Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Den Vollpfosten hätte ich längst um die Ecke gebracht«, empörte sich eine Dame am Nebentisch und warf Bernhard bitterböse Blicke zu.
Ulrike senkte verlegen den Kopf. Sie schämte sich für die Taktlosigkeiten ihres Gatten, an denen die anderen Gäste unfreiwillig teilnehmen mussten. Den Vorschlag der Dame konnte sie bedingungslos unterschreiben.
Sie saßen im Schaufenster Fischereihafen auf der Terrasse vor einem der vielen Speiselokale, die sich an der Packhalle IV wie eine Perlenkette aneinanderreihten. Es hätte ein so schöner Urlaub sein können, wenn Bernhard ihr nicht ständig mit seinen Mäkeleien und Beleidigungen alle Freude vermiesen würde. Von seinen peinlichen Auftritten ganz zu schweigen.
Gerade hatte er sich wieder lauthals über ihr Körpergewicht lustig gemacht. Sie war schon seit Jahren nichts anderes von ihm gewöhnt. Ständig kritisierte er ihre Figur. Und das mit Vorliebe vor anderen Menschen.
»Hallo, Frollein«, bölkte Bernhard und schnippte mit Daumen und Mittelfinger nach der Kellnerin, die ihm einen verächtlichen Blick zuwarf und sich danach absichtlich Zeit ließ.
Ulrike rutschte tiefer in den Sitz und wünschte sich eine Tarnkappe.
»Du zahlst, das geht vom Haushaltsgeld ab.«
Ulrike fummelte nervös ihre Geldbörse aus der Handtasche. Der nächste Eklat war vorprogrammiert. Sie hatte kein Bargeld mehr und die PIN ihrer Kreditkarte vergessen.
»Wie kann man nur so blöd sein«, wetterte Bernhard. »Das gibt's doch gar nicht!« Während er ungehalten sein Portemonnaie aus dem längst aus der Mode gekommenen Herrenhandtäschchen holte, flüchtete Ulrike mit eingezogenem Kopf auf die Toilette. Dabei spürte sie die ungläubigen und empörten Blicke der anderen Gäste, die sich auf ihren Mann richteten, der breitbeinig in seinen geschmacklosen Shorts am Tisch saß. Auf Kinn und Lippen glänzten Reste von Buttersoße. Mit viel Überredungskunst hatte sie ihn davon abbringen können, sich im ärmellosen Shirt zu präsentieren. Von den Socken in Sandalen ganz zu schweigen. Über seinen Wahlspruch: »Einen Bernhard Brunner kann nichts entstellen« konnte sie schon lange nicht mehr lachen.
Als sie unter den mitleidigen Blicken der anderen Gäste zurück an den Tisch kam, räumte die junge Kellnerin unter Bernhards kritischen Blicken gerade das Geschirr ab. Sie hatte hoffentlich nicht auf ein Trinkgeld von Bernhard spekuliert? Der rückte niemals auch nur einen Cent raus.
»Hallo, Frollein, noch einen Kaffee«, grölte Bernhard hinter ihr her.
Die Kellnerin blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen. Erst jetzt bemerkte Ulrike den Aufdruck: >Ich heiße nicht Hallo< auf der Rückseite ihres T-Shirts. Der Wink mit dem Zaunpfahl mochte so manchen Gast in die Schranken weisen, konnte aber einen Bernhard Brunner nicht beeindrucken.
»Den Vollpfosten hätte ich längst um die Ecke gebracht.« Diesen Satz der erzürnten Dame bekam Ulrike nicht aus dem Kopf. Keine neue, aber gute Idee. In den letzten Jahren hatte sie viele Mordszenarien in ihrer Fantasie durchgespielt: erwürgen, erhängen, vergiften, erstechen, erschießen .
Immer wenn sie kurz davor war, sich von ihm zu trennen, verwandelte er sich in einen einigermaßen erträglichen Ehemann. Nur war das nie von langer Dauer. Nachdem sie so dumm gewesen war, für seine Schulden zu bürgen, war sie fest in seiner Hand.
»Wenn du mich verlässt, höre ich sofort auf zu arbeiten. Dann kannst du sehen, wie du die Schulden abbezahlst.« Rücksichtsloser ging es nicht. Wie oft hatte sie sich von ihm trennen wollen, es aber nie geschafft. Warum eigentlich? Liebe war schon lange nicht mehr im Spiel. Eine Trennung kam für Bernhard nicht infrage. Einen Kerl wie ihn verließ man nicht. Das glaubte er wirklich. »Ich finde dich überall, wünsch dir das nicht«, oder: »Wie willst du denn allein zurechtkommen? Du bist ohne mich doch nichts.« Mit solchen Sprüchen hatte er sie immer wieder eingeschüchtert. Ulrike konnte sie alle herunterbeten. Keine ihrer Freundinnen verstand auch nur im Entferntesten, warum sie diesen Mistkerl nicht verließ. Alle hatten ihre Hilfe angeboten. Als er dahintergekommen war, hatte er ihr den Umgang mit ihnen verboten. »Kein Komplott hinter meinem Rücken, das lass ich nicht zu. Was denkst du denn, wer du bist«, hatte er geschrien und sie im Haus eingeschlossen. Aus Scham behielt sie seine Demütigungen für sich. Und darauf spekulierte er.
Seit drei Tagen waren sie nun in Bremerhaven und seit drei Tagen durchlebte sie in aller Öffentlichkeit die Hölle der Peinlichkeiten und Erniedrigungen. Gestern hatten sie das TiF - Theater im Fischereihafen besucht. Sie hatte sich so auf die Vorstellung gefreut, doch er hatte wieder alles versaut. Das Wort Kultur existierte nicht in seinem Wortschatz. Sein ständiges Dazwischenreden und sein ausfallendes Benehmen störten die Sitznachbarn in hohem Maße. Nachdem er auch noch zischend eine Bierdose geöffnet hatte, war für sie das Maß voll gewesen. Fluchtartig hatte sie das Theater verlassen. Sie konnte nicht mehr. Sie musste etwas ändern.
Während Bernhard im nahegelegenen Hotel seinen Mittagsschlaf hielt, schlenderte Ulrike am Hafenbecken entlang und blickte nachdenklich aufs Wasser. Die Dorsch verließ gerade die Anlegestelle und brach zur Hafenrundfahrt durch den Fischereihafen auf, mit lauter fröhlichen Menschen an Bord, stellte sie wehmütig fest.
Bernhard hatte sich vorgenommen, am Nachmittag das Museumsschiff Gera zu besichtigen. »Du kannst ja in der Zeit dieses Seefischkochstudio besuchen, da kannst du noch was lernen. Kann dir bestimmt nicht schaden.« Wieder einer seiner niederträchtigen Kommentare. Sie überhörte die Spitze und würde der Erlebnisausstellung Expedition Nordmeer-Fischereiwelten Bremerhaven oder der Phänomenta einen Besuch abstatten.
Ulrike setzte sich unter einen der großen Sonnenschirme und bestellte sich einen Cappuccino und ein Stück Erdbeertorte mit einer doppelten Portion Sahne. Das musste jetzt sein. Am Nebentisch saßen zwei Frauen, die tuschelnd die Köpfe zusammensteckten und immer wieder zu ihr herüberblickten. Hatten sie sie wiedererkannt? Bemitleideten sie sie? Fragten sie sich, warum sie so blöd war und mit einem solchen Proleten den Urlaub verbrachte? Die beiden Frauen zahlten und schlenderten Richtung Parkplatz.
Ulrike fühlte sich jetzt unbeobachtet und ließ sich das Tortenstück schmecken. Es sollte ihr letzter gemeinsamer Urlaub mit Bernhard sein. Der wirklich allerletzte Urlaub mit dem Mistkerl, schwor sie sich.
Sie sah auf die ruhigen, dahin dümpelnden Wellen im Hafenbecken und dachte nach. Wie durch wabernden Nebel erreichten sie Gesprächsfetzen von den Nachbartischen. Genussvoll steckte sie sich eine Zigarette an und stieß befreit den Rauch in die Luft. Da kam ihr die zündende Idee, die ihr Leben verändern sollte. Dafür musste sie heute Abend den geplanten Besuch im Figurentheater streichen, aber das war es allemal wert. Bernhard, dein Ende naht, genieß dein armseliges Leben, solange du noch kannst.
Die Theke im Krohn's Eck war bis auf den letzten Barhocker besetzt. Ebenso der Schankraum. Sie hatten gerade noch zwei Plätze an einem Tisch neben der Eingangstür ergattert. Dort saß eine laute, bereits angeheiterte und nicht mehr ganz taufrische Frauenrunde jenseits der 50. Rheinische Kegelschwestern, wie sich im Laufe des Abends herausstellte. Die wollten was erleben und entsprechend hatten sie sich aufgebrezelt. Bernhard ließ gleich einen seiner abgestandenen Sprüche los und glaubte tatsächlich, das Ziel ihrer Begierden zu sein. Ulrike kannte es nur zu gut, wenn er kurz davor war, zur Höchstform aufzulaufen. Die Wasserstoffblondine neben ihm, mit billigem Schmuck behangen und Brüsten, die kurz davor waren, aus dem Ausschnitt herauszufallen, fiel genau in sein Beuteschema. Ihr schrilles Lachen ging Ulrike durch und durch. Bernhard bestellte eine Runde Korn für alle. Niveauloses Gejohle der Frauenriege war sein Lohn. Er sonnte sich sichtbar in seinem vermeintlichen Erfolg und pumpte sich auf.
Ulrike triumphierte innerlich. Das passte alles. Ihr Plan würde aufgehen. Ganz sicher. Die Frauen waren trinkfreudig, Bernhard hatte seine Spendierhosen an und wähnte sich als Hahn im Korb.
Ulrike sah sich interessiert in der urigen Kneipe um. Bis auf die Kegelschwestern schien es sich ausnahmslos um Stammgäste zu handeln. Man scherzte und kannte sich beim Vornamen. Ihr Blick fiel auf die Wegweiser, die von der Decke hingen: Oslo 422 Seemeilen, Tokio 10.950 Seemeilen . Ulrike geriet ins Träumen. Wer weiß? Vielleicht stand einer längeren Reise bald nichts mehr im Weg, dachte sie. Bernhard verreiste ja ausschließlich innerhalb Deutschlands. Am liebsten fuhr er nach Bayern. Nur mit Mühe hatte sie ihn in diesem Jahr dazu überreden können, auch mal den Norden zu besuchen. Für die Fischköppe, wie er sich abfällig ausdrückte, hatte er nicht viel übrig. Selbst wenn es ihm hier in Bremerhaven gefallen sollte, würde er das nie zugeben. Egal, sie war von der Seestadt begeistert, auch wenn sie Bernhards Anwesenheit noch ertragen musste. Belustigt hörte sie, wie die aufgemotzte Kegelschwester ihn schon Berni nannte. Wie niedlich.
»Was glotzt du denn so blöd?«
Ulrike ignorierte seine unmögliche Frage. Bernhard hatte das blonde Gift im Arm, deren gewöhnliche French Nails, die mit einem pinkfarbenen Design versehen waren, sich besitzergreifend an seinen Oberarm hefteten. Dicke...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.