Schweitzer Fachinformationen
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Bill Meadow holt mich ab. Er lehnt lässig am Heck des Jeeps, etwas abseits der Rollbahn, in seiner braunen Uniform, die Sergeant-Abzeichen auf seinen Footballspielerschultern, das Haar wie geleckt, angestrahlt von der Augustsonne. Ich muss zugeben, er ist von Kopf bis Fuß der Inbegriff eines jungen, schneidigen Vertreters der US-amerikanischen Streitkräfte, und weil er das weiß, achtet er darauf, mir genug Zeit zu lassen, ihn zu bewundern, ehe er sich vom Wagen löst und mir entgegenläuft, um mir den Koffer abzunehmen.
»How are you, Mrs. Amy? Pleasure to see you!« Auf Deutsch setzt er hinzu: »Willkommen in der alten Heimat!«
Ich habe damit gerechnet, dennoch versetzen die Worte mir einen Stich.
»Hardly«, gebe ich zurück. Ich habe doppelt recht damit. Weder ist dies meine Heimat, noch bin ich hier willkommen. Um es zu unterstreichen, bleibe ich beim Englischen. »Good to see you, too, Bill. Was macht der Colonel?«
»Wäre gern selbst zu Ihrem Empfang gekommen, Ma'am, aber wir hatten heute gleich mehrere Überraschungen.«
Bill verstaut meinen Koffer hinter dem Fahrersitz, während ich umständlich in den Jeep klettere. Hinter uns rollt die Douglas-Transportmaschine, mit der ich gekommen bin, langsam von der Landebahn. In der Luft liegt ein Teppich aus Öl- und Benzingeruch. Der Schatten vom Tower fällt über uns, und Wind fängt sich in meinem Schal, als wir losfahren, über planiertes Gelände, auf schnurgeraden Straßen, über rechtwinklige Kreuzungen. Links und rechts hat man Hallen mit Dächern aus Wellblech aus dem Boden gestampft und dazwischen jeden Baum und jeden Strauch herausgerissen. Flugzeughangar, Garagen, Kasernen. Betonblock neben Betonblock, säuberlich aufgestellt in präzise abgemessener Distanz, dazwischen Menschen in Uniform, deren Gesichter ich kaum erkennen kann. Alles ohne Schnörkel, reduziert auf seine Funktion, in klaren Linien. Das Gelände erscheint mir in seiner Trostlosigkeit vollkommen ehrlich.
Hier gefällt es mir.
»Überraschungen?«
Bill lacht. Er hat großartige Zähne. Das beste Gebiss, das ein wohlhabender Vater seinem Sohn bei einem Kieferorthopäden in Auftrag geben kann. Er muss jetzt um die dreißig sein, rechne ich nach. Ich habe ihn noch als schlaksigen Studenten erlebt und sollte vermutlich nostalgisch werden bei dem Gedanken, wie schnell die Kinder groß werden. Stattdessen fühle ich mich nur alt. Ich bin zweiundvierzig.
»Ungezieferbefall in einer Baracke.« Er grinst. »Generalreinigung, ein Haufen Umquartierungen, und jetzt weigern sich die Jungs aus Alabama und Louisiana, in Betten zu schlafen, in denen vorher schon ein Neger gelegen hat. Sagen wir mal, Ihr Mann ist gut beschäftigt heute.«
»Sind das die üblichen Probleme hier?«
»So ziemlich. Gibt immer Ärger bei gemischten Mannschaften.« Er spricht im Ton eines altgedienten Veteranen. »Sind leider eine ganze Menge Schwarze bei uns. Die Kasernen sind nur zum Teil fertig, und irgendwo müssen wir die Leute halt unterbringen.«
»Langweilen Sie sich hier nicht?«
Die Frage provoziert nur neues Lachen. »Was? Im Gegenteil, ich bin froh, dass Ihr Mann mich zu sich abgestellt hat. Ist ein großartiger Job. Wir machen es uns hier schon hübsch, Ma'am, Sie kennen mich doch. Auf der Base gibt es ein Kino und im Ort eine Kneipe.« Er wirft mir einen Blick zu, während er schaltet. »Und die deutschen Mädchen sind sehr nett, das muss man schon sagen. Was will ein Mann mehr?«
Wunderbare Aussichten. Ich seufze innerlich.
Wir nähern uns dem Tor. Wachsoldaten lugen aus dem Verschlag daneben, einer macht sich, das Gewehr geschultert, langsam auf den Weg zum Schlagbaum, versperrt die Straße und signalisiert mit ausgestreckter Hand, dass wir anhalten sollen. Bill stoppt, lässt den Motor laufen, zeigt dem Wachhabenden seine und meine Papiere und erklärt meine Anwesenheit. Der Soldat salutiert, dann macht er zackig kehrt und stapft zurück in sein Wachhäuschen.
»Hatten Sie denn eine gute Reise?«, erkundigt Bill sich, während wir darauf warten, dass der weiß-rote Balken vor uns in die Höhe geht. Als wohlerzogener Junge, der aufs College gegangen ist, weiß er, was man einer Dame an Umgangsformen schuldet. Selbst dann, wenn diese Dame einmal eine billige Schreibkraft im Büro des eigenen Vaters gewesen ist.
»Bestens, danke«, lüge ich.
In Wahrheit ist mir schlecht, seitdem ich Paris verlassen habe.
Etwas surrt. Der Schlagbaum bewegt sich, wir verlassen den Stützpunkt. Dahinter liegen Felder. Die Einfahrt zu dieser Airbase ist ebenfalls sichtbar neu angelegt, ihr dunkler Asphalt hat noch keinen einzigen Riss. Nach gut hundert Yards mündet sie in eine alte Landstraße, der Straßenbelag wird grau und schmutzig. Bill biegt ein und gibt Gas.
Er fährt gern schnell, gleichgültig ob der Weg es zulässt oder nicht. Wir holpern durch ein Schlagloch, und ich vermeide mit knapper Not, aus dem Sitz zu fliegen. Ich fange an zu verstehen, weshalb Bill für diese Fahrt ein Geländefahrzeug gewählt hat.
Die Straße mäandert in hundert Kurven durch ein Mosaik aus Roggen- und Weizenfeldern, Grasstreifen, Baumgruppen und Gemüsegärten, als habe sie nach all den Jahrhunderten, seitdem man sie angelegt hat, noch immer nicht herausgefunden, wo sie eigentlich hinwill. Hinter einer Kurve tritt Bill mit aller Macht auf die Bremse. Vor uns zuckelt ein Fuhrwerk. Ein wirkliches, ratterndes und knarrendes Ochsenfuhrwerk. Ich drehe mich unwillkürlich danach um, als Bill überholt. Der Jeep wirbelt Unmengen von Staub auf. Die Ochsen trotten stur in die graue Wolke hinein, nur der Kerl auf dem Kutschbock blickt kurz unter seiner Hutkrempe hervor, schaut uns hinterher und spuckt dazu auf die Straße.
Wo bin ich hier nur gelandet?
Durch die Staubschleier sehe ich von Weitem einige Dächer. Manche sind eingesunken, auf anderen wächst Moos. Scheunen, nehme ich an. Oder leben noch Leute in diesen Behausungen? Am Wegrand Gärten, handtuchschmal. An den Ästen der Obstbäume wuchern dicke Knoten. Ich wundere mich, wie klein, eng und alt hier alles ist.
Ich hatte es vergessen.
»Es ist seltsam. Fremd, nach so langer Zeit, nicht wahr?« Bill spricht wieder Deutsch, mit seinem amerikanischen Akzent. Es tut mir in den Ohren weh. Ich weiß, dass mein Chauffeur nur mit seinen Sprachkenntnissen angeben will. Als wäre er immer noch der Sohn des Firmenchefs, als säße ich immer noch im Vorzimmer seines Vaters in New York und er stolziere herein, um die anwesenden Tippmamsellen großzügig an seinen heutigen Heldentaten teilhaben zu lassen, an einem glorreich absolvierten Vortrag über Volksökonomie oder der Anschaffung des neuesten Sportwagens.
»Alles ist fremd«, bestätige ich versuchsweise auf Deutsch. »Selbst die Sprache.«
Und wie sie das ist. Sogar mit meinen Eltern habe ich in den letzten Jahren nur noch Englisch gesprochen, mit Jim sowieso. Mein »R« rollt in der Kehle, die Vokale passen nicht. Ich klinge amerikanischer als Bill. Hastig schüttle ich den Kopf und wechsle zurück ins Englische. »It's been too long - es ist zu lange her. Ich fühle mich nicht mehr wohl damit.« Und: »Vielleicht wäre ich besser in Paris geblieben.«
Er lacht sein sorgenfreies New Yorker Lachen. »Das wäre dem Colonel aber gar nicht recht gewesen, denke ich. Und an Ihrer Stelle wäre es mir zu gefährlich. Denken Sie an die netten deutschen Mädchen.«
Wie nebenbei wirft er mich mit diesen netten Mädchen in einen Topf: ein bedeutungs- und mittelloses Ding, das nichts hatte als ein Paar schöne Beine, um sich einen Mann zu angeln. Er nimmt mir immerhin nicht übel, dass es mir gelungen ist. In den Staaten sieht man diese Dinge sportlich, wenigstens nach außen. Jede wuchert eben mit den Pfunden, die sie hat.
Der Fahrtwind macht jede weitere Unterhaltung unmöglich, zum Glück. Ich wickle mir den Schal fester um Haar und Hals, halte mich am Metallgestänge des Jeeps fest und bekämpfe die Wut und die Panik, die in mir aufsteigen.
Ich möchte meinem Mann am liebsten eine gehörige Ohrfeige verpassen. Ich wünschte, ich hätte etwas zu trinken.
Warum tust du mir das an, Jim?
In gewisser Weise habe ich es mir selbst angetan, aber den Gedanken schiebe ich beiseite. Es ist leichter, Jim dafür verantwortlich zu machen. Vor allem ist es jetzt zu spät.
Hier bin ich, denke ich. Zurück in Fremdland.
»Das ist nicht mehr mein Land«, sagte Amelies Vater.
Dies betonte er beileibe nicht zum ersten Mal. Amelie wusste, dass ihr Vater sich leicht erregen konnte und über nichts leichter als Politik. Doch an diesem Morgen hatte der Satz eine ungeahnte Schwere.
Wie das Fallbeil einer Guillotine.
Seine Hände zitterten, als er die Zeitung auf den Küchentisch sinken ließ. »Das ist nicht mehr mein Land, in dem so etwas möglich ist.«
»Was ist passiert?« Amelies Mutter stellte den Teller ab und ließ sich auf einem der Stühle nieder. Statt einer Antwort deutete ihr Mann auf die Schlagzeile.
»Sie verbieten die SPD?«
»Die letzte Partei, die es gewagt hat, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Die letzte Opposition zu den Nazis im Land.« Er schob abrupt den Stuhl zurück und stand auf. »Es ist vorbei, Hedwig. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.«
Jeder wusste, was das hieß. Amelie schaute von ihrem Vater auf ihre Mutter und wieder zurück. Aus der Nachbarwohnung quäkte das Grammofon der Witwe Danheimer blecherne Fetzen...
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