Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vier Jahre vor jenem Artikel, im Frühsommer 1993, war Sabrina Allmeier, damals Sekretärin im Hofgarten, nach Salzburg gefahren, um dem Kulturmanager Johann Pöll vertraulich ihre Sorgen um die Zukunft des Künstlerhauses zu schildern. Als Sekretärin führte sie mit Pöll ein Gespräch, von dem nur Daniela Ferrini wußte, ohne zu ahnen, was genau Allmeier mit Pöll besprach.
Ihre Wortkargheit und ihre finstere Miene hatten Allmeier eine Autorität im Hofgarten verschafft, die ihr erlaubte, zu kommen und zu gehen, wann sie wollte. Sie verbuchte ihre Fahrt zu Pöll unter Zeitausgleich. Schrei, der damals noch Kurator des Künstlerhauses und ihr Vorgesetzter war, erklärte sie, sie besuche ihre Salzburger Freundin Elisa. Gegenüber der Freundin, mit der sie täglich telefonierte, erwähnte sie, die Klagen satt zu haben, die täglichen Lamenti der Männer, das Ertränken der Lamenti im Wein. Sie habe den Weltuntergang satt und nehme daher die Dinge in die Hand. Die Eitelkeit nämlich hindere Kapp, Schrei und Brand daran zu begreifen, was sie inzwischen begriffen habe.
Sie fuhr auf der Autobahn und dachte an eines der Sprichwörter Schreis: Weil Österreich so schön ist, sind die Österreicher so häßlich. Die fichtenbewachsenen Berge, durch die sich die Täler schlängeln, Berge mit einer Baumgrenze erst knapp unter Gipfelhöhe, waren trotz der Hitze in üppiges Grün getaucht, und der tiefblaue Himmel leuchtete wie das Meer. Die Fahrt nach Salzburg lehrte Allmeier das Gefühl der Allmacht, ein Gefühl, das ihr die Künstler tagtäglich vorlebten.
Bäche rannen von den Bergen, und die Autobahn überquerte rauschende Flüsse. Auf den Wiesen weideten Kühe, und rund um die Häuser blühten Gärten. Allmeier mußte nicht haltmachen, um zu empfinden, was sie empfand, weil sie die Landschaft kannte, die Tiere, die Gärten. Mit jenem plötzlich gewonnenen Gefühl der Allmacht indes entdeckte sie die Gegend wie eine neue Welt.
Sosehr sie die Künstlerhausmänner verehrte, verachtete sie sie für ihre Selbstsucht. Mit ihren Quälern, behauptete ihre Salzburger Freundin Elisa, bestrafe sie sich selbst, denn solange andere sie quälten, bleibe sie im Recht. Ihre wirkliche Qual sei, nichts zu Ende zu bringen, eine Hemmung, gegen die sie kein Mittel wisse, als sich unterzuordnen.
Draußen flogen die Hügel der Buckligen Welt vorbei. Allmeier war mit sich zufrieden, denn immerhin hatte sie den Mut aufgebracht, nach Salzburg zu fahren. Vielleicht, dachte sie, lasse sie sich tatsächlich quälen, von Schrei, von Kapp und den anderen, aber sie halte stets noch mehr aus als ihre Quäler und sei am Ende zäher als sie.
Als Studienabbrecherin von der Arbeitsmarktförderung dem Hofgarten vermittelt und finanziert, habe Kapp sie schon nach wenigen Monaten die gute Seele genannt, die Sekretärin, die mit dem Chaos und Wahnsinn der Künstler zurechtkäme. Und habe nicht Daniela Ferrini, Kapps stellvertretende Präsidentin, wie sie als Sekretärin begonnen?
Schreis böse Zunge nenne Ferrini neurotisch wortkarg und das Inbild der strengen Mutter, korpulent, mit am Hinterkopf verknotetem Haar und großmütterlich gekleidet, eine Cerbera, die offenen Streit durch ihr bloßes Erscheinen unterbinde. Alfons Schrei übertreibe wie immer maßlos.
In den Künstlern, doziere er gern, sei die Kunst beheimatet, und der Kunst müsse alles untergeordnet werden. Als Kunstfeind verhexe der Hofgarten, wen Kapp für unbegabt halte, Realisten, Utopisten und Sozialisten, die in Kapp körperlichen Ekel erregten. Loyalität laute das oberste Gesetz, und eine Sekretärin sei die Verkörperung dieses Gesetzes.
Allmeier lächelte. Eine Künstlerhausfrau, dachte sie, gehorche nicht dem Gesetz, sondern lebe es. Sie geleite die Künstler in den praktischen Angelegenheiten des Lebens, weil sie im Alltag Kinder geblieben seien, Pubertierende, die daran festhielten, damit der Quell ihres Schaffens nicht versiege. Das Recht auf eine zweite Kindheit würden Künstler durch Ruhm erwerben, und eine Frau müsse sich nicht nur zu einem Künstler hingezogen, sondern sich selbst für die Hingabe an einen Künstler auserwählt fühlen.
Ob sie die hohen Erwartungen erfüllen könne? fragte sich Allmeier und sah in den Rückspiegel. Entspreche Ferrini dem Bild der Auserwählten, der Muttersekretärin? Und weckten nicht gerade Berührungsängste und stille Aggressionen das Begehren der Künstlerhausmänner?
Im Autobahntunnel, wie im Sog der Nacht, der Schrei, an Höhenangst leidend, ängstige, fühlte sich Allmeier wie losgelöst. Die Künstlerhausmänner widmeten ihren Frauen Bilder und Plastiken und schrieben für sie Rollen in Theaterstücken. Die Frauen der Künstler hätten sich wie Nonnen, wie Huren hinzugeben und zugleich nicht hinzugeben, zu gehorchen und sich für ein Leben danach aufzusparen. Ganz gleich, ob sie sich hingeben würden oder Hingabe in Fleiß und Gehorsam ihren Ausdruck fände, die Frauen der Künstler bewahrten sich immer auf.
In einer Raststation in der Obersteiermark machte Allmeier halt und aß Nudelsuppe und Apfelstrudel. Das Interieur aus Plastik, die Zapfsäulen der Tankstelle, die Kalkfelsen der Berge im Hintergrund wirkten mit einer ihr unerklärlichen Intensität auf sie, und interessiert folgte sie den Schritten der Kellner.
Wenig später, als sie ihre Reise fortsetzte, dachte sie an Kapp und fühlte sich wie eine Todsünderin, eine Kunstmörderin, wie Kapp sie, wüßte er von ihrer Fahrt zu Pöll, nennen würde. Wiederholt meldete sich, sobald sie an den Abfahrten Exit las, ihr Gewissen mit dem Befehl umzukehren. Alle und alles überschattend, ihre Arbeit, ihre Beziehungen, ihr Leben, sei Utz Kapp, dachte Allmeier, nicht nur ihr Präsident, sondern das Gesetz selbst, dem sie gehorchten. Kapp gebe und nehme ihnen den Atem, wie er wolle, und über das Ende seiner vierzigjährigen Präsidentschaft nur einen Gedanken zu wagen, gleiche einem Vatermord. Andererseits tue sie, was sie jetzt tat, wie Kapp es tun würde. Noch die verbotenen Wünsche gehorchten seinen Gesetzen.
Einen Augenblick später dachte sie fast zärtlich an Utzi und dachte auch an Schrei, der nichts sehnlicher wünsche, als so zu sein wie Kapp und zu besitzen, was Kapp besitze.
Kapp meide ja im Grunde das Künstlerhaus, weil er ständig Intrigen fürchte, gegen die er zu steuern hätte. Von früh bis spät in der Stadt unterwegs, von Café zu Café, von Büro zu Büro, von Redaktion zu Redaktion, halte Kapp ein kompliziertes Netz von Informanten und Lobbyisten aufrecht. Sei er nicht unterwegs, sitze er zu Hause und telefoniere. Ihm entgehe nichts, weil er stündlich mit Ferrini konferiere. Das Kommen und Gehen im Büro gleiche einer Vernissage, mit allen Dramen, Intrigen und Zusammenbrüchen, die Vernissagen kennen.
Jetzt, auf der Fahrt nach Salzburg, war sich Allmeier ihrer Berufung so sicher wie noch nie. Immer schon, dachte sie, sei es an ihr gelegen, das Künstlerhaus zu retten. Wer, wenn nicht sie, sei mit den Jahren zur Künstlerhausmutter geworden, sie und nicht Ferrini, die sich das nur einbilde, weil Kapp sie als seine Nachfolgerin vorsehe, um den Einfluß auf den Hofgarten bis an sein Lebensende nicht zu verlieren. An ihr, Allmeier, liege es, die Zeit nach Kapp vorzubereiten. Sie und niemand anderer fahre nach Salzburg, um das Künstlerhaus als eine Schicksalsgemeinschaft zu retten.
Sie nämlich würde sich nicht von jener Angst vor einem Kulturmanager anstecken lassen, die die Künstlerhausmänner in heilige Rage treibe. Schrei gegenüber, der Kapps Ende geradezu beschwöre, habe sie das Treffen mit Pöll verschwiegen, weil der als Manager für Schrei einen Eindringling darstelle, einen Agent provocateur, der sich in Künstlergemeinschaften einniste, um sie zu vernichten.
Von Pölls Unternehmen wußte Allmeier, weil Beamte des Kunstministeriums Ferrini zu verstehen gegeben hatten, man wünsche eine zeitgemäßere Leitung des Künstlerhauses. Bis Wien spreche sich durch, wie gespenstisch am Hofgarten, dem Inbegriff zeitgenössischen Handelns, die Gegenwart spurlos vorbeiziehe. Böse Witze über eine beamtete Avantgarde kursierten, man wolle aber Kapp nicht kränken und empfehle die Kontaktnahme mit Pöll, der sich auf Reformen verstehe.
Für Schrei müßten sich Künstler aus sich selbst heraus retten, und nicht mit Hilfe eines Managers, der nichts im Sinn habe als das Zugrunderichten eines Künstlerortes, der Seele, des Odems, des Atems der Kunst, kurz dessen, was ein Künstlerhaus darstelle. Ein Künstler, so Schrei, finde sich von Feinden umzingelt, von Politikern, Kritikern, Beamten und Managern und nicht zuletzt von einem kunstunverständigen Publikum. Nur indem er sich das Brennen in der Brust bewahre, den heiligen Zorn, bleibe er ein Künstler, bewahre er sein besonderes Wesen, das ihn vom Durchschnittsmenschen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.