Schweitzer Fachinformationen
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Bis am Abend musste er noch drei Berichte finalisieren, und jetzt das. Ein Überraschungsbesuch passte so gar nicht in sein Donnerstagsprogramm.
Paavo Baumgartner, Ermittler bei der Gruppe Leib und Leben der Luzerner Polizei, strich sich mit der linken Hand über seine blonden Haare, als er den Telefonhörer in seiner Rechten hielt und Pia vom Empfang zuhörte. Diese meldete eine Lisa Bernet an. Die junge Frau wirke etwas nervös. Sie habe Baumgartners Namen von einer Freundin erhalten und benötige dringend Hilfe.
»Also gut. Sag ihr, ich hole sie in fünf Minuten ab.«
Wenig später stand er vor dem Warteraum. Durch die Glastür erblickte er eine junge Frau, die er auf Ende zwanzig oder Anfang dreißig schätzte. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid, was ihm angesichts der außergewöhnlichen Milde dieses Herbstes passend erschien. Ihre braunen Haare waren schulterlang. Die Launen der Natur waren ihr bezüglich Schönheit wohlgesinnt, was sie mit einer unauffälligen Art im Zaun hielt. Sie sah aus wie das Mädchen von nebenan. Auf jeden Fall kannte er sie nicht.
Da sie die einzig Wartende war, ging er auf sie zu und reichte ihr die Hand. »Frau Bernet, guten Tag. Baumgartner mein Name.«
Er riss sie offenbar aus einem Tagtraum, denn leicht erschrocken schoss sie hoch, packte ihre trendige Umhängetasche und reichte ihm ihre Hand.
»Lisa Bernet, freut mich. Eine Freundin von mir, Melinda Gassmann, hat mich an Sie verwiesen. Sie waren in den Fall involviert, in dem Melinda Opfer von häuslicher Gewalt war. Sie hat Sie in den höchsten Tönen gelobt. Sie seien sehr empathisch und ein hervorragender Zuhörer.«
Baumgartner fühlte sich gerührt.
»Vielen Dank für diese Worte. Trotzdem, es tut mir leid, ich kann Ihnen leider zu . wie, sagten Sie noch gleich, heißt Ihre Freundin?«
»Melinda Gassmann.«
»Genau. Also, ich kann Ihnen zu einer Frau Gassmann keine Auskunft erteilen. Ich bin an das Amtsgeheimnis gebunden.«
»Ja sicher, keine Ursache. Ich wollte damit nur sagen, ich komme nicht einfach wegen einem Hirngespinst.«
Ein Moment des Schweigens sorgte für eine Kunstpause. Dann trat ein älterer Herr mit Gehstock in den Warteraum und musste den an der Türschwelle stehenden Baumgartner beinahe zur Seite schieben. Dieser entschuldigte sich.
»Also, hören Sie sich meine Geschichte nun an?«, fragte Lisa Bernet.
»Ja sicher. Wir gehen hoch in mein Büro.«
Baumgartner bot ihr eine Tasse Kaffee an, die sie dankend ablehnte. Sie setzte sich auf den Stuhl vor seinem Pult. Er nahm ebenfalls Platz und faltete die Hände wie zum Gebet. »Also, Frau Bernet, womit oder wobei kann ich Ihnen behilflich sein?«
Sie schmunzelte. »Ja, der Polizist, dein Freund und Helfer. Nein, im Ernst, es geht um Folgendes: Ich habe viel Geld gefunden, sehr viel Geld. Es sind etwas mehr als zwei Millionen Schweizer Franken.«
»Oh, gratuliere. Wobei, bei dieser Summe müssten Sie das dem Fundbüro melden. Dieses ist aber am Hirschengraben bei der Sicherheitspolizei. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es nicht irgendwo gefunden, sondern im Haus meiner verstorbenen Tante Vera Hunkeler. Und ich habe das Haus geerbt.«
»Sind Sie Alleinerbin?«
»Ja. Es gibt noch ein Legat, also ein Vermächtnis. Ist aber keine große Sache.«
»Den Begriff des Legats kenne ich. Ansonsten bin ich kein Erbrechtsexperte. Ich würde sagen, dann haben Sie nicht nur das Haus geerbt, sondern alle darin befindlichen Gegenstände. Somit dürfte ich Sie eigentlich als wahren Glückspilz bezeichnen, wenn Sie denn nicht vor mir säßen, was mir verrät, dass der Schein trügt.«
»So ist es. Sie haben es erraten.«
»Dann erzählen Sie mal.«
»Es ist so, das Geld befand sich nicht in einer Kiste oder in einem Haussafe oder gar in der berühmten Matratze. Ich habe das Geld gefunden, als ich die Tür der alten Waschmaschine geöffnet habe, die mir bei der Inventarisierung aufgrund des merkwürdigen Geruchs aufgefallen ist. Die Maschine scheint meine Tante nicht allzu oft benutzt zu haben.«
Baumgartner staunte Bauklötze. »Geld in der Waschmaschine zu verstecken erscheint mir auf den ersten Blick nicht sonderlich sicher. Obwohl, hm, wer würde dort nach Wertgegenständen suchen? Also nicht die schlechteste Idee. Aber warum bringt jemand so viel Geld nicht zur Bank? Doch nur, weil er - oder im Falle Ihrer Tante sie - dessen Herkunft nicht preisgeben will.«
»Ja, das ist der springende Punkt. Sehen Sie, ich habe große Befürchtungen, dass dieses Geld in der Tat nicht sauber ist. Dafür gibt es einen Hinweis auf einem Zettel, der dem Geld beilag. Aus dem werde ich allerdings nicht schlau.«
Sie kramte einen Zettel aus ihrer Umhängetasche hervor. Darauf konnte Baumgartner die für ihn kryptischen Worte lesen:
An diesem Geld klebt Blut! Frag Nathan, der weiß es.
Er schaute auf den Zettel, blickte dann zu Lisa Bernet und gab ihn zurück. »Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Ist das der Grund, dass Sie bei mir gelandet sind?«
»Genau. Es ist von Blut die Rede. Wenn dieses Geld tatsächlich unsauber ist, vielleicht sogar jemand dafür gestorben ist, dann will ich es nicht.«
Baumgartner lächelte sie etwas verkrampft an. »Bei allem Respekt, aber geht da nicht die kriminalistische Phantasie mit Ihnen durch? Haben Sie noch andere Beweise oder Indizien, dass eine kriminelle Handlung mitschwingt, dass dieses Geld deliktischen Ursprungs sein könnte?«
»Nein, das ist alles. Ich habe das Haus zweimal gründlich durchsucht, geradezu auf den Kopf gestellt. Ich habe keine weiteren Hinweise gefunden und auch keine Geheimverstecke wie ein Safe in einem Sekretär.«
»Hat Ihre Tante ein Bankschließfach?«
»Ja, sie besaß ein solches. Darin befanden sich nur ein paar Goldmünzen und ein Medaillon, das ihr sehr viel bedeutet hat. Mehr nicht.«
»Dann ist es umso erstaunlicher, dass sie das Geld nicht dort hinterlegt hat. Ich nehme an, versteuert ist es auch nicht, oder?«
»Davon gehe ich aus. Ein Nachsteuerverfahren für unversteuertes Vermögen aus Erbschaft erachte ich allerdings als kleineres Problem. Das wäre ja geradezu eine Lappalie. Ich will wissen, ob dieses Geld wirklich Bullshit ist. Sorry for my French, da dringt die Wahl-Australierin aus mir durch. Ich habe die letzten knapp zehn Jahre Down Under bei einer großen Versicherungsgesellschaft gearbeitet und bin nur wegen dieses Todesfalles in die Schweiz gekommen, nachdem ich von den Behörden kontaktiert worden war. Sie müssen wissen, ich hatte es nicht einfach in meiner Kindheit und Jugend, und wäre meine Tante nicht gewesen, tja, dann wäre ich wohl im Kinderheim gelandet. Daher muss ich einfach wissen, ob diese Frau, der ich mein Leben verdanke, eine dunkle Seite hatte, die ich bis anhin nicht gekannt habe.«
»Glauben Sie mir, in meinem Beruf erlebe ich oft Situationen, in denen Menschen aus allen Wolken fallen, weil sie das Doppelleben ihrer Mitmenschen nicht auf dem Radar hatten. Nur fürchte ich, kann ich hier, ohne weitere Hinweise, nichts machen. Ich wüsste nicht mal, was ich festhalten sollte. Und jemand von der Staatsanwaltschaft würde wegen eines solchen Fundes kein Verfahren eröffnen. Schon gar nicht, wenn es sich, so wie es momentan scheint, vorliegend höchstens um Steuerhinterziehung und somit eine Übertretung handelt. Es tut mir wirklich sehr leid.« Baumgartner hoffte insgeheim, die Sache sei nun erledigt.
Theatralisch schürzte sie ihre Lippen und kniff dabei die Augen zusammen. »Und was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun? Sie üben sich ja förmlich in Dienstverweigerung«, sagte sie und zog einen Flunsch.
Für Baumgartner war nichts mehr von der eher schüchtern wirkenden Person unten am Empfang zu spüren. Da hatte er bei jemandem den Kampfgeist geweckt. Ihn beschlich das ungute Gefühl, die Frau nicht ohne eine valable Alternative loszuwerden.
»Also bitte, das ist jetzt ein etwas hartes Wort, >Dienstverweigerung<. Ohne Anhaltspunkte, dass sich eine Straftat verwirklicht haben könnte, kann ich nichts tun. Wo sollte ich anfangen? Oder klebte etwa das Blut nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich an dem Geld?«
»Nein, natürlich nicht. Meine Tante sprach gerne in Metaphern.«
»Aha. Und da sind Sie sicher, dass daran etwas Wahres ist? Oder ist das am Ende einfach nur ein kruder Scherz?«
»Ich muss Ihnen, bei allem Respekt, sagen: Sie kannten meine Tante nicht. Sie beliebte zu scherzen, bisweilen driftete sie ins Schwarzhumorige ab. Aber sie konnte sehr gut zwischen beißendem Spott und Ernsthaftigkeit unterscheiden. Und so, wie ich diese wenigen Worte deute, meinte sie diese ernst. Daher nochmals die Frage: Was soll ich jetzt tun? Ich kann und will das nicht auf mir sitzen lassen. Ich bin zwar rechtmäßige Alleinerbin, nur will ich nicht von Geld leben, an dem Blut kleben soll, das vielleicht nur deshalb in dieser Waschmaschine lag, weil hier Spuren eines abscheulichen Verbrechens vertuscht werden sollen. Ich denke zwar nicht, dass meine Tante selber etwas derart Verwerfliches getan hat. Aber vielleicht wusste sie etwas. Und dieses mutmaßliche Wissen hat sie nun mit in ihr Grab genommen.«
Baumgartner tippte mit dem Finger auf sein Pult. Er schaute Lisa Bernet einige Sekunden an und zog den rechten Mundwinkel hoch.
»Ich denke, ich werde Sie nicht so einfach los, was?«
»Darauf können Sie Ihre Dienstmarke oder Ihren Ausweis oder wie das bei Ihnen heißt verwetten.« Sie verschränkte ihre Arme. »Ich will ganz einfach nicht, dass das Andenken an meine Tante besudelt wird, auch wenn ich die Einzige zu...
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