Schweitzer Fachinformationen
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Michael nahm mich gestern nach meiner Ankunft auf der Party in den Arm und teilte mir grinsend mit, dass es als Eingeborener seine Pflicht sei, Neuankömmlinge mit den hiesigen Gewohnheiten vertraut zu machen. «Es gibt nichts Schlimmeres als versteifte Leute in dieser Stadt», sagte er mit offizieller Miene und erläuterte, anzüglich mit seinem Liebhaber Ivan tanzend, dass sexuelle Freizügigkeit der Schlüssel zu einem glücklicheren Leben sei. «Du bist cool, Hanne. Alle Freunde von Carmen sind cool. Aber du musst noch, wie soll ich sagen, entdeutscht werden.» Was soll man anderes erwarten in einer Stadt, in der eins der berühmtesten Denkmäler ein Phallussymbol ist. Coit Tower wurde auf Telegraph Hill errichtet, zum Gedenken Lillie Hitchcock Coits, einer Rebellin gegen viktorianische Zwänge, die oft, als Mann verkleidet und Zigarre rauchend, in Salons Poker spielte und eine Vorliebe für Feuerwehrmänner hegte. Der Turm soll einen Feuerwehrschlauch darstellen, doch manche behaupten, dass er gewissen anderen Attributen von Lillies Feuerwehrmännern ähnlicher sieht.
Weil George, der vorhin anrief, um sich bei mir für gestern Abend zu entschuldigen, nun vor unserer Haustür steht, scheucht Carmen mich kichernd unsere Feuerleiter hinunter und verspricht mir, ihn abzuwimmeln. Michaels Angebot einer San-Francisco-Initiierung hört sich auf einmal ungemein attraktiv an.
Als ich in seiner WG, einem puderrosa, zweistöckigen viktorianischen Haus im alten Hippieviertel Haight Ashbury, ankomme, sind Michael, Ivan und Michaels Mitbewohner Tom gerade dabei, Kuchen zu backen. Dabei sind sie so ausgelassen, wie wahrscheinlich nur Männer beim Ausüben hausfraulicher Tätigkeiten sein können, weil diese Art von Arbeit ihnen nicht wie uns Frauen über Generationen hinweg als «Pflicht» in unsere DNS eingraviert ist. Wieso sonst sind fast alle Starköche dieser Welt Männer? Nur jemand, der das Kochen als Genuss ansieht und nicht als Hemmschuh, der ihn in der Evolution um Äonen zurückwirft, kann es zur Kunst entwickeln.
Auf dem runden Küchentisch am Fenster, das den Blick in einen verwilderten Garten gewährt, steht ein großer Teller mit Schokoladencookies, von dem Michael, Ivan und Tom sich fleißig bedienen.
«Wir wollen die Cookies aufessen, bevor wir zum Rollerbladen in den Park gehen», kündigt Michael an, Gesicht und Haare mit Teigklecksen beschmiert, an denen wir alle einmal lecken dürfen. «Und zur Stärkung unterwegs nehmen wir den Kuchen mit.» Er schiebt mir einen der Kekse in den Mund.
Es ist ein köstlicher Keks; einer der köstlichsten, die ich je gegessen habe. Somit muss Michael keine weitere Überredungsarbeit leisten, um mich dazu zu bringen, die übrigen aufzuessen. Die gute Laune der Jungs ist ansteckend. Die morgendliche Wut auf Carmen, zeitweise abgelöst von uferlosem Selbstmitleid, ist verflogen. Als der Kuchen fertig ist, machen Michael, Ivan und ich uns auf den Weg zum Park, dessen Ausläufer nur wenige Häuserblocks entfernt beginnen. Alles ist auf einmal urkomisch, und wir wandern laut lachend durch die pittoresken Straßen.
Golden Gate Park ist weit, wild und romantisch, mit Eukalyptusbäumen, einem japanischen Garten, Statuen berühmter Männer und Büffeln auf einer Weide. Die Wiege der Blumenkinder. Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix. Sonntags ist der Park ein Eldorado für die Rollschuhfahrer, Spaziergänger und Mountainbikefahrer der Stadt.
Beschwingt ziehen wir unsere Rollerblades an (Michaels Mitbewohnerin Kitty war so nett, mir ihre zu leihen) und folgen Michaels Anweisungen. «Knie zusammen und Hintern raus, wenn ihr bremsen wollt. Arme nicht vergessen. Und immer schön lächeln, Hanne. Schließlich könnte dein Traummann verschwitzt und sexy an der nächsten Ecke mit dir zusammenstoßen.»
Es dauert nicht lange, bis Ivan und ich unsere ersten Schwünge in der Rollerblade-Disco am Eingang zum Park machen.
Michael verteilt seinen frisch gebackenen Kuchen an jeden, der ein Stück haben will. Er ist wirklich ein toller Bäcker. Der Kuchen, eine Schoko-Bananen-Mischung mit Nüssen, ist sensationell.
Als ich später am Nachmittag vom Tanzen ganz durchgeschwitzt bin, lasse ich mich neben Ivan ins Gras fallen. «Hast du Michael gesehen?», frage ich, denn ich will bald nach Hause, um heute noch die Strecke von der Wohnung zu meinem neuen Arbeitsplatz bei der California Sun abzufahren und die öffentlichen Verkehrsverbindungen zu testen, damit ich morgen meinen ersten Arbeitstag stressfrei beginnen kann. Schließlich bin ich eine angehende Erfolgsjournalistin, die sich unter anderem durch eine glänzende Organisationsgabe auszeichnet. Es ist ein essenzieller Bestandteil meines neuen Lebens, meine Zeit im Rhythmus einer Erfolgsfrau einzuteilen und den Tag bei Sonnenaufgang mit Yogaübungen zu beginnen, um dann, frisch gestärkt, einen Zwölf- bis Vierzehnstundentag hinzulegen, als wäre es ein Spaziergang im Park. Ich werde auch den engsten Terminplan pünktlich einhalten und dabei immer ausgeruht aussehen. Die durch Meditationen in der Morgensonne hervorgerufene Ausgewogenheit von Yin und Yang wird ein erleuchtetes Lächeln auf mein Gesicht zaubern, während ich nach der Arbeit schnell noch zehn Kilometer am Meer entlangjogge. Mit einem perfekten Körper in perfekten Outfits (sobald ich in ein paar Wochen mein erstes Erfolgsjournalistinnengehalt beziehe) werde ich in ein prickelndes amerikanisches Gesellschaftsleben eintauchen. Das Ironische daran ist, dass diese neue, erfolgreiche, Zen verinnerlichende Weltenbummlerin wie ein Magnet auf Männer wirken wird, denen ich ja vorläufig bekanntlich abgeschworen habe. Es sei denn, sie sind schwul (denn schwule Männer sind wie Freundinnen, mit denen man Klamotten kaufen geht und über Männer redet). Man muss sich nur umsehen. Gerade fährt da ein Pärchen auf Rollerblades an uns vorbei. Sie hat's drauf, graziös und schwungvoll, er eiert hinter ihr her. Dann macht sie einen Turn und legt sich flach - wem kann das nicht passieren -, und er belehrt sie erst mal darüber, wie man's richtig macht. Und während sie sich wieder aufrappelt, guckt er noch schnell der Tante in den türkisen Hot Pants hinterher, die vorhin schon Ivan angeschielt hat wie Alexander immer meine Pommes rotweiß, während er mir Vorträge über gesunde Ernährung gehalten hat.
Pah! Mir geht es globetrotterinnenmäßig blendend. Ich winke Michael zu, der uns strahlend von einem öffentlichen Trinkwasserhahn aus zuruft: «Hey, kommt mal her. Ich muss euch was zeigen.»
Ivan und ich rollerbladen zu Michael hinüber, und gemeinsam rollen wir ein Stück bergabwärts durch den Park, bis wir an der Wiese ankommen, auf der die Büffel weiden. Ein großes, zotteliges Tier steht in der Mitte der Weide und sieht gelangweilt zu uns herüber. Michael zieht sein rotes T-Shirt aus und fängt an, es hin und her zu schwingen. Das ist gemein, dem Büffel gegenüber und auch mir, weil es angesichts Michaels Körper unmöglich ist, die innere Balance zu wahren, solange man den Hormonhaushalt einer Frau im gebärfähigen Alter hat. Mit dem Hormonhaushalt des Büffels scheint auch alles in Ordnung zu sein. Er senkt den Kopf und scharrt mit den Hufen schnaubend im Sand.
«Michael», rufe ich, während ich mich instinktiv ein Stück entferne. «Lass das doch. Das ist albern.»
«Hanne, bist du denn immer noch nicht entspannt? Was muss ich mir denn noch alles einfallen lassen, damit du mal ein bisschen lockerer wirst?»
Bevor ich etwas erwidern kann, stürmt der Büffel los, auf Michael und Ivan zu, durchbricht dabei den Zaun und trampelt auf die freie Wildbahn. Michael, der den Ernst der Lage immer noch nicht zu begreifen scheint, empfiehlt uns zwar, die Flucht anzutreten, stolpert dabei aber, von einem Lachanfall geschüttelt, über seine und Ivans Füße, wobei er Ivan auch noch abknutscht. Ich beschließe, mein Schicksal wieder mal in die eigene Hand zu nehmen. Vielleicht muss ich meinen Schwur ausdehnen und für eine Weile gar keine Männer in meinem Leben erlauben, auch keine schwulen. Ist es möglich, dass Kochen und Backen auch Männer evolutionär zurückwirft?
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, packt Ivan mich am Arm. Wir rollerbladen, was das Zeug hält, den immer noch kichernden Michael im Schlepptau.
Als wir nach einer halben Ewigkeit das erste Mal anhalten, finden wir uns in Japan Town wieder, wo wir uns aneinander festklammern und schnaufen wie das wild gewordene Bison persönlich. Sehe schon die Überschrift in den Zeitungen von morgen: Drei Greenhörner auf der Flucht vor dem Zorn des Büffels. Oder: Wie bescheuert kann man sein?
«Hey», sagt Michael, wieder ganz sein sorgenloses Selbst, während wir unsere aufgequollenen Füße aus den Rollerblades pellen und Ivan und ich noch immer fassungslos sind. «Wie wär's mit 'nem schönen Fläschchen Sake?»
In einem Miniladen auf einer Fußgängerbrücke kauft Michael mir Räucherstäbchen und einen passenden Halter in Form eines kleinen schwarzen Porzellanbuddhas, der mit beiden Händen lachend seinen großen, runden Bauch hält. «Hier», grinst Michael, «denk immer an das alte japanische Sprichwort: Fällst du siebenmal, stehe achtmal auf.»
Nihonmachi, Japan Town - erklärt Michael uns auf dem Weg zu einem Restaurant, von dessen Sake und Ramen er schwärmt -, wurde in den sechziger Jahren in San Francisco gegründet, um ein Symbol des Friedens zu setzen. Es sollte eine Ära beenden, in der viele in Amerika lebende Japaner nach Pearl Harbor in der Öffentlichkeit als gelbe Gefahr denunziert und in Internierungslagern gefangen gehalten wurden. Ivan und ich sind fasziniert von diesem sich unerwartet anbietenden Stück Stadtgeschichte, als...
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