Schweitzer Fachinformationen
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Sonntagmorgen. Die Bewohner von Carolinensiel lagen in tiefem Schlaf. Das Wasser der Harle dümpelte friedlich und still Richtung Nordsee. Über dem östlichen Horizont lugte vor einem klaren Himmel eine strahlende Sonne hervor. Alles sprach für einen dieser heißen Sommertage, die Fenja so liebte. Das Dorf ruhte. Oder?
Fenja schlug unter einer steilen Stirnfalte die Augen auf. Das Licht blendete sie. Irgendetwas hatte sie geweckt. Sie wusste nicht, was es war. Ein Geräusch, ein unangenehmes, störendes Geräusch, das sie nicht ignorieren konnte. Sie lauschte. Jemand schluchzte. Eine Frau.
Fenja richtete sich auf und blickte zum Fenster, das zum Garten ging. Wie spät war es? Kurz nach sechs! Neben ihr röchelte es. Barne Ahlers warf sich auf die andere Seite und strampelte die Bettdecke weg. Das Schluchzen ging in ein leises Jammern über. Jemand rief nach Bendine.
Fenja sprang aus dem Bett, stolperte zum Fenster, öffnete es und warf einen Blick in den Garten. Sie bewohnte den ersten Stock, unter ihrem Fenster stand Irmi Lohmann und blickte zu ihr hinauf. Sie trug einen grauen Morgenmantel, ihr graues, dünnes Haar umgab ihren Kopf wie Spinnweben. Sie rang die Hände.
»Irmi, was machst du denn da?« Fenja zuckte vor ihrer eigenen lauten Stimme zurück. Irmi legte die Hände an ihre Wangen, stöhnte und wies mit der Hand in Richtung Bendines Rosenbusch.
»Ja, was denn?«
Fenja wurde ungeduldig. Irmi atmete schwer und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Da, da ist Otto«, sagte sie leise, »ich glaube, er ist tot.« Dann brach sie in Tränen aus.
»Was ist denn hier los?« Ahlers war neben sie getreten. Er war nackt, was Fenja für einen Moment von Irmi ablenkte. Aber nicht lange.
»Hast du gesagt, Otto ist tot?«, vergewisserte sich Fenja.
»Er liegt da im Rosenbusch«, wimmerte Irmi.
Fenja und Ahlers warfen sich einen verwunderten Blick zu. Fenja fing sich.
»Ich komme runter.«
»Ich komme mit«, sagte Ahlers.
Fünf Minuten später standen die drei vor Bendines Rosenbusch. Der Duft der lachsfarbenen, üppig blühenden David-Austin-Rosen war berauschend. Bendines Rosenbeete waren in Carolinensiel ein echter Hingucker, wiesen aber leider an diesem sommerlichen Sonntagmorgen einen eklatanten Schönheitsfehler auf. Unter einem der höher gewachsenen Stämme lag, halb verborgen, Otto Lohmann, die Petze. Er lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite, eine Hand hatte sich im Busch verfangen, sie war an den Dornen hängen geblieben. So als ob er versucht hätte, sich festzuhalten. Die Augen waren geöffnet.
Er war zweifellos tot. Fenja schluckte.
»Ich rufe dann mal den Notarzt«, sagte Ahlers und ging durch die Küchentür wieder ins Haus.
»Wird nicht nötig sein, aber mach ruhig«, murmelte Fenja vor sich hin.
In diesem Moment kam Bendine aus dem Haus. Sie hatte in aller Eile ihr Geburtstagsoutfit vom gestrigen Abend angezogen, was für diesen schockierenden Umstand ein bisschen zu feierlich war. Aber das war ja irgendwie jetzt auch egal, fand Fenja. Sie erwachte aus ihrer Starre und schob die beiden Frauen ins Haus zurück.
»Du machst am besten eine starke Tasse Tee, Bendine. Irmi hat einen Schock. Wir warten, bis der Notarzt kommt.«
Bendine legte ihren Arm um ihre schluchzende Nachbarin und führte sie in ihre Küche.
»Was ist denn eigentlich los?«, fragte sie, während sie den Wasserkessel füllte. »Ist Otto gestürzt oder was?«
»Keine Ahnung«, sagte Fenja, die sich neben die schlotternde Irmi auf die Küchenbank setzte. »Wo ist dein Bruder, weiß Alfons Bescheid?« Fenja wunderte sich, dass Irmis Bruder, Alfons Wecker aus Lüneburg, der, seit ihn seine Frau vor drei Wochen hinausgeworfen hatte, bei Irmi und Otto wohnte, sich nicht blicken ließ.
»Alfons ist heute Morgen ganz früh zum Angeln gefahren«, schluchzte Irmi.
»Gib mir seine Handynummer.«
Irmi hielt sich ihr Taschentuch unter die Nase und schüttelte den Kopf. »Das hab ich schon versucht. Er macht es doch beim Angeln auch immer aus.«
Ahlers betrat die Küche und steckte sein Handy weg. »Sie sind unterwegs.«
Fenja nickte nur. Die Sonne goss warme Strahlen durchs Küchenfenster, was Fenja ebenfalls unpassend fand.
Eine halbe Stunde später stand fest, dass Otto Lohmann wahrscheinlich weder an einem Schlaganfall noch an einem Herzinfarkt gestorben war. Er hatte eine klaffende Wunde an der linken Kopfseite, deren Herkunft sich niemand erklären konnte. Jedenfalls war er nicht auf einen Stein gestürzt, denn es gab im Umkreis der Leiche keinen, der bei einem Sturz eine derartige Wunde hätte hervorrufen können. Der Boden, auf dem sein Kopf gelegen hatte, war blutgetränkt. Fenja rief also zur Sicherheit ihre Kollegen von der Kripo in Wittmund an.
Die Spurensicherung rückte an und Manfred Friedrichsen, der Rechtsmediziner. Alles gute Bekannte von Fenja, mit denen sie normalerweise zusammenarbeitete. Aber abgesehen davon, dass sie Urlaub hatte, gehörte sie dieses Mal nicht zu den Ermittlern, sondern zu den Zeugen; um genau zu sein, sogar zum möglichen Täterkreis. Ein seltsames Gefühl, an das sie sich erst noch gewöhnen musste.
Mittlerweile hatten sich die meisten Bewohner der Pension im Frühstücksraum eingefunden. Vor Bendines Haus versammelten sich die ersten Nachbarn und andere Neugierige. Fenja und ihre Mutter bereiteten das Frühstück für die Gäste zu, und Fenja stellte alles, was sich noch im Kühlschrank befand, aufs Büfett.
Währenddessen saß Bendine verwirrt und traurig mit Irmi Lohmann in der Küche. Mark Bradford war ebenfalls aufgestanden, während Marlene noch schlief. Fenja hatte ihm erklärt, was passiert war, und er hatte nur schweigend genickt und sich mit einem seltsam verwunderten Blick, die Hände in den Hosentaschen vergraben, an Bendines Küchenfenster gestellt. Fenja fragte sich, was in seinem Kopf vorging.
Dann trafen ihre Kollegen von der Kripo in Wittmund ein: Oberkommissar Geert Frenzen und Kommissarin Gesa Münte. Fenja stöhnte innerlich, hatte aber im Grunde nichts anderes erwartet.
Normalerweise leitete Fenja selbst die Ermittlungen bei ungeklärten Todesfällen im Zuständigkeitsbereich der Kripo Wittmund, und dazu gehörte Carolinensiel. Doch eine Leiche im Garten ihrer Tante, noch dazu eine mit einem verdächtigen Loch im Kopf, änderte die Zuständigkeiten. Das waren nicht unbedingt gute Neuigkeiten.
Gesa Münte war eine kluge und umsichtige Ermittlerin, was auf den selbstverliebten Geert Frenzen, Fenjas Stellvertreter, nicht unbedingt zutraf. Die Art, wie Frenzen sich jetzt in Bendines Frühstücksraum breitmachte und den Chef rauskehrte, bestätigte Fenjas Befürchtungen. Er würde jeden der Geburtstagsgäste wie einen potenziellen Täter behandeln. Bendine, die reglos an dem kleinen Tresen lehnte und starr vor sich hin blickte, standen schwierige Stunden bevor.
»So, Herrschaften«, Frenzen hielt seinen Ausweis hoch und drehte sich einmal im Kreis, »mein Name ist Frenzen, Kripo Wittmund, das ist meine Kollegin Münte.«
Fenja verdrehte die Augen und warf zuerst Ahlers und dann Bradford einen Blick zu. Während Ahlers Frenzen fasziniert beobachtete, lächelte der Inspector hintergründig. Er stand jetzt lässig am Fenster und sah einfach unverschämt gut aus. Marlene hing an seinem Arm und starrte Frenzen aus großen Augen neugierig an.
Frenzen räusperte sich. »Wer hat die Leiche gefunden?«
»Irmi, seine Frau«, sagte Elke, die Lohmanns Witwe, die neben ihr saß, unter ihre Fittiche genommen hatte.
»Aha.« Frenzen sah sich suchend um. »Wo können wir uns ungestört unterhalten?«
»In der Küche«, sagte Elke. »Ich komme mit, Irmi steht noch unter Schock.«
Immerhin, dachte Fenja. Ihre Mutter hatte das Kommando übernommen und würde sich von Frenzen nicht einschüchtern lassen. Dann konnte er nicht allzu viel Schaden anrichten. Er gab Gesa und den beiden Streifenpolizisten, die den Garten abgesperrt hatten, die Anweisung, jeden Einzelnen zum Ablauf des gestrigen Abends zu befragen. Fenja beobachtete Frenzen kritisch, aber der wich dem Blick seiner Chefin konsequent aus und scheuchte Irmi und Fenjas Mutter in die Küche.
»Dann fangen wir mal am besten an, was?«
Gesa war neben sie getreten, während die beiden Uniformierten ihre Notizblöcke zückten und begannen, die übrigen Anwesenden zu befragen.
Fenja zog Gesa zur Seite. »Weißt du schon was Näheres über den Todeszeitpunkt?«
Das waren Interna, die eine Ermittlerin nicht einfach so ausplaudern konnte, das wusste Fenja, aber Gesa war unkonventionell und hatte ihre eigene Meinung darüber, wem sie vertrauen konnte.
»Vor ein paar Stunden, wahrscheinlich zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens, sagt Friedrichsen.«
»Scheiße«, entfuhr es Fenja. Das bedeutete, dass Lohmann wahrscheinlich gestorben war, als Bendines Fest noch in vollem Gange war und alle Gäste anwesend waren.
»Hast du eine Ahnung, was passiert ist?«, fragte Gesa.
Fenja schüttelte den Kopf. »Nicht die geringste. Irmi stand heute Morgen völlig verstört unter meinem Fenster. Sie ist gestern vor ihrem Mann nach Haus gegangen und hat sich heute Morgen gewundert, dass er nicht im Bett lag. Sie hat ihn zuerst im Haus gesucht, ist dann in den Garten gegangen und hat gesehen, dass die Pforte zu Bendines Grundstück offen stand. Sie wollte sie schließen, und dann hat sie Ottos Bein unter dem Rosenstrauch hervorlugen sehen. Sie ist natürlich gleich hin, hat gedacht, er hätte sich betrunken und wäre im Garten eingeschlafen. Aber . na ja.«
»Und da war nichts, was die Wunde am Kopf erklären könnte?«
»Nein.«
»Also muss ihm ja wohl jemand den Schädel...
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