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Wenn Horoskope die Wahrheit sagen würden, hätten sie mich gewarnt. Vor diesem Jahr, das noch so jung und trotzdem schon so verflucht beschissen war. Das Einzige, mit dem Jennas Jahreshoroskop recht gehabt hatte, waren die Veränderungen gewesen, die anstanden.
Beruflicher Erfolg?
Der Überflieger in Liebesdingen?
Ich drückte den Lappen fester auf die Tischplatte und unterdrückte einen Fluch. Von wegen!
»Das ist doch bescheuert!« Liv zog ihre schwarze Mütze tiefer ins Gesicht und schob einzelne Strähnen ihres dunklen Haares darunter, bevor sie nach dem Besen griff.
Ich wusste genau, was sie vorhatte.
Mein Lappen landete im Eimer. »Du krümmst hier keinen Finger mehr, Babe«, erklärte ich bestimmt und zog den Besenstiel aus ihren schmalen Fingern.
»Aber -«
»Du arbeitest nicht mehr hier, also schaff deinen hübschen Knackarsch weg, und kümmer dich um was Anderes. Kein Servieren. Kein Kassieren. Kein Putzen.«
Ihre Augen verengten sich. »Du bist unerbittlich«, sagte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Wenigstens fegen lassen könntest du mich.«
»Vergiss es.«
Liv und ich hatten das letzte Jahr zusammengearbeitet. Vom ersten Moment an waren wir ein gutes Team gewesen, und dass sie ausgerechnet jetzt, wo Onkel Tyler im Krankenhaus lag, nicht mehr hier im Café Hill angestellt war, war zum Kotzen. Doch meine Entscheidung stand. Liv sollte sich auf ihre Acryl-Malerei, auf ihre Tochter Mayla und die Therapie konzentrieren. Hier im Hill mit mir zu arbeiten war zu viel.
Ich wusste das. Und sie wusste es auch.
»Aber du brauchst Hilfe, Roux.«
»Ben hilft mir«, erklärte ich und erntete ein Schnauben.
»Ja, bei dem Bürokram, aber du brauchst Hilfe hinter der Theke.«
Liv hatte recht. Nicht einmal zwei Wochen ohne meinen Onkel, und alles stand kopf. Schon vor seinem Schlaganfall waren wir unterbesetzt und ich überarbeitet gewesen. Die Doppelschichten zerrten an meinen Nerven. Alles, was ich wollte, war Schlaf.
Schlaf und die verruchte Blondine, die mir während der Arbeit ihre Nummer zugeschoben hatte.
»Ich kümmer mich darum.« Ich machte einen Schritt auf Liv zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich weiß, dass du mir helfen willst. Aber ehe ich zulasse, dass du nochmal zusammenbrichst, schließe ich das Café lieber ganz. Du hast genug, auf was du dich konzentrieren musst. Das steht einfach nicht zur Diskussion.«
Liv hatte die Last auf ihren Schultern lange genug alleine tragen müssen. Dass sie sich für das Hill aufopferte, brachte niemandem etwas. Nicht, wenn sie unter der Belastung zusammenbrach, so wie vor ein paar Wochen. Denn neben ihrer Tochter und der Therapie war da auch noch der Gerichtsprozess, für den sie alle Kraft brauchte, die sie hatte.
»Ganz davon abgesehen hat May dann auch nichts mehr von dir. Sie braucht aber ihre Mutter.«
Seufzend schob Liv meine Hände von ihren Schultern. »Okay. Ich hab`s kapiert.«
»Bist du sicher? Ich komm gerade erst so richtig in Fahrt mit meinen Argumenten. Ich meine - AUA!« Übertrieben rieb ich mir das rechte Schulterblatt, an dem sie mich mit der flachen Hand getroffen hatte.
»Du bist unmöglich«, schimpfte sie. Doch das ernste Gesicht verschwand, als sich ihre Mundwinkel im nächsten Moment zu einem zaghaften Lächeln verzogen. »Aber für Ben Tee kochen, das darf ich noch?«
Ich deutete zum Wasserkocher. »Tu dir keinen Zwang an.«
Rasch wischte ich die übrigen Tische, bevor ich die Stühle hochstellte, um zu fegen.
Der Wasserkocher begann zu sprudeln, und als Liv den Tee aufbrühte, drang mir der liebliche Duft von Bergamotte in die Nase. Die fertige Kanne Earl Grey landete auf einem geschmiedeten Stövchen neben der Theke.
»Wie lange werdet ihr beschäftigt sein?«
Liv fischte den letzten Chocolate Cookie und zwei Stück Apfelkuchen aus der Vitrine. Auf einen Teller gebettet landete alles neben dem Tee.
Gute Frage.
»Die nächsten Wochen«, antwortete ich.
Ihre Augen weiteten sich. »So schlimm?«
Sie hatte keine Ahnung. Es war schlimmer als schlimm. Eine absolute Katastrophe.
Mein Onkel Tyler hatte sich bisher um den Papierkram gekümmert und ich mich um die Arbeit vorne. Er war der Kopf, ich der Körper des Cafés. Das hatte hervorragend funktioniert.
Dachte ich.
»Sieh es dir am besten selbst an.« Ich winkte Liv hinter mir her, als ich mich in Richtung Büro aufmachte. Ich kannte Liv. Sie musste es mit eigenen Augen sehen, um mir zu glauben.
An den Toiletten vorbei lief ich ein Stück durch den Flur und trat auf die Bürotür zu, die auf der rechten Seite lag.
Als ich die Tür aufstieß, empfing mich der Geruch von altem Papier, so wie er es immer getan hatte. Doch von der peniblen Ordnung, die hier sonst geherrscht hatte, war nichts mehr übrig. Der zweieinhalb Meter lange Schreibtisch in der Mitte des Raumes barg ein einziges Chaos aus Rechnungen, Abrechnungen, Lieferscheinen und Briefen.
Zögerlich trat Liv heran. Ihr Blick glitt von einem Ende des Tisches zum anderen. Sie fischte einen der Zettel aus dem Stapel. »Der ist von Oktober«, sagte sie langsam, und ich konnte hören, wie sie schluckte.
»Ja.« Ich ließ mich in den abgewetzten Ledersessel sinken. »Als ich Anfang der Woche nach der Abrechnungskarte für den Strom gesucht habe, sind mir ein paar unsortierte Unterlagen in die Hände gefallen. Aber das war nur der Auftakt von diesem Chaos.« Ich machte eine ausschweifende Handbewegung.
Mein Onkel war ein gewissenhafter, penibler Mann. Normalerweise kontrollierte er alles doppelt. Manchmal sogar dreifach. Er fuhr zu Lieferanten, um Ungenauigkeiten zu klären, und das hier - dieses Durcheinander aus unbearbeiteten Unterlagen -, das passte nicht zu ihm. Es passte nicht zu dem Mann, der mich wie sein eigen Fleisch und Blut aufgezogen hatte.
Es musste schon eine ganze Weile schlimm um ihn gestanden haben.
Liv hockte sich neben mich und legte ihre Hand auf mein rechtes Knie. »Du konntest das nicht wissen, Roux. Er hat sogar noch mit Mayla den Zuckerguss angerührt, bevor er einfach umgefallen ist. Er war wie immer. Nicht nur zu mir, zu allen.«
Ja. Und nein. Die letzten drei Nächte hatte ich damit zugebracht, darüber nachzudenken. Über seinen Zusammenbruch und die Wochen davor. Es hatte Anzeichen gegeben: Er war vergesslicher gewesen. Hatte müder ausgesehen. Ich hatte geglaubt, es läge an der Sorge um Liv, die uns alle heimgesucht hatte. Daran, dass er krank sein könnte, dass etwas Anderes nicht stimmte, hatte ich nicht einen Gedanken verschwendet. Und vielleicht hätte ich es erkannt, wenn meine Antennen nicht vollkommen auf sie eingestellt gewesen wären.
Ich war nicht einer von jenen, die sich im Nachhinein selbst zerfleischten. Es gab Dinge, die man erst im Nachhinein verstand. Das war eben so.
»Wenn du jetzt wieder damit anfängst, dass du weiterarbeitest, dann muss ich dir leider Hausverbot erteilen, Babe«, erklärte ich, denn Livs nachdenklicher Blick versetzte mich in Alarmbereitschaft.
»Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte sie. »Ich habe mich nur gefragt, wie es hier weitergeht. Tyler wird doch lange nicht arbeiten können, oder?«
»Vielleicht nie mehr.«
Jane hatte es nicht auf diese harte Art gesagt. Nicht mal der Arzt hatte es auf diese Weise ausgedrückt. Aber klar war, dass mein Onkel im Moment weder sprechen noch laufen konnte. Und selbst wenn die Behandlung ihm half - das hieß nicht, dass er hinterher je wieder derselbe sein würde. Manche Menschen erholten sich nach einem Schlaganfall nicht.
Liv richtete sich ein Stück auf und zog mich an sich. Ihr Kopf drückte sich gegen meine Brust, und ihre Hände strichen über meinen Rücken. »Es tut mir so leid«, murmelte sie.
Es war schön, ihr eine Weile nah sein zu können. Sie wusste, wie schwer das für mich war. Tylers Krankheit wirbelte mein Leben durcheinander. Mein Traum von einer eigenen Bar stand auf der Kippe, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich ihn mir unter diesen Umständen überhaupt je würde erfüllen können.
Ich sparte schon lange dafür und hatte eine klare Vision im Kopf. Tyler hatte mich stets darin bestärkt, meine Träume zu leben. Aber wenn er nie wieder gesund werden würde, musste ich mich entscheiden. Für das Hill, das ich ebenso sehr liebte wie ihn, und gegen meinen Traum.
Als die Tür aufging und Ben im Türrahmen auftauchte, löste Liv sich von mir.
»Hey.« Einzelne Haarsträhnen seines zerzausten Haares fielen ihm ins Gesicht, als er seine Tasche auf dem Boden abstellte, um Liv zu begrüßen.
Anders als ich hatte Ben kein Problem damit, Liv von sich aus zu umarmen. Jedes Mal, wenn ich ihr nah war, dachte ich unweigerlich an die Gewalt, die Jason ihr angetan hatte. Vermutlich lag es daran, dass sie seine beste Freundin war. Daran, dass er sie endlich wieder an seiner Seite hatte, nachdem sie zwei Jahre zuvor aus ihrem alten Leben geflüchtet war und alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte.
Während die beiden in einen kurzen Plausch verfielen und verschwanden, starrte ich auf die Flut aus Papier und überlegte, wo ich anfangen sollte.
Neben einem Stapel lagen ungeöffnete Briefe. Mit dem Finger riss ich einen Umschlag auf, faltete den Zettel auseinander und begann zu...
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