DREI
Roux trug lila Boxershorts, und auf seinem Kopf saßen farbidentische Kopfhörer. Er schwang seine Hüften auf unanständige Weise zum Takt der Musik.
Grinsend zog er die Kopfhörer von den Ohren. Mayla streckte sich ihm entgegen. »Guten Morgen, Babygirl«, säuselte er. Für meinen Geschmack hatte er zu gute Laune, an einem Morgen. Ach, an jedem Morgen. Keine Ahnung, wie er es schaffte, gutgelaunt, ausgeschlafen und fröhlich zu sein. Ich war müde. Wie immer. Ich hatte kaum geschlafen. Wie immer.
Ich setzte Mayla in ihren Stuhl und griff nach der Kaffeekanne. Wenn es eins gab, was gut daran war, dass Roux ständig bei uns rumhing, dann dass er Kaffee kochte. Den weltbesten Kaffee.
Ich goss mir eine Tasse voll, gab Milch und Zucker dazu und trank die ersten Schlucke.
Vor Mayla landete ein Teller mit kleingeschnittenen Pfannkuchenstücken, getränkt in etwas Sirup. Dazwischen lagen Weintrauben und Bananenstücke.
»Rouxies. Lass es dir schmecken, May.«
Sofort schoss ihre Hand hervor, umklammerte ein Stück Pfannkuchen. Sie führte es zum Mund und gab zufriedene Geräusche von sich. Roux ließ sich neben mir auf den Stuhl fallen. Ein Knutschfleck versteckte sich in der Falte zwischen Halsbeuge und Schulter. Klein, fast unsichtbar. Je näher ich ihn betrachtete, umso mehr Anzeichen der gestrigen Nacht konnte ich erkennen. Feine Kratzer zogen sich über seine linke Brust und an seinem Rücken entlang. Seine Lippen waren voller.
»Dir gefällt wohl, was du siehst.« Roux griff grinsend über den Tisch an mir vorbei nach der Kaffeekanne. »Soll ich aufstehen, damit du mich besser anstarren kannst?«
»Nicht nötig.«
»Schade.«
Er schob mir einen Teller zu, den ich dankbar annahm. Ich war nicht hungrig und mein Magen empfindlich, aber wenn ich aß, musste ich nicht reden. Zumindest war das in meiner Welt so. In Roux' sah das anders aus.
»Warum kannst du nicht zugeben, dass ich heiß bin? Du musst ja nicht gleich mit mir in die Kiste springen, Babe. Aber es schmeichelt meinem Ego enorm, wenn du es aussprichst.«
Und wie es ihm schmeicheln würde.
»Das kann dein Ego nicht ertragen, so aufgeblasen wie es schon ist.«
Er lachte leise.
Mayla zermatschte die Stücke freudestrahlend in ihren kleinen Händen. Bohrte den Finger hinein und zeigte Roux stolz ihr Werk. Roux stand auf, holte einen Lappen und legte ihn neben Mayla. »Damit wir dich gleich sauber machen können, du Matscherin.«
Er kitzelte ihre Nase, und sofort machte sie eine Gebärde, damit er es noch mal machte. Es war Roux gewesen, der Mayla von Anfang an diese Gebärden gezeigt hatte und obwohl sie noch nicht sprechen konnte, erzählten ihre Hände bereits Geschichten. Mit neun Monaten hatte sie die ersten gezeigt, und mittlerweile explodierte ihr Wortschatz.
Roux wiederholte das Kitzeln, bedeutete Mayla, einen Moment zu warten, und kramte ein Shirt aus seinem Rucksack. In einer fließenden Bewegung zog er es sich über. »Manchmal könnte man glatt denken, du hättest noch nie Sex gehabt. Dabei ist die kleine Mayla von irgendeinem Prachtkerl in dich reingeschossen worden.«
Mein Körper schüttelte sich hustend, als ich mich an meinem Kaffee verschluckte. Verflucht, tat das weh.
»Alles okay?« Roux beugte sich zu mir und strich über meinen Rücken. Ich schloss kurz die Augen. Ich war mir allzu deutlich seiner Hand auf meinem Körper bewusst. Erst als ich mich nickend räusperte, glitt er zurück auf seinen Platz. »Vermutlich sollte ich das am Tisch lassen.« Er tätschelte meine Hand. »Aber du bist einfach süß, wenn ich diese Themen anspreche. Immer ein kleines bisschen rot. Gibst du mir den Zucker?«
Ich schob ihm die Dose zu und konzentrierte mich auf den Pfannkuchen, der halb gegessen auf meinem Teller lag. Er schmeckte lecker, aber der Hunger war mir vergangen. Roux' unverblümte Art, mit seiner Sexualität ins Haus zu fallen, war mir vertraut, aber unangenehm. Ich kannte niemanden, der so offen damit umging. Nicht mal Rick war so gewesen. Dabei hatten Mona und er ebenso wenig Geheimnisse daraus gemacht, was sie zwischen den Laken trieben.
Ich stand auf und wusch meine Tasse ab. An Rick und Mona und mein altes Leben zu denken half auch nicht, mich besser zu fühlen. Also zwang ich mich, die Gedanken zu stoppen, mich auf Mayla zu konzentrieren und auf das Leben, das ich jetzt hatte. Alles andere tat bloß weh.
Ich füllte das Spülbecken mit warmem Wasser und wusch die Teller und die Pfanne von gestern ab, während Roux sich die Kleine schnappte und sie badete. So dreckig, wie sie nach dem Essen war, wäre alles andere zu viel Arbeit. Außerdem liebte Mayla es zu baden. Genauso, wie sie Roux liebte. Er war wie der Vater, den sie nie haben würde.
Während ich das Wasser abließ und das Geschirr abtrocknete und wegräumte, drang ihr Quietschen und Lachen aus dem offenen Bad. Lächelnd lief ich an der Tür vorbei, warf einen Blick auf Roux, der neben der Wanne saß und mit zwei Quietscheentchen spielte.
In meinem Zimmer schloss ich die Tür, zog die Schublade des Schreibtischs heraus und suchte die leere Streichholzpackung. Vorsichtig schob ich sie auf, bis die Micro-Sim-Karte in meiner Hand lag. Obwohl sie sich wie Gift anfühlte, legte ich sie wie jede Woche in mein Handy ein. Meine Hand zitterte, als eine Nachricht aufploppte. Von Ben. Wie jede Woche.
Mein Examen ist bestanden. Rick will Mona fragen, ob sie ihn heiratet. Vermutlich wird sie vor Freude aufkreischen. Kannst du dir das vorstellen: Rick und verheiratet?
Mein Zeigefinger schwebte über der Antwortfunktion. Heiraten. Er wollte heiraten. Vor zwei Jahren war er sich nicht sicher gewesen. All der Streit. All die Eifersucht, auch mir gegenüber. Es war schön. Es war das, was Mona sich immer gewünscht hatte. Nach einem tiefen Atemzug drückte ich die Nachricht weg. Ich würde Ben nicht antworten, weil es nichts gab, was ich ihm schreiben konnte. Irgendwann würde er aufhören, mir aus dem Leben zu berichten, das er lebte. Würde anfangen, mich zu vergessen.
In der Kontaktliste suchte ich nach Matti. Er war die Ausnahme, die ich machte. Der einzige Berührungspunkt zu Redfield und dem Leben, das ich hinter mir gelassen hatte.
»Livi.« Mattis Stimme klang atemlos und aufgeregt. »Wir haben gewonnen. Das Spiel. Zehn Punkte mehr, und ich habe einen Homerun hingelegt.«
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie mein kleiner Bruder über das Feld rannte. Ganz in seinem Element und dem, was er liebte.
»Also zieht ihr ins Finale?«
»Jaaaa. Ist das nicht ultracool? Du musst unbedingt kommen, Livi, und mich anfeuern und das malen. Du musst malen, wie ich gewinne.«
Ich hasste es, ihm das Herz brechen zu müssen.
»Du weißt, dass das nicht geht.«
»Aber ich hab doch Geburtstag!« Seine Stimme bebte, und ich wusste, dass er weinte. »Du hast versprochen, dass du zurückkommst. Dass wir uns sehen können.«
»Aber jetzt geht das noch nicht, Matti.«
Ich blinzelte die Tränen fort, doch sie drangen in meine Augen und brachten den Schmerz mit.
»Du bist wie Mum.«
»Matti .«
»Mum sagt auch, dass sie etwas tut, und hat dann keine Zeit oder keine Lust oder vergisst es. Du machst das genauso.«
Ich wünschte, ich könnte es ihm erklären. Aber das konnte ich nicht. Ich wünschte mir, ihm diesen Wunsch erfüllen zu können. Nichts wollte ich mehr als das. Doch es ging nicht. Egal, wie sehr er sich danach sehnte. Oder ich.
»Du hast gesagt, dass du nicht wie Dad sein wirst. Dass du immer da bist. Aber du bist nicht mehr da und ich hasse es, dass du anrufst. Ich hasse es, Livi.«
Ich legte meine Finger über den Hörer. Presste sie darauf, um das Schluchzen zu dämpfen, das aus meiner Kehle drang. Er hatte recht. Ich hatte es versprochen. Nicht nur einmal, sondern oft.
»Granny macht mir eine Baseballtorte. Und wir feiern im Garten. Mit dem neuen Grill und allen aus dem Team. Nur du fehlst, und das ist nicht fair. Ich hab dir nichts getan, wieso kannst du dann nicht bei mir sein? Timo sagt auch, dass das gemein von dir ist. Und Louise sagt das. Mum sagt, du kommst nicht, aber ich hab gesagt, dass du kommst. Ich will, dass du kommst, Livi.«
Ich musste das jetzt zu Ende bringen. Mich zusammenreißen, wenigstens noch für diesen einen kleinen Moment. Mein Gewicht verlagernd, starrte ich auf die Leinwand. Das Bild der kleinen Meeresbucht, die Matti geliebt hat. Damals im Urlaub mit Ben und Rick und Mona.
»Du hast recht: Es ist gemein, Matti. Furchtbar gemein. Aber ich kann nicht kommen. Es geht nicht.« Das Schweigen zwischen uns machte mich nervös. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, doch das tat er nicht. Zu wissen, wie sehr ich ihn verletzt hatte, machte mich fertig. Seine Freude wegen des Sieges war zerstört. »Ich schicke am Montag das Paket für dich los. Es wird dir gefallen, ganz sicher.« Mit dem Zeigefinger strich ich unter meinem Augenlid entlang. Wischte Tränen weg.
»Hast du die Schokobrezeln auch eingepackt?«
Ich lachte auf. »Natürlich. Wie könnte ich deine Lieblingssüßigkeiten vergessen? Ich werde dich Sonntag wieder anrufen, und dann erzählst du mir alles. Wie die Torte geschmeckt hat und wie die Feier war. Ich will jedes einzelne Geschenk wissen, das du bekommst.«
»Soll ich dir Fotos machen?«
»Das wäre toll. Du kannst sie mir an meine E-Mail-Adresse schicken. Dann schau ich sie mir an.«
Und hoffte, dass dort nicht ganz andere E-Mails...