Anlegern, Treppen und Lagerhallen der Stadt, an den Bars am Ufer, die mit bunten Lichtern und dröhnenden Lautsprechern die erlebnishungrigen Flussschiffer oder Bauern lockten, die Maniok oder die kleinen Früchte der Açaípalmen in die Stadt gebracht hatten. Vor der leuchtenden Skyline fuhren schaukelnde Kähne mit kastenförmigen Aufbauten. Je weiter wir uns von der Stadt entfernten, desto mehr schmolzen die Lichter der Hochhäuser zu einem schimmernden Klotz zusammen. Noch lange war der Widerschein Beléms am Himmel zu sehen. Zwischen den Inseln hatte die Fé em Deus an einem Kreuzer der Hafenbehörde längsseits gehen müssen, Passagierlisten und Ladung waren kontrolliert worden, nicht allzu aufmerksam - die Marinesoldaten hätten etwas finden können, und das hätte Arbeit gemacht. Sie waren mehr an kleinen Booten interessiert, an den lanchas, die sich im Schutz der Nacht an ihnen vorbeistahlen und Parfüm, Disketten oder Videorecorder aus Französisch Guayana nach Brasilien schmuggelten, oder an Fracht ohne Begleitpapiere und Steuerbelege. Mit Schmugglern ließen sich Geschäfte machen, und nur wer nicht kooperierte, wurde von den Marinesoldaten hart angepackt. Es war ein leichtes, die Kontrollen zu umfahren und einen versteckten Weg zwischen den Inseln um Belém zu suchen. Der Lichtschein der Stadt war noch immer zu sehen, als wir die Kaimauern des Aluminiumhafens Vila do Conde passierten, wo ein japanischer Frachter im gleißenden Flutlicht mit Aluminiumbarren beladen wurde. Danach hatte ich mich in die Hängematte gelegt, auf dem Unterdeck neben der Reling, obwohl meine Passage erster Klasse zum Schlafen auf dem Oberdeck berechtigte. Doch mich hatte das Gewimmel der Menschen, die auf Tuchfühlung zwischen Gepäckstücken, Provianttaschen, Apfelsinenschalen und Radiogeräten in ihren Hängematten baumelten, abgeschreckt. Der kleine Dionisio war erst im letzten Moment vor dem Ablegen, mit einem riesigen Ballen Luftballons auf dem Rücken, keuchend an Bord gekommen und hatte sich unter mir, im Windschutz zwischen Kühlschrank und Tomatenkisten, sein Lager auf den Ballons hergerichtet.
Mittlerweile räumte die Mannschaft ohne jede Hektik die vordere Ladeluke frei, um sich Zugang zum Laderaum zu verschaffen. Ihre Gelassenheit hatte etwas Beruhigendes - oder war es Gleichgültigkeit? Kapitän Antônio Furtado, der an Bord nur commandante genannt wurde, kam über die vordere Treppe von der Brücke herunter, setzte sich auf die Reling, lehnte sich gegen einen Stützbalken und sah den Matrosen zu. Furtado hatte eine athletische Figur, obwohl er mit knapp fünfunddreißig Jahren das Alter erreicht hatte, in dem die meisten Brasilianer sich...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.