Schweitzer Fachinformationen
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Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich nach all der Zeit wieder hier bin. Immer wieder habe ich mir während der letzten Jahre in den leuchtendsten Farben ausgemalt, was für ein Gefühl es sein würde, mit der Goldmedaille um den Hals siegreich nach Hamilton, Texas, heimzukehren. In meinen Träumen fand immer eine fröhliche Parade statt. Mit Konfetti, Wunderkerzen und billigen Süßigkeiten, die gegen die weichen Köpfe irgendwelcher Kinder prallten. Zumindest bin ich davon ausgegangen, dass es ein Podium geben würde, von dem aus ich meine Dankesrede halten konnte. Und tatsächlich habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, denn vielleicht holt meine Mom ja in der Zeit, die ich zum Umziehen brauche, noch ein Podest aus ihrem Besenschrank hervor.
Ich kann sie alle unten auf mich warten hören. Über dem Kamin hat meine Mom ein großes Pappschild mit Willkommen zu Hause, Dr. Bell platziert, und die Einzige, die jetzt noch fehlt, bin ich als Ehrengast dieses Empfangs. Die Party hat vor einer Stunde angefangen und meine Mom erscheint bereits zum zweiten Mal in meinem Zimmer, um sich zu erkundigen, ob ich mich allmählich auf der Feier blicken lassen will.
Beim ersten Mal lag ich in einem Bademantel, den ich während meiner Highschoolzeit getragen habe, auf dem Bett.
»Wenn du nicht möchtest, dass man alles sieht, bindest du dir am besten den Gürtel zu, bevor du runterkommst,« riet sie mir vorsorglich.
Jetzt aber bin ich angezogen, stehe mit dem Rücken zur Tür am Fenster und betrachte triumphierend das zweistöckige Nachbarhaus.
»Falls du nach Madeleine Ausschau hältst, die ist schon unten.«
»Aber ihr Bruder ist nicht da, oder?« Ich weiß, dass er in Kalifornien ist, aber ich muss es trotzdem von ihr hören.
»Natürlich nicht.«
Ich drehe mich nach meiner Mutter um und sehe sie aus zusammengekniffenen Augen an, bis ich mir sicher bin, dass sie die Wahrheit sagt. Der Kerl schafft es sogar, dafür zu sorgen, dass ich meiner eigenen Mutter misstraue. Das ist die unerfreuliche Nebenwirkung meiner Rückkehr in die alte Heimatstadt, die unser jahrelanges Schlachtfeld war. Es gibt in Hamilton nicht einen Winkel, in dem wir nicht unser Blut beim Kettenbrechen, unseren Schweiß bei zahlreichen Cross-Country-Läufen sowie unsere Tränen bei einer ganzen Reihe anderer Wettkämpfe vergossen hätten. Im achten Schuljahr habe ich ihm ein blaues Auge verpasst, als er sagte, dass mich keiner der Jungs zum Abschlussball bitten würde. Direkt unter der Eiche neben seinem Haus. Und während er mit einer Packung tiefgefrorener Erbsen auf dem blauen Auge auf dem Sofa lag, ging ich am Arm des tollen Matt Del Rey zum Ball.
Doch gänzlich ungeschoren kam ich nicht davon. Als meine Mutter später von der Auseinandersetzung hörte, schleifte sie mich rüber, damit ich mich bei Lucas entschuldige. Und weil unseren Müttern mein sarkastisches Es tut mir ja so leid nicht reichte, zwangen sie uns obendrein noch eine peinliche Umarmung auf. Ich weiß noch ganz genau, wie ich ihm sanft die Arme um den Hals geschlungen und ihm möglichst leise, damit unsere Mütter es nicht hörten, zugeraunt habe: »Wenn du mich noch mal verpetzt, bekommst du noch ein Veilchen dazu.«
Er seinerseits nutzte seine pubertäre Kraft, um meine Rippen wie eine Boa constrictor einzuquetschen, was aus Sicht unserer Mütter eine wirklich liebevolle Geste war, und flüsterte zurück: »Ich hoffe, dass dich irgendwann der Schulbus überfährt.«
»Daisy?«, fragt meine Mom aus Richtung Tür und zwingt meine Gedanken in die Gegenwart zurück. »Willst du jetzt vielleicht runterkommen? Die anderen freuen sich schon auf dich.«
Ich wende mich vom Fenster ab und öffne meine Faust. Der Vorfall ist fünfzehn Jahre her, aber noch immer tun mir ab und zu die Knöchel weh.
Ob es seinem Auge wohl genauso geht?
Unten nehmen mich eine Reihe betagter Nachbarn, alter Freundinnen und Freunde, zu denen ich schon vor Jahren den Kontakt verloren habe, und der Zeitungsjunge in Empfang. Ich kenne nicht einmal die Hälfte dieser Menschen, aber schließlich war ich, seit ich Hamilton vor elf Jahren zum Studieren verlassen habe, auch eher selten hier.
Bei meinem Erscheinen brechen die mir großteils fremden Menschen unter Anleitung meiner Mom, die wie ein Dirigent am Fuß der Treppe steht, in lauten Jubel aus.
»Willkommen zu Hause, Frau Ärztin!«
»Super, Daisy! Gut gemacht!«
Der eine oder andere klopft mir anerkennend auf den Rücken und am Ende reicht mir jemand einen Drink. Ich mag normalerweise keine Partys, aber heute Abend habe ich allen Grund zum Feiern, denn nach all den Jahren wird jetzt mein Traum von einer eigenen Praxis wahr. Das war der Grund für meine Rückkehr nach Hamilton und der Grund für all die harte Arbeit während meines Studiums und der Zeit als Assistenzärztin im Krankenhaus.
Ich mache einen Bogen um den Sportlehrer meiner alten Schule, der anscheinend ein paar Schnäpse mit mir kippen möchte, bahne mir den Weg in Richtung Küche und treffe Madeleine, die dort Bowle ausschenkt. Sie ist meine älteste und beste Freundin, deshalb überrascht es mich nicht, dass meine Mom sie zwangsverpflichtet hat.
»Ich hab mich schon gefragt, ob du überhaupt runterkommen würdest. Warte, ist das Kleid nicht noch aus der Highschool?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ich habe meine Koffer noch nicht ausgepackt, und das hier hing noch im Schrank. Ich wollte nur ausprobieren, ob es mir noch passt.«
Lässig wirft Madeleine sich die braunen Haare über die Schulter, unterzieht mich einer eingehenden Musterung und stellt dann mit einem breiten Grinsen fest: »Ich finde, dass es dir jetzt viel besser steht.«
In der Gaußkurve weiblicher Körperformen bin ich links der Mitte angesiedelt - mittelgroß, relativ dünn, mit dürren Handgelenken, und zu Brüsten bin ich erst nach der Highschool gekommen, als die Neuigkeit für alle anderen längst schon nicht mehr neu war. Trotzdem hat es mich, als ich in das Kleid gestiegen bin und mich vor meinem alten, bodentiefen Spiegel gestellt habe, gefreut zu sehen, dass ich zumindest figurtechnisch mein eigener Teenage Dream geworden bin. Danke, Katy Perry!
»Du hättest raufkommen sollen.«
Madeleine zeigt auf die halb leere Schüssel mit der Bowle. »Deine Mom hat mich sofort zum Küchendienst verdonnert.«
»Vergiss die Bowle und komm mit in den Garten. Wir schnappen uns eine Flasche Wein und trinken sie aus, bevor uns jemand erwischt.«
»Dir ist schon klar, dass wir inzwischen erwachsen sind? Wir brauchen keinen Alkohol mehr aus dem Haus zu schmuggeln, wenn wir uns betrinken wollen.«
Achselzuckend greife ich an ihr vorbei nach einer noch verschlossenen Flasche Cabernet. »Ja, aber es macht mehr Spaß, wenn man so tut, als müsste man das noch. Außerdem ist auch McCormick da und wenn er mich entdeckt, war's das für uns, weil er dann garantiert den ganzen Abend über seine Praxis sprechen will.«
Sie reißt entsetzt die braunen Augen auf. »Oh Gott, natürlich, du hast recht. Geh schon mal vor. Ich komme mit den Gläsern nach.«
»Daaaaiisyyyyyy!«
Der bekannte Singsang meiner Mutter zwingt mich stehen zu bleiben, und noch während mein Instinkt mir rät, die Flasche schnell verschwinden zu lassen und möglichst unschuldig zu tun, fällt mir wieder ein, dass ich inzwischen achtundzwanzig bin, volljährig und offiziell befugt zum Konsumieren alkoholischer Getränke.
»Sieh nur, was gerade für dich abgegeben worden ist!«
Ich drehe meinen Kopf und lasse dann doch fast die Rotweinflasche fallen, als sie mit einer Bombe in den Händen in die Küche kommt.
»Was. Ist. Das?«
»Ein Blumenstrauß für dich!« Sie strahlt mich an. »Sieht nach mehreren Dutzend aus.«
Drei Dutzend, um genau zu sein. Drei Dutzend dicker, weißer Margeriten, was bei meinem Namen Daisy Margaret an Symbolkraft kaum zu überbieten ist.
»Wirf sie weg!«
»Wie bitte? Mach dich doch nicht lächerlich. Sie wurden gerade erst gebracht.«
Sie steht schon an der Spüle und lässt Wasser in die riesengroße Vase, aber wütend reiße ich ihr die Blumen aus der Hand und kippe dabei aus Versehen das Wasser über den dünnen Stoff meines Kleides. Jetzt bin ich sicher nicht mehr nur mein eigener Teenage Dream!
»Daisy!«
»Nein. Nein. Nein.«
Ich brauche nur drei Schritte bis zur Hintertür und noch mal vier, bis ich die blöden Blumen in den Mülleimer am Fuß der Treppe werfen kann. Und dort, im Inneren der Tonne, sehe ich den Umschlag, der auf den zerknickten Blüten liegt.
Er hat immer schon bei allem aufs Detail geachtet und deswegen extra den grauenhaften, pinkfarbenen Umschlag ausgewählt, dessen Anblick mich rasend macht.
»Wirst du die Karte lesen?«, fragt Madeleine, während sie über meine Schulter auf den Umschlag starrt.
»Nein.«
»Aber vielleicht steht ja was Nettes drin.«
Ich ignoriere sie. Als seine Schwester muss sie ihn nun mal verteidigen....
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