Nachschlag
Maxie Kaiser und Bo Bendix standen auf der Straße. Maxie fröstelte, obwohl sie das schulterfreie Outfit gegen ein Strickkleid getauscht hatte. Trotz der warmen Mittagsstunden, in denen die Sonne sich noch einmal von ihrer besten Seite zeigte, sanken die Temperaturen gegen Abend schon in Richtung null. Die Herbstkälte kroch langsam an ihren Beinen hoch. Doch keiner von beiden wollte sich verabschieden. »Macht die Chilibulette nun scharf oder glücklich?«, brach Maxie als Erste das Schweigen.
»Beides?« Bo schmunzelte.
»Vielleicht.«
»Das mit dem Glas war zwar nicht neu«, sagte Bo. »Macht ja mittlerweile jeder, aber die Art und Weise hätte Wolf bestimmt gefallen.«
Sie sah ihn fragend an.
»Also mir hat es gefallen«, verbesserte er sich.
»Und Wolf Schumann hätte die heutige Chaossendung gefallen? Sind Sie sicher?«
Bo lachte. »Sie sagen Chaos. Andere nennen es Entertainment. Und das ist gut.«
Maxie war nicht überzeugt.
»Wissen Sie«, begann Bo, »die Sendung lebt von der Mischung aus Kochhandwerk und Unterhaltung. Die Portion Chaos oder Leichtigkeit, die Sie in die Sendung gebracht haben, ist genau das, was Wolf in der letzten Zeit fehlte. Vielleicht weil er tatsächlich ausgebrannt ist, erschöpft, verbissen, verbraucht. Die Quote im Sinkflug .«
»Aber zum Glück gibt es da auch noch Bo Bendix«, spottete Maxie. »Der Held am Herd!«
»Warum bin ich wohl sonst in der Sendung?«
»Weil Ihr Ego zu groß ist für Ihre kleine Hamburger Kombüse?«
Sie wusste gar nicht, warum sie so stichelte. Sie mochte ihn doch. Maxie trat von einem Bein aufs andere. »Mir ist kalt.«
»Gleich um die Ecke gibt es eine Bar.«
»Eigentlich habe ich richtig Hunger.«
»Ich nicht«, sagte Bo Bendix. »Ich habe Ihre Hauptstadtbulette gegessen.«
»Und ich dachte, eine Bulette wäre vollkommen unter der Würde eines Sternekochs.«
»Ein Hauch geraspelte Rote Bete hat mir gefehlt, wenn ich das sagen darf.«
»Wegen der Farbe oder des Geschmacks?«
Noch im Gespräch waren sie losgeschlendert und standen nun vor einer kleinen Brasserie. Bendix hielt ihr galant die Tür auf. »Aber wir reden nicht über Farben!«, bat er.
»Das ist doch Aslans Thema.«
»Es war nicht die Farbe. Es war Ihr Kleid. Wie ich bereits sagte: So sexy hat Schumann nie gekocht.« Maxie lachte und Bendix half ihr aus dem Mantel.
»Was war mit dem Kleid?«
»Dafür brauchen Sie einen Waffenschein. Der wusste nicht, wo er hingucken sollte.«
Maxie setzte sich an einen der kleinen Tische am Fenster. »So, so, Waffenschein .« Sie lachte. »Aslan sah aus, als hätte er seinen Colt immer dabei. Kocht er nicht im Revolver?«
»Und wenn jemand seinen Teller nicht leer ist .« Bo grinste.
»Warum eigentlich Revolver?«
»Ich glaube, das hat etwas mit Musik zu tun.«
»Aslan und Musik?« Der Fall Aslan wurde immer kurioser. Maxie bestellte vino tinto und Käsebaguette und Bendix ein frisch gezapftes Pils.
»Spaß beiseite.« Bendix wurde ernst. »Aslan spielt das Raubein. Das ist einfach sein Part. Und Sie haben ihn heute auf dem falschen Fuß erwischt. Wir alle stehen noch unter Schock. Warum hat Schumann uns nicht auf sein Verschwinden vorbereitet? Einfach abzuhauen, das geht gar nicht. Das macht man nicht. Hier geht es schließlich nicht nur um ihn.«
»Und wenn er gar nicht abgehauen ist?«
Bo machte ein verständnisloses Gesicht.
»Ich meine, wenn er nicht freiwillig abgetreten ist?«
Bo verstand immer noch nicht.
»Also, ist er aus freien Stücken verschwunden oder ist er Opfer eines Verbrechens geworden?«
Bo lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Opfer eines Verbrechens?«, wiederholte er. »Welcher Art Verbrechen?«
»Ich meine ja nur«, versuchte Maxie zu erklären, »es ist doch alles etwas vage. Ich würde nie einfach verschwinden, ohne jemanden einzuweihen.«
»Vielleicht hat er ja jemanden eingeweiht.«
Maxie schüttelte den Kopf. »Warum so geheimnisvoll? Ich finde das mehr als merkwürdig.«
Bo zupfte sich am Ohrläppchen und tat so, als halte er Ausschau nach der Bedienung. Maxie schwieg. »Ich weiß nur das, was die Polizei sagt«, versuchte sich Bo an einer Erklärung, »und die Polizei hat nicht von einem Verbrechen gesprochen. Punkt.«
»Noch nicht!«
»Das führt doch zu nichts, Miss Marple!«
Maxie lachte. »Vielleicht haben Sie recht, Mr. Stringer, aber vielleicht konnte er auch einfach seine beiden Kollegen nicht länger ertragen? Haben Sie daran mal gedacht? Dafür hätte ich durchaus Verständnis.«
Bo rückte wieder näher an den Tisch und legte seine Unterarme auf den Tisch. Mit den Händen spielte er an dem Salzstreuer. Seine Fingerspitzen berührten Maxies Handrücken. Er sah sie an. Seine Augen waren blaugrün wie das Meer. »Sie sind ziemlich frech, mein Fräulein!« Er sprach es doch tatsächlich wie »Frollein« aus. Maxie konnte es kaum fassen, dass es heute noch Menschen ihrer Generation gab, die dieses Wort benutzten. »Das klingt eher nach Weißem Rößl als nach Kombüse.«
»Wir sollten die Förmlichkeiten lassen«, wechselte Bo das Thema. »In der Sendung haben wir uns doch auch geduzt. Ich bin Bo.«
»Ist Bo eine Abkürzung?«
»Das wollte ich dich auch den ganzen Abend schon fragen. Ist Maxie ein Derivat?«
Maxie runzelte kurz die Stirn. Sieh mal an, der Pirat besitzt Schulbildung. »Eine Ableitung von Maximilian. Meine Eltern wollten eigentlich einen Jungen.«
»Hat ja super geklappt.« Bendix grinste.
»Und wofür steht Bo?« Maxie hauchte den Vokal extra lang.
»Eigentlich Boris. Boris Bender.«
»Braucht man heutzutage als Koch auch einen Künstlernamen?«
»Warum nicht?«
»Aber der Stern ist echt?«
»Neidisch?«
»Neugierig.« Den Neidfaktor hätte sie niemals zugegeben. »Wie lebt es sich mit Stern?«
»Auszeichnungen werden heutzutage überbewertet.«
»Natürlich. Es sind ja bloß Sterne, pah!«
»Du hast es doch auch ohne Stern in die Sendung geschafft. Es reicht, etwas vom Kochhandwerk zu verstehen. Der Rest ist Selbstmarketing. Dein Gericht war simpel, aber du bist eine Wucht. Du strahlst vor der Kamera. Dagegen sehen wir alt aus.«
Wenn in dem Satz ein Kompliment steckte, überhörte sie es. »Simpel?« Maxie zog eine Augenbraue hoch.
»Du hast dich eindrucksvoll in Szene gesetzt.«
»Zurück zu meiner simplen Bulette. Kam dazu von Ihnen nicht noch irgendetwas über Rote Bete?«
»Ich glaube, die erdige Note hätte sicher gut mit der Kartoffel harmoniert und die Schärfe der Bulette etwas gemildert.«
»Erst ist es simpel und jetzt zu scharf?«
»Du verdrehst mir das Wort im Mund!«
»Sie erzählen Unsinn!«
»Waren wir nicht beim Du?«
»Es streitet sich besser beim Sie«, schnaubte Maxie, »du warst doch für die Chiliwürze zuständig. Wer hat denn über die kleinen Scharfmacher doziert?«
»Du hast deine Spielchen mit uns getrieben!«
Maxie sah ihn groß an. »Wer wollte denn unbedingt assistieren?« Die nächsten Worte purzelten unbedacht aus ihrem Mund. »Sie haben sich doch selbst vom Sternekoch zum Küchenjungen degradiert!«
Damit hatte sie den Bogen überspannt. Bo sprang auf, bezahlte an der Theke und verließ, ohne sich noch einmal umzusehen, das Lokal. Maxie war der Appetit vergangen. Sie stürzte ihren Wein in einem Zug hinunter und ließ das Baguette unberührt. Als sie zehn Minuten später vor die Tür trat, lehnte Bendix an der Hausfassade und wartete. Maxie sah an ihm und der maroden Fassade vorbei und nahm die blinkende Neonröhre eines Dönerimbisses in Augenschein. Sie würde hungrig zu Bett gehen. Und das nach einer Kochsendung!
»Fahren wir ins Hotel?«, fragte Bo Bendix unvermittelt.
Maxie überlegte nicht lange. »Wir teilen uns ein Taxi«, antwortete sie, »und dann geht jeder seiner Wege.« Während der Fahrt starrte Maxie angestrengt in die Nacht hinaus. Die Strecke zog sich wie kaltes Käsefondue. Sie würde das Brot auch ohne Käse verspeisen. Ihr Magen knurrte. Das Taxi hielt.
Bo reichte dem Fahrer einen Schein nach vorne.
Maxie zog ebenfalls einen Schein aus der Tasche. »Ich bezahle«, sagte sie.
»Stimmt so«, kam ihr Bo zuvor.
»Auf keinen Fall«, protestierte Maxie und weigerte sich, den Schein, den der Taxifahrer ihr hinhielt, zurückzunehmen.
»Mach es doch nicht so kompliziert!«, schimpfte Bendix.
»Wat denn nu?«, fragte der Taxifahrer genervt. Maxie stieg aus und knallte Bo Bendix die Tür vor der Nase zu. Ohne sich nach ihm umzusehen, eilte sie in die Hotelhalle.
Am Fahrstuhl holte Bendix sie ein. »Spinnst du? Du hättest mich fast in der Tür eingeklemmt.«
Wenn er jetzt auf eine Entschuldigung hoffte, musste Maxie ihn enttäuschen.
»Welcher Stock?«, fragte Bendix und drückte die Etagenknöpfe. Maxie kehrte ihm den Rücken zu.
»Du hattest recht«, gab Bo zu. »Ich bin für die niederen Dienste gemacht. Erst Küchenjunge, dann Page.«
»Hauptsache Uniform.«
»Ist das eine Anspielung auf meine Kochjacke?«
Sie drehte sich zu ihm um.
»Beleidigst du jetzt mich oder meinen Berufsstand?« Er drängte Maxie in die Ecke. »Du bist schlecht informiert. Nicht ich stehe drauf, die Frauen stehen drauf.«
»Dazu reicht meine Fantasie nicht aus, tut mir leid.« Maxie schob ihn zur Seite.
»Nein, bei dir reicht es nur für die Hauptstadtbulette!«
»Wundert mich, dass du den Flambierbrenner nicht dabei hast«, schoss sie zurück. Sie formte mit den Fingern...