Schweitzer Fachinformationen
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Die Stille im Raum erschien fast unerträglich. Sechs Köpfe waren über den Tisch gebeugt, alle starrten schon seit Stunden auf ein Foto. Darauf war ein Mann zu sehen mit schwarzem Bart und goldener Brille. Der Besuch dieses Mannes, der den Decknamen Joseph Anton trug, verlangte eine ganz besondere Strategie. Die Planung seines Aufenthaltes in Wien, der zwei Tage dauern würde, sollte perfekt sein. Die Aktion musste unter allen Umständen geheim bleiben. Es durfte keine einzige undichte Stelle geben. Denn jedes Wort zu viel würde den Tod dieses Mannes bedeuten. Die sechs Männer schwitzten. Rauchen war im abgeschirmten Sondereinsatzraum des Ministeriums nicht erlaubt und die vier Kaffeekannen waren bereits seit Stunden leer. »Spektakulärer Einsatz«, hämmerte es in ihren Köpfen. Versagen verboten. Ihre Taktik war das Denken in Szenarien und ihr Mantra das »Leben in der Lage«. Also agieren, wie es die Situation gerade erfordert.
Die Vorbereitungen für den Besuch Joseph Antons liefen bereits seit Tagen auf Hochtouren. Die sechs Männer hatten in akribischer Kleinarbeit Fahrtrouten durch das Dickicht der Wiener Innenstadt zusammengestellt und auf Papier gezeichnet. Daneben wurden Ersatzrouten und Konvoi-Formationen ausgetüftelt. Die zu betretenden Gebäude vom Dach bis in den Keller überprüft, ebenso die umliegenden Häuser eines Straßenzugs, Baupläne gesichtet und Notausgänge markiert. Verdächtige Einreisende nach Österreich am Flughafen und an den Bahnhöfen überprüft, aber auch ungewöhnliche Bewegungen an den betroffenen Botschaften. Auch die Mannschaft, die an jenem Tag zum Einsatz kommen sollte, wurde definiert, deren Positionen in und um die zu bewachenden Gebäude sowie die genauen Funktionen während ihres Einsatzes: Personenschutz- und Observationsteams, Taktikverantwortliche ... die Liste war lang. Insgesamt war von 250 Personen die Rede, denn die Gefährdungsanalyse war eindeutig: Es war davon auszugehen, dass ein Mordanschlag auf den Mann stattfinden würde. Der Mord könnte sowohl durch Bomben, Schusswaffen, Präzisionsschützen als auch mittels Messer, Schwerter oder Bajonette durchgeführt werden. Jede Form der Hinrichtung war möglich. Und gerade deshalb musste diesmal die gesamte Mannschaft rund um die Uhr im Einsatz sein. Schließlich hatte man sich noch eine Überraschung der besonderen Art für den oder die Mörder des Mannes ausgedacht. Rasch waren die Vorbereitungen auf gewohnt effiziente Weise abgeschlossen. Nun stand der Einreise Joseph Antons nichts mehr im Weg.
Wenn sich jener elitäre Kreis, bestehend aus dem Leiter der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus und den leitenden Beamten des Staats- und Verfassungsschutzes sowie der Spezialeinheiten zu einer Sitzung treffen, »brennt« es meist schon. Denn noch nie zuvor war es in Österreich vorgekommen, dass ein weltweit gesuchter, mit dem Tod bedrohter Mann, auf dessen Ermordung sogar ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt worden war, als Staatsgast empfangen und mit einer der wichtigsten Auszeichnungen des Landes geehrt werden sollte. Dieser Einsatz hatte erstmalig die Gefährdungsstufe eins, also die höchstmögliche Gefährdungsstufe. Für die kleine Alpenrepublik Österreich war das außergewöhnlich.
Leichter Frühlingsregen netzte die Landebahn, als die Maschine mit dem Kennzeichen OS 460 der Austrian Airlines, aus London kommend, sich dem Flughafen Wien-Schwechat näherte. Es war ein Sonntag. Man schrieb den 15. Mai des Jahres 1994. 10.50 Uhr. Der Towerlotse hatte jetzt Sichtkontakt zur OS 460 und erteilte dem Piloten ordnungsgemäß die Landeerlaubnis - nicht ohne zuvor die Pistenrichtung anzugeben. Mit einem Feldstecher verfolgte er die Landung. Hinter ihm im letzten Stockwerk des Flughafentowers begannen sechs große Männer in dunkelgrauen Cerruti-Anzügen, die mit einer Spezialversion der Glock 18 bewaffnet waren, aufgeregt in ihre verkabelten Ohrmikrofone auf einer eigenen, nicht abhörbaren Frequenz zu sprechen. Es waren nur Wortfetzen zu verstehen: »Friends listen . Joseph Anton . ready . for landing.« »Friends« war der für diesen Einsatz vereinbarte Rufname des Personenschutzteams. Die grünen Befeuerungslichter, die zur Orientierung des Piloten dienen, wiesen der Maschine ihren Weg durch das Labyrinth der Landepisten. Pünktlich um 10.55 Uhr setzte die OS 460 auf dem Flughafen Wien-Schwechat ruhig auf. Wenig später stoppte sie an der für sie vorgesehenen Abstellposition abseits der anderen Maschinen.
Die Männer sprachen hastig in ihre Ohrmikrophone: »Friends listen again . Joseph Anton . arrived . now.« Dann geschah etwas, das einem Hollywoodthriller glich: Die Maschine war kaum gelandet, als drei gepanzerte schwarze BMW-Limousinen im Eiltempo auf sie zusteuerten. Acht Männer sprangen aus den Limousinen und bildeten ein Spalier vor der Gangway, die gerade an den Flugzeugrumpf geschoben wurde. Die Männer sahen nicht aus wie Bodyguards, eher wie eine Mischung aus Model, Geheimagent und Militär. Sie trugen schwarze Brillen, Jeans und graue Sakkos. Offenbar coole Typen. Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür der Maschine und eine Stewardess trat heraus. Nach ihr stieg der erste Fluggast aus: ein Mann aus der Polizeieskorte, der neugierig um sich blickte. Ihm folgte ein kleiner Mann mit Bart, dunklen Haaren und einer Halbglatze. Er trug eine goldene Brille, ein dunkles Sakko, darunter ein weißes T-Shirt und Jeans. Hinter ihm erschien eine Frau, offensichtlich seine Freundin, in einem grünen Sommerkleid und umgeben von sechs großen, gut gebauten, aber streng wirkenden Männern der Polizeieskorte. Weitere schwarze Fahrzeuge kamen hinzu. Alles ging sehr schnell. Die Begleitfahrzeuge hielten mit einem Abstand um die Limousinen. Ein derartiges Schauspiel hatte man am Flughafen Wien-Schwechat noch nicht erlebt.
Nachdem der kleine Mann mit der Halbglatze von einem Mann, der aus einer Limousine gesprungen war, begrüßt worden war, stieg er mit seiner Freundin in eine der drei schwarzen Limousinen. Welche das war, war nicht ersichtlich. Alles ging sehr rasch. Auch die acht Männer, die auf die beiden Gäste gewartet hatten, waren bereits wieder in den schwarzen Limousinen verschwunden. Der Konvoi bewegte sich nun blitzartig vom Flughafen auf die Autobahn Richtung Wien zu einem zentral gelegenen Ort, an dem ein Hubschrauber landen würde. Kein einziges Fahrzeug war auf der Autobahn zu sehen, obwohl es kein autofreier Tag war. Die Polizei hatte lediglich, wie bei Staatsgästen üblich, einen Teil der Strecke abgesperrt. Entlang der Fahrtroute standen im Abstand von 300 Metern Polizeiwagen. Die Polizisten salutierten, als die Limousinen vorbeifuhren, und funkten weiter an ihre Kollegen: »Joseph Anton . just . drove by.«
Der Mann mit dem Decknamen Joseph Anton war unversehrt in Wien gelandet. Doch das war erst der Anfang der nun folgenden Mission. Joseph Antons Deckname bestand übrigens aus den Vornamen seiner beiden Lieblingsschriftsteller: Joseph Conrad und Anton Tschechow. Denn seit genau fünf Jahren war jener Mann, der unter dem Decknamen Joseph Anton lebt und in Wahrheit der weltweit bekannte indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie ist, gezwungen, unterzutauchen und in ständiger Begleitung einer bewaffneten Polizeieskorte von Aufenthaltsort zu Aufenthaltsort zu ziehen, weil der iranische Machthaber Ayatollah Khomeini ihn zum Tode verurteilt hatte. Khomeini hatte eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen und die Muslime in aller Welt zur Vollstreckung aufgerufen. Um die Sache zu beschleunigen, hatte er ein Kopfgeld in Höhe von 3 Millionen US-Dollar ausgesetzt. Rushdies Vergehen? Einen Roman mit dem Titel Die satanischen Verse geschrieben zu haben und sich damit angeblich gegen den Islam, den Propheten und den Koran zu richten.
Salman Rushdie, dem am 16. Mai 1994 vom damaligen österreichischen Kulturminister Rudolf Scholten in Wien der Staatspreis für europäische Literatur verliehen werden sollte, kam für zwei Tage als Staatsgast in die Donaumetropole. Er war somit von ebenso hoher Wichtigkeit in Sachen Sicherheit wie etwa der US-Präsident oder der russische Staatspräsident. Aufgrund der gegen Rushdie ausgesprochenen Fatwa wurde vom Innenministerium die höchste Gefährdungsstufe ausgesprochen. Was so viel bedeutet wie: Ein Anschlag kann nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund wurde eigens eine Einheit des Einsatzkommandos Cobra, jener österreichischen Spezialeinheit, die nur Aufträge mit erhöhter Gefährdungslage und besonders hohem Schwierigkeitsgrad wahrnimmt, für Salman Rushdie abgestellt. Diese Männer, 70 an der Zahl, beschützten den Schriftsteller und seine Freundin während ihres gesamten Aufenthaltes in Österreich - rund um die Uhr. Sie hafteten für deren Sicherheit mit ihrem eigenen Leben. Genau das bedeutet Personenschutz.
Doch zurück zu jenem zentral gelegenen Ort in Wien, an dem der Hubschrauber des Innenministeriums landete. Die Sicherheitskräfte, die um den Hubschrauberlandeplatz positioniert waren, erhielten via verschlüsseltem Funk die Order »Joseph Anton arriving«. Aufregung ist in einer derartigen Situation fehl am Platz. Die für die Observation des Umfelds zuständigen Mitglieder der Spezialeinheit sind voll konzentriert und checken bereits seit Stunden jeden Zentimeter, jede Bewegung, jeden Passanten, jedes Auto. Der Flugverkehr über Wien wurde für eine Stunde lahmgelegt. Alles befand sich unter Kontrolle der Cobra und ihrer Kollegen von der Polizei. Nun traf auch der Konvoi mit dem Schriftsteller ein. Rasch entstiegen Joseph Anton und seine Freundin dem Wagen. Innerhalb einer Minute saßen sie im...
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