Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Pauls junges Leben endete abrupt auf einer Kuhweide. Er war bekifft auf seinem Motorrad viel zu schnell unterwegs gewesen, beinahe mit einem Laster zusammengestoßen und schleudernd in die Botanik geflogen. Er rammte eine Kuh, die nachfolgende Maschine fiel auf beide. Paul, Marie und Klaus hatten mit vielen Drogen und großem Spaß in den Tag hineingelebt. Für ihn war der Spaß also vorbei. Immerhin war Pauls letzte Fahrt auf Maries Schoß zum See gewesen.
Marie genoss die Fahrt, die Sonne, das Leben. Ihr langes Blondhaar wirbelte im Fahrtwind, der die Hitze nur mäßig minderte. Genüsslich zog sie an ihrer dünnen selbst gedrehten Zigarette. Das scheppernde Autoradio lieferte die Begleitmusik, bis ein Gong die Nachrichten ankündigte. Der Sprecher verlas das Neueste vom Krieg in Kambodscha und berichtete über eine Familie, die mit einem zusammengenähten Heißluftballon, für den sie jahrelang Kunststoffbahnen gestohlen hatte, über den Eisernen Vorhang in den Goldenen Westen geflüchtet war. Schon folgte die nächste Nachricht. »Die Raumsonde Voyager zwei sendet im Vorbeiflug atemberaubende Bilder vom Jupiter.« Das imponierte Klaus, war doch der Planet unvorstellbar weit weg. Unglaublich, dass das funktioniert per Funk, auf diese Entfernung. Klaus stupste Marie. »Wir sind im Radio.« Trocken meldete der Sprecher: »Kinder fanden heute Morgen eine Bombe am Seeufer beim Negerbad.«
Während die Stimme im Radio, wieder weniger aufgeregt, weiterhin heißes Sommerwetter mit Gewittern versprach, schauten sie sich an. »Hey, Klaus! Unser Revoluzzer ist auch als Toter voll aktiv.« Sie schüttelte sich vor Lachen.
Ihr Freund war so plötzlich gestorben. »So sinnlos? Warum bloß? >Ashes to Ashes< und zugedröhnt im höchsten Himmel«, sagte sie mit sanfter Stimme, als der Nachrichtensprecher eine kurze Pause machte. »Paul hätte es so gewollt.«
Seine Eltern hatten ihn Klaus getauft, so wie viele andere Eltern ihre Söhne auch. Gleich fünf andere Jungs in seiner Klasse hießen Klaus. Er mochte seinen Namen nicht. Seit er laufen konnte, riefen ihn die Eltern Klausi, und Tanten, Onkeln und Nachbarn taten das auch. Klaus mit i hieß er im Kindergarten, in der Schule und selbst als er lange, fettige Haare, zerrissene Bluejeans und Armeejacken trug und anfing, selbst gedrehte Zigaretten Kette zu rauchen, blieb das I an seinem Namen kleben wie braunes gebrauchtes Heftpflaster, das ihm seine Mutter immer grob vom verletzten Knie oder Ellenbogen gerissen hatte. Logisch, auch seine Freunde riefen ihn Klausi. Selbst mit Führerschein, Wahlschein, Flaumbärtchen und nach mehreren Vollräuschen blieb er Klausi.
Sie allerdings hatte ihn schon beim ersten Kennenlernen in der Wohngemeinschaft Klaus genannt. Einfach Klaus. Und jetzt summte sie im Auto neben ihm die Melodie von »Ashes to Ashes«. Leider passend, bedauerte Klaus und brummelte mit.
Die Trauerfeier für Paul, zu der viele Freunde und seine wenigen Verwandten gekommen waren, fand an einem der ersten heißen Sommertage statt, dazu in der drückenden Mittagshitze. Es roch nach einer Mischung von Weihrauch und Buchsbaum, ein Geruch, der Klaus immer an Tod und Friedhof erinnerte. In der angenehm kühlen Kapelle hatte sich eine kleine Gruppe versammelt. Nachdenklich blickte Klaus auf seine Freunde, die in der vorderen Bankreihe andächtig wie im Stuhlkreis zusammensaßen. Ergriffen rutschten sie auf den knarzenden Bänken hin und her und wischten sich verstohlen mit dem Handrücken Tränen aus den glasigen Augen.
»Fuck«, flüsterte Blacky noch immer fassungslos, während Sperling etwas zu laut und heftig in ein Taschentuch schnäuzte. Stefano saß benommen auf der Bank, und Fred zupfte nervös an seinem Schnurrbart. Er stand als Erster auf, als der Pfarrer mit wehendem Gewand in die Kapelle einzog. Ihm folgte ein Friedhofswärter, der wegen der Hitze und seiner engen Uniform einen alarmroten Kopf und dicke Schweißperlen auf der Stirn hatte. Der Mann stellte die Urne vorsichtig auf einen Sockel. Klaus war gestresst. Die Acryl-Stoffhose, die er für das Begräbnis ausgeliehen hatte, und das weiße Hemd klebten auf der Haut. Deswegen freute er sich, dass der Pfarrer aufs Tempo drückte und seine Ansprachen und Gebete schnell zu Ende bringen wollte. Es gab keine live vorgetragene Trauermusik, nur kurze, vom Geistlichen heruntergeleierte Ansprachen. Die Rede fand er furchtbar, weil sie vor Allgemeinplätzen strotzte für einen, der keinen Platz im Weinberg des Herrn bekommen und diesen zu Lebzeiten auch nie beackert hatte. Dazwischen füllte Klassik den Raum, eine Musik, die Paul immer gehasst hatte. Als Krönung eierte die Tonbandkassette, dann - klack, klack - klackte es, und die Musik stoppte. Bandsalat.
»Läuft ja wie geschmiert hier.« Marie, die neben Klaus auf der Bank saß, rollte genervt ihre schönen Augen.
»Coole Socke«, zischte Klaus, weil sich der Priester, solche Pannen offensichtlich gewohnt, nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er machte sich um das früh verloren gegangene Schaf keine Gedanken und ratterte den nächsten Teil seiner Standardrede herunter. Und wie erhofft, machte er es kurz. Mit einem Singsang beendete er den Auftritt, ohne den Verstorbenen oder sein so früh beendetes Leben auch nur ansatzweise zu würdigen. Klaus' Hose war zu eng und drückte auf seine Eier. Er fühlte sich unwohl.
Am Ende der tristen Veranstaltung schritt Marie mit ihrem kurzen gelben Batikkleid lässig zur Urne, die der Friedhofswärter zum Grab um die Ecke tragen wollte. Sie lächelte ihn an. Klaus beobachtete sie. Wenn sie will, kann sie ganz schön sexy sein. Das dachte auch der Mann mit der Urne. Dessen Blick wanderte von Maries Augen und wohl geformten Lippen über ihre Brüste, deren Formen und zwei kleine Nippel sich unter dem Kleid abzeichneten, hinunter zu ihren langen Beinen, um wieder weiter oben am Ende des Kleides, im Schritt, hängen zu bleiben.
Marie schnappte die Urne und spurtete los. Das lange Haar wirbelte im Laufen, ihre festen Brüste, die sie niemals in einen BH zwängte, wippten auf und ab. Klaus hetzte ihr hinterher. Sie rannten auf dem Gottesacker über enge Wege im Zickzack, vorbei an langen Reihen von Gräbern und anderen Trauergästen, zum Ausgang, wo in der stechenden Sonne sein Wagen geparkt war.
Außer Atem setzte er sich ins Auto, öffnete Marie die Beifahrertür und startete den Motor, der sich unwillig erst nach mehreren Zündversuchen in Bewegung setzte. »Los, sonst holt uns die Friedhofsmafia ein«, keuchte Marie. Er drückte den Griff der Revolverschaltung krachend in den ersten Gang, worauf das Auto losächzte und seine 34 Pferdestärken dosiert freiließ. Klaus lenkte sein knatterndes und in den Kurven wippendes Auto auf die Hauptstraße und beobachtete im Rückspiegel den wild winkenden Friedhofswärter und die Großmutter, die sich mühsam auf ihren Gehstock stützte, und wie beide immer kleiner wurden.
Klaus gab Gas. Erst jetzt hatte er Zeit, das Fenster zurückzuschieben und den Fahrtwind ins Auto zu lassen. Auf dem heißen Sitz rutschend, fingerte er hektisch mit der rechten Hand an seiner Hose.
»Hast du Druck?«, fragte Marie überrascht.
»Ich bekomme keine Luft.« Doch dann hatte er den Knopf am Hosenbund gefunden und lehnte sich erleichtert zurück. Schweigend fuhren sie mit Paul, den Marie immer noch in den Händen hielt, auf engen Straßen, die wegen der Hitze nach aufgeweichtem Teer rochen, und über die große Brücke, die die mittelalterliche Altstadt mit dem Festland verband. Die Luft flimmerte. In kurzer Zeit erreichten sie ihr Ziel und fanden einen Parkplatz direkt am Hafen, in dem eine Handvoll große Touristenboote gleichgültig und geduldig in der Sonne im Wasser schaukelte. Bereit, von der nächsten Urlaubergruppe geentert zu werden.
Das Schiff sollte bald ablegen. Marie und Klaus setzten sich ins nächstgelegene Café und bestellten Bier. Paul in der Urne versteckten sie in einer Jutetasche mit »Legalize it«-Aufdruck. Die Tasche schien Marie passender für ihren Freund als der »Anarchie ist machbar, Herr Nachbar!«-Beutel, der im Kofferraum liegen geblieben war. Nicht nur im Leben soll man immer eine Alternative haben. Marie hatte zu fast allem eine Meinung.
»Wir gehen aufs Boot und kippen Paul in den See«, wiederholte Klaus leise ihren Plan und zog hektisch an seiner Zigarette.
»Ja, so hätte er es gewollt.«
Marie hatte einen kleinen Strauß mit im Stadtgarten gepflückten Blumen dabei und Klaus Gras und Shitkrümel in der Tasche. Er stellte sich ans Ende der Touristengruppe und wartete geduldig, bis ihm die Frau hinter der Glasscheibe ziemlich lustlos die Tickets verkaufte. Klaus dachte an die Trauerfeier. »Bandsalat. Wie würdelos.« Marie nickte. Es muss doch für eine Beerdigung Besseres geben als Musik aus dem Kassettenrekorder, überlegte er und steckte nachdenklich die Fahrkarten ein.
Wenig später schoben sie sich mit aufgeregten, verschwitzten und in verschiedenen Sprachen und Dialekten plappernden Urlaubern auf das Ausflugsschiff. Marie und Klaus drängelten zu einem Platz unten und ganz vorn, und schon setzte sich das Ausflugsschiff mit einem leichten Vibrieren in Bewegung.
Das Schiff nahm Fahrt auf, sodass die Gebäude der Inselstadt und die Hafenanlage schnell kleiner wurden. Die frische Seeluft umschmeichelte die Haut, der Wind tat gut und kühlte. Während das Schiff flott das Wasser durchpflügte, fotografierten die Urlauber die spektakuläre Postkarten-Landschaft, den glatten tiefblauen See mit hohen Bergen dahinter, schossen harmonische Bilder fürs Familienalbum, unterhielten sich aufgedreht oder fütterten die Möwen, die die hochgeworfenen Brotstücke geschickt wie Trapezartisten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.